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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Wangenheim und die Köthener Händel.
Truppen zu wahren, indem er sie recht auffällig von den Truppen des
Nachbarstaates unterschied, damit der Feind immer genau wissen konnte
wen er vor sich habe; die Erfindung neuer Uniformen wurde bald zu
einem Sport, der die zahlreichen Mußestunden deutscher Kleinfürsten ver-
gnüglich ausfüllte. Nur wenige Souveräne folgten dem verständigen Bei-
spiele des Großherzogs von Baden, der seine Truppen nach preußischem
Muster kleidete. Die Hannoveraner trugen noch die rothen englischen
Röcke, die Braunschweiger die dunkle Tracht der Schwarzen Schaar; die
Darmstädter prangten in kleeblattförmigen Epauletten; eine württem-
bergische Reiterabtheilung führte, wohl der russischen Verwandtschaft zu
Ehren, Lanzen und Pelzmützen nach Kosakenart; die Bückeburgische Uni-
form war eine kühne Combination von bairischen Raupenhelmen und
schwarzen Braunschweiger Röcken; im Königreich Sachsen verfiel man gar
auf eine Farbenzusammenstellung, welche vermöge ihrer Scheußlichkeit gegen
jede Nachahmung gesichert war, man gab dem beklagenswerthen Fußvolk
grüne Fräcke und hellblaue Hosen und fügte nachher noch eine Art Zipfel-
mützen mit Schirmen hinzu. Es schien als wolle die partikularistische
Eitelkeit diese tapferen deutschen Krieger, die unter der Führung preußi-
scher Generale die besten Soldaten der Welt werden konnten, absichtlich
dem Gespött preisgeben; für die Frankfurter Gassenbuben war es immer
ein Fest, wenn die Bundes-Militärcommission in ihren abenteuerlich bunt-
scheckigen Uniformen zur Parade erschien. Alles in Allem bewährte sich
dies Werk kleinköniglichen Dünkels und österreichischer Trägheit so jäm-
merlich, daß fortan jedesmal, wenn ein Kriegsfall drohte, auch sofort die
Frage erwogen wurde, wie man die Bundeskriegsverfassung über den
Haufen stoßen solle; denn immer sobald Noth an Mann kam zeigte sich
mit überwältigender Klarheit, daß Oesterreich durch seinen italienischen
Besitz, die Mittelstaaten durch ihre Ohnmacht gelähmt waren und nur
Preußen die deutschen Grenzen zu vertheidigen vermochte.

Noch feindseliger als in diesen Heeresangelegenheiten trat Wangen-
heim dem preußischen Gesandten in dem elenden Köthener Handel entgegen.
Er hatte kein Auge für den Unfug des Anhaltischen Schmuggels; ihm
genügte, daß der Buchstabe -- aber auch nur der Buchstabe -- des Bun-
desrechts gegen Preußen sprach. Mit allen Mitteln der Executionsord-
nung, nöthigenfalls mit den Waffen wollte er den Friedensbrecher heim-
suchen, und so heilig erschien ihm dieser Kampf, daß er noch ein Menschen-
alter später, als Niemand mehr daran dachte, alle seine alten Köthener
Gutachten veröffentlichte um den Deutschen zu zeigen, welch ein edler
Geist in ihrem alten Bundestage gewohnt habe. In politischen Macht-
fragen ist aber Niemand unparteiisch, und auch dieser begeisterte Wahrer
des Bundesrechts war es nicht; denn er hoffte selbst auf einen Sonder-
zollverein der Kleinstaaten und sah in Preußens Handelspolitik den ge-
fährlichen Gegner seiner eignen Pläne. Das Ungeschick des Grafen Goltz,

Wangenheim und die Köthener Händel.
Truppen zu wahren, indem er ſie recht auffällig von den Truppen des
Nachbarſtaates unterſchied, damit der Feind immer genau wiſſen konnte
wen er vor ſich habe; die Erfindung neuer Uniformen wurde bald zu
einem Sport, der die zahlreichen Mußeſtunden deutſcher Kleinfürſten ver-
gnüglich ausfüllte. Nur wenige Souveräne folgten dem verſtändigen Bei-
ſpiele des Großherzogs von Baden, der ſeine Truppen nach preußiſchem
Muſter kleidete. Die Hannoveraner trugen noch die rothen engliſchen
Röcke, die Braunſchweiger die dunkle Tracht der Schwarzen Schaar; die
Darmſtädter prangten in kleeblattförmigen Epauletten; eine württem-
bergiſche Reiterabtheilung führte, wohl der ruſſiſchen Verwandtſchaft zu
Ehren, Lanzen und Pelzmützen nach Koſakenart; die Bückeburgiſche Uni-
form war eine kühne Combination von bairiſchen Raupenhelmen und
ſchwarzen Braunſchweiger Röcken; im Königreich Sachſen verfiel man gar
auf eine Farbenzuſammenſtellung, welche vermöge ihrer Scheußlichkeit gegen
jede Nachahmung geſichert war, man gab dem beklagenswerthen Fußvolk
grüne Fräcke und hellblaue Hoſen und fügte nachher noch eine Art Zipfel-
mützen mit Schirmen hinzu. Es ſchien als wolle die partikulariſtiſche
Eitelkeit dieſe tapferen deutſchen Krieger, die unter der Führung preußi-
ſcher Generale die beſten Soldaten der Welt werden konnten, abſichtlich
dem Geſpött preisgeben; für die Frankfurter Gaſſenbuben war es immer
ein Feſt, wenn die Bundes-Militärcommiſſion in ihren abenteuerlich bunt-
ſcheckigen Uniformen zur Parade erſchien. Alles in Allem bewährte ſich
dies Werk kleinköniglichen Dünkels und öſterreichiſcher Trägheit ſo jäm-
merlich, daß fortan jedesmal, wenn ein Kriegsfall drohte, auch ſofort die
Frage erwogen wurde, wie man die Bundeskriegsverfaſſung über den
Haufen ſtoßen ſolle; denn immer ſobald Noth an Mann kam zeigte ſich
mit überwältigender Klarheit, daß Oeſterreich durch ſeinen italieniſchen
Beſitz, die Mittelſtaaten durch ihre Ohnmacht gelähmt waren und nur
Preußen die deutſchen Grenzen zu vertheidigen vermochte.

Noch feindſeliger als in dieſen Heeresangelegenheiten trat Wangen-
heim dem preußiſchen Geſandten in dem elenden Köthener Handel entgegen.
Er hatte kein Auge für den Unfug des Anhaltiſchen Schmuggels; ihm
genügte, daß der Buchſtabe — aber auch nur der Buchſtabe — des Bun-
desrechts gegen Preußen ſprach. Mit allen Mitteln der Executionsord-
nung, nöthigenfalls mit den Waffen wollte er den Friedensbrecher heim-
ſuchen, und ſo heilig erſchien ihm dieſer Kampf, daß er noch ein Menſchen-
alter ſpäter, als Niemand mehr daran dachte, alle ſeine alten Köthener
Gutachten veröffentlichte um den Deutſchen zu zeigen, welch ein edler
Geiſt in ihrem alten Bundestage gewohnt habe. In politiſchen Macht-
fragen iſt aber Niemand unparteiiſch, und auch dieſer begeiſterte Wahrer
des Bundesrechts war es nicht; denn er hoffte ſelbſt auf einen Sonder-
zollverein der Kleinſtaaten und ſah in Preußens Handelspolitik den ge-
fährlichen Gegner ſeiner eignen Pläne. Das Ungeſchick des Grafen Goltz,

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[295/0311] Wangenheim und die Köthener Händel. Truppen zu wahren, indem er ſie recht auffällig von den Truppen des Nachbarſtaates unterſchied, damit der Feind immer genau wiſſen konnte wen er vor ſich habe; die Erfindung neuer Uniformen wurde bald zu einem Sport, der die zahlreichen Mußeſtunden deutſcher Kleinfürſten ver- gnüglich ausfüllte. Nur wenige Souveräne folgten dem verſtändigen Bei- ſpiele des Großherzogs von Baden, der ſeine Truppen nach preußiſchem Muſter kleidete. Die Hannoveraner trugen noch die rothen engliſchen Röcke, die Braunſchweiger die dunkle Tracht der Schwarzen Schaar; die Darmſtädter prangten in kleeblattförmigen Epauletten; eine württem- bergiſche Reiterabtheilung führte, wohl der ruſſiſchen Verwandtſchaft zu Ehren, Lanzen und Pelzmützen nach Koſakenart; die Bückeburgiſche Uni- form war eine kühne Combination von bairiſchen Raupenhelmen und ſchwarzen Braunſchweiger Röcken; im Königreich Sachſen verfiel man gar auf eine Farbenzuſammenſtellung, welche vermöge ihrer Scheußlichkeit gegen jede Nachahmung geſichert war, man gab dem beklagenswerthen Fußvolk grüne Fräcke und hellblaue Hoſen und fügte nachher noch eine Art Zipfel- mützen mit Schirmen hinzu. Es ſchien als wolle die partikulariſtiſche Eitelkeit dieſe tapferen deutſchen Krieger, die unter der Führung preußi- ſcher Generale die beſten Soldaten der Welt werden konnten, abſichtlich dem Geſpött preisgeben; für die Frankfurter Gaſſenbuben war es immer ein Feſt, wenn die Bundes-Militärcommiſſion in ihren abenteuerlich bunt- ſcheckigen Uniformen zur Parade erſchien. Alles in Allem bewährte ſich dies Werk kleinköniglichen Dünkels und öſterreichiſcher Trägheit ſo jäm- merlich, daß fortan jedesmal, wenn ein Kriegsfall drohte, auch ſofort die Frage erwogen wurde, wie man die Bundeskriegsverfaſſung über den Haufen ſtoßen ſolle; denn immer ſobald Noth an Mann kam zeigte ſich mit überwältigender Klarheit, daß Oeſterreich durch ſeinen italieniſchen Beſitz, die Mittelſtaaten durch ihre Ohnmacht gelähmt waren und nur Preußen die deutſchen Grenzen zu vertheidigen vermochte. Noch feindſeliger als in dieſen Heeresangelegenheiten trat Wangen- heim dem preußiſchen Geſandten in dem elenden Köthener Handel entgegen. Er hatte kein Auge für den Unfug des Anhaltiſchen Schmuggels; ihm genügte, daß der Buchſtabe — aber auch nur der Buchſtabe — des Bun- desrechts gegen Preußen ſprach. Mit allen Mitteln der Executionsord- nung, nöthigenfalls mit den Waffen wollte er den Friedensbrecher heim- ſuchen, und ſo heilig erſchien ihm dieſer Kampf, daß er noch ein Menſchen- alter ſpäter, als Niemand mehr daran dachte, alle ſeine alten Köthener Gutachten veröffentlichte um den Deutſchen zu zeigen, welch ein edler Geiſt in ihrem alten Bundestage gewohnt habe. In politiſchen Macht- fragen iſt aber Niemand unparteiiſch, und auch dieſer begeiſterte Wahrer des Bundesrechts war es nicht; denn er hoffte ſelbſt auf einen Sonder- zollverein der Kleinſtaaten und ſah in Preußens Handelspolitik den ge- fährlichen Gegner ſeiner eignen Pläne. Das Ungeſchick des Grafen Goltz,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/311>, abgerufen am 22.11.2024.