gesetzgeberischen Aufgaben genügen kann. Da außer Zentner, Hach und Berg kein erfahrener Jurist den Conferenzen beiwohnte, so gerieth ihr Werk in der Form ebenso mangelhaft wie einst die Bundesakte, und auch der Wortlaut des Art. 8 verrieth die unsicheren Hände juristischer Dilet- tanten. Er verbot den Landständen nur, die Bundesgesandten zur Ver- antwortung zu ziehen, doch er verbot ihnen nicht, ihre constitutionellen Minister wegen des Inhalts der nach Frankfurt gesendeten Instruktionen zur Rede zu stellen, und bald genug sollte man erfahren, daß die Con- ferenz das Bundesrecht nur um ein neues unlösbares Räthsel bereichert hatte. Die schwierige Frage, ob den Landtagen eine mittelbare Einwir- kung auf den Gang der Bundespolitik zukomme, hat so lange dieser Bund bestand niemals eine klare Antwort gefunden.
Sehr heftig stießen die Parteien auf einander, als sodann die verfas- sungsmäßige Einstimmigkeit der Bundesbeschlüsse zur Sprache kam. Da ent- falteten Berstett und Marschall ihre ganze Beredsamkeit; sie verlangten Mehrheitsbeschlüsse für alle die Fragen, welche nicht über die wesentlichen Zwecke des Bundes hinauslägen, und gaben deutlich zu verstehen, daß sie der- einst noch zu gelegener Zeit durch Stimmenmehrheit ein Bundeszollgesetz und einen Bundesbeschluß über die Rechte der Landtage durchzusetzen hofften.*) Eben diese Hintergedanken der beiden seltsamen Unitarier nöthigten den preußischen Minister, auf den Bestimmungen der Bundesakte zu bestehen; er wollte sein Zollgesetz dem Belieben der Bundestagsmehrheit ebenso wenig preisgeben wie Zentner seine bairische Verfassung. So lange die Kleinstaaten, die kaum den sechsten Theil der Nation umfaßten, die an- deren fünf Sechstel überstimmen durften, blieb das aberwitzige Recht des Liberum Veto eine unentbehrliche Nothwehr gerade für die lebenskräf- tigeren Staaten. Dies stand nach den traurigen Erfahrungen der letzten Jahre außer Zweifel; darum war auch Hardenberg, der noch in Teplitz die Rechte der Bundesmehrheit zu erweitern gedacht hatte, längst wieder anderen Sinnes geworden. Selbst Metternich erkannte jetzt die Unaus- führbarkeit jener Teplitzer Pläne; er warnte die Versammlung, daß sie den Staatenbund ja nicht in einen Bundesstaat verwandle, und ver- wahrte sich lebhaft wider den gehässigen Ausdruck Liberum Veto, da dies Recht des Einspruchs von der Souveränität unzertrennlich sei. Preußen unternahm noch einen Vermittlungsvorschlag: falls eine organische Ein- richtung am Bundestage zwar die Zustimmung der Mehrheit, doch nicht einstimmige Annahme fände, dann sollten die Staaten der Majorität be- fugt sein, unter sich ein Abkommen, nach Art der altschweizerischen Kon- kordate, zu schließen. Der Antrag fiel, weil man die Entstehung gefähr- licher Sonderbünde befürchtete. So blieb es denn im Wesentlichen bei
*) Bernstorff's Bericht, 16. April 1820.
Berathung über die Rechte des Bundes.
geſetzgeberiſchen Aufgaben genügen kann. Da außer Zentner, Hach und Berg kein erfahrener Juriſt den Conferenzen beiwohnte, ſo gerieth ihr Werk in der Form ebenſo mangelhaft wie einſt die Bundesakte, und auch der Wortlaut des Art. 8 verrieth die unſicheren Hände juriſtiſcher Dilet- tanten. Er verbot den Landſtänden nur, die Bundesgeſandten zur Ver- antwortung zu ziehen, doch er verbot ihnen nicht, ihre conſtitutionellen Miniſter wegen des Inhalts der nach Frankfurt geſendeten Inſtruktionen zur Rede zu ſtellen, und bald genug ſollte man erfahren, daß die Con- ferenz das Bundesrecht nur um ein neues unlösbares Räthſel bereichert hatte. Die ſchwierige Frage, ob den Landtagen eine mittelbare Einwir- kung auf den Gang der Bundespolitik zukomme, hat ſo lange dieſer Bund beſtand niemals eine klare Antwort gefunden.
Sehr heftig ſtießen die Parteien auf einander, als ſodann die verfaſ- ſungsmäßige Einſtimmigkeit der Bundesbeſchlüſſe zur Sprache kam. Da ent- falteten Berſtett und Marſchall ihre ganze Beredſamkeit; ſie verlangten Mehrheitsbeſchlüſſe für alle die Fragen, welche nicht über die weſentlichen Zwecke des Bundes hinauslägen, und gaben deutlich zu verſtehen, daß ſie der- einſt noch zu gelegener Zeit durch Stimmenmehrheit ein Bundeszollgeſetz und einen Bundesbeſchluß über die Rechte der Landtage durchzuſetzen hofften.*) Eben dieſe Hintergedanken der beiden ſeltſamen Unitarier nöthigten den preußiſchen Miniſter, auf den Beſtimmungen der Bundesakte zu beſtehen; er wollte ſein Zollgeſetz dem Belieben der Bundestagsmehrheit ebenſo wenig preisgeben wie Zentner ſeine bairiſche Verfaſſung. So lange die Kleinſtaaten, die kaum den ſechſten Theil der Nation umfaßten, die an- deren fünf Sechſtel überſtimmen durften, blieb das aberwitzige Recht des Liberum Veto eine unentbehrliche Nothwehr gerade für die lebenskräf- tigeren Staaten. Dies ſtand nach den traurigen Erfahrungen der letzten Jahre außer Zweifel; darum war auch Hardenberg, der noch in Teplitz die Rechte der Bundesmehrheit zu erweitern gedacht hatte, längſt wieder anderen Sinnes geworden. Selbſt Metternich erkannte jetzt die Unaus- führbarkeit jener Teplitzer Pläne; er warnte die Verſammlung, daß ſie den Staatenbund ja nicht in einen Bundesſtaat verwandle, und ver- wahrte ſich lebhaft wider den gehäſſigen Ausdruck Liberum Veto, da dies Recht des Einſpruchs von der Souveränität unzertrennlich ſei. Preußen unternahm noch einen Vermittlungsvorſchlag: falls eine organiſche Ein- richtung am Bundestage zwar die Zuſtimmung der Mehrheit, doch nicht einſtimmige Annahme fände, dann ſollten die Staaten der Majorität be- fugt ſein, unter ſich ein Abkommen, nach Art der altſchweizeriſchen Kon- kordate, zu ſchließen. Der Antrag fiel, weil man die Entſtehung gefähr- licher Sonderbünde befürchtete. So blieb es denn im Weſentlichen bei
*) Bernſtorff’s Bericht, 16. April 1820.
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Berathung über die Rechte des Bundes.
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Berg kein erfahrener Juriſt den Conferenzen beiwohnte, ſo gerieth ihr
Werk in der Form ebenſo mangelhaft wie einſt die Bundesakte, und auch
der Wortlaut des Art. 8 verrieth die unſicheren Hände juriſtiſcher Dilet-
tanten. Er verbot den Landſtänden nur, die Bundesgeſandten zur Ver-
antwortung zu ziehen, doch er verbot ihnen nicht, ihre conſtitutionellen
Miniſter wegen des Inhalts der nach Frankfurt geſendeten Inſtruktionen
zur Rede zu ſtellen, und bald genug ſollte man erfahren, daß die Con-
ferenz das Bundesrecht nur um ein neues unlösbares Räthſel bereichert
hatte. Die ſchwierige Frage, ob den Landtagen eine mittelbare Einwir-
kung auf den Gang der Bundespolitik zukomme, hat ſo lange dieſer Bund
beſtand niemals eine klare Antwort gefunden.
Sehr heftig ſtießen die Parteien auf einander, als ſodann die verfaſ-
ſungsmäßige Einſtimmigkeit der Bundesbeſchlüſſe zur Sprache kam. Da ent-
falteten Berſtett und Marſchall ihre ganze Beredſamkeit; ſie verlangten
Mehrheitsbeſchlüſſe für alle die Fragen, welche nicht über die weſentlichen
Zwecke des Bundes hinauslägen, und gaben deutlich zu verſtehen, daß ſie der-
einſt noch zu gelegener Zeit durch Stimmenmehrheit ein Bundeszollgeſetz und
einen Bundesbeſchluß über die Rechte der Landtage durchzuſetzen hofften. *)
Eben dieſe Hintergedanken der beiden ſeltſamen Unitarier nöthigten den
preußiſchen Miniſter, auf den Beſtimmungen der Bundesakte zu beſtehen;
er wollte ſein Zollgeſetz dem Belieben der Bundestagsmehrheit ebenſo
wenig preisgeben wie Zentner ſeine bairiſche Verfaſſung. So lange die
Kleinſtaaten, die kaum den ſechſten Theil der Nation umfaßten, die an-
deren fünf Sechſtel überſtimmen durften, blieb das aberwitzige Recht des
Liberum Veto eine unentbehrliche Nothwehr gerade für die lebenskräf-
tigeren Staaten. Dies ſtand nach den traurigen Erfahrungen der letzten
Jahre außer Zweifel; darum war auch Hardenberg, der noch in Teplitz
die Rechte der Bundesmehrheit zu erweitern gedacht hatte, längſt wieder
anderen Sinnes geworden. Selbſt Metternich erkannte jetzt die Unaus-
führbarkeit jener Teplitzer Pläne; er warnte die Verſammlung, daß ſie
den Staatenbund ja nicht in einen Bundesſtaat verwandle, und ver-
wahrte ſich lebhaft wider den gehäſſigen Ausdruck Liberum Veto, da dies
Recht des Einſpruchs von der Souveränität unzertrennlich ſei. Preußen
unternahm noch einen Vermittlungsvorſchlag: falls eine organiſche Ein-
richtung am Bundestage zwar die Zuſtimmung der Mehrheit, doch nicht
einſtimmige Annahme fände, dann ſollten die Staaten der Majorität be-
fugt ſein, unter ſich ein Abkommen, nach Art der altſchweizeriſchen Kon-
kordate, zu ſchließen. Der Antrag fiel, weil man die Entſtehung gefähr-
licher Sonderbünde befürchtete. So blieb es denn im Weſentlichen bei
*) Bernſtorff’s Bericht, 16. April 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/31>, abgerufen am 25.11.2024.
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