erhielt Chateaubriand das Amt des Gestürzten, und endlich am lang er- sehnten Ruder steuerte der romantische Staatsmann geradeswegs auf den Krieg zu. Auch der französische Gesandte mußte dem spanischen Minister eine Note vorlesen, die etwas maßvoller in der Form, doch fast ebenso feindselig lautete wie die Depeschen der Ostmächte; auch er erhielt eine scharfe Antwort (9. Jan.) und wurde nach kurzer Frist abberufen. Am 28. Januar eröffnete König Ludwig seine Kammern mit einer Thronrede, die einer Kriegserklärung nahe kam: hunderttausend Franzosen, so sagte er drohend, stünden an den Pyrenäen um den spanischen Thron einem Enkel Heinrich's IV. zu erhalten. Die große Mehrheit der neuen Kammer be- stand aus leidenschaftlichen Ultras; sie ließ ihrem Parteihaß so gänzlich die Zügel schießen, daß der Abgeordnete Manuel wegen einer Aeußerung, die er in dem allgemeinen Toben nicht einmal hatte beenden können, aus dem Hause ausgestoßen wurde und ein Theil der Opposition hierauf ent- rüstet seinen Austritt erklärte. Also ganz unter sich bewilligten die Ultras freudig die Mittel zum Kriege, während drüben in Madrid die Redner der Cortes von der Unbesiegbarkeit des spanischen Befreiervolkes sprachen.
Im März war der Krieg bereits sicher, und jetzt hielt auch Canning die Zeit für gekommen, um den Widerspruch, den er in Verona eingelegt, öffentlich zu wiederholen. Am 31. März erklärte er den Tuilerien, Eng- land halte sich zunächst neutral, doch nur unter drei Bedingungen: wenn die Unabhängigkeit der spanischen Krone unangetastet bleibe, wenn die alte Verbindung zwischen Großbritannien und Portugal nicht erschüttert werde, endlich wenn Frankreich keinen Anspruch erhebe auf irgend ein Stück der spanischen Kolonien, deren Trennung vom Mutterlande bereits entschieden scheine. Damit war unzweideutig angekündigt, daß der britische Hof die Unab- hängigkeit Südamerikas binnen Kurzem anerkennen werde. Wohl grollte König Georg auf den ihm aufgedrungenen Minister; vor dem österreichi- schen Gesandten bejammerte er den Tod des unersetzlichen Londonderry; sein hannöverscher Vertrauter Graf Münster ertheilte an den Bundes- gesandten Hammerstein Weisungen, welche den Absichten des englischen Cabinets schnurstracks zuwiderliefen, und sehr lockend klangen den Welfen die Mahnungen seines Freundes Metternich, der ihn mehrmals zur Ent- lassung Canning's zu bewegen suchte.*) Doch was vermochte in diesem England der Wille des Monarchen gegen einen großen Staatsmann, der sich durch die entschlossene Vertretung des nationalen Handels sofort alle britischen Herzen erobert hatte, der Tag für Tag in der Volksgunst stieg und schon in gewaltigen Reden drohend auf das schlummernde Gefieder der Segelschiffe Altenglands wies? Den deutschen Mächten blieb nun keine Wahl mehr. Wie aufrichtig sie auch anfangs den Frieden gewünscht hatten,
*) Berichte von Hatzfeldt, 22., 26. März, 10. Mai, von Blittersdorff, Frankfurt 18. Jan. 1823.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
erhielt Chateaubriand das Amt des Geſtürzten, und endlich am lang er- ſehnten Ruder ſteuerte der romantiſche Staatsmann geradeswegs auf den Krieg zu. Auch der franzöſiſche Geſandte mußte dem ſpaniſchen Miniſter eine Note vorleſen, die etwas maßvoller in der Form, doch faſt ebenſo feindſelig lautete wie die Depeſchen der Oſtmächte; auch er erhielt eine ſcharfe Antwort (9. Jan.) und wurde nach kurzer Friſt abberufen. Am 28. Januar eröffnete König Ludwig ſeine Kammern mit einer Thronrede, die einer Kriegserklärung nahe kam: hunderttauſend Franzoſen, ſo ſagte er drohend, ſtünden an den Pyrenäen um den ſpaniſchen Thron einem Enkel Heinrich’s IV. zu erhalten. Die große Mehrheit der neuen Kammer be- ſtand aus leidenſchaftlichen Ultras; ſie ließ ihrem Parteihaß ſo gänzlich die Zügel ſchießen, daß der Abgeordnete Manuel wegen einer Aeußerung, die er in dem allgemeinen Toben nicht einmal hatte beenden können, aus dem Hauſe ausgeſtoßen wurde und ein Theil der Oppoſition hierauf ent- rüſtet ſeinen Austritt erklärte. Alſo ganz unter ſich bewilligten die Ultras freudig die Mittel zum Kriege, während drüben in Madrid die Redner der Cortes von der Unbeſiegbarkeit des ſpaniſchen Befreiervolkes ſprachen.
Im März war der Krieg bereits ſicher, und jetzt hielt auch Canning die Zeit für gekommen, um den Widerſpruch, den er in Verona eingelegt, öffentlich zu wiederholen. Am 31. März erklärte er den Tuilerien, Eng- land halte ſich zunächſt neutral, doch nur unter drei Bedingungen: wenn die Unabhängigkeit der ſpaniſchen Krone unangetaſtet bleibe, wenn die alte Verbindung zwiſchen Großbritannien und Portugal nicht erſchüttert werde, endlich wenn Frankreich keinen Anſpruch erhebe auf irgend ein Stück der ſpaniſchen Kolonien, deren Trennung vom Mutterlande bereits entſchieden ſcheine. Damit war unzweideutig angekündigt, daß der britiſche Hof die Unab- hängigkeit Südamerikas binnen Kurzem anerkennen werde. Wohl grollte König Georg auf den ihm aufgedrungenen Miniſter; vor dem öſterreichi- ſchen Geſandten bejammerte er den Tod des unerſetzlichen Londonderry; ſein hannöverſcher Vertrauter Graf Münſter ertheilte an den Bundes- geſandten Hammerſtein Weiſungen, welche den Abſichten des engliſchen Cabinets ſchnurſtracks zuwiderliefen, und ſehr lockend klangen den Welfen die Mahnungen ſeines Freundes Metternich, der ihn mehrmals zur Ent- laſſung Canning’s zu bewegen ſuchte.*) Doch was vermochte in dieſem England der Wille des Monarchen gegen einen großen Staatsmann, der ſich durch die entſchloſſene Vertretung des nationalen Handels ſofort alle britiſchen Herzen erobert hatte, der Tag für Tag in der Volksgunſt ſtieg und ſchon in gewaltigen Reden drohend auf das ſchlummernde Gefieder der Segelſchiffe Altenglands wies? Den deutſchen Mächten blieb nun keine Wahl mehr. Wie aufrichtig ſie auch anfangs den Frieden gewünſcht hatten,
*) Berichte von Hatzfeldt, 22., 26. März, 10. Mai, von Blittersdorff, Frankfurt 18. Jan. 1823.
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ſehnten Ruder ſteuerte der romantiſche Staatsmann geradeswegs auf den
Krieg zu. Auch der franzöſiſche Geſandte mußte dem ſpaniſchen Miniſter
eine Note vorleſen, die etwas maßvoller in der Form, doch faſt ebenſo
feindſelig lautete wie die Depeſchen der Oſtmächte; auch er erhielt eine
ſcharfe Antwort (9. Jan.) und wurde nach kurzer Friſt abberufen. Am
28. Januar eröffnete König Ludwig ſeine Kammern mit einer Thronrede,
die einer Kriegserklärung nahe kam: hunderttauſend Franzoſen, ſo ſagte er
drohend, ſtünden an den Pyrenäen um den ſpaniſchen Thron einem Enkel
Heinrich’s IV. zu erhalten. Die große Mehrheit der neuen Kammer be-
ſtand aus leidenſchaftlichen Ultras; ſie ließ ihrem Parteihaß ſo gänzlich
die Zügel ſchießen, daß der Abgeordnete Manuel wegen einer Aeußerung,
die er in dem allgemeinen Toben nicht einmal hatte beenden können, aus
dem Hauſe ausgeſtoßen wurde und ein Theil der Oppoſition hierauf ent-
rüſtet ſeinen Austritt erklärte. Alſo ganz unter ſich bewilligten die Ultras
freudig die Mittel zum Kriege, während drüben in Madrid die Redner der
Cortes von der Unbeſiegbarkeit des ſpaniſchen Befreiervolkes ſprachen.
Im März war der Krieg bereits ſicher, und jetzt hielt auch Canning
die Zeit für gekommen, um den Widerſpruch, den er in Verona eingelegt,
öffentlich zu wiederholen. Am 31. März erklärte er den Tuilerien, Eng-
land halte ſich zunächſt neutral, doch nur unter drei Bedingungen: wenn die
Unabhängigkeit der ſpaniſchen Krone unangetaſtet bleibe, wenn die alte
Verbindung zwiſchen Großbritannien und Portugal nicht erſchüttert werde,
endlich wenn Frankreich keinen Anſpruch erhebe auf irgend ein Stück der
ſpaniſchen Kolonien, deren Trennung vom Mutterlande bereits entſchieden
ſcheine. Damit war unzweideutig angekündigt, daß der britiſche Hof die Unab-
hängigkeit Südamerikas binnen Kurzem anerkennen werde. Wohl grollte
König Georg auf den ihm aufgedrungenen Miniſter; vor dem öſterreichi-
ſchen Geſandten bejammerte er den Tod des unerſetzlichen Londonderry;
ſein hannöverſcher Vertrauter Graf Münſter ertheilte an den Bundes-
geſandten Hammerſtein Weiſungen, welche den Abſichten des engliſchen
Cabinets ſchnurſtracks zuwiderliefen, und ſehr lockend klangen den Welfen
die Mahnungen ſeines Freundes Metternich, der ihn mehrmals zur Ent-
laſſung Canning’s zu bewegen ſuchte. *) Doch was vermochte in dieſem
England der Wille des Monarchen gegen einen großen Staatsmann, der
ſich durch die entſchloſſene Vertretung des nationalen Handels ſofort alle
britiſchen Herzen erobert hatte, der Tag für Tag in der Volksgunſt ſtieg
und ſchon in gewaltigen Reden drohend auf das ſchlummernde Gefieder
der Segelſchiffe Altenglands wies? Den deutſchen Mächten blieb nun keine
Wahl mehr. Wie aufrichtig ſie auch anfangs den Frieden gewünſcht hatten,
*) Berichte von Hatzfeldt, 22., 26. März, 10. Mai, von Blittersdorff, Frankfurt
18. Jan. 1823.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/298>, abgerufen am 16.02.2025.
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