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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Reform auf allen Congressen mit allzu auffälliger Beflissenheit betrieben
und selbst die britische Geschäftswelt sich mit einer fast fanatischen Heftig-
keit gegen die Sklavenhändler aussprach. Die böse Welt konnte sich der
Frage nicht erwehren, warum wohl die sonst so wenig weichmüthigen Kauf-
leute von London und Liverpool sich gerade der Neger so zärtlich an-
nahmen? Die Antwort gaben die Handelslisten. Von der gesammten
Kaffee-Einfuhr jener Zeit kam kaum der zwanzigste Theil aus den eng-
lischen Kolonien, von der Zucker-Einfuhr etwa ein Viertel. Das unge-
heuere britische Kolonialreich besaß nur wenige für die Negerarbeit ge-
eignete Pflanzungen, und diese waren längst mit Schwarzen überfüllt;
die Abschaffung des Sklavenhandels konnte hier wenig Schaden stiften,
während sie in den Kolonien der anderen Seemächte schwere wirthschaft-
liche Erschütterungen hervorrufen mußte. So verbarg sich denn hinter
den schönen Reden christlicher Nächstenliebe die minder christliche Absicht,
Englands Mitbewerber gründlich zu schädigen. Canning selbst konnte nicht
leugnen, daß dieser Argwohn, zumal in Frankreich, bestand, obwohl er ihm
natürlich jede Berechtigung absprach. Die Großmächte und sogar das ganz
unbetheiligte Preußen urtheilten anders. Als Wellington geradezu for-
derte, Frankreich solle seine Gesetze ändern, die durch die Charte aufge-
hobene Strafe der Confiscation gegen die Sklavenhändler wieder einführen,
seine Kauffahrer der Durchsuchung durch fremde Kriegsschiffe preisgeben,
da erwiderte der französische Bevollmächtigte sehr gereizt, und der Con-
greß begnügte sich, in einigen ganz allgemein gehaltenen Sätzen den Grund-
satz der Abschaffung des Negerhandels noch einmal auszusprechen.*) Besser
begründet war Englands Beschwerde über die vertragswidrigen Rheinzölle
der Holländer. Die Mächte beschlossen, gemeinsam in Brüssel Einspruch
zu erheben, und auch Bernstorff schloß sich Anstandshalber an, obwohl das
preußische Finanzministerium bereits gewillt war, die unbelehrbaren Nachbarn
durch handgreiflichere Mittel an ihre Vertragspflichten zu erinnern. --

Es war nicht anders, die große Allianz begann sich aufzulösen. Eng-
land ging seines eigenen Weges, noch nicht offenbar feindselig, aber völlig
selbständig, und Metternich wagte nicht mehr die Berufung eines neuen
Congresses zu beantragen, obgleich der Kampf gegen die spanische Revo-
lution erst eingeleitet, nicht ausgefochten war. Schwerlich war es ihm
selber voller Ernst, wenn er die Freunde tröstete, das kalte Nein Welling-
ton's bedeute nicht mehr als jene schwächlichen Noten, welche Castlereagh
einst nach Troppau und Laibach gesendet hatte.

Einen besseren Trost -- freilich nur einen Trost für den nächsten
Tag -- bot die griechische Frage, die nun wirklich, wie Gentz jubelte, in
aller Stille begraben schien. Indem er dem Czaren in der spanischen Sache

*) Wellington, Denkschrift über den Sklavenhandel, 28. Nov.; französische Ant-
wort, o. D.; preußische, 28. Nov. 1822.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Reform auf allen Congreſſen mit allzu auffälliger Befliſſenheit betrieben
und ſelbſt die britiſche Geſchäftswelt ſich mit einer faſt fanatiſchen Heftig-
keit gegen die Sklavenhändler ausſprach. Die böſe Welt konnte ſich der
Frage nicht erwehren, warum wohl die ſonſt ſo wenig weichmüthigen Kauf-
leute von London und Liverpool ſich gerade der Neger ſo zärtlich an-
nahmen? Die Antwort gaben die Handelsliſten. Von der geſammten
Kaffee-Einfuhr jener Zeit kam kaum der zwanzigſte Theil aus den eng-
liſchen Kolonien, von der Zucker-Einfuhr etwa ein Viertel. Das unge-
heuere britiſche Kolonialreich beſaß nur wenige für die Negerarbeit ge-
eignete Pflanzungen, und dieſe waren längſt mit Schwarzen überfüllt;
die Abſchaffung des Sklavenhandels konnte hier wenig Schaden ſtiften,
während ſie in den Kolonien der anderen Seemächte ſchwere wirthſchaft-
liche Erſchütterungen hervorrufen mußte. So verbarg ſich denn hinter
den ſchönen Reden chriſtlicher Nächſtenliebe die minder chriſtliche Abſicht,
Englands Mitbewerber gründlich zu ſchädigen. Canning ſelbſt konnte nicht
leugnen, daß dieſer Argwohn, zumal in Frankreich, beſtand, obwohl er ihm
natürlich jede Berechtigung abſprach. Die Großmächte und ſogar das ganz
unbetheiligte Preußen urtheilten anders. Als Wellington geradezu for-
derte, Frankreich ſolle ſeine Geſetze ändern, die durch die Charte aufge-
hobene Strafe der Confiscation gegen die Sklavenhändler wieder einführen,
ſeine Kauffahrer der Durchſuchung durch fremde Kriegsſchiffe preisgeben,
da erwiderte der franzöſiſche Bevollmächtigte ſehr gereizt, und der Con-
greß begnügte ſich, in einigen ganz allgemein gehaltenen Sätzen den Grund-
ſatz der Abſchaffung des Negerhandels noch einmal auszuſprechen.*) Beſſer
begründet war Englands Beſchwerde über die vertragswidrigen Rheinzölle
der Holländer. Die Mächte beſchloſſen, gemeinſam in Brüſſel Einſpruch
zu erheben, und auch Bernſtorff ſchloß ſich Anſtandshalber an, obwohl das
preußiſche Finanzminiſterium bereits gewillt war, die unbelehrbaren Nachbarn
durch handgreiflichere Mittel an ihre Vertragspflichten zu erinnern. —

Es war nicht anders, die große Allianz begann ſich aufzulöſen. Eng-
land ging ſeines eigenen Weges, noch nicht offenbar feindſelig, aber völlig
ſelbſtändig, und Metternich wagte nicht mehr die Berufung eines neuen
Congreſſes zu beantragen, obgleich der Kampf gegen die ſpaniſche Revo-
lution erſt eingeleitet, nicht ausgefochten war. Schwerlich war es ihm
ſelber voller Ernſt, wenn er die Freunde tröſtete, das kalte Nein Welling-
ton’s bedeute nicht mehr als jene ſchwächlichen Noten, welche Caſtlereagh
einſt nach Troppau und Laibach geſendet hatte.

Einen beſſeren Troſt — freilich nur einen Troſt für den nächſten
Tag — bot die griechiſche Frage, die nun wirklich, wie Gentz jubelte, in
aller Stille begraben ſchien. Indem er dem Czaren in der ſpaniſchen Sache

*) Wellington, Denkſchrift über den Sklavenhandel, 28. Nov.; franzöſiſche Ant-
wort, o. D.; preußiſche, 28. Nov. 1822.
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[278/0294] III. 5. Die Großmächte und die Trias. Reform auf allen Congreſſen mit allzu auffälliger Befliſſenheit betrieben und ſelbſt die britiſche Geſchäftswelt ſich mit einer faſt fanatiſchen Heftig- keit gegen die Sklavenhändler ausſprach. Die böſe Welt konnte ſich der Frage nicht erwehren, warum wohl die ſonſt ſo wenig weichmüthigen Kauf- leute von London und Liverpool ſich gerade der Neger ſo zärtlich an- nahmen? Die Antwort gaben die Handelsliſten. Von der geſammten Kaffee-Einfuhr jener Zeit kam kaum der zwanzigſte Theil aus den eng- liſchen Kolonien, von der Zucker-Einfuhr etwa ein Viertel. Das unge- heuere britiſche Kolonialreich beſaß nur wenige für die Negerarbeit ge- eignete Pflanzungen, und dieſe waren längſt mit Schwarzen überfüllt; die Abſchaffung des Sklavenhandels konnte hier wenig Schaden ſtiften, während ſie in den Kolonien der anderen Seemächte ſchwere wirthſchaft- liche Erſchütterungen hervorrufen mußte. So verbarg ſich denn hinter den ſchönen Reden chriſtlicher Nächſtenliebe die minder chriſtliche Abſicht, Englands Mitbewerber gründlich zu ſchädigen. Canning ſelbſt konnte nicht leugnen, daß dieſer Argwohn, zumal in Frankreich, beſtand, obwohl er ihm natürlich jede Berechtigung abſprach. Die Großmächte und ſogar das ganz unbetheiligte Preußen urtheilten anders. Als Wellington geradezu for- derte, Frankreich ſolle ſeine Geſetze ändern, die durch die Charte aufge- hobene Strafe der Confiscation gegen die Sklavenhändler wieder einführen, ſeine Kauffahrer der Durchſuchung durch fremde Kriegsſchiffe preisgeben, da erwiderte der franzöſiſche Bevollmächtigte ſehr gereizt, und der Con- greß begnügte ſich, in einigen ganz allgemein gehaltenen Sätzen den Grund- ſatz der Abſchaffung des Negerhandels noch einmal auszuſprechen. *) Beſſer begründet war Englands Beſchwerde über die vertragswidrigen Rheinzölle der Holländer. Die Mächte beſchloſſen, gemeinſam in Brüſſel Einſpruch zu erheben, und auch Bernſtorff ſchloß ſich Anſtandshalber an, obwohl das preußiſche Finanzminiſterium bereits gewillt war, die unbelehrbaren Nachbarn durch handgreiflichere Mittel an ihre Vertragspflichten zu erinnern. — Es war nicht anders, die große Allianz begann ſich aufzulöſen. Eng- land ging ſeines eigenen Weges, noch nicht offenbar feindſelig, aber völlig ſelbſtändig, und Metternich wagte nicht mehr die Berufung eines neuen Congreſſes zu beantragen, obgleich der Kampf gegen die ſpaniſche Revo- lution erſt eingeleitet, nicht ausgefochten war. Schwerlich war es ihm ſelber voller Ernſt, wenn er die Freunde tröſtete, das kalte Nein Welling- ton’s bedeute nicht mehr als jene ſchwächlichen Noten, welche Caſtlereagh einſt nach Troppau und Laibach geſendet hatte. Einen beſſeren Troſt — freilich nur einen Troſt für den nächſten Tag — bot die griechiſche Frage, die nun wirklich, wie Gentz jubelte, in aller Stille begraben ſchien. Indem er dem Czaren in der ſpaniſchen Sache *) Wellington, Denkſchrift über den Sklavenhandel, 28. Nov.; franzöſiſche Ant- wort, o. D.; preußiſche, 28. Nov. 1822.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/294>, abgerufen am 25.11.2024.