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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Neue Hilferufe aus Baiern und Baden.
geträumt hatte, um wieder einmal eine Rolle zu spielen. Er erbot sich
nach Wien zu gehen um den beiden Großmächten die verzweifelte Lage
Badens vorzustellen -- aber im tiefsten Geheimniß, denn sonst würde
er sein Ansehen am Bundestage für immer verlieren. Zu Ende Sep-
tembers erschien er wirklich in der Wiener Versammlung, und "was er
bringt -- schrieb Bernstorff -- ist nur ein Schrei der Verzweiflung."
In einer Denkschrift vom 27. September schilderte er die Zustände seiner
Heimath mit ungeheuerlicher Uebertreibung, als ob der Staat dicht am
Rande der Revolution stünde, und verlangte die Hilfe der Großmächte
wider die allmächtige Kaste der Staatsdiener.*)

Inzwischen hatte auch in Baiern jene Partei, welche vor drei Jahren
auf einen Staatsstreich ausgegangen war, unablässig weiter gearbeitet.
Im Jahre 1821 tauchte der Vorschlag auf, den Prinzen Karl, den Lieb-
ling des Königs und des Heeres, einen erklärten Anhänger des Absolu-
tismus, an die Spitze des Kriegsministeriums zu berufen; der Plan
scheiterte nach langem Streite, vornehmlich an dem Widerspruche des
streng constitutionell gesinnten Kronprinzen. Dann wurden in der Armee
von einigen Heißspornen abermals Adressen verbreitet, welche den Ver-
fassungseid für das Heer und eine besser gesicherte Stellung für die Offiziere
forderten. Der ganze Lärm bedeutete wenig, da die Treue der großen
Mehrzahl der Offiziere sich auch diesmal vollständig bewährte; aber der
ängstliche König fühlte sich von Neuem beunruhigt.**) Darauf folgte ein
leidenschaftlicher Zwist über einige Ersparnisse im Heerwesen, welche selbst
Wrede für nothwendig hielt; Prinz Karl nahm entrüstet seinen Abschied
und überwarf sich gänzlich mit dem Feldmarschall.***) Der Landtag trat
im Jahre 1822 wieder zusammen und hütete sich diesmal sorgsam vor
unvorsichtigen Beschlüssen. Der heißblütige Behr, der soeben zum Bür-
germeister von Würzburg erwählt, seinen Sitz als Abgeordneter der Uni-
versität widerstrebend aufgeben mußte, versuchte zwar die Volksvertreter
durch einen flammenden Aufruf zu erregen. Er beschwor sie, "das in
Karlsbad gegebene Beispiel eines ersten Attentats auf die Verfassung nicht
ungeahndet zu lassen; es gilt der rechtlichen Freiheit oder Sklaverei des
Bürgerstandes, dem der Adel den Fuß mehr als je in den Nacken setzt."
Das Schriftstück ward indeß sofort mit Beschlag belegt, und die Kammer
wollte den aussichtslosen Kampf wider die Bundesbeschlüsse nicht aufnehmen.
Auch nachher führte der unaufhaltsame Hornthal noch manchen stürmi-
schen Auftritt herbei. Am Schlusse der Tagung feierte Aretin, der Her-
ausgeber der Alemannia, die bairische Freiheit in dem blühenden Bilder-

*) Blittersdorff's Berichte, Wien 26., 28. Sept., Bernstorff an Ancillon, 27. Sep-
tember 1822.
**) Blittersdorff, Denkschrift über die Zustände in Baiern, 5. Febr.; Küster's Be-
richt, 22. Jan. 1822.
***) Berichte von Zastrow, 22. Mai, von Gf. Schaffgotsch, 5. Juni 1822.

Neue Hilferufe aus Baiern und Baden.
geträumt hatte, um wieder einmal eine Rolle zu ſpielen. Er erbot ſich
nach Wien zu gehen um den beiden Großmächten die verzweifelte Lage
Badens vorzuſtellen — aber im tiefſten Geheimniß, denn ſonſt würde
er ſein Anſehen am Bundestage für immer verlieren. Zu Ende Sep-
tembers erſchien er wirklich in der Wiener Verſammlung, und „was er
bringt — ſchrieb Bernſtorff — iſt nur ein Schrei der Verzweiflung.“
In einer Denkſchrift vom 27. September ſchilderte er die Zuſtände ſeiner
Heimath mit ungeheuerlicher Uebertreibung, als ob der Staat dicht am
Rande der Revolution ſtünde, und verlangte die Hilfe der Großmächte
wider die allmächtige Kaſte der Staatsdiener.*)

Inzwiſchen hatte auch in Baiern jene Partei, welche vor drei Jahren
auf einen Staatsſtreich ausgegangen war, unabläſſig weiter gearbeitet.
Im Jahre 1821 tauchte der Vorſchlag auf, den Prinzen Karl, den Lieb-
ling des Königs und des Heeres, einen erklärten Anhänger des Abſolu-
tismus, an die Spitze des Kriegsminiſteriums zu berufen; der Plan
ſcheiterte nach langem Streite, vornehmlich an dem Widerſpruche des
ſtreng conſtitutionell geſinnten Kronprinzen. Dann wurden in der Armee
von einigen Heißſpornen abermals Adreſſen verbreitet, welche den Ver-
faſſungseid für das Heer und eine beſſer geſicherte Stellung für die Offiziere
forderten. Der ganze Lärm bedeutete wenig, da die Treue der großen
Mehrzahl der Offiziere ſich auch diesmal vollſtändig bewährte; aber der
ängſtliche König fühlte ſich von Neuem beunruhigt.**) Darauf folgte ein
leidenſchaftlicher Zwiſt über einige Erſparniſſe im Heerweſen, welche ſelbſt
Wrede für nothwendig hielt; Prinz Karl nahm entrüſtet ſeinen Abſchied
und überwarf ſich gänzlich mit dem Feldmarſchall.***) Der Landtag trat
im Jahre 1822 wieder zuſammen und hütete ſich diesmal ſorgſam vor
unvorſichtigen Beſchlüſſen. Der heißblütige Behr, der ſoeben zum Bür-
germeiſter von Würzburg erwählt, ſeinen Sitz als Abgeordneter der Uni-
verſität widerſtrebend aufgeben mußte, verſuchte zwar die Volksvertreter
durch einen flammenden Aufruf zu erregen. Er beſchwor ſie, „das in
Karlsbad gegebene Beiſpiel eines erſten Attentats auf die Verfaſſung nicht
ungeahndet zu laſſen; es gilt der rechtlichen Freiheit oder Sklaverei des
Bürgerſtandes, dem der Adel den Fuß mehr als je in den Nacken ſetzt.“
Das Schriftſtück ward indeß ſofort mit Beſchlag belegt, und die Kammer
wollte den ausſichtsloſen Kampf wider die Bundesbeſchlüſſe nicht aufnehmen.
Auch nachher führte der unaufhaltſame Hornthal noch manchen ſtürmi-
ſchen Auftritt herbei. Am Schluſſe der Tagung feierte Aretin, der Her-
ausgeber der Alemannia, die bairiſche Freiheit in dem blühenden Bilder-

*) Blittersdorff’s Berichte, Wien 26., 28. Sept., Bernſtorff an Ancillon, 27. Sep-
tember 1822.
**) Blittersdorff, Denkſchrift über die Zuſtände in Baiern, 5. Febr.; Küſter’s Be-
richt, 22. Jan. 1822.
***) Berichte von Zaſtrow, 22. Mai, von Gf. Schaffgotſch, 5. Juni 1822.
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[269/0285] Neue Hilferufe aus Baiern und Baden. geträumt hatte, um wieder einmal eine Rolle zu ſpielen. Er erbot ſich nach Wien zu gehen um den beiden Großmächten die verzweifelte Lage Badens vorzuſtellen — aber im tiefſten Geheimniß, denn ſonſt würde er ſein Anſehen am Bundestage für immer verlieren. Zu Ende Sep- tembers erſchien er wirklich in der Wiener Verſammlung, und „was er bringt — ſchrieb Bernſtorff — iſt nur ein Schrei der Verzweiflung.“ In einer Denkſchrift vom 27. September ſchilderte er die Zuſtände ſeiner Heimath mit ungeheuerlicher Uebertreibung, als ob der Staat dicht am Rande der Revolution ſtünde, und verlangte die Hilfe der Großmächte wider die allmächtige Kaſte der Staatsdiener. *) Inzwiſchen hatte auch in Baiern jene Partei, welche vor drei Jahren auf einen Staatsſtreich ausgegangen war, unabläſſig weiter gearbeitet. Im Jahre 1821 tauchte der Vorſchlag auf, den Prinzen Karl, den Lieb- ling des Königs und des Heeres, einen erklärten Anhänger des Abſolu- tismus, an die Spitze des Kriegsminiſteriums zu berufen; der Plan ſcheiterte nach langem Streite, vornehmlich an dem Widerſpruche des ſtreng conſtitutionell geſinnten Kronprinzen. Dann wurden in der Armee von einigen Heißſpornen abermals Adreſſen verbreitet, welche den Ver- faſſungseid für das Heer und eine beſſer geſicherte Stellung für die Offiziere forderten. Der ganze Lärm bedeutete wenig, da die Treue der großen Mehrzahl der Offiziere ſich auch diesmal vollſtändig bewährte; aber der ängſtliche König fühlte ſich von Neuem beunruhigt. **) Darauf folgte ein leidenſchaftlicher Zwiſt über einige Erſparniſſe im Heerweſen, welche ſelbſt Wrede für nothwendig hielt; Prinz Karl nahm entrüſtet ſeinen Abſchied und überwarf ſich gänzlich mit dem Feldmarſchall. ***) Der Landtag trat im Jahre 1822 wieder zuſammen und hütete ſich diesmal ſorgſam vor unvorſichtigen Beſchlüſſen. Der heißblütige Behr, der ſoeben zum Bür- germeiſter von Würzburg erwählt, ſeinen Sitz als Abgeordneter der Uni- verſität widerſtrebend aufgeben mußte, verſuchte zwar die Volksvertreter durch einen flammenden Aufruf zu erregen. Er beſchwor ſie, „das in Karlsbad gegebene Beiſpiel eines erſten Attentats auf die Verfaſſung nicht ungeahndet zu laſſen; es gilt der rechtlichen Freiheit oder Sklaverei des Bürgerſtandes, dem der Adel den Fuß mehr als je in den Nacken ſetzt.“ Das Schriftſtück ward indeß ſofort mit Beſchlag belegt, und die Kammer wollte den ausſichtsloſen Kampf wider die Bundesbeſchlüſſe nicht aufnehmen. Auch nachher führte der unaufhaltſame Hornthal noch manchen ſtürmi- ſchen Auftritt herbei. Am Schluſſe der Tagung feierte Aretin, der Her- ausgeber der Alemannia, die bairiſche Freiheit in dem blühenden Bilder- *) Blittersdorff’s Berichte, Wien 26., 28. Sept., Bernſtorff an Ancillon, 27. Sep- tember 1822. **) Blittersdorff, Denkſchrift über die Zuſtände in Baiern, 5. Febr.; Küſter’s Be- richt, 22. Jan. 1822. ***) Berichte von Zaſtrow, 22. Mai, von Gf. Schaffgotſch, 5. Juni 1822.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/285>, abgerufen am 22.11.2024.