Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes. zu beschränken, schien ihm unerläßlich. In allen seinen Reden klar, be-stimmt, aufrichtig, immer bereit fremde Meinungen ernsthaft anzuhören, war er doch völlig unfähig aus seinem engen Gedankenkreise hinauszu- gehen und maß alle politischen Dinge an den wohlerworbenen Rechten der märkischen Stände: "nach teutscher Verfassung kann Niemand repräsentiren, der eine Mediatobrigkeit hat." Vor seinem Könige erschien er nie anders als in Kniehosen und langen Strümpfen; einem bürgerlichen Präsidenten hingegen vergönnte er nur den Titel Ew. Wohlgeboren -- zur namen- losen Entrüstung Varnhagen's und aller aufgeklärten Berliner. Mit Har- denberg hatte er sich schon in den napoleonischen Zeiten so gänzlich über- worfen, daß seine Berufung wie ein Schlag ins Angesicht des Staatskanz- lers erschien und von allen Gegnern Hardenberg's, leider auch von Stein, mit Befriedigung aufgenommen wurde. Die Rechtschaffenheit und Arbeits- kraft des alten strengen Feudalen machte ihn bald dem Monarchen werth; im Sommer 1822 besuchte ihn der König in Buch, seitdem stand sein Ein- fluß fest. Mit seiner Hilfe hofften die Altständischen ihr christlich-ger- manisches Ideal zu verwirklichen. Als Küster in seinem Amtseifer jetzt noch eine Uebersicht der süddeutschen Verfassungen zur Benutzung für die Commission einsendete, da erwiderte Ancillon herablassend: mit solchen nach fremden Mustern gearbeiteten Gesetzen könne man in Preußen natür- lich wenig anfangen.*) Etwas moderner, mehr altbureaukratisch als ständisch waren die An- Sogleich der Beginn der Berathung zeigte, wie unhaltbar der Plan *) Ancillon an Küster, 6. April 1822. **) Gutachten von Schönberg 21. April und 21. Mai, Vincke 24. April, Ancillon
29. April, Schuckmann, Voß 10. Mai, Wittgenstein 18. Mai, Albrecht 18. Mai 1822. III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. zu beſchränken, ſchien ihm unerläßlich. In allen ſeinen Reden klar, be-ſtimmt, aufrichtig, immer bereit fremde Meinungen ernſthaft anzuhören, war er doch völlig unfähig aus ſeinem engen Gedankenkreiſe hinauszu- gehen und maß alle politiſchen Dinge an den wohlerworbenen Rechten der märkiſchen Stände: „nach teutſcher Verfaſſung kann Niemand repräſentiren, der eine Mediatobrigkeit hat.“ Vor ſeinem Könige erſchien er nie anders als in Kniehoſen und langen Strümpfen; einem bürgerlichen Präſidenten hingegen vergönnte er nur den Titel Ew. Wohlgeboren — zur namen- loſen Entrüſtung Varnhagen’s und aller aufgeklärten Berliner. Mit Har- denberg hatte er ſich ſchon in den napoleoniſchen Zeiten ſo gänzlich über- worfen, daß ſeine Berufung wie ein Schlag ins Angeſicht des Staatskanz- lers erſchien und von allen Gegnern Hardenberg’s, leider auch von Stein, mit Befriedigung aufgenommen wurde. Die Rechtſchaffenheit und Arbeits- kraft des alten ſtrengen Feudalen machte ihn bald dem Monarchen werth; im Sommer 1822 beſuchte ihn der König in Buch, ſeitdem ſtand ſein Ein- fluß feſt. Mit ſeiner Hilfe hofften die Altſtändiſchen ihr chriſtlich-ger- maniſches Ideal zu verwirklichen. Als Küſter in ſeinem Amtseifer jetzt noch eine Ueberſicht der ſüddeutſchen Verfaſſungen zur Benutzung für die Commiſſion einſendete, da erwiderte Ancillon herablaſſend: mit ſolchen nach fremden Muſtern gearbeiteten Geſetzen könne man in Preußen natür- lich wenig anfangen.*) Etwas moderner, mehr altbureaukratiſch als ſtändiſch waren die An- Sogleich der Beginn der Berathung zeigte, wie unhaltbar der Plan *) Ancillon an Küſter, 6. April 1822. **) Gutachten von Schönberg 21. April und 21. Mai, Vincke 24. April, Ancillon
29. April, Schuckmann, Voß 10. Mai, Wittgenſtein 18. Mai, Albrecht 18. Mai 1822. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0254" n="238"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.</fw><lb/> zu beſchränken, ſchien ihm unerläßlich. In allen ſeinen Reden klar, be-<lb/> ſtimmt, aufrichtig, immer bereit fremde Meinungen ernſthaft anzuhören,<lb/> war er doch völlig unfähig aus ſeinem engen Gedankenkreiſe hinauszu-<lb/> gehen und maß alle politiſchen Dinge an den wohlerworbenen Rechten der<lb/> märkiſchen Stände: „nach teutſcher Verfaſſung kann Niemand repräſentiren,<lb/> der eine Mediatobrigkeit hat.“ Vor ſeinem Könige erſchien er nie anders<lb/> als in Kniehoſen und langen Strümpfen; einem bürgerlichen Präſidenten<lb/> hingegen vergönnte er nur den Titel Ew. Wohlgeboren — zur namen-<lb/> loſen Entrüſtung Varnhagen’s und aller aufgeklärten Berliner. Mit Har-<lb/> denberg hatte er ſich ſchon in den napoleoniſchen Zeiten ſo gänzlich über-<lb/> worfen, daß ſeine Berufung wie ein Schlag ins Angeſicht des Staatskanz-<lb/> lers erſchien und von allen Gegnern Hardenberg’s, leider auch von Stein,<lb/> mit Befriedigung aufgenommen wurde. Die Rechtſchaffenheit und Arbeits-<lb/> kraft des alten ſtrengen Feudalen machte ihn bald dem Monarchen werth;<lb/> im Sommer 1822 beſuchte ihn der König in Buch, ſeitdem ſtand ſein Ein-<lb/> fluß feſt. Mit ſeiner Hilfe hofften die Altſtändiſchen ihr chriſtlich-ger-<lb/> maniſches Ideal zu verwirklichen. Als Küſter in ſeinem Amtseifer jetzt<lb/> noch eine Ueberſicht der ſüddeutſchen Verfaſſungen zur Benutzung für die<lb/> Commiſſion einſendete, da erwiderte Ancillon herablaſſend: mit ſolchen<lb/> nach fremden Muſtern gearbeiteten Geſetzen könne man in Preußen natür-<lb/> lich wenig anfangen.<note place="foot" n="*)">Ancillon an Küſter, 6. April 1822.</note></p><lb/> <p>Etwas moderner, mehr altbureaukratiſch als ſtändiſch waren die An-<lb/> ſichten Wittgenſtein’s, Schuckmann’s und Albrecht’s. Die Meinung des<lb/> liberalen Beamtenthums vertraten nur Vincke und der Merſeburger Re-<lb/> gierungspräſident Schönberg, Beide mit ausdauernder Tapferkeit und<lb/> rückſichtsloſem Freimuth. Im Ganzen verliefen die Verhandlungen matt<lb/> und ſchläfrig. Nach dem ſechsjährigen Zaudern war Alles abgeſpannt.<lb/> Jene feſte Ueberzeugung von der inneren Nothwendigkeit des Verfaſſungs-<lb/> werkes, welche Humboldt immer als die erſte Vorausſetzung des Gelingens<lb/> bezeichnete, beſtand längſt nicht mehr. Man arbeitete nur noch, um der<lb/> gegebenen Zuſage zu genügen.<note place="foot" n="**)">Gutachten von Schönberg 21. April und 21. Mai, Vincke 24. April, Ancillon<lb/> 29. April, Schuckmann, Voß 10. Mai, Wittgenſtein 18. Mai, Albrecht 18. Mai 1822.</note></p><lb/> <p>Sogleich der Beginn der Berathung zeigte, wie unhaltbar der Plan<lb/> war, Provinzialſtände zu ſchaffen ohne jede klare Vorſtellung von dem<lb/> Wann und Wie der Reichsſtände. Es entſtand die Frage: Sollte das<lb/> Stückwerk, das man vorderhand in Angriff nahm, als eine Erfüllung<lb/> des alten Verſprechens gelten? Sollte das neue Geſetz in ſeinem Ein-<lb/> gange an die Verordnung vom 22. Mai erinnern? Ancillon und ſeine<lb/> Freunde fanden dies bedenklich; ſie nahmen Anſtoß an den Worten<lb/> „Repräſentation des Volkes“, die ſo oft mißdeutet würden, während man<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [238/0254]
III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
zu beſchränken, ſchien ihm unerläßlich. In allen ſeinen Reden klar, be-
ſtimmt, aufrichtig, immer bereit fremde Meinungen ernſthaft anzuhören,
war er doch völlig unfähig aus ſeinem engen Gedankenkreiſe hinauszu-
gehen und maß alle politiſchen Dinge an den wohlerworbenen Rechten der
märkiſchen Stände: „nach teutſcher Verfaſſung kann Niemand repräſentiren,
der eine Mediatobrigkeit hat.“ Vor ſeinem Könige erſchien er nie anders
als in Kniehoſen und langen Strümpfen; einem bürgerlichen Präſidenten
hingegen vergönnte er nur den Titel Ew. Wohlgeboren — zur namen-
loſen Entrüſtung Varnhagen’s und aller aufgeklärten Berliner. Mit Har-
denberg hatte er ſich ſchon in den napoleoniſchen Zeiten ſo gänzlich über-
worfen, daß ſeine Berufung wie ein Schlag ins Angeſicht des Staatskanz-
lers erſchien und von allen Gegnern Hardenberg’s, leider auch von Stein,
mit Befriedigung aufgenommen wurde. Die Rechtſchaffenheit und Arbeits-
kraft des alten ſtrengen Feudalen machte ihn bald dem Monarchen werth;
im Sommer 1822 beſuchte ihn der König in Buch, ſeitdem ſtand ſein Ein-
fluß feſt. Mit ſeiner Hilfe hofften die Altſtändiſchen ihr chriſtlich-ger-
maniſches Ideal zu verwirklichen. Als Küſter in ſeinem Amtseifer jetzt
noch eine Ueberſicht der ſüddeutſchen Verfaſſungen zur Benutzung für die
Commiſſion einſendete, da erwiderte Ancillon herablaſſend: mit ſolchen
nach fremden Muſtern gearbeiteten Geſetzen könne man in Preußen natür-
lich wenig anfangen. *)
Etwas moderner, mehr altbureaukratiſch als ſtändiſch waren die An-
ſichten Wittgenſtein’s, Schuckmann’s und Albrecht’s. Die Meinung des
liberalen Beamtenthums vertraten nur Vincke und der Merſeburger Re-
gierungspräſident Schönberg, Beide mit ausdauernder Tapferkeit und
rückſichtsloſem Freimuth. Im Ganzen verliefen die Verhandlungen matt
und ſchläfrig. Nach dem ſechsjährigen Zaudern war Alles abgeſpannt.
Jene feſte Ueberzeugung von der inneren Nothwendigkeit des Verfaſſungs-
werkes, welche Humboldt immer als die erſte Vorausſetzung des Gelingens
bezeichnete, beſtand längſt nicht mehr. Man arbeitete nur noch, um der
gegebenen Zuſage zu genügen. **)
Sogleich der Beginn der Berathung zeigte, wie unhaltbar der Plan
war, Provinzialſtände zu ſchaffen ohne jede klare Vorſtellung von dem
Wann und Wie der Reichsſtände. Es entſtand die Frage: Sollte das
Stückwerk, das man vorderhand in Angriff nahm, als eine Erfüllung
des alten Verſprechens gelten? Sollte das neue Geſetz in ſeinem Ein-
gange an die Verordnung vom 22. Mai erinnern? Ancillon und ſeine
Freunde fanden dies bedenklich; ſie nahmen Anſtoß an den Worten
„Repräſentation des Volkes“, die ſo oft mißdeutet würden, während man
*) Ancillon an Küſter, 6. April 1822.
**) Gutachten von Schönberg 21. April und 21. Mai, Vincke 24. April, Ancillon
29. April, Schuckmann, Voß 10. Mai, Wittgenſtein 18. Mai, Albrecht 18. Mai 1822.
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