III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
über alle Streitfragen des öffentlichen Rechts in letzter Instanz entschie- den; der Staatsrath gewährte dawider nur in seltenen schweren Fällen Abhilfe. Dem Aemtersysteme fehlte noch eine geordnete Verwaltungs- justiz mit unabhängigen Tribunalen; doch über die Fragen des Verwal- tungsrechts war bisher weder die Wissenschaft noch die Praxis ins Klare gekommen, und so lange man den Sitz des Uebels nicht erkannt hatte, richtete sich aller Unwille gegen die Fachminister und das Uebermaß der Centralisation.
Um den endlosen Beschwerden abzuhelfen, bildete Hardenberg im Sommer 1821 einen Ausschuß, der unter Altenstein's Vorsitz über die Vereinfachung der Verwaltung berathen sollte, und berief dazu außer einigen Beamten der Ministerien vier Präsidenten aus den Provinzen, Vincke, Hippel, Baumann und Delius. Hier trat denn Vincke (13. Nov.) mit dem Antrage hervor, die Monarchie in vier große Provinzialministerien zu zerschlagen und von den Fachministern nur noch vier bestehen zu lassen. Fachminister, so führte er aus, eigneten sich nur für Kleinstaaten oder für solche Reiche, in denen die Revolution Alles eingeebnet habe und die Willkür der Präfekten herrsche. So wurde dieser Mann des gemeinen Rechtes, der geschworene Feind der gutsherrlichen Polizei und Gerichts- barkeit, durch den Abscheu vor der Verderbniß französischer Centralisation dahin geführt, daß er den Plänen des feudalen Partikularismus auf halbem Wege entgegenkam. Und er stand nicht allein. Klewiz, Schön und mehrere andere tüchtige Beamte von unzweifelhaft liberaler Gesin- nung huldigten derselben Ansicht. Hippel aber erwiderte, die neue Ein- richtung sei nicht der Revolution nachgeahmt, sondern hervorgegangen aus der Nothwendigkeit, die Provinzen "zu einem Volke, einem Reiche" zu- sammenzufassen. Unter den Provinzialministern habe der Staat seine Demüthigung erlebt, den Fachministern verdanke er eine Epoche segens- reicher Reformen. Und solle etwa dies kräftig aufstrebende Preußen sein Vorbild suchen in dem lockeren Nebeneinander der Kronländer Oester- reichs, das noch immer am Rande des Bankrotts stehe?
Zugleich sendete Humboldt, von Vincke befragt, die nach Form und In- halt reifste seiner Denkschriften, den berühmten Brief vom 29. Nov., der späterhin den Weg in die Presse fand und immer von Neuem gegen die Provinzialstände ins Feuer geführt wurde. Mit zwingenden Gründen wies er nach, wie gerade die große Verschiedenheit der Provinzen eine feste Cen- tralverwaltung bedinge, und der Minister des Innern, der nach Vincke's Plänen ganz verschwinden sollte, der natürliche Vertreter der Staatseinheit unter den Ministern sei. Dann ging er auf die Verfassungsfrage über und zeigte den ganzen Widersinn des noch nie und nirgends verwirklichten Ge- dankens, einen Einheitsstaat durch Provinzialstände zu zerreißen -- eines Planes, der entweder die Staatsgewalt unablässigen ständischen Ueber- griffen oder die Stände der Nichtigkeit preisgeben müsse. Er sagte vor-
III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
über alle Streitfragen des öffentlichen Rechts in letzter Inſtanz entſchie- den; der Staatsrath gewährte dawider nur in ſeltenen ſchweren Fällen Abhilfe. Dem Aemterſyſteme fehlte noch eine geordnete Verwaltungs- juſtiz mit unabhängigen Tribunalen; doch über die Fragen des Verwal- tungsrechts war bisher weder die Wiſſenſchaft noch die Praxis ins Klare gekommen, und ſo lange man den Sitz des Uebels nicht erkannt hatte, richtete ſich aller Unwille gegen die Fachminiſter und das Uebermaß der Centraliſation.
Um den endloſen Beſchwerden abzuhelfen, bildete Hardenberg im Sommer 1821 einen Ausſchuß, der unter Altenſtein’s Vorſitz über die Vereinfachung der Verwaltung berathen ſollte, und berief dazu außer einigen Beamten der Miniſterien vier Präſidenten aus den Provinzen, Vincke, Hippel, Baumann und Delius. Hier trat denn Vincke (13. Nov.) mit dem Antrage hervor, die Monarchie in vier große Provinzialminiſterien zu zerſchlagen und von den Fachminiſtern nur noch vier beſtehen zu laſſen. Fachminiſter, ſo führte er aus, eigneten ſich nur für Kleinſtaaten oder für ſolche Reiche, in denen die Revolution Alles eingeebnet habe und die Willkür der Präfekten herrſche. So wurde dieſer Mann des gemeinen Rechtes, der geſchworene Feind der gutsherrlichen Polizei und Gerichts- barkeit, durch den Abſcheu vor der Verderbniß franzöſiſcher Centraliſation dahin geführt, daß er den Plänen des feudalen Partikularismus auf halbem Wege entgegenkam. Und er ſtand nicht allein. Klewiz, Schön und mehrere andere tüchtige Beamte von unzweifelhaft liberaler Geſin- nung huldigten derſelben Anſicht. Hippel aber erwiderte, die neue Ein- richtung ſei nicht der Revolution nachgeahmt, ſondern hervorgegangen aus der Nothwendigkeit, die Provinzen „zu einem Volke, einem Reiche“ zu- ſammenzufaſſen. Unter den Provinzialminiſtern habe der Staat ſeine Demüthigung erlebt, den Fachminiſtern verdanke er eine Epoche ſegens- reicher Reformen. Und ſolle etwa dies kräftig aufſtrebende Preußen ſein Vorbild ſuchen in dem lockeren Nebeneinander der Kronländer Oeſter- reichs, das noch immer am Rande des Bankrotts ſtehe?
Zugleich ſendete Humboldt, von Vincke befragt, die nach Form und In- halt reifſte ſeiner Denkſchriften, den berühmten Brief vom 29. Nov., der ſpäterhin den Weg in die Preſſe fand und immer von Neuem gegen die Provinzialſtände ins Feuer geführt wurde. Mit zwingenden Gründen wies er nach, wie gerade die große Verſchiedenheit der Provinzen eine feſte Cen- tralverwaltung bedinge, und der Miniſter des Innern, der nach Vincke’s Plänen ganz verſchwinden ſollte, der natürliche Vertreter der Staatseinheit unter den Miniſtern ſei. Dann ging er auf die Verfaſſungsfrage über und zeigte den ganzen Widerſinn des noch nie und nirgends verwirklichten Ge- dankens, einen Einheitsſtaat durch Provinzialſtände zu zerreißen — eines Planes, der entweder die Staatsgewalt unabläſſigen ſtändiſchen Ueber- griffen oder die Stände der Nichtigkeit preisgeben müſſe. Er ſagte vor-
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III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
über alle Streitfragen des öffentlichen Rechts in letzter Inſtanz entſchie-
den; der Staatsrath gewährte dawider nur in ſeltenen ſchweren Fällen
Abhilfe. Dem Aemterſyſteme fehlte noch eine geordnete Verwaltungs-
juſtiz mit unabhängigen Tribunalen; doch über die Fragen des Verwal-
tungsrechts war bisher weder die Wiſſenſchaft noch die Praxis ins Klare
gekommen, und ſo lange man den Sitz des Uebels nicht erkannt hatte,
richtete ſich aller Unwille gegen die Fachminiſter und das Uebermaß der
Centraliſation.
Um den endloſen Beſchwerden abzuhelfen, bildete Hardenberg im
Sommer 1821 einen Ausſchuß, der unter Altenſtein’s Vorſitz über die
Vereinfachung der Verwaltung berathen ſollte, und berief dazu außer
einigen Beamten der Miniſterien vier Präſidenten aus den Provinzen,
Vincke, Hippel, Baumann und Delius. Hier trat denn Vincke (13. Nov.)
mit dem Antrage hervor, die Monarchie in vier große Provinzialminiſterien
zu zerſchlagen und von den Fachminiſtern nur noch vier beſtehen zu laſſen.
Fachminiſter, ſo führte er aus, eigneten ſich nur für Kleinſtaaten oder
für ſolche Reiche, in denen die Revolution Alles eingeebnet habe und die
Willkür der Präfekten herrſche. So wurde dieſer Mann des gemeinen
Rechtes, der geſchworene Feind der gutsherrlichen Polizei und Gerichts-
barkeit, durch den Abſcheu vor der Verderbniß franzöſiſcher Centraliſation
dahin geführt, daß er den Plänen des feudalen Partikularismus auf
halbem Wege entgegenkam. Und er ſtand nicht allein. Klewiz, Schön
und mehrere andere tüchtige Beamte von unzweifelhaft liberaler Geſin-
nung huldigten derſelben Anſicht. Hippel aber erwiderte, die neue Ein-
richtung ſei nicht der Revolution nachgeahmt, ſondern hervorgegangen aus
der Nothwendigkeit, die Provinzen „zu einem Volke, einem Reiche“ zu-
ſammenzufaſſen. Unter den Provinzialminiſtern habe der Staat ſeine
Demüthigung erlebt, den Fachminiſtern verdanke er eine Epoche ſegens-
reicher Reformen. Und ſolle etwa dies kräftig aufſtrebende Preußen ſein
Vorbild ſuchen in dem lockeren Nebeneinander der Kronländer Oeſter-
reichs, das noch immer am Rande des Bankrotts ſtehe?
Zugleich ſendete Humboldt, von Vincke befragt, die nach Form und In-
halt reifſte ſeiner Denkſchriften, den berühmten Brief vom 29. Nov., der
ſpäterhin den Weg in die Preſſe fand und immer von Neuem gegen die
Provinzialſtände ins Feuer geführt wurde. Mit zwingenden Gründen wies
er nach, wie gerade die große Verſchiedenheit der Provinzen eine feſte Cen-
tralverwaltung bedinge, und der Miniſter des Innern, der nach Vincke’s
Plänen ganz verſchwinden ſollte, der natürliche Vertreter der Staatseinheit
unter den Miniſtern ſei. Dann ging er auf die Verfaſſungsfrage über und
zeigte den ganzen Widerſinn des noch nie und nirgends verwirklichten Ge-
dankens, einen Einheitsſtaat durch Provinzialſtände zu zerreißen — eines
Planes, der entweder die Staatsgewalt unabläſſigen ſtändiſchen Ueber-
griffen oder die Stände der Nichtigkeit preisgeben müſſe. Er ſagte vor-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/250>, abgerufen am 24.11.2024.
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