Dictator auftreten durfte. Seine Absicht, das Repräsentativsystem überall durch landständische Verfassungen zu verdrängen, war in Karlsbad ge- scheitert; um wie viel weniger konnte sie hier in Wien durchdringen, auf umständlichen, förmlichen Ministerconferenzen, wo die Künste der Ein- schüchterung und der Ueberraschung nichts ausrichteten. Er fügte sich also klug in die Umstände und gab schon dem Einladungsschreiben, das am 16. Oktober an die kleinen Souveräne abging, eine bescheidene, unver- fängliche Form: nur "eine vorbereitende Rücksprache" zwischen den deut- schen Regierungen sei beabsichtigt, damit der Bundestag für die wichtigen Beschlüsse, welche Graf Buol am 20. September angekündigt, überein- stimmende Instruktionen erhalte.*)
Als nun in der zweiten Hälfte des Novembers die geladenen Be- vollmächtigten aller siebzehn Stimmen des engeren Rathes sich bei ihm meldeten, da fand er die meisten wohlgesinnt, bereit zu Allem, was den Bestand des "monarchischen Princips" irgend befestigen konnte, aber auch voll Furcht vor einer neuen Schmälerung ihrer Souveränität, und willig ging er auf die versöhnlichen Rathschläge ein, welche ihm Bernstorff in vertraulichen Vorbesprechungen ertheilte. Die Beiden wurden einig, von den September-Beschlüssen "nicht um ein Haar" abzuweichen, auch keine erneute Besprechung des Geschehenen zu gestatten; fortan aber sollte sich die Karlsbader Politik "in den Grenzen des Ausführbaren" halten, auf dem Wege des "Glimpfs und der Eintracht" nach einer Ausgleichung mit den anders gesinnten Bundesgenossen streben, bei der schwierigen Ausle- gung des Art. 13 zugleich das monarchische Princip und die Bundesein- heit sichern und doch Schonung üben gegen die Staaten, welche bei ihrem Verfassungswerk "jene doppelte Rücksicht großentheils schon aus den Augen verloren hatten".**) Um den Argwohn der kleinen Höfe von vornherein zu beschwichtigen, erging sich Metternich in brünstigen Betheuerungen seiner Bundestreue: die Bundesakte, so versicherte er gleich in der ersten Sitzung, sei für den Wiener Hof schlechthin heilig; selbst wenn sich ein Sprach- fehler darin nachweisen ließe, würde Kaiser Franz niemals ein Wort in dieser heiligen Urkunde abändern lassen. Damit war unzweideutig ange- kündigt, daß Oesterreich eine willkürliche Verstärkung der Bundesgewalt, wie sie in Karlsbad beschlossen worden, für jetzt nicht wieder beabsichtigte.
Die Vertreter der beiden Großmächte erwarteten anfangs eine leb- hafte Opposition von Seiten Baierns und Württembergs, doch sahen sie sich bald angenehm enttäuscht.***) Der bairische Bevollmächtigte, Zentner verstand den Wünschen beider Parteien des Münchener Cabinets zu ge-
*) Metternich an Berstett, 16. Okt. 1819, nebst Einladungsschreiben an die Groß- herzöge von Hessen u. s. w.
**) Bernstorff's Bericht, 24. Nov.; Bernstorff an Ancillon, 23. Nov. 1819, an Goltz, 25. März 1820.
Dictator auftreten durfte. Seine Abſicht, das Repräſentativſyſtem überall durch landſtändiſche Verfaſſungen zu verdrängen, war in Karlsbad ge- ſcheitert; um wie viel weniger konnte ſie hier in Wien durchdringen, auf umſtändlichen, förmlichen Miniſterconferenzen, wo die Künſte der Ein- ſchüchterung und der Ueberraſchung nichts ausrichteten. Er fügte ſich alſo klug in die Umſtände und gab ſchon dem Einladungsſchreiben, das am 16. Oktober an die kleinen Souveräne abging, eine beſcheidene, unver- fängliche Form: nur „eine vorbereitende Rückſprache“ zwiſchen den deut- ſchen Regierungen ſei beabſichtigt, damit der Bundestag für die wichtigen Beſchlüſſe, welche Graf Buol am 20. September angekündigt, überein- ſtimmende Inſtruktionen erhalte.*)
Als nun in der zweiten Hälfte des Novembers die geladenen Be- vollmächtigten aller ſiebzehn Stimmen des engeren Rathes ſich bei ihm meldeten, da fand er die meiſten wohlgeſinnt, bereit zu Allem, was den Beſtand des „monarchiſchen Princips“ irgend befeſtigen konnte, aber auch voll Furcht vor einer neuen Schmälerung ihrer Souveränität, und willig ging er auf die verſöhnlichen Rathſchläge ein, welche ihm Bernſtorff in vertraulichen Vorbeſprechungen ertheilte. Die Beiden wurden einig, von den September-Beſchlüſſen „nicht um ein Haar“ abzuweichen, auch keine erneute Beſprechung des Geſchehenen zu geſtatten; fortan aber ſollte ſich die Karlsbader Politik „in den Grenzen des Ausführbaren“ halten, auf dem Wege des „Glimpfs und der Eintracht“ nach einer Ausgleichung mit den anders geſinnten Bundesgenoſſen ſtreben, bei der ſchwierigen Ausle- gung des Art. 13 zugleich das monarchiſche Princip und die Bundesein- heit ſichern und doch Schonung üben gegen die Staaten, welche bei ihrem Verfaſſungswerk „jene doppelte Rückſicht großentheils ſchon aus den Augen verloren hatten“.**) Um den Argwohn der kleinen Höfe von vornherein zu beſchwichtigen, erging ſich Metternich in brünſtigen Betheuerungen ſeiner Bundestreue: die Bundesakte, ſo verſicherte er gleich in der erſten Sitzung, ſei für den Wiener Hof ſchlechthin heilig; ſelbſt wenn ſich ein Sprach- fehler darin nachweiſen ließe, würde Kaiſer Franz niemals ein Wort in dieſer heiligen Urkunde abändern laſſen. Damit war unzweideutig ange- kündigt, daß Oeſterreich eine willkürliche Verſtärkung der Bundesgewalt, wie ſie in Karlsbad beſchloſſen worden, für jetzt nicht wieder beabſichtigte.
Die Vertreter der beiden Großmächte erwarteten anfangs eine leb- hafte Oppoſition von Seiten Baierns und Württembergs, doch ſahen ſie ſich bald angenehm enttäuſcht.***) Der bairiſche Bevollmächtigte, Zentner verſtand den Wünſchen beider Parteien des Münchener Cabinets zu ge-
*) Metternich an Berſtett, 16. Okt. 1819, nebſt Einladungsſchreiben an die Groß- herzöge von Heſſen u. ſ. w.
**) Bernſtorff’s Bericht, 24. Nov.; Bernſtorff an Ancillon, 23. Nov. 1819, an Goltz, 25. März 1820.
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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Dictator auftreten durfte. Seine Abſicht, das Repräſentativſyſtem überall
durch landſtändiſche Verfaſſungen zu verdrängen, war in Karlsbad ge-
ſcheitert; um wie viel weniger konnte ſie hier in Wien durchdringen, auf
umſtändlichen, förmlichen Miniſterconferenzen, wo die Künſte der Ein-
ſchüchterung und der Ueberraſchung nichts ausrichteten. Er fügte ſich alſo
klug in die Umſtände und gab ſchon dem Einladungsſchreiben, das am
16. Oktober an die kleinen Souveräne abging, eine beſcheidene, unver-
fängliche Form: nur „eine vorbereitende Rückſprache“ zwiſchen den deut-
ſchen Regierungen ſei beabſichtigt, damit der Bundestag für die wichtigen
Beſchlüſſe, welche Graf Buol am 20. September angekündigt, überein-
ſtimmende Inſtruktionen erhalte. *)
Als nun in der zweiten Hälfte des Novembers die geladenen Be-
vollmächtigten aller ſiebzehn Stimmen des engeren Rathes ſich bei ihm
meldeten, da fand er die meiſten wohlgeſinnt, bereit zu Allem, was den
Beſtand des „monarchiſchen Princips“ irgend befeſtigen konnte, aber auch
voll Furcht vor einer neuen Schmälerung ihrer Souveränität, und willig
ging er auf die verſöhnlichen Rathſchläge ein, welche ihm Bernſtorff in
vertraulichen Vorbeſprechungen ertheilte. Die Beiden wurden einig, von
den September-Beſchlüſſen „nicht um ein Haar“ abzuweichen, auch keine
erneute Beſprechung des Geſchehenen zu geſtatten; fortan aber ſollte ſich
die Karlsbader Politik „in den Grenzen des Ausführbaren“ halten, auf
dem Wege des „Glimpfs und der Eintracht“ nach einer Ausgleichung mit
den anders geſinnten Bundesgenoſſen ſtreben, bei der ſchwierigen Ausle-
gung des Art. 13 zugleich das monarchiſche Princip und die Bundesein-
heit ſichern und doch Schonung üben gegen die Staaten, welche bei ihrem
Verfaſſungswerk „jene doppelte Rückſicht großentheils ſchon aus den Augen
verloren hatten“. **) Um den Argwohn der kleinen Höfe von vornherein
zu beſchwichtigen, erging ſich Metternich in brünſtigen Betheuerungen ſeiner
Bundestreue: die Bundesakte, ſo verſicherte er gleich in der erſten Sitzung,
ſei für den Wiener Hof ſchlechthin heilig; ſelbſt wenn ſich ein Sprach-
fehler darin nachweiſen ließe, würde Kaiſer Franz niemals ein Wort in
dieſer heiligen Urkunde abändern laſſen. Damit war unzweideutig ange-
kündigt, daß Oeſterreich eine willkürliche Verſtärkung der Bundesgewalt,
wie ſie in Karlsbad beſchloſſen worden, für jetzt nicht wieder beabſichtigte.
Die Vertreter der beiden Großmächte erwarteten anfangs eine leb-
hafte Oppoſition von Seiten Baierns und Württembergs, doch ſahen ſie
ſich bald angenehm enttäuſcht. ***) Der bairiſche Bevollmächtigte, Zentner
verſtand den Wünſchen beider Parteien des Münchener Cabinets zu ge-
*) Metternich an Berſtett, 16. Okt. 1819, nebſt Einladungsſchreiben an die Groß-
herzöge von Heſſen u. ſ. w.
**) Bernſtorff’s Bericht, 24. Nov.; Bernſtorff an Ancillon, 23. Nov. 1819, an
Goltz, 25. März 1820.
***) Bernſtorff’s Berichte, 30. Nov., 7. Dec.; Bernſtorff an Ancillon, 30. Nov. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/22>, abgerufen am 16.07.2024.
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