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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 3. Troppau und Laibach.
daß die Nüchternheit seines Urtheils immer noch stärker blieb als seine
Freundschaft für Oesterreich; aber dem Stolze einer Großmacht stand sie
übel an.

Freilich zeigten sich die beiden Westmächte noch weit rathloser. Der
Minister des Auswärtigen, Pasquier, das liberalste Mitglied des Pariser
Cabinets, sah voll ernster Besorgniß dem Augenblick entgegen, da die
Oesterreicher bis zur französischen Grenze vorrücken würden; Metternich
selbst fand diese Eifersucht erklärlich und erwog einige Tage lang ernstlich,
ob es nicht gerathen sei, die Besetzung Piemonts den Russen zu überlassen.
Doch wenn der französische Hof sein Interesse in Italien wahren wollte,
so mußte er, den Ostmächten zuvoreilend, selber die Ordnung in Piemont
herstellen, und diese Kühnheit war unmöglich, da er dem Geiste seines
eigenen Heeres mißtraute. So verstrich die Zeit, ohne daß man in den
Tuilerien einen Entschluß fand.*) Lord Castlereagh vollends wurde durch
die Turiner Nachrichten nur in seinen österreichischen Neigungen bestärkt
und gab unter der Hand zu verstehen, alle seine Verwahrungen seien
nichts weiter als parlamentarische Schachzüge.

Metternich allein war seines Zieles sicher, und das Glück begünstigte
ihn abermals wunderbar. Der gefürchtete piemontesische Aufstand erwies
sich bald als ein verfrühtes, unfertiges Unternehmen. Nur ein Theil
des Heeres hatte sich der Revolution angeschlossen, die Mehrheit des Volkes
harrte gespannt auf die Entscheidung des Königs. Der redliche, in dem
Absolutismus des alten Jahrhunderts ergraute Victor Emmanuel wollte
weder den aussichtslosen Kampf gegen die großen Mächte beginnen, noch
das Ausland wider seine eigenen Truppen zu Hilfe rufen und faßte endlich
denselben Entschluß, welchen schon mehrere seiner pflichtgetreuen Vorfahren
gefaßt hatten, wenn ihnen die Bürde der Regierung zu schwer wurde: er
legte die Krone nieder und ernannte den Prinzen Karl Albert von Ca-
rignan zum Regenten, bis der Thronfolger Karl Felix aus Modena zurück-
kehren würde, um die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. Welche Auf-
gabe für den unerfahrenen, ehrgeizigen Prinzen, der mit den Verschworenen
längst im Verkehr stand und schon zuweilen von der italienischen Königs-
krone träumte! Er ließ sofort durch eine Notabelnversammlung die spa-
nische Verfassung annehmen und hoffte in seiner jugendlichen Arglosigkeit
auf die nachträgliche Zustimmung des neuen Königs. Karl Felix aber,
ein Gesinnungsgenosse des Herzogs von Modena, verwarf in einem scharfen
Manifeste jede Neuerung, und sobald der König gesprochen hatte, war in
diesem Lande der Würfel gefallen. Gehorsam gab Karl Albert seine
Regentschaft auf. Mittlerweile war General Bubna mit einem öster-
reichischen Heere eingerückt, die treu gebliebenen Truppen vereinigten sich
mit ihm, und schon am 8. April unterlagen die Aufständischen nach tapferem

*) Krusemark's Bericht, 24., 29. März 1821.

III. 3. Troppau und Laibach.
daß die Nüchternheit ſeines Urtheils immer noch ſtärker blieb als ſeine
Freundſchaft für Oeſterreich; aber dem Stolze einer Großmacht ſtand ſie
übel an.

Freilich zeigten ſich die beiden Weſtmächte noch weit rathloſer. Der
Miniſter des Auswärtigen, Pasquier, das liberalſte Mitglied des Pariſer
Cabinets, ſah voll ernſter Beſorgniß dem Augenblick entgegen, da die
Oeſterreicher bis zur franzöſiſchen Grenze vorrücken würden; Metternich
ſelbſt fand dieſe Eiferſucht erklärlich und erwog einige Tage lang ernſtlich,
ob es nicht gerathen ſei, die Beſetzung Piemonts den Ruſſen zu überlaſſen.
Doch wenn der franzöſiſche Hof ſein Intereſſe in Italien wahren wollte,
ſo mußte er, den Oſtmächten zuvoreilend, ſelber die Ordnung in Piemont
herſtellen, und dieſe Kühnheit war unmöglich, da er dem Geiſte ſeines
eigenen Heeres mißtraute. So verſtrich die Zeit, ohne daß man in den
Tuilerien einen Entſchluß fand.*) Lord Caſtlereagh vollends wurde durch
die Turiner Nachrichten nur in ſeinen öſterreichiſchen Neigungen beſtärkt
und gab unter der Hand zu verſtehen, alle ſeine Verwahrungen ſeien
nichts weiter als parlamentariſche Schachzüge.

Metternich allein war ſeines Zieles ſicher, und das Glück begünſtigte
ihn abermals wunderbar. Der gefürchtete piemonteſiſche Aufſtand erwies
ſich bald als ein verfrühtes, unfertiges Unternehmen. Nur ein Theil
des Heeres hatte ſich der Revolution angeſchloſſen, die Mehrheit des Volkes
harrte geſpannt auf die Entſcheidung des Königs. Der redliche, in dem
Abſolutismus des alten Jahrhunderts ergraute Victor Emmanuel wollte
weder den ausſichtsloſen Kampf gegen die großen Mächte beginnen, noch
das Ausland wider ſeine eigenen Truppen zu Hilfe rufen und faßte endlich
denſelben Entſchluß, welchen ſchon mehrere ſeiner pflichtgetreuen Vorfahren
gefaßt hatten, wenn ihnen die Bürde der Regierung zu ſchwer wurde: er
legte die Krone nieder und ernannte den Prinzen Karl Albert von Ca-
rignan zum Regenten, bis der Thronfolger Karl Felix aus Modena zurück-
kehren würde, um die Zügel ſelbſt in die Hand zu nehmen. Welche Auf-
gabe für den unerfahrenen, ehrgeizigen Prinzen, der mit den Verſchworenen
längſt im Verkehr ſtand und ſchon zuweilen von der italieniſchen Königs-
krone träumte! Er ließ ſofort durch eine Notabelnverſammlung die ſpa-
niſche Verfaſſung annehmen und hoffte in ſeiner jugendlichen Argloſigkeit
auf die nachträgliche Zuſtimmung des neuen Königs. Karl Felix aber,
ein Geſinnungsgenoſſe des Herzogs von Modena, verwarf in einem ſcharfen
Manifeſte jede Neuerung, und ſobald der König geſprochen hatte, war in
dieſem Lande der Würfel gefallen. Gehorſam gab Karl Albert ſeine
Regentſchaft auf. Mittlerweile war General Bubna mit einem öſter-
reichiſchen Heere eingerückt, die treu gebliebenen Truppen vereinigten ſich
mit ihm, und ſchon am 8. April unterlagen die Aufſtändiſchen nach tapferem

*) Kruſemark’s Bericht, 24., 29. März 1821.
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[182/0198] III. 3. Troppau und Laibach. daß die Nüchternheit ſeines Urtheils immer noch ſtärker blieb als ſeine Freundſchaft für Oeſterreich; aber dem Stolze einer Großmacht ſtand ſie übel an. Freilich zeigten ſich die beiden Weſtmächte noch weit rathloſer. Der Miniſter des Auswärtigen, Pasquier, das liberalſte Mitglied des Pariſer Cabinets, ſah voll ernſter Beſorgniß dem Augenblick entgegen, da die Oeſterreicher bis zur franzöſiſchen Grenze vorrücken würden; Metternich ſelbſt fand dieſe Eiferſucht erklärlich und erwog einige Tage lang ernſtlich, ob es nicht gerathen ſei, die Beſetzung Piemonts den Ruſſen zu überlaſſen. Doch wenn der franzöſiſche Hof ſein Intereſſe in Italien wahren wollte, ſo mußte er, den Oſtmächten zuvoreilend, ſelber die Ordnung in Piemont herſtellen, und dieſe Kühnheit war unmöglich, da er dem Geiſte ſeines eigenen Heeres mißtraute. So verſtrich die Zeit, ohne daß man in den Tuilerien einen Entſchluß fand. *) Lord Caſtlereagh vollends wurde durch die Turiner Nachrichten nur in ſeinen öſterreichiſchen Neigungen beſtärkt und gab unter der Hand zu verſtehen, alle ſeine Verwahrungen ſeien nichts weiter als parlamentariſche Schachzüge. Metternich allein war ſeines Zieles ſicher, und das Glück begünſtigte ihn abermals wunderbar. Der gefürchtete piemonteſiſche Aufſtand erwies ſich bald als ein verfrühtes, unfertiges Unternehmen. Nur ein Theil des Heeres hatte ſich der Revolution angeſchloſſen, die Mehrheit des Volkes harrte geſpannt auf die Entſcheidung des Königs. Der redliche, in dem Abſolutismus des alten Jahrhunderts ergraute Victor Emmanuel wollte weder den ausſichtsloſen Kampf gegen die großen Mächte beginnen, noch das Ausland wider ſeine eigenen Truppen zu Hilfe rufen und faßte endlich denſelben Entſchluß, welchen ſchon mehrere ſeiner pflichtgetreuen Vorfahren gefaßt hatten, wenn ihnen die Bürde der Regierung zu ſchwer wurde: er legte die Krone nieder und ernannte den Prinzen Karl Albert von Ca- rignan zum Regenten, bis der Thronfolger Karl Felix aus Modena zurück- kehren würde, um die Zügel ſelbſt in die Hand zu nehmen. Welche Auf- gabe für den unerfahrenen, ehrgeizigen Prinzen, der mit den Verſchworenen längſt im Verkehr ſtand und ſchon zuweilen von der italieniſchen Königs- krone träumte! Er ließ ſofort durch eine Notabelnverſammlung die ſpa- niſche Verfaſſung annehmen und hoffte in ſeiner jugendlichen Argloſigkeit auf die nachträgliche Zuſtimmung des neuen Königs. Karl Felix aber, ein Geſinnungsgenoſſe des Herzogs von Modena, verwarf in einem ſcharfen Manifeſte jede Neuerung, und ſobald der König geſprochen hatte, war in dieſem Lande der Würfel gefallen. Gehorſam gab Karl Albert ſeine Regentſchaft auf. Mittlerweile war General Bubna mit einem öſter- reichiſchen Heere eingerückt, die treu gebliebenen Truppen vereinigten ſich mit ihm, und ſchon am 8. April unterlagen die Aufſtändiſchen nach tapferem *) Kruſemark’s Bericht, 24., 29. März 1821.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/198>, abgerufen am 22.11.2024.