durch ein stolzes Rundschreiben, das bald in die Zeitungen kam, den kleinen Höfen die bisherigen Ergebnisse des Congresses; sie erklärten darin jede durch Aufruhr bewirkte Regierungsveränderung für einen Bruch der europäischen Verträge und sprachen die zuversichtliche Erwartung aus, daß die Westmächte sich ihnen noch anschließen würden. In der That begann der französische Hof zögernd ihren Spuren zu folgen; König Ludwig ent- schloß sich nachträglich, seinen italienischen Verwandten ebenfalls zur Reise nach Laibach aufzufordern. Dieser aber nahm die Einladung freudig an, und die überströmende Dankbarkeit seiner Antwortschreiben verrieth deut- lich, was in seinem Herzen kochte.
Noch gab es manche schwere Bedenken zu überwinden, selbst im Schooße des engeren Bundes der drei Höfe. Der Czar wünschte Blut- vergießen durchaus zu vermeiden; er fühlte Mitleid für das neapolitanische Volk, das gleich seinem Könige durch die despotische Gewalt der Revolution geknechtet sei, und schlug daher vor, die Verirrten noch einmal durch den Papst warnen zu lassen, da die Großmächte selber mit dieser revolutio- nären Regierung nicht verhandeln könnten. Getreu den Traditionen der russischen Politik, die sich den italienischen Kleinstaaten immer freundlich gezeigt hatte, verlangte er ferner, daß auch Bevollmächtigte Piemonts, Toscanas und des Papstes nach Laibach geladen würden. Auf beide Vorschläge mußte Metternich wohl oder übel eingehen, schon weil Oester- reich die guten Dienste des Tuilerienhofes, der ebenfalls seine Vermitt- lung anbot, unmöglich annehmen konnte. Die zwei Kaiser schrieben also (12. Decbr.) persönlich an den Papst -- denn der König von Preußen war mittlerweile heimgereist -- und die Fassung ihrer Briefe ließ den Gegensatz der Meinungen erkennbar durchschimmern. Kaiser Franz sprach die Erwartung aus, der geistliche Arm werde den weltlichen bei der Be- strafung der Revolution unterstützen; Czar Alexander hoffte durch die geistlichen Ermahnungen des Kirchenfürsten die Neapolitaner mit den Groß- mächten zu versöhnen. Metternich aber und seine preußischen Freunde sahen voraus, wie kläglich dieser seltsame Vermittlungsversuch enden mußte, und die Thorheit der Radikalen des Südens gab ihnen Recht.*)
Die Sache der Liberalen in Neapel stand noch nicht ganz verzweifelt; denn außer Oesterreich wünschten alle Großmächte, sogar Preußen, die Durch- führung einiger Reformen in dem zerrütteten Staate; auch an den italie- nischen Höfen glaubte man allgemein, daß mindestens einzelne Trümmer der neuen Institutionen den Neapolitanern erhalten bleiben müßten.**)
*)Opinion des russischen Hofes über die Mittel zur Versöhnung,
[Formel 1]
Caraman, Erklärung zum Protokoll, 7. Dec. Briefe der beiden Kaiser an Papst Pius, 12. Dec.; Bernstorff an Niebuhr, 13. Dec. an Graf Truchseß in Turin, 24. Dec.; Har- denberg's und Bernstorff's Berichte, 1., 6. Dec. 1820.
**) Truchseß's Bericht, Turin 4. Dec. 1820.
III. 3. Troppau und Laibach.
durch ein ſtolzes Rundſchreiben, das bald in die Zeitungen kam, den kleinen Höfen die bisherigen Ergebniſſe des Congreſſes; ſie erklärten darin jede durch Aufruhr bewirkte Regierungsveränderung für einen Bruch der europäiſchen Verträge und ſprachen die zuverſichtliche Erwartung aus, daß die Weſtmächte ſich ihnen noch anſchließen würden. In der That begann der franzöſiſche Hof zögernd ihren Spuren zu folgen; König Ludwig ent- ſchloß ſich nachträglich, ſeinen italieniſchen Verwandten ebenfalls zur Reiſe nach Laibach aufzufordern. Dieſer aber nahm die Einladung freudig an, und die überſtrömende Dankbarkeit ſeiner Antwortſchreiben verrieth deut- lich, was in ſeinem Herzen kochte.
Noch gab es manche ſchwere Bedenken zu überwinden, ſelbſt im Schooße des engeren Bundes der drei Höfe. Der Czar wünſchte Blut- vergießen durchaus zu vermeiden; er fühlte Mitleid für das neapolitaniſche Volk, das gleich ſeinem Könige durch die despotiſche Gewalt der Revolution geknechtet ſei, und ſchlug daher vor, die Verirrten noch einmal durch den Papſt warnen zu laſſen, da die Großmächte ſelber mit dieſer revolutio- nären Regierung nicht verhandeln könnten. Getreu den Traditionen der ruſſiſchen Politik, die ſich den italieniſchen Kleinſtaaten immer freundlich gezeigt hatte, verlangte er ferner, daß auch Bevollmächtigte Piemonts, Toscanas und des Papſtes nach Laibach geladen würden. Auf beide Vorſchläge mußte Metternich wohl oder übel eingehen, ſchon weil Oeſter- reich die guten Dienſte des Tuilerienhofes, der ebenfalls ſeine Vermitt- lung anbot, unmöglich annehmen konnte. Die zwei Kaiſer ſchrieben alſo (12. Decbr.) perſönlich an den Papſt — denn der König von Preußen war mittlerweile heimgereiſt — und die Faſſung ihrer Briefe ließ den Gegenſatz der Meinungen erkennbar durchſchimmern. Kaiſer Franz ſprach die Erwartung aus, der geiſtliche Arm werde den weltlichen bei der Be- ſtrafung der Revolution unterſtützen; Czar Alexander hoffte durch die geiſtlichen Ermahnungen des Kirchenfürſten die Neapolitaner mit den Groß- mächten zu verſöhnen. Metternich aber und ſeine preußiſchen Freunde ſahen voraus, wie kläglich dieſer ſeltſame Vermittlungsverſuch enden mußte, und die Thorheit der Radikalen des Südens gab ihnen Recht.*)
Die Sache der Liberalen in Neapel ſtand noch nicht ganz verzweifelt; denn außer Oeſterreich wünſchten alle Großmächte, ſogar Preußen, die Durch- führung einiger Reformen in dem zerrütteten Staate; auch an den italie- niſchen Höfen glaubte man allgemein, daß mindeſtens einzelne Trümmer der neuen Inſtitutionen den Neapolitanern erhalten bleiben müßten.**)
*)Opinion des ruſſiſchen Hofes über die Mittel zur Verſöhnung,
[Formel 1]
Caraman, Erklärung zum Protokoll, 7. Dec. Briefe der beiden Kaiſer an Papſt Pius, 12. Dec.; Bernſtorff an Niebuhr, 13. Dec. an Graf Truchſeß in Turin, 24. Dec.; Har- denberg’s und Bernſtorff’s Berichte, 1., 6. Dec. 1820.
**) Truchſeß’s Bericht, Turin 4. Dec. 1820.
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durch ein ſtolzes Rundſchreiben, das bald in die Zeitungen kam, den
kleinen Höfen die bisherigen Ergebniſſe des Congreſſes; ſie erklärten darin
jede durch Aufruhr bewirkte Regierungsveränderung für einen Bruch der
europäiſchen Verträge und ſprachen die zuverſichtliche Erwartung aus, daß
die Weſtmächte ſich ihnen noch anſchließen würden. In der That begann
der franzöſiſche Hof zögernd ihren Spuren zu folgen; König Ludwig ent-
ſchloß ſich nachträglich, ſeinen italieniſchen Verwandten ebenfalls zur Reiſe
nach Laibach aufzufordern. Dieſer aber nahm die Einladung freudig an,
und die überſtrömende Dankbarkeit ſeiner Antwortſchreiben verrieth deut-
lich, was in ſeinem Herzen kochte.
Noch gab es manche ſchwere Bedenken zu überwinden, ſelbſt im
Schooße des engeren Bundes der drei Höfe. Der Czar wünſchte Blut-
vergießen durchaus zu vermeiden; er fühlte Mitleid für das neapolitaniſche
Volk, das gleich ſeinem Könige durch die despotiſche Gewalt der Revolution
geknechtet ſei, und ſchlug daher vor, die Verirrten noch einmal durch den
Papſt warnen zu laſſen, da die Großmächte ſelber mit dieſer revolutio-
nären Regierung nicht verhandeln könnten. Getreu den Traditionen der
ruſſiſchen Politik, die ſich den italieniſchen Kleinſtaaten immer freundlich
gezeigt hatte, verlangte er ferner, daß auch Bevollmächtigte Piemonts,
Toscanas und des Papſtes nach Laibach geladen würden. Auf beide
Vorſchläge mußte Metternich wohl oder übel eingehen, ſchon weil Oeſter-
reich die guten Dienſte des Tuilerienhofes, der ebenfalls ſeine Vermitt-
lung anbot, unmöglich annehmen konnte. Die zwei Kaiſer ſchrieben alſo
(12. Decbr.) perſönlich an den Papſt — denn der König von Preußen
war mittlerweile heimgereiſt — und die Faſſung ihrer Briefe ließ den
Gegenſatz der Meinungen erkennbar durchſchimmern. Kaiſer Franz ſprach
die Erwartung aus, der geiſtliche Arm werde den weltlichen bei der Be-
ſtrafung der Revolution unterſtützen; Czar Alexander hoffte durch die
geiſtlichen Ermahnungen des Kirchenfürſten die Neapolitaner mit den Groß-
mächten zu verſöhnen. Metternich aber und ſeine preußiſchen Freunde
ſahen voraus, wie kläglich dieſer ſeltſame Vermittlungsverſuch enden mußte,
und die Thorheit der Radikalen des Südens gab ihnen Recht. *)
Die Sache der Liberalen in Neapel ſtand noch nicht ganz verzweifelt;
denn außer Oeſterreich wünſchten alle Großmächte, ſogar Preußen, die Durch-
führung einiger Reformen in dem zerrütteten Staate; auch an den italie-
niſchen Höfen glaubte man allgemein, daß mindeſtens einzelne Trümmer
der neuen Inſtitutionen den Neapolitanern erhalten bleiben müßten. **)
*) Opinion des ruſſiſchen Hofes über die Mittel zur Verſöhnung, [FORMEL]
Caraman, Erklärung zum Protokoll, 7. Dec. Briefe der beiden Kaiſer an Papſt Pius,
12. Dec.; Bernſtorff an Niebuhr, 13. Dec. an Graf Truchſeß in Turin, 24. Dec.; Har-
denberg’s und Bernſtorff’s Berichte, 1., 6. Dec. 1820.
**) Truchſeß’s Bericht, Turin 4. Dec. 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/182>, abgerufen am 22.07.2024.
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