Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 3. Troppau und Laibach. abredungen, wenn man über Neapels Zukunft nur unter Mitwirkung desbetheiligten Souveräns entschied.*) Völlig verblendet durch ihren Ab- scheu vor der Revolution, bemerkten die Höfe kaum noch, daß Metter- nich's unparteiischer Vorschlag in Wahrheit darauf hinauslief, nur eine Partei anzuhören. Für die schauspielerischen Neigungen des Stifters der Heiligen Allianz war es ein verlockender Gedanke, daß der hohe Ge- richtshof Europas einen König feierlich vor seine Schranken rufen sollte. Aber auch König Friedrich Wilhelm und seine Räthe boten unbedenklich ihre Hand zu dem Possenspiele eines völkergerichtlichen Scheinverfahrens, dessen gleichen sie in Preußen selbst sicherlich nie geduldet hätten. Es ist der Fluch großer politischer Versammlungen, daß sie das Rechtsgefühl abstumpfen, weil sich die Verantwortung auf viele Köpfe vertheilt; Par- lamente und Diplomatencongresse handeln leichter gewissenlos als einzelne Staatsmänner. Da der preußische Hof sich an der Intervention in Neapel keinenfalls unmittelbar betheiligen wollte, so hielt er auch nicht für nöthig die Lauterkeit der vorgeschlagenen Mittel streng zu prüfen. Genug, zuerst die Preußen, dann die Russen genehmigten den öster- Am 19. einigten sich die Ostmächte über ein vorläufiges Protokoll, *) S. o. II. 470 f. **) Eine oft wiederholte und mit manchen romanhaften Zügen ausgeschmückte Le-
gende behauptet, Metternich hätte die Nachricht aus Petersburg zuerst erhalten und als- dann durch gewandte Benutzung derselben den überraschten Czaren für die Pläne Oester- reichs gewonnen. Seit Metternich's hinterlassene Papiere erschienen sind, muß diese Erzählung als märchenhaft angesehen werden. Denn Metternich erzählt selbst (III, 355), daß Kaiser Alexander ihm den Vorfall zuerst mitgetheilt habe, und legt auf die ganze Sache wenig Werth. Ueberdies war die Verständigung zwischen den Kaiserhöfen im Wesentlichen schon vorher, am 6. und 7. Nov. erfolgt. III. 3. Troppau und Laibach. abredungen, wenn man über Neapels Zukunft nur unter Mitwirkung desbetheiligten Souveräns entſchied.*) Völlig verblendet durch ihren Ab- ſcheu vor der Revolution, bemerkten die Höfe kaum noch, daß Metter- nich’s unparteiiſcher Vorſchlag in Wahrheit darauf hinauslief, nur eine Partei anzuhören. Für die ſchauſpieleriſchen Neigungen des Stifters der Heiligen Allianz war es ein verlockender Gedanke, daß der hohe Ge- richtshof Europas einen König feierlich vor ſeine Schranken rufen ſollte. Aber auch König Friedrich Wilhelm und ſeine Räthe boten unbedenklich ihre Hand zu dem Poſſenſpiele eines völkergerichtlichen Scheinverfahrens, deſſen gleichen ſie in Preußen ſelbſt ſicherlich nie geduldet hätten. Es iſt der Fluch großer politiſcher Verſammlungen, daß ſie das Rechtsgefühl abſtumpfen, weil ſich die Verantwortung auf viele Köpfe vertheilt; Par- lamente und Diplomatencongreſſe handeln leichter gewiſſenlos als einzelne Staatsmänner. Da der preußiſche Hof ſich an der Intervention in Neapel keinenfalls unmittelbar betheiligen wollte, ſo hielt er auch nicht für nöthig die Lauterkeit der vorgeſchlagenen Mittel ſtreng zu prüfen. Genug, zuerſt die Preußen, dann die Ruſſen genehmigten den öſter- Am 19. einigten ſich die Oſtmächte über ein vorläufiges Protokoll, *) S. o. II. 470 f. **) Eine oft wiederholte und mit manchen romanhaften Zügen ausgeſchmückte Le-
gende behauptet, Metternich hätte die Nachricht aus Petersburg zuerſt erhalten und als- dann durch gewandte Benutzung derſelben den überraſchten Czaren für die Pläne Oeſter- reichs gewonnen. Seit Metternich’s hinterlaſſene Papiere erſchienen ſind, muß dieſe Erzählung als märchenhaft angeſehen werden. Denn Metternich erzählt ſelbſt (III, 355), daß Kaiſer Alexander ihm den Vorfall zuerſt mitgetheilt habe, und legt auf die ganze Sache wenig Werth. Ueberdies war die Verſtändigung zwiſchen den Kaiſerhöfen im Weſentlichen ſchon vorher, am 6. und 7. Nov. erfolgt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0180" n="164"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 3. Troppau und Laibach.</fw><lb/> abredungen, wenn man über Neapels Zukunft nur unter Mitwirkung des<lb/> betheiligten Souveräns entſchied.<note place="foot" n="*)">S. o. <hi rendition="#aq">II.</hi> 470 f.</note> Völlig verblendet durch ihren Ab-<lb/> ſcheu vor der Revolution, bemerkten die Höfe kaum noch, daß Metter-<lb/> nich’s unparteiiſcher Vorſchlag in Wahrheit darauf hinauslief, nur eine<lb/> Partei anzuhören. Für die ſchauſpieleriſchen Neigungen des Stifters<lb/> der Heiligen Allianz war es ein verlockender Gedanke, daß der hohe Ge-<lb/> richtshof Europas einen König feierlich vor ſeine Schranken rufen ſollte.<lb/> Aber auch König Friedrich Wilhelm und ſeine Räthe boten unbedenklich<lb/> ihre Hand zu dem Poſſenſpiele eines völkergerichtlichen Scheinverfahrens,<lb/> deſſen gleichen ſie in Preußen ſelbſt ſicherlich nie geduldet hätten. Es<lb/> iſt der Fluch großer politiſcher Verſammlungen, daß ſie das Rechtsgefühl<lb/> abſtumpfen, weil ſich die Verantwortung auf viele Köpfe vertheilt; Par-<lb/> lamente und Diplomatencongreſſe handeln leichter gewiſſenlos als einzelne<lb/> Staatsmänner. Da der preußiſche Hof ſich an der Intervention in Neapel<lb/> keinenfalls unmittelbar betheiligen wollte, ſo hielt er auch nicht für nöthig<lb/> die Lauterkeit der vorgeſchlagenen Mittel ſtreng zu prüfen.</p><lb/> <p>Genug, zuerſt die Preußen, dann die Ruſſen genehmigten den öſter-<lb/> reichiſchen Antrag, und nunmehr ward die gemeinſame diplomatiſche<lb/> Action der Oſtmächte in guter Eintracht rüſtig vorbereitet. Da erhielt<lb/> der Czar am 15. Nov. aus Petersburg die Kunde, das berühmte Seme-<lb/> now’ſche Garderegiment habe ſeinem verhaßten Oberſten den Gehorſam<lb/> verweigert. Die Meuterei war ohne jeden politiſchen Hintergrund, und<lb/> General Witzleben gab daher dem Kaiſer mit ſeiner gewohnten Gradheit<lb/> den guten Rath, er möge, um die Wiederkehr ſolcher Zuchtloſigkeit zu<lb/> verhindern, für eine menſchlichere Behandlung der Mannſchaften ſorgen,<lb/> die Unredlichkeit der Heeresverwaltung beſeitigen. Doch da das Ereigniß<lb/> in den Zeitungen als eine gefährliche Verſchwörung dargeſtellt wurde und<lb/> der Czar ſelbſt ſchon ſeit zwei Jahren aus guten Gründen dem Geiſte<lb/> ſeines Heeres mißtraute, ſo ward er durch die peinliche Nachricht leb-<lb/> haft erregt und in ſeiner antirevolutionären Geſinnung von Neuem be-<lb/> ſtärkt.<note place="foot" n="**)">Eine oft wiederholte und mit manchen romanhaften Zügen ausgeſchmückte Le-<lb/> gende behauptet, Metternich hätte die Nachricht aus Petersburg zuerſt erhalten und als-<lb/> dann durch gewandte Benutzung derſelben den überraſchten Czaren für die Pläne Oeſter-<lb/> reichs gewonnen. Seit Metternich’s hinterlaſſene Papiere erſchienen ſind, muß dieſe<lb/> Erzählung als märchenhaft angeſehen werden. Denn Metternich erzählt ſelbſt (<hi rendition="#aq">III</hi>, 355),<lb/> daß Kaiſer Alexander ihm den Vorfall zuerſt mitgetheilt habe, und legt auf die ganze<lb/> Sache wenig Werth. Ueberdies war die Verſtändigung zwiſchen den Kaiſerhöfen im<lb/> Weſentlichen ſchon vorher, am 6. und 7. Nov. erfolgt.</note></p><lb/> <p>Am 19. einigten ſich die Oſtmächte über ein vorläufiges Protokoll,<lb/> an deſſen Spitze der verhängnißvolle Satz ſtand: „die Staaten, welche<lb/> eine durch Aufruhr bewirkte Regierungs-Veränderung erlitten haben, deren<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [164/0180]
III. 3. Troppau und Laibach.
abredungen, wenn man über Neapels Zukunft nur unter Mitwirkung des
betheiligten Souveräns entſchied. *) Völlig verblendet durch ihren Ab-
ſcheu vor der Revolution, bemerkten die Höfe kaum noch, daß Metter-
nich’s unparteiiſcher Vorſchlag in Wahrheit darauf hinauslief, nur eine
Partei anzuhören. Für die ſchauſpieleriſchen Neigungen des Stifters
der Heiligen Allianz war es ein verlockender Gedanke, daß der hohe Ge-
richtshof Europas einen König feierlich vor ſeine Schranken rufen ſollte.
Aber auch König Friedrich Wilhelm und ſeine Räthe boten unbedenklich
ihre Hand zu dem Poſſenſpiele eines völkergerichtlichen Scheinverfahrens,
deſſen gleichen ſie in Preußen ſelbſt ſicherlich nie geduldet hätten. Es
iſt der Fluch großer politiſcher Verſammlungen, daß ſie das Rechtsgefühl
abſtumpfen, weil ſich die Verantwortung auf viele Köpfe vertheilt; Par-
lamente und Diplomatencongreſſe handeln leichter gewiſſenlos als einzelne
Staatsmänner. Da der preußiſche Hof ſich an der Intervention in Neapel
keinenfalls unmittelbar betheiligen wollte, ſo hielt er auch nicht für nöthig
die Lauterkeit der vorgeſchlagenen Mittel ſtreng zu prüfen.
Genug, zuerſt die Preußen, dann die Ruſſen genehmigten den öſter-
reichiſchen Antrag, und nunmehr ward die gemeinſame diplomatiſche
Action der Oſtmächte in guter Eintracht rüſtig vorbereitet. Da erhielt
der Czar am 15. Nov. aus Petersburg die Kunde, das berühmte Seme-
now’ſche Garderegiment habe ſeinem verhaßten Oberſten den Gehorſam
verweigert. Die Meuterei war ohne jeden politiſchen Hintergrund, und
General Witzleben gab daher dem Kaiſer mit ſeiner gewohnten Gradheit
den guten Rath, er möge, um die Wiederkehr ſolcher Zuchtloſigkeit zu
verhindern, für eine menſchlichere Behandlung der Mannſchaften ſorgen,
die Unredlichkeit der Heeresverwaltung beſeitigen. Doch da das Ereigniß
in den Zeitungen als eine gefährliche Verſchwörung dargeſtellt wurde und
der Czar ſelbſt ſchon ſeit zwei Jahren aus guten Gründen dem Geiſte
ſeines Heeres mißtraute, ſo ward er durch die peinliche Nachricht leb-
haft erregt und in ſeiner antirevolutionären Geſinnung von Neuem be-
ſtärkt. **)
Am 19. einigten ſich die Oſtmächte über ein vorläufiges Protokoll,
an deſſen Spitze der verhängnißvolle Satz ſtand: „die Staaten, welche
eine durch Aufruhr bewirkte Regierungs-Veränderung erlitten haben, deren
*) S. o. II. 470 f.
**) Eine oft wiederholte und mit manchen romanhaften Zügen ausgeſchmückte Le-
gende behauptet, Metternich hätte die Nachricht aus Petersburg zuerſt erhalten und als-
dann durch gewandte Benutzung derſelben den überraſchten Czaren für die Pläne Oeſter-
reichs gewonnen. Seit Metternich’s hinterlaſſene Papiere erſchienen ſind, muß dieſe
Erzählung als märchenhaft angeſehen werden. Denn Metternich erzählt ſelbſt (III, 355),
daß Kaiſer Alexander ihm den Vorfall zuerſt mitgetheilt habe, und legt auf die ganze
Sache wenig Werth. Ueberdies war die Verſtändigung zwiſchen den Kaiſerhöfen im
Weſentlichen ſchon vorher, am 6. und 7. Nov. erfolgt.
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