stellern, die sich einst in Aachen an die Monarchen herangedrängt hatten. Mit dem Regenwetter des Herbstes stellte sich freilich auch die kleinstädtische Langeweile ein. Außer der Freundin Gentz's, der geistreichen Gräfin Ur- ban ließ sich kaum jemals eine Dame in den Salons blicken, und die meisten der versammelten Staatsmänner glaubten wirklich einer großen Sache ein schweres Opfer zu bringen, indem sie wochenlang in der Ein- tönigkeit dieses diplomatischen Mönchslebens aushielten. Die Vertreter der Westmächte befleißigten sich einer so ängstlichen Zurückhaltung, daß ein gemeinsames Vorgehen der fünf Höfe von vornherein fast unmöglich schien. Lord Stewart war von seinem Bruder angewiesen, alle Beschlüsse womöglich nur zum Bericht zu nehmen, weil die englische Regierung nicht glaube, daß die Bestimmungen des großen Bundesvertrags sich auf die italienische Frage anwenden ließen. Er weigerte sich gleich in der ersten Sitzung am 27. Okt., ein Protokoll zu unterzeichnen, und man mußte sich mit einem von Gentz geführten Journale behelfen.*) Darum fanden auch nur wenige förmliche Sitzungen statt.
Die Entscheidung erfolgte durch vertrauliche Unterredungen, und diesen steckte Metternich sicheren Blicks sogleich ein greifbares Ziel, indem er bald nach Eröffnung des Congresses dem preußischen Staatskanzler sagte: Wir, die Ostmächte sollten vorangehen, da in den Grundsätzen Alles einig ist, und keine Zeit mit Verhandlungen verlieren, die weder in London noch in Paris zum Ziele führen können.**) Es galt also, zunächst den Czaren ganz für die österreichische Ansicht zu gewinnen und einen einmüthigen Beschluß der drei freiesten und gesündesten Staaten -- wie Metternich die Ostmächte nannte -- herbeizuführen; dann schien mindestens die still- schweigende Zustimmung der beiden unfreien, durch parlamentarische Rück- sichten gebundenen Cabinette möglich. Preußen begnügte sich dabei mit der bescheidenen Rolle des Vermittlers zwischen den beiden Kaisermächten. Dem Könige erschien in der düstern Laune, die ihn jetzt beherrschte, der Zwang der höfischen Gesellschaft noch unleidlicher als sonst; sichtlich un- lustig, traf er erst am 7. Nov. in Troppau ein und schützte bald ein Un- wohlsein vor, um den Congreß schon nach vierzehn Tagen wieder zu ver- lassen. Bernstorff wurde durch einen Gichtanfall an das Bett gefesselt; dem Staatskanzler aber lagen seine preußischen Sorgen näher am Herzen als die wälschen Streitigkeiten, er überließ die Leitung der Verhandlungen vertrauensvoll seinem österreichischen Freunde, ohne zu errathen, wie arg- wöhnisch dieser ihn selber betrachtete.
Für Metternich war jetzt die Stunde gekommen, seine ganze diplo- matische Gewandtheit zu entfalten; es kostete ihn einige Tage heißer Ar-
*) Castlereagh, Weisung an Stewart, 15. Okt.; Hardenberg's und Bernstorff's Bericht, 27. Okt. 1820.
**) Hardenberg's Tagebuch, 25. Okt. 1820.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 11
Eröffnung des Troppauer Congreſſes.
ſtellern, die ſich einſt in Aachen an die Monarchen herangedrängt hatten. Mit dem Regenwetter des Herbſtes ſtellte ſich freilich auch die kleinſtädtiſche Langeweile ein. Außer der Freundin Gentz’s, der geiſtreichen Gräfin Ur- ban ließ ſich kaum jemals eine Dame in den Salons blicken, und die meiſten der verſammelten Staatsmänner glaubten wirklich einer großen Sache ein ſchweres Opfer zu bringen, indem ſie wochenlang in der Ein- tönigkeit dieſes diplomatiſchen Mönchslebens aushielten. Die Vertreter der Weſtmächte befleißigten ſich einer ſo ängſtlichen Zurückhaltung, daß ein gemeinſames Vorgehen der fünf Höfe von vornherein faſt unmöglich ſchien. Lord Stewart war von ſeinem Bruder angewieſen, alle Beſchlüſſe womöglich nur zum Bericht zu nehmen, weil die engliſche Regierung nicht glaube, daß die Beſtimmungen des großen Bundesvertrags ſich auf die italieniſche Frage anwenden ließen. Er weigerte ſich gleich in der erſten Sitzung am 27. Okt., ein Protokoll zu unterzeichnen, und man mußte ſich mit einem von Gentz geführten Journale behelfen.*) Darum fanden auch nur wenige förmliche Sitzungen ſtatt.
Die Entſcheidung erfolgte durch vertrauliche Unterredungen, und dieſen ſteckte Metternich ſicheren Blicks ſogleich ein greifbares Ziel, indem er bald nach Eröffnung des Congreſſes dem preußiſchen Staatskanzler ſagte: Wir, die Oſtmächte ſollten vorangehen, da in den Grundſätzen Alles einig iſt, und keine Zeit mit Verhandlungen verlieren, die weder in London noch in Paris zum Ziele führen können.**) Es galt alſo, zunächſt den Czaren ganz für die öſterreichiſche Anſicht zu gewinnen und einen einmüthigen Beſchluß der drei freieſten und geſündeſten Staaten — wie Metternich die Oſtmächte nannte — herbeizuführen; dann ſchien mindeſtens die ſtill- ſchweigende Zuſtimmung der beiden unfreien, durch parlamentariſche Rück- ſichten gebundenen Cabinette möglich. Preußen begnügte ſich dabei mit der beſcheidenen Rolle des Vermittlers zwiſchen den beiden Kaiſermächten. Dem Könige erſchien in der düſtern Laune, die ihn jetzt beherrſchte, der Zwang der höfiſchen Geſellſchaft noch unleidlicher als ſonſt; ſichtlich un- luſtig, traf er erſt am 7. Nov. in Troppau ein und ſchützte bald ein Un- wohlſein vor, um den Congreß ſchon nach vierzehn Tagen wieder zu ver- laſſen. Bernſtorff wurde durch einen Gichtanfall an das Bett gefeſſelt; dem Staatskanzler aber lagen ſeine preußiſchen Sorgen näher am Herzen als die wälſchen Streitigkeiten, er überließ die Leitung der Verhandlungen vertrauensvoll ſeinem öſterreichiſchen Freunde, ohne zu errathen, wie arg- wöhniſch dieſer ihn ſelber betrachtete.
Für Metternich war jetzt die Stunde gekommen, ſeine ganze diplo- matiſche Gewandtheit zu entfalten; es koſtete ihn einige Tage heißer Ar-
*) Caſtlereagh, Weiſung an Stewart, 15. Okt.; Hardenberg’s und Bernſtorff’s Bericht, 27. Okt. 1820.
**) Hardenberg’s Tagebuch, 25. Okt. 1820.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 11
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Mit dem Regenwetter des Herbſtes ſtellte ſich freilich auch die kleinſtädtiſche
Langeweile ein. Außer der Freundin Gentz’s, der geiſtreichen Gräfin Ur-
ban ließ ſich kaum jemals eine Dame in den Salons blicken, und die
meiſten der verſammelten Staatsmänner glaubten wirklich einer großen
Sache ein ſchweres Opfer zu bringen, indem ſie wochenlang in der Ein-
tönigkeit dieſes diplomatiſchen Mönchslebens aushielten. Die Vertreter
der Weſtmächte befleißigten ſich einer ſo ängſtlichen Zurückhaltung, daß
ein gemeinſames Vorgehen der fünf Höfe von vornherein faſt unmöglich
ſchien. Lord Stewart war von ſeinem Bruder angewieſen, alle Beſchlüſſe
womöglich nur zum Bericht zu nehmen, weil die engliſche Regierung nicht
glaube, daß die Beſtimmungen des großen Bundesvertrags ſich auf die
italieniſche Frage anwenden ließen. Er weigerte ſich gleich in der erſten
Sitzung am 27. Okt., ein Protokoll zu unterzeichnen, und man mußte
ſich mit einem von Gentz geführten Journale behelfen. *) Darum fanden
auch nur wenige förmliche Sitzungen ſtatt.
Die Entſcheidung erfolgte durch vertrauliche Unterredungen, und dieſen
ſteckte Metternich ſicheren Blicks ſogleich ein greifbares Ziel, indem er bald
nach Eröffnung des Congreſſes dem preußiſchen Staatskanzler ſagte: Wir,
die Oſtmächte ſollten vorangehen, da in den Grundſätzen Alles einig iſt,
und keine Zeit mit Verhandlungen verlieren, die weder in London noch in
Paris zum Ziele führen können. **) Es galt alſo, zunächſt den Czaren
ganz für die öſterreichiſche Anſicht zu gewinnen und einen einmüthigen
Beſchluß der drei freieſten und geſündeſten Staaten — wie Metternich
die Oſtmächte nannte — herbeizuführen; dann ſchien mindeſtens die ſtill-
ſchweigende Zuſtimmung der beiden unfreien, durch parlamentariſche Rück-
ſichten gebundenen Cabinette möglich. Preußen begnügte ſich dabei mit der
beſcheidenen Rolle des Vermittlers zwiſchen den beiden Kaiſermächten.
Dem Könige erſchien in der düſtern Laune, die ihn jetzt beherrſchte, der
Zwang der höfiſchen Geſellſchaft noch unleidlicher als ſonſt; ſichtlich un-
luſtig, traf er erſt am 7. Nov. in Troppau ein und ſchützte bald ein Un-
wohlſein vor, um den Congreß ſchon nach vierzehn Tagen wieder zu ver-
laſſen. Bernſtorff wurde durch einen Gichtanfall an das Bett gefeſſelt;
dem Staatskanzler aber lagen ſeine preußiſchen Sorgen näher am Herzen
als die wälſchen Streitigkeiten, er überließ die Leitung der Verhandlungen
vertrauensvoll ſeinem öſterreichiſchen Freunde, ohne zu errathen, wie arg-
wöhniſch dieſer ihn ſelber betrachtete.
Für Metternich war jetzt die Stunde gekommen, ſeine ganze diplo-
matiſche Gewandtheit zu entfalten; es koſtete ihn einige Tage heißer Ar-
*) Caſtlereagh, Weiſung an Stewart, 15. Okt.; Hardenberg’s und Bernſtorff’s
Bericht, 27. Okt. 1820.
**) Hardenberg’s Tagebuch, 25. Okt. 1820.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 11
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/177>, abgerufen am 22.07.2024.
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