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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 3. Troppau und Laibach.
schaden, die Wasserfluth und die Feuersbrunst. Diesmal eröffnete der
Vulkan den Reigen. "Europa ruht auf einem Vulkan," begann die
Denkschrift wehmüthig, die Lavamassen der ersten Revolution bedecken
noch Frankreichs Umgebungen, und schon ist der kaum wiederhergestellte
Grundsatz der Legitimität aufs Neue erschüttert. "Die Aufgabe scheint
für die Menschen zu schwer gewesen zu sein; Gott allein steht es zu,
die Welt zu regieren und durch eine einzige Willensthat feste und un-
wandelbare Gesetze zu begründen." Von den revolutionären Staaten
Frankreich, Italien, Spanien, Deutschland, galt Italien dem Oesterreicher
immerhin noch als das glücklichste Land -- wenige Wochen bevor die Re-
volution in Neapel ausbrach: dort herrsche leidliche Ruhe, Dank der
Klugheit der Regierungen. Unter den conservativen Mächten stellte er
natürlich sein Oesterreich am höchsten; denn dieser Staat "bewahrt vor
seinen Nachbarn den Vorzug seiner alten Gesetze, die Kraft seiner bunten
Zusammensetzung (la force de ses subdivisions) und die Macht der Ge-
wohnheiten." Mit Hilfe der Feuersbrunst zog er sodann aus dieser dü-
steren Schilderung des Bestehenden einige noch traurigere Schlüsse: "Bei
Feuersbrünsten wird es oft unmöglich, die brennenden Gebäude zu retten
und die Vorsicht sieht sich darauf beschränkt, die noch nicht vom Feuer
ergriffenen zu retten." Darauf folgte gar die in diesem Munde unbe-
greifliche Versicherung: die Geschichte aller Völker lehrt "daß fremde Ein-
mischung die Erfolge einer Revolution niemals aufgehalten oder geregelt
hat, es sei denn in Ländern von mäßiger Ausdehnung." Und so bleibe denn
für jetzt nur übrig: feste moralische Verbindung und lebendiger Gedanken-
austausch zwischen den großen Höfen, gemeinsames Vorgehen gegen die
falschen Doktrinen u. s. w. Eine Fülle von Schmeicheleien für Kaiser
Alexander bildete den Schluß. Sie konnte den Czaren nicht darüber
täuschen, daß Oesterreich in die spanischen Händel bis auf Weiteres nicht
eingreifen wollte. Da der Wiener Hof dies überdies am 5. Juni förm-
lich erklärte und auch Preußen zu Anfang Juli in ähnlichem Sinne ant-
wortete, so mußte der Czar seine Pläne aufgeben. Spanien war durch
die Gunst seiner geographischen Lage und durch Frankreichs Schwäche vor-
läufig vor jedem Angriff gesichert. --

Die friedfertige Stimmung des Wiener Hofes schlug aber sofort und
vollständig um, als am 22. Juli die Nachricht von dem Beginn der italie-
nischen Revolution einlief, eine Schreckensbotschaft, die um so peinlicher
überraschte, weil der Gesandte in Neapel soeben erst gemeldet hatte, dort
sei alle Welt über die Thorheit der spanischen Rebellen empört.*) Da
waren alle die salbungsvollen Versicherungen, daß Gott allein die Welt
regiere und fremde Einmischung niemals eine Revolution zu hemmen ver-
möge, augenblicklich vergessen. In einem donnernden Artikel verkündete

*) Krusemark's Bericht, 8. Mai 1820.

III. 3. Troppau und Laibach.
ſchaden, die Waſſerfluth und die Feuersbrunſt. Diesmal eröffnete der
Vulkan den Reigen. „Europa ruht auf einem Vulkan,“ begann die
Denkſchrift wehmüthig, die Lavamaſſen der erſten Revolution bedecken
noch Frankreichs Umgebungen, und ſchon iſt der kaum wiederhergeſtellte
Grundſatz der Legitimität aufs Neue erſchüttert. „Die Aufgabe ſcheint
für die Menſchen zu ſchwer geweſen zu ſein; Gott allein ſteht es zu,
die Welt zu regieren und durch eine einzige Willensthat feſte und un-
wandelbare Geſetze zu begründen.“ Von den revolutionären Staaten
Frankreich, Italien, Spanien, Deutſchland, galt Italien dem Oeſterreicher
immerhin noch als das glücklichſte Land — wenige Wochen bevor die Re-
volution in Neapel ausbrach: dort herrſche leidliche Ruhe, Dank der
Klugheit der Regierungen. Unter den conſervativen Mächten ſtellte er
natürlich ſein Oeſterreich am höchſten; denn dieſer Staat „bewahrt vor
ſeinen Nachbarn den Vorzug ſeiner alten Geſetze, die Kraft ſeiner bunten
Zuſammenſetzung (la force de ses subdivisions) und die Macht der Ge-
wohnheiten.“ Mit Hilfe der Feuersbrunſt zog er ſodann aus dieſer dü-
ſteren Schilderung des Beſtehenden einige noch traurigere Schlüſſe: „Bei
Feuersbrünſten wird es oft unmöglich, die brennenden Gebäude zu retten
und die Vorſicht ſieht ſich darauf beſchränkt, die noch nicht vom Feuer
ergriffenen zu retten.“ Darauf folgte gar die in dieſem Munde unbe-
greifliche Verſicherung: die Geſchichte aller Völker lehrt „daß fremde Ein-
miſchung die Erfolge einer Revolution niemals aufgehalten oder geregelt
hat, es ſei denn in Ländern von mäßiger Ausdehnung.“ Und ſo bleibe denn
für jetzt nur übrig: feſte moraliſche Verbindung und lebendiger Gedanken-
austauſch zwiſchen den großen Höfen, gemeinſames Vorgehen gegen die
falſchen Doktrinen u. ſ. w. Eine Fülle von Schmeicheleien für Kaiſer
Alexander bildete den Schluß. Sie konnte den Czaren nicht darüber
täuſchen, daß Oeſterreich in die ſpaniſchen Händel bis auf Weiteres nicht
eingreifen wollte. Da der Wiener Hof dies überdies am 5. Juni förm-
lich erklärte und auch Preußen zu Anfang Juli in ähnlichem Sinne ant-
wortete, ſo mußte der Czar ſeine Pläne aufgeben. Spanien war durch
die Gunſt ſeiner geographiſchen Lage und durch Frankreichs Schwäche vor-
läufig vor jedem Angriff geſichert. —

Die friedfertige Stimmung des Wiener Hofes ſchlug aber ſofort und
vollſtändig um, als am 22. Juli die Nachricht von dem Beginn der italie-
niſchen Revolution einlief, eine Schreckensbotſchaft, die um ſo peinlicher
überraſchte, weil der Geſandte in Neapel ſoeben erſt gemeldet hatte, dort
ſei alle Welt über die Thorheit der ſpaniſchen Rebellen empört.*) Da
waren alle die ſalbungsvollen Verſicherungen, daß Gott allein die Welt
regiere und fremde Einmiſchung niemals eine Revolution zu hemmen ver-
möge, augenblicklich vergeſſen. In einem donnernden Artikel verkündete

*) Kruſemark’s Bericht, 8. Mai 1820.
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[154/0170] III. 3. Troppau und Laibach. ſchaden, die Waſſerfluth und die Feuersbrunſt. Diesmal eröffnete der Vulkan den Reigen. „Europa ruht auf einem Vulkan,“ begann die Denkſchrift wehmüthig, die Lavamaſſen der erſten Revolution bedecken noch Frankreichs Umgebungen, und ſchon iſt der kaum wiederhergeſtellte Grundſatz der Legitimität aufs Neue erſchüttert. „Die Aufgabe ſcheint für die Menſchen zu ſchwer geweſen zu ſein; Gott allein ſteht es zu, die Welt zu regieren und durch eine einzige Willensthat feſte und un- wandelbare Geſetze zu begründen.“ Von den revolutionären Staaten Frankreich, Italien, Spanien, Deutſchland, galt Italien dem Oeſterreicher immerhin noch als das glücklichſte Land — wenige Wochen bevor die Re- volution in Neapel ausbrach: dort herrſche leidliche Ruhe, Dank der Klugheit der Regierungen. Unter den conſervativen Mächten ſtellte er natürlich ſein Oeſterreich am höchſten; denn dieſer Staat „bewahrt vor ſeinen Nachbarn den Vorzug ſeiner alten Geſetze, die Kraft ſeiner bunten Zuſammenſetzung (la force de ses subdivisions) und die Macht der Ge- wohnheiten.“ Mit Hilfe der Feuersbrunſt zog er ſodann aus dieſer dü- ſteren Schilderung des Beſtehenden einige noch traurigere Schlüſſe: „Bei Feuersbrünſten wird es oft unmöglich, die brennenden Gebäude zu retten und die Vorſicht ſieht ſich darauf beſchränkt, die noch nicht vom Feuer ergriffenen zu retten.“ Darauf folgte gar die in dieſem Munde unbe- greifliche Verſicherung: die Geſchichte aller Völker lehrt „daß fremde Ein- miſchung die Erfolge einer Revolution niemals aufgehalten oder geregelt hat, es ſei denn in Ländern von mäßiger Ausdehnung.“ Und ſo bleibe denn für jetzt nur übrig: feſte moraliſche Verbindung und lebendiger Gedanken- austauſch zwiſchen den großen Höfen, gemeinſames Vorgehen gegen die falſchen Doktrinen u. ſ. w. Eine Fülle von Schmeicheleien für Kaiſer Alexander bildete den Schluß. Sie konnte den Czaren nicht darüber täuſchen, daß Oeſterreich in die ſpaniſchen Händel bis auf Weiteres nicht eingreifen wollte. Da der Wiener Hof dies überdies am 5. Juni förm- lich erklärte und auch Preußen zu Anfang Juli in ähnlichem Sinne ant- wortete, ſo mußte der Czar ſeine Pläne aufgeben. Spanien war durch die Gunſt ſeiner geographiſchen Lage und durch Frankreichs Schwäche vor- läufig vor jedem Angriff geſichert. — Die friedfertige Stimmung des Wiener Hofes ſchlug aber ſofort und vollſtändig um, als am 22. Juli die Nachricht von dem Beginn der italie- niſchen Revolution einlief, eine Schreckensbotſchaft, die um ſo peinlicher überraſchte, weil der Geſandte in Neapel ſoeben erſt gemeldet hatte, dort ſei alle Welt über die Thorheit der ſpaniſchen Rebellen empört. *) Da waren alle die ſalbungsvollen Verſicherungen, daß Gott allein die Welt regiere und fremde Einmiſchung niemals eine Revolution zu hemmen ver- möge, augenblicklich vergeſſen. In einem donnernden Artikel verkündete *) Kruſemark’s Bericht, 8. Mai 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/170>, abgerufen am 26.11.2024.