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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Spanien und die Großmächte.
deutschen Höfe den Gedanken einer europäischen Intervention von sich
weisen, obwohl Hardenberg gegen eine gemeinsame Berathung der Pariser
Gesandten nichts einzuwenden fand. Beide betrachteten Spanien für
jetzt als einen verlorenen Posten; die Ruhe Frankreichs galt ihnen mehr
als jene entlegenen Händel. Die Thatenlust des Czaren hatte in Wien von
Neuem das alte Mißtrauen gegen Rußland erweckt; auch die zweideutige
Haltung des Petersburger Cabinets nach den Karlsbader Beschlüssen blieb
in der Hofburg unvergessen, und soeben waren aus der Balkanhalbinsel
wieder beunruhigende Nachrichten über die Umtriebe russischer Agenten
eingelaufen.*) Darum empfahl Metternich jetzt abermals, wie vor zwei
Jahren**), den Abschluß eines geheimen Sonderbündnisses zwischen den deut-
schen Mächten, das seine Spitze nöthigenfalls wider Rußland kehren sollte.
Aber auch diesmal lehnte Preußen die Zumuthung ab; denn der König blieb
unerschütterlich des Glaubens, daß nur der Bund der drei Ostmächte den
Weltfrieden sichern könne, und auch Bernstorff fand den Vorschlag Met-
ternich's weder klug noch redlich. "Wir müssen, schrieb er an Ancillon,
Rußland gegenüber durchaus aufrichtig bleiben und wollen vor ihm weder
ein Unrecht zu verbergen noch ein Unrecht zu gestehen haben. Unsere
Freundschaft mit Oesterreich kann nie zu eng und nie zu stark werden,
aber sie muß vollkommen frei und ein reines Vertrauensverhältniß bleiben.
Der Vortheil, den wir uns davon versprechen, würde vernichtet werden
durch den ersten geschriebenen Buchstaben, der uns einer förmlichen und
bestimmten Verpflichtung unterwürfe."***)

Nach diesem Mißerfolge in Berlin versuchte Metternich sein Glück
bei dem Czaren selber und sendete im Mai dem Gesandten Lebzeltern eine
lange, für den Kaiser persönlich bestimmte Denkschrift. Bernstorff nannte
diese Arbeit seines Wiener Freundes ganz unklar, schwach, verworren,
und in der That war kaum jemals ein armseligeres Schriftstück aus
Metternich's fruchtbarer Feder geflossen; denn da er mit seinen liberalen
Gegnern die Vorliebe für doktrinäre Sätze theilte, so hatte er auch jetzt
seinen Widerspruch gegen eine europäische Intervention, der sich doch nur
aus der augenblicklichen Lage der Großmächte ergab, in die Form allge-
meiner politischer Maximen eingekleidet und war also, ohne es zu merken,
zu einer Theorie der Nicht-Intervention gelangt, welche den so oft wieder-
holten Grundsätzen der Stabilitätspolitik schnurstracks zuwiderlief.+)

Metternich's Phantasie hatte nur fünf Metaphern in ihrem Vermögen,
welche sich allesammt auf die Revolutionsgefahr bezogen und der diploma-
tischen Welt bereits geläufig waren: den Vulkan, die Pest, den Krebs-

*) Krusemark's Berichte, 16. Jan., 10. April, 15., 22. Mai 1820.
**) S. o. II. 123.
***) Bernstorff an Ancillon, 16. April 1820.
+) Metternich's Denkschrift über die spanische Revolution (an Lebzeltern, Mai 1820).
Bernstorff an Ancillon, 20. Mai 1820.

Spanien und die Großmächte.
deutſchen Höfe den Gedanken einer europäiſchen Intervention von ſich
weiſen, obwohl Hardenberg gegen eine gemeinſame Berathung der Pariſer
Geſandten nichts einzuwenden fand. Beide betrachteten Spanien für
jetzt als einen verlorenen Poſten; die Ruhe Frankreichs galt ihnen mehr
als jene entlegenen Händel. Die Thatenluſt des Czaren hatte in Wien von
Neuem das alte Mißtrauen gegen Rußland erweckt; auch die zweideutige
Haltung des Petersburger Cabinets nach den Karlsbader Beſchlüſſen blieb
in der Hofburg unvergeſſen, und ſoeben waren aus der Balkanhalbinſel
wieder beunruhigende Nachrichten über die Umtriebe ruſſiſcher Agenten
eingelaufen.*) Darum empfahl Metternich jetzt abermals, wie vor zwei
Jahren**), den Abſchluß eines geheimen Sonderbündniſſes zwiſchen den deut-
ſchen Mächten, das ſeine Spitze nöthigenfalls wider Rußland kehren ſollte.
Aber auch diesmal lehnte Preußen die Zumuthung ab; denn der König blieb
unerſchütterlich des Glaubens, daß nur der Bund der drei Oſtmächte den
Weltfrieden ſichern könne, und auch Bernſtorff fand den Vorſchlag Met-
ternich’s weder klug noch redlich. „Wir müſſen, ſchrieb er an Ancillon,
Rußland gegenüber durchaus aufrichtig bleiben und wollen vor ihm weder
ein Unrecht zu verbergen noch ein Unrecht zu geſtehen haben. Unſere
Freundſchaft mit Oeſterreich kann nie zu eng und nie zu ſtark werden,
aber ſie muß vollkommen frei und ein reines Vertrauensverhältniß bleiben.
Der Vortheil, den wir uns davon verſprechen, würde vernichtet werden
durch den erſten geſchriebenen Buchſtaben, der uns einer förmlichen und
beſtimmten Verpflichtung unterwürfe.“***)

Nach dieſem Mißerfolge in Berlin verſuchte Metternich ſein Glück
bei dem Czaren ſelber und ſendete im Mai dem Geſandten Lebzeltern eine
lange, für den Kaiſer perſönlich beſtimmte Denkſchrift. Bernſtorff nannte
dieſe Arbeit ſeines Wiener Freundes ganz unklar, ſchwach, verworren,
und in der That war kaum jemals ein armſeligeres Schriftſtück aus
Metternich’s fruchtbarer Feder gefloſſen; denn da er mit ſeinen liberalen
Gegnern die Vorliebe für doktrinäre Sätze theilte, ſo hatte er auch jetzt
ſeinen Widerſpruch gegen eine europäiſche Intervention, der ſich doch nur
aus der augenblicklichen Lage der Großmächte ergab, in die Form allge-
meiner politiſcher Maximen eingekleidet und war alſo, ohne es zu merken,
zu einer Theorie der Nicht-Intervention gelangt, welche den ſo oft wieder-
holten Grundſätzen der Stabilitätspolitik ſchnurſtracks zuwiderlief.†)

Metternich’s Phantaſie hatte nur fünf Metaphern in ihrem Vermögen,
welche ſich alleſammt auf die Revolutionsgefahr bezogen und der diploma-
tiſchen Welt bereits geläufig waren: den Vulkan, die Peſt, den Krebs-

*) Kruſemark’s Berichte, 16. Jan., 10. April, 15., 22. Mai 1820.
**) S. o. II. 123.
***) Bernſtorff an Ancillon, 16. April 1820.
†) Metternich’s Denkſchrift über die ſpaniſche Revolution (an Lebzeltern, Mai 1820).
Bernſtorff an Ancillon, 20. Mai 1820.
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[153/0169] Spanien und die Großmächte. deutſchen Höfe den Gedanken einer europäiſchen Intervention von ſich weiſen, obwohl Hardenberg gegen eine gemeinſame Berathung der Pariſer Geſandten nichts einzuwenden fand. Beide betrachteten Spanien für jetzt als einen verlorenen Poſten; die Ruhe Frankreichs galt ihnen mehr als jene entlegenen Händel. Die Thatenluſt des Czaren hatte in Wien von Neuem das alte Mißtrauen gegen Rußland erweckt; auch die zweideutige Haltung des Petersburger Cabinets nach den Karlsbader Beſchlüſſen blieb in der Hofburg unvergeſſen, und ſoeben waren aus der Balkanhalbinſel wieder beunruhigende Nachrichten über die Umtriebe ruſſiſcher Agenten eingelaufen. *) Darum empfahl Metternich jetzt abermals, wie vor zwei Jahren **), den Abſchluß eines geheimen Sonderbündniſſes zwiſchen den deut- ſchen Mächten, das ſeine Spitze nöthigenfalls wider Rußland kehren ſollte. Aber auch diesmal lehnte Preußen die Zumuthung ab; denn der König blieb unerſchütterlich des Glaubens, daß nur der Bund der drei Oſtmächte den Weltfrieden ſichern könne, und auch Bernſtorff fand den Vorſchlag Met- ternich’s weder klug noch redlich. „Wir müſſen, ſchrieb er an Ancillon, Rußland gegenüber durchaus aufrichtig bleiben und wollen vor ihm weder ein Unrecht zu verbergen noch ein Unrecht zu geſtehen haben. Unſere Freundſchaft mit Oeſterreich kann nie zu eng und nie zu ſtark werden, aber ſie muß vollkommen frei und ein reines Vertrauensverhältniß bleiben. Der Vortheil, den wir uns davon verſprechen, würde vernichtet werden durch den erſten geſchriebenen Buchſtaben, der uns einer förmlichen und beſtimmten Verpflichtung unterwürfe.“ ***) Nach dieſem Mißerfolge in Berlin verſuchte Metternich ſein Glück bei dem Czaren ſelber und ſendete im Mai dem Geſandten Lebzeltern eine lange, für den Kaiſer perſönlich beſtimmte Denkſchrift. Bernſtorff nannte dieſe Arbeit ſeines Wiener Freundes ganz unklar, ſchwach, verworren, und in der That war kaum jemals ein armſeligeres Schriftſtück aus Metternich’s fruchtbarer Feder gefloſſen; denn da er mit ſeinen liberalen Gegnern die Vorliebe für doktrinäre Sätze theilte, ſo hatte er auch jetzt ſeinen Widerſpruch gegen eine europäiſche Intervention, der ſich doch nur aus der augenblicklichen Lage der Großmächte ergab, in die Form allge- meiner politiſcher Maximen eingekleidet und war alſo, ohne es zu merken, zu einer Theorie der Nicht-Intervention gelangt, welche den ſo oft wieder- holten Grundſätzen der Stabilitätspolitik ſchnurſtracks zuwiderlief. †) Metternich’s Phantaſie hatte nur fünf Metaphern in ihrem Vermögen, welche ſich alleſammt auf die Revolutionsgefahr bezogen und der diploma- tiſchen Welt bereits geläufig waren: den Vulkan, die Peſt, den Krebs- *) Kruſemark’s Berichte, 16. Jan., 10. April, 15., 22. Mai 1820. **) S. o. II. 123. ***) Bernſtorff an Ancillon, 16. April 1820. †) Metternich’s Denkſchrift über die ſpaniſche Revolution (an Lebzeltern, Mai 1820). Bernſtorff an Ancillon, 20. Mai 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/169>, abgerufen am 26.11.2024.