vergessen pflegen, so wendeten sich bereits viele Blicke sehnsüchtig rück- wärts nach jenem Gewaltigen, der einst die legitimen Fürstenhäuser so unvergeßlich gedemüthigt hatte. Ganz ohne Wirkung war die emsige geheime Thätigkeit der Sendboten von St. Helena nicht geblieben. In den letzten Jahren seiner Herrschaft hatte sich der Erbe der Revolution nur noch als ein Despot gezeigt; jetzt im Elend kehrte der Bonapartis- mus der Welt wieder das demokratische Gesicht seines Januskopfes zu.
Alle die Briefe und Denkwürdigkeiten, mit denen der Verbannte den europäischen Büchermarkt überschwemmen ließ, erzählten rührsam, wie er sein Lebelang nur das eine Ziel verfolgt habe, den Franzosen nach der Wiederherstellung der Ordnung auch die Freiheit zu schenken; auf seine alten Tage hatte er sich mit einem Kreise aufgeklärter Menschen- freunde umgeben und diese als espions de vertu im Gefolge der Kai- serin in die Provinzen senden wollen, um überall die Klagen der Armen und Bedrängten entgegenzunehmen; lediglich durch die Kriegslust seiner neidischen Nachbarn war der Friedensfürst immer wieder gezwungen wor- den das Schwert zu ziehen und die Ausführung seiner Lieblingspläne zu vertagen. Die lächerlichen Märchen fanden doch schon manches wil- lige Ohr. In Frankreich und Polen wiederholten Tausende die zornige Klage Beranger's: adieu donc pauvre gloire; in allen Vasallenlanden des Imperators wurden die napoleonischen Erinnerungen wieder lebendig. Selbst in England gab es Unzufriedene, die in Napoleon's Sturz nur noch den Triumph der rohen Macht über den Genius sehen wollten, und Byron scheute sich nicht, die Ehrenlegion und die Tricolore als den Stern der Tapferen und den Regenbogen der Freien zu verherrlichen.
Mittlerweile unterhielten Eugen Beauharnais und seine Schwester Hortense von Baiern aus einen regen Verkehr mit Napoleon's Abge- sandten. Frau v. Abel und die Wittwe des Marschalls Ney vermittelten die Verbindung mit Frankreich; und ungeachtet der wiederholten Mahnun- gen der Großmächte konnte sich der gute König Max Joseph nicht ent- schließen, seinem Liebling Eugen das Handwerk zu legen.*) Eine bona- partistische Partei, welche geradeswegs die Herstellung des Kaiserreichs erstrebt hätte, bestand freilich nirgends mehr außerhalb dieses engen Krei- ses der Napoleoniden. Im Gefühl seiner Schwäche verband sich der Bonapartismus mit den radikalen Parteien; überall säte er Unfrieden und nährte den Groll wider das Bestehende; in allen revolutionären Geheimbünden Frankreichs, Italiens, Polens waren napoleonische Vete- ranen thätig. Die Presse war der Zornreden wider den Corsen endlich müde geworden; sie brachte jetzt häufig gefühlvolle Klagen über das harte Loos des "Gefangenen der Millionen", -- denn aus den Lügenberichten
*) Weisung an Zastrow, 12. Aug. 1818. Dessen Berichte, 29. Nov. 1818, 28. Sept. 1819, 1. Mai 1822 u. s. w.
Der Bonapartismus.
vergeſſen pflegen, ſo wendeten ſich bereits viele Blicke ſehnſüchtig rück- wärts nach jenem Gewaltigen, der einſt die legitimen Fürſtenhäuſer ſo unvergeßlich gedemüthigt hatte. Ganz ohne Wirkung war die emſige geheime Thätigkeit der Sendboten von St. Helena nicht geblieben. In den letzten Jahren ſeiner Herrſchaft hatte ſich der Erbe der Revolution nur noch als ein Despot gezeigt; jetzt im Elend kehrte der Bonapartis- mus der Welt wieder das demokratiſche Geſicht ſeines Januskopfes zu.
Alle die Briefe und Denkwürdigkeiten, mit denen der Verbannte den europäiſchen Büchermarkt überſchwemmen ließ, erzählten rührſam, wie er ſein Lebelang nur das eine Ziel verfolgt habe, den Franzoſen nach der Wiederherſtellung der Ordnung auch die Freiheit zu ſchenken; auf ſeine alten Tage hatte er ſich mit einem Kreiſe aufgeklärter Menſchen- freunde umgeben und dieſe als espions de vertu im Gefolge der Kai- ſerin in die Provinzen ſenden wollen, um überall die Klagen der Armen und Bedrängten entgegenzunehmen; lediglich durch die Kriegsluſt ſeiner neidiſchen Nachbarn war der Friedensfürſt immer wieder gezwungen wor- den das Schwert zu ziehen und die Ausführung ſeiner Lieblingspläne zu vertagen. Die lächerlichen Märchen fanden doch ſchon manches wil- lige Ohr. In Frankreich und Polen wiederholten Tauſende die zornige Klage Beranger’s: adieu donc pauvre gloire; in allen Vaſallenlanden des Imperators wurden die napoleoniſchen Erinnerungen wieder lebendig. Selbſt in England gab es Unzufriedene, die in Napoleon’s Sturz nur noch den Triumph der rohen Macht über den Genius ſehen wollten, und Byron ſcheute ſich nicht, die Ehrenlegion und die Tricolore als den Stern der Tapferen und den Regenbogen der Freien zu verherrlichen.
Mittlerweile unterhielten Eugen Beauharnais und ſeine Schweſter Hortenſe von Baiern aus einen regen Verkehr mit Napoleon’s Abge- ſandten. Frau v. Abel und die Wittwe des Marſchalls Ney vermittelten die Verbindung mit Frankreich; und ungeachtet der wiederholten Mahnun- gen der Großmächte konnte ſich der gute König Max Joſeph nicht ent- ſchließen, ſeinem Liebling Eugen das Handwerk zu legen.*) Eine bona- partiſtiſche Partei, welche geradeswegs die Herſtellung des Kaiſerreichs erſtrebt hätte, beſtand freilich nirgends mehr außerhalb dieſes engen Krei- ſes der Napoleoniden. Im Gefühl ſeiner Schwäche verband ſich der Bonapartismus mit den radikalen Parteien; überall ſäte er Unfrieden und nährte den Groll wider das Beſtehende; in allen revolutionären Geheimbünden Frankreichs, Italiens, Polens waren napoleoniſche Vete- ranen thätig. Die Preſſe war der Zornreden wider den Corſen endlich müde geworden; ſie brachte jetzt häufig gefühlvolle Klagen über das harte Loos des „Gefangenen der Millionen“, — denn aus den Lügenberichten
*) Weiſung an Zaſtrow, 12. Aug. 1818. Deſſen Berichte, 29. Nov. 1818, 28. Sept. 1819, 1. Mai 1822 u. ſ. w.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0165"n="149"/><fwplace="top"type="header">Der Bonapartismus.</fw><lb/>
vergeſſen pflegen, ſo wendeten ſich bereits viele Blicke ſehnſüchtig rück-<lb/>
wärts nach jenem Gewaltigen, der einſt die legitimen Fürſtenhäuſer ſo<lb/>
unvergeßlich gedemüthigt hatte. Ganz ohne Wirkung war die emſige<lb/>
geheime Thätigkeit der Sendboten von St. Helena nicht geblieben. In<lb/>
den letzten Jahren ſeiner Herrſchaft hatte ſich der Erbe der Revolution<lb/>
nur noch als ein Despot gezeigt; jetzt im Elend kehrte der Bonapartis-<lb/>
mus der Welt wieder das demokratiſche Geſicht ſeines Januskopfes zu.</p><lb/><p>Alle die Briefe und Denkwürdigkeiten, mit denen der Verbannte den<lb/>
europäiſchen Büchermarkt überſchwemmen ließ, erzählten rührſam, wie<lb/>
er ſein Lebelang nur das eine Ziel verfolgt habe, den Franzoſen nach<lb/>
der Wiederherſtellung der Ordnung auch die Freiheit zu ſchenken; auf<lb/>ſeine alten Tage hatte er ſich mit einem Kreiſe aufgeklärter Menſchen-<lb/>
freunde umgeben und dieſe als <hirendition="#aq">espions de vertu</hi> im Gefolge der Kai-<lb/>ſerin in die Provinzen ſenden wollen, um überall die Klagen der Armen<lb/>
und Bedrängten entgegenzunehmen; lediglich durch die Kriegsluſt ſeiner<lb/>
neidiſchen Nachbarn war der Friedensfürſt immer wieder gezwungen wor-<lb/>
den das Schwert zu ziehen und die Ausführung ſeiner Lieblingspläne<lb/>
zu vertagen. Die lächerlichen Märchen fanden doch ſchon manches wil-<lb/>
lige Ohr. In Frankreich und Polen wiederholten Tauſende die zornige<lb/>
Klage Beranger’s: <hirendition="#aq">adieu donc pauvre gloire;</hi> in allen Vaſallenlanden<lb/>
des Imperators wurden die napoleoniſchen Erinnerungen wieder lebendig.<lb/>
Selbſt in England gab es Unzufriedene, die in Napoleon’s Sturz nur<lb/>
noch den Triumph der rohen Macht über den Genius ſehen wollten,<lb/>
und Byron ſcheute ſich nicht, die Ehrenlegion und die Tricolore als den<lb/>
Stern der Tapferen und den Regenbogen der Freien zu verherrlichen.</p><lb/><p>Mittlerweile unterhielten Eugen Beauharnais und ſeine Schweſter<lb/>
Hortenſe von Baiern aus einen regen Verkehr mit Napoleon’s Abge-<lb/>ſandten. Frau v. Abel und die Wittwe des Marſchalls Ney vermittelten<lb/>
die Verbindung mit Frankreich; und ungeachtet der wiederholten Mahnun-<lb/>
gen der Großmächte konnte ſich der gute König Max Joſeph nicht ent-<lb/>ſchließen, ſeinem Liebling Eugen das Handwerk zu legen.<noteplace="foot"n="*)">Weiſung an Zaſtrow, 12. Aug. 1818. Deſſen Berichte, 29. Nov. 1818, 28. Sept.<lb/>
1819, 1. Mai 1822 u. ſ. w.</note> Eine bona-<lb/>
partiſtiſche Partei, welche geradeswegs die Herſtellung des Kaiſerreichs<lb/>
erſtrebt hätte, beſtand freilich nirgends mehr außerhalb dieſes engen Krei-<lb/>ſes der Napoleoniden. Im Gefühl ſeiner Schwäche verband ſich der<lb/>
Bonapartismus mit den radikalen Parteien; überall ſäte er Unfrieden<lb/>
und nährte den Groll wider das Beſtehende; in allen revolutionären<lb/>
Geheimbünden Frankreichs, Italiens, Polens waren napoleoniſche Vete-<lb/>
ranen thätig. Die Preſſe war der Zornreden wider den Corſen endlich<lb/>
müde geworden; ſie brachte jetzt häufig gefühlvolle Klagen über das harte<lb/>
Loos des „Gefangenen der Millionen“, — denn aus den Lügenberichten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[149/0165]
Der Bonapartismus.
vergeſſen pflegen, ſo wendeten ſich bereits viele Blicke ſehnſüchtig rück-
wärts nach jenem Gewaltigen, der einſt die legitimen Fürſtenhäuſer ſo
unvergeßlich gedemüthigt hatte. Ganz ohne Wirkung war die emſige
geheime Thätigkeit der Sendboten von St. Helena nicht geblieben. In
den letzten Jahren ſeiner Herrſchaft hatte ſich der Erbe der Revolution
nur noch als ein Despot gezeigt; jetzt im Elend kehrte der Bonapartis-
mus der Welt wieder das demokratiſche Geſicht ſeines Januskopfes zu.
Alle die Briefe und Denkwürdigkeiten, mit denen der Verbannte den
europäiſchen Büchermarkt überſchwemmen ließ, erzählten rührſam, wie
er ſein Lebelang nur das eine Ziel verfolgt habe, den Franzoſen nach
der Wiederherſtellung der Ordnung auch die Freiheit zu ſchenken; auf
ſeine alten Tage hatte er ſich mit einem Kreiſe aufgeklärter Menſchen-
freunde umgeben und dieſe als espions de vertu im Gefolge der Kai-
ſerin in die Provinzen ſenden wollen, um überall die Klagen der Armen
und Bedrängten entgegenzunehmen; lediglich durch die Kriegsluſt ſeiner
neidiſchen Nachbarn war der Friedensfürſt immer wieder gezwungen wor-
den das Schwert zu ziehen und die Ausführung ſeiner Lieblingspläne
zu vertagen. Die lächerlichen Märchen fanden doch ſchon manches wil-
lige Ohr. In Frankreich und Polen wiederholten Tauſende die zornige
Klage Beranger’s: adieu donc pauvre gloire; in allen Vaſallenlanden
des Imperators wurden die napoleoniſchen Erinnerungen wieder lebendig.
Selbſt in England gab es Unzufriedene, die in Napoleon’s Sturz nur
noch den Triumph der rohen Macht über den Genius ſehen wollten,
und Byron ſcheute ſich nicht, die Ehrenlegion und die Tricolore als den
Stern der Tapferen und den Regenbogen der Freien zu verherrlichen.
Mittlerweile unterhielten Eugen Beauharnais und ſeine Schweſter
Hortenſe von Baiern aus einen regen Verkehr mit Napoleon’s Abge-
ſandten. Frau v. Abel und die Wittwe des Marſchalls Ney vermittelten
die Verbindung mit Frankreich; und ungeachtet der wiederholten Mahnun-
gen der Großmächte konnte ſich der gute König Max Joſeph nicht ent-
ſchließen, ſeinem Liebling Eugen das Handwerk zu legen. *) Eine bona-
partiſtiſche Partei, welche geradeswegs die Herſtellung des Kaiſerreichs
erſtrebt hätte, beſtand freilich nirgends mehr außerhalb dieſes engen Krei-
ſes der Napoleoniden. Im Gefühl ſeiner Schwäche verband ſich der
Bonapartismus mit den radikalen Parteien; überall ſäte er Unfrieden
und nährte den Groll wider das Beſtehende; in allen revolutionären
Geheimbünden Frankreichs, Italiens, Polens waren napoleoniſche Vete-
ranen thätig. Die Preſſe war der Zornreden wider den Corſen endlich
müde geworden; ſie brachte jetzt häufig gefühlvolle Klagen über das harte
Loos des „Gefangenen der Millionen“, — denn aus den Lügenberichten
*) Weiſung an Zaſtrow, 12. Aug. 1818. Deſſen Berichte, 29. Nov. 1818, 28. Sept.
1819, 1. Mai 1822 u. ſ. w.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/165>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.