begannen. Unter den jauchzenden Zurufen des Volks zog die heilige Schwadron der Empörer sodann in der Hauptstadt ein, und sofort ward die spanische Cortesverfassung ausgerufen, obgleich sich ein vollständiger Abdruck des heiligen Codex im ganzen Lande nicht auftreiben ließ; denn überall verlangt die Masse, auch wenn sie meutert, nach einer unzweifel- haften Autorität, nach einem Panier, um das sie sich schaaren kann, und jenes unbekannte Grundgesetz galt nun einmal für das Evangelium der Freiheit. Der König unterwarf sich dem triumphirenden Aufruhr ebenso würdelos wie sein Neffe in Spanien. Als er die Verfassung be- schwor bat er den Himmel seinen Blitz auf ihn herabzuschleudern, falls er je den Eid bräche; insgeheim aber lauerte er wie der Spanier auf den gesegneten Tag der Rache.
Die Aufständischen siegten ohne jeden Widerstand und schonten sorgsam die Sicherheit von Hab und Leben. Die deutschen Zeitungen konnten nicht genug der Wunder berichten von der Weisheit dieses so plötzlich zu seinen Jahren gekommenen Volkes; zum dritten male in wenigen Wochen triumphirte die Revolution ohne Blutvergießen. Liberale Kaufleute in Lon- don und Paris erboten sich zu Anleihen, napoleonische Generale entwarfen Kriegspläne für die Sache der Freiheit. Die Revolution hatte ihren Sitz im Heere und den gebildeten Klassen, nicht mehr, wie einst zur Zeit der parthenopäischen Republik, blos unter einer Handvoll unzufrie- dener Edelleute und Gelehrten; selbst der rohe Hafenpöbel der Haupt- stadt, den die Bourbonen so oft schon gegen die höheren Stände gehetzt hatten, zeigte sich diesmal der Sache der Signoren nicht feindselig. Trotz- dem war diese unwiderstehliche Bewegung nur der festliche Rausch eines Kindervolks, fast noch schwächlicher als ihr spanisches Vorbild. Die Massen frohlockten, wie sonst bei dem Wunder des heiligen Januarius, als die neugewählten Volksvertreter durch die fahnengeschmückten Straßen zur Kirche zogen und plötzlich Schwärme befreiter Vögel über den Gaffenden aufstiegen; das Parlament hallte wider von den Kraftworten revolutio- närer Redekunst, aber seine Beschlüsse bekundeten weder Einsicht noch Ent- schlossenheit. Das lärmende neue Nationalheer der Samniter, Marsen und Hirpiner krankte an allen Gebrechen einer improvisirten Volksbe- waffnung; und von Haus ward die Revolution geschwächt durch den grim- migen Haß der Insel wider das Festland. Auch die Sicilianer waren aufgestanden, auch sie hatten -- so unwiderstehlich wirkte die Macht des radikalen Götzenbildes in dieser Zeit des Taumels -- nicht ihr eigenes Werk, die wohldurchdachte sicilianische Verfassung vom Jahre 1812 wieder- hergestellt, sondern den unbekannten heiligen Codex der Spanier ange- nommen; doch da sie zugleich ein selbständiges Parlament für ihre Insel forderten und die Mordbanden der Galeeren in Palermo den Plünderungs- krieg begannen, so entspann sich zwischen den beiden Hälften des Staates ein verworrener, blutiger Kampf, dessen Sinn und Zweck fast im Dunkel lag.
III. 3. Troppau und Laibach.
begannen. Unter den jauchzenden Zurufen des Volks zog die heilige Schwadron der Empörer ſodann in der Hauptſtadt ein, und ſofort ward die ſpaniſche Cortesverfaſſung ausgerufen, obgleich ſich ein vollſtändiger Abdruck des heiligen Codex im ganzen Lande nicht auftreiben ließ; denn überall verlangt die Maſſe, auch wenn ſie meutert, nach einer unzweifel- haften Autorität, nach einem Panier, um das ſie ſich ſchaaren kann, und jenes unbekannte Grundgeſetz galt nun einmal für das Evangelium der Freiheit. Der König unterwarf ſich dem triumphirenden Aufruhr ebenſo würdelos wie ſein Neffe in Spanien. Als er die Verfaſſung be- ſchwor bat er den Himmel ſeinen Blitz auf ihn herabzuſchleudern, falls er je den Eid bräche; insgeheim aber lauerte er wie der Spanier auf den geſegneten Tag der Rache.
Die Aufſtändiſchen ſiegten ohne jeden Widerſtand und ſchonten ſorgſam die Sicherheit von Hab und Leben. Die deutſchen Zeitungen konnten nicht genug der Wunder berichten von der Weisheit dieſes ſo plötzlich zu ſeinen Jahren gekommenen Volkes; zum dritten male in wenigen Wochen triumphirte die Revolution ohne Blutvergießen. Liberale Kaufleute in Lon- don und Paris erboten ſich zu Anleihen, napoleoniſche Generale entwarfen Kriegspläne für die Sache der Freiheit. Die Revolution hatte ihren Sitz im Heere und den gebildeten Klaſſen, nicht mehr, wie einſt zur Zeit der parthenopäiſchen Republik, blos unter einer Handvoll unzufrie- dener Edelleute und Gelehrten; ſelbſt der rohe Hafenpöbel der Haupt- ſtadt, den die Bourbonen ſo oft ſchon gegen die höheren Stände gehetzt hatten, zeigte ſich diesmal der Sache der Signoren nicht feindſelig. Trotz- dem war dieſe unwiderſtehliche Bewegung nur der feſtliche Rauſch eines Kindervolks, faſt noch ſchwächlicher als ihr ſpaniſches Vorbild. Die Maſſen frohlockten, wie ſonſt bei dem Wunder des heiligen Januarius, als die neugewählten Volksvertreter durch die fahnengeſchmückten Straßen zur Kirche zogen und plötzlich Schwärme befreiter Vögel über den Gaffenden aufſtiegen; das Parlament hallte wider von den Kraftworten revolutio- närer Redekunſt, aber ſeine Beſchlüſſe bekundeten weder Einſicht noch Ent- ſchloſſenheit. Das lärmende neue Nationalheer der Samniter, Marſen und Hirpiner krankte an allen Gebrechen einer improviſirten Volksbe- waffnung; und von Haus ward die Revolution geſchwächt durch den grim- migen Haß der Inſel wider das Feſtland. Auch die Sicilianer waren aufgeſtanden, auch ſie hatten — ſo unwiderſtehlich wirkte die Macht des radikalen Götzenbildes in dieſer Zeit des Taumels — nicht ihr eigenes Werk, die wohldurchdachte ſicilianiſche Verfaſſung vom Jahre 1812 wieder- hergeſtellt, ſondern den unbekannten heiligen Codex der Spanier ange- nommen; doch da ſie zugleich ein ſelbſtändiges Parlament für ihre Inſel forderten und die Mordbanden der Galeeren in Palermo den Plünderungs- krieg begannen, ſo entſpann ſich zwiſchen den beiden Hälften des Staates ein verworrener, blutiger Kampf, deſſen Sinn und Zweck faſt im Dunkel lag.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0156"n="140"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 3. Troppau und Laibach.</fw><lb/>
begannen. Unter den jauchzenden Zurufen des Volks zog die heilige<lb/>
Schwadron der Empörer ſodann in der Hauptſtadt ein, und ſofort ward<lb/>
die ſpaniſche Cortesverfaſſung ausgerufen, obgleich ſich ein vollſtändiger<lb/>
Abdruck des heiligen Codex im ganzen Lande nicht auftreiben ließ; denn<lb/>
überall verlangt die Maſſe, auch wenn ſie meutert, nach einer unzweifel-<lb/>
haften Autorität, nach einem Panier, um das ſie ſich ſchaaren kann,<lb/>
und jenes unbekannte Grundgeſetz galt nun einmal für das Evangelium<lb/>
der Freiheit. Der König unterwarf ſich dem triumphirenden Aufruhr<lb/>
ebenſo würdelos wie ſein Neffe in Spanien. Als er die Verfaſſung be-<lb/>ſchwor bat er den Himmel ſeinen Blitz auf ihn herabzuſchleudern, falls<lb/>
er je den Eid bräche; insgeheim aber lauerte er wie der Spanier auf<lb/>
den geſegneten Tag der Rache.</p><lb/><p>Die Aufſtändiſchen ſiegten ohne jeden Widerſtand und ſchonten ſorgſam<lb/>
die Sicherheit von Hab und Leben. Die deutſchen Zeitungen konnten<lb/>
nicht genug der Wunder berichten von der Weisheit dieſes ſo plötzlich zu<lb/>ſeinen Jahren gekommenen Volkes; zum dritten male in wenigen Wochen<lb/>
triumphirte die Revolution ohne Blutvergießen. Liberale Kaufleute in Lon-<lb/>
don und Paris erboten ſich zu Anleihen, napoleoniſche Generale entwarfen<lb/>
Kriegspläne für die Sache der Freiheit. Die Revolution hatte ihren<lb/>
Sitz im Heere und den gebildeten Klaſſen, nicht mehr, wie einſt zur<lb/>
Zeit der parthenopäiſchen Republik, blos unter einer Handvoll unzufrie-<lb/>
dener Edelleute und Gelehrten; ſelbſt der rohe Hafenpöbel der Haupt-<lb/>ſtadt, den die Bourbonen ſo oft ſchon gegen die höheren Stände gehetzt<lb/>
hatten, zeigte ſich diesmal der Sache der Signoren nicht feindſelig. Trotz-<lb/>
dem war dieſe unwiderſtehliche Bewegung nur der feſtliche Rauſch eines<lb/>
Kindervolks, faſt noch ſchwächlicher als ihr ſpaniſches Vorbild. Die Maſſen<lb/>
frohlockten, wie ſonſt bei dem Wunder des heiligen Januarius, als die<lb/>
neugewählten Volksvertreter durch die fahnengeſchmückten Straßen zur<lb/>
Kirche zogen und plötzlich Schwärme befreiter Vögel über den Gaffenden<lb/>
aufſtiegen; das Parlament hallte wider von den Kraftworten revolutio-<lb/>
närer Redekunſt, aber ſeine Beſchlüſſe bekundeten weder Einſicht noch Ent-<lb/>ſchloſſenheit. Das lärmende neue Nationalheer der Samniter, Marſen<lb/>
und Hirpiner krankte an allen Gebrechen einer improviſirten Volksbe-<lb/>
waffnung; und von Haus ward die Revolution geſchwächt durch den grim-<lb/>
migen Haß der Inſel wider das Feſtland. Auch die Sicilianer waren<lb/>
aufgeſtanden, auch ſie hatten —ſo unwiderſtehlich wirkte die Macht des<lb/>
radikalen Götzenbildes in dieſer Zeit des Taumels — nicht ihr eigenes<lb/>
Werk, die wohldurchdachte ſicilianiſche Verfaſſung vom Jahre 1812 wieder-<lb/>
hergeſtellt, ſondern den unbekannten heiligen Codex der Spanier ange-<lb/>
nommen; doch da ſie zugleich ein ſelbſtändiges Parlament für ihre Inſel<lb/>
forderten und die Mordbanden der Galeeren in Palermo den Plünderungs-<lb/>
krieg begannen, ſo entſpann ſich zwiſchen den beiden Hälften des Staates ein<lb/>
verworrener, blutiger Kampf, deſſen Sinn und Zweck faſt im Dunkel lag.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[140/0156]
III. 3. Troppau und Laibach.
begannen. Unter den jauchzenden Zurufen des Volks zog die heilige
Schwadron der Empörer ſodann in der Hauptſtadt ein, und ſofort ward
die ſpaniſche Cortesverfaſſung ausgerufen, obgleich ſich ein vollſtändiger
Abdruck des heiligen Codex im ganzen Lande nicht auftreiben ließ; denn
überall verlangt die Maſſe, auch wenn ſie meutert, nach einer unzweifel-
haften Autorität, nach einem Panier, um das ſie ſich ſchaaren kann,
und jenes unbekannte Grundgeſetz galt nun einmal für das Evangelium
der Freiheit. Der König unterwarf ſich dem triumphirenden Aufruhr
ebenſo würdelos wie ſein Neffe in Spanien. Als er die Verfaſſung be-
ſchwor bat er den Himmel ſeinen Blitz auf ihn herabzuſchleudern, falls
er je den Eid bräche; insgeheim aber lauerte er wie der Spanier auf
den geſegneten Tag der Rache.
Die Aufſtändiſchen ſiegten ohne jeden Widerſtand und ſchonten ſorgſam
die Sicherheit von Hab und Leben. Die deutſchen Zeitungen konnten
nicht genug der Wunder berichten von der Weisheit dieſes ſo plötzlich zu
ſeinen Jahren gekommenen Volkes; zum dritten male in wenigen Wochen
triumphirte die Revolution ohne Blutvergießen. Liberale Kaufleute in Lon-
don und Paris erboten ſich zu Anleihen, napoleoniſche Generale entwarfen
Kriegspläne für die Sache der Freiheit. Die Revolution hatte ihren
Sitz im Heere und den gebildeten Klaſſen, nicht mehr, wie einſt zur
Zeit der parthenopäiſchen Republik, blos unter einer Handvoll unzufrie-
dener Edelleute und Gelehrten; ſelbſt der rohe Hafenpöbel der Haupt-
ſtadt, den die Bourbonen ſo oft ſchon gegen die höheren Stände gehetzt
hatten, zeigte ſich diesmal der Sache der Signoren nicht feindſelig. Trotz-
dem war dieſe unwiderſtehliche Bewegung nur der feſtliche Rauſch eines
Kindervolks, faſt noch ſchwächlicher als ihr ſpaniſches Vorbild. Die Maſſen
frohlockten, wie ſonſt bei dem Wunder des heiligen Januarius, als die
neugewählten Volksvertreter durch die fahnengeſchmückten Straßen zur
Kirche zogen und plötzlich Schwärme befreiter Vögel über den Gaffenden
aufſtiegen; das Parlament hallte wider von den Kraftworten revolutio-
närer Redekunſt, aber ſeine Beſchlüſſe bekundeten weder Einſicht noch Ent-
ſchloſſenheit. Das lärmende neue Nationalheer der Samniter, Marſen
und Hirpiner krankte an allen Gebrechen einer improviſirten Volksbe-
waffnung; und von Haus ward die Revolution geſchwächt durch den grim-
migen Haß der Inſel wider das Feſtland. Auch die Sicilianer waren
aufgeſtanden, auch ſie hatten — ſo unwiderſtehlich wirkte die Macht des
radikalen Götzenbildes in dieſer Zeit des Taumels — nicht ihr eigenes
Werk, die wohldurchdachte ſicilianiſche Verfaſſung vom Jahre 1812 wieder-
hergeſtellt, ſondern den unbekannten heiligen Codex der Spanier ange-
nommen; doch da ſie zugleich ein ſelbſtändiges Parlament für ihre Inſel
forderten und die Mordbanden der Galeeren in Palermo den Plünderungs-
krieg begannen, ſo entſpann ſich zwiſchen den beiden Hälften des Staates ein
verworrener, blutiger Kampf, deſſen Sinn und Zweck faſt im Dunkel lag.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/156>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.