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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
verfaßt war, aber erst 1819 in Paris veröffentlicht und erst jetzt in
Deutschland bekannt wurde -- wohl das schönste Werk der neueren ultra-
montanen Publicistik, meisterhaft geschrieben, unerbittlich folgerecht in seinen
Schlüssen und durchglüht von einer Wärme der Ueberzeugung, die auch
den Gegner zur Achtung zwang. Rund und nett ward hier die furchtbare
Lehre der päpstlichen Unfehlbarkeit aufgestellt -- eine Doktrin, die sich
aus dem Werdegang der römischen Kirche mit logischer Nothwendigkeit er-
gab, aber inmitten der nationalkirchlichen Gebilde des achtzehnten Jahr-
hunderts sich noch nicht recht offen herausgewagt hatte. Da jedes mensch-
liche Gesetz unvollkommen ist und der Ausnahmen bedarf, so muß eine
unfehlbare höchste Gewalt bestehen, ausgestattet mit dem Rechte zu binden
und zu lösen. Den unmittelbar von Gott eingesetzten weltlichen Souveränen
wird diese Unfehlbarkeit menschlicherweise beigelegt, wirklich vorhanden ist
sie nur in dem Statthalter Christi. Darum verkettet ein Band des Ge-
horsams alle legitimen Souveräne mit dem heiligen Stuhle, dem Schieds-
richter der Staatenwelt, und nur auf dem Boden der katholischen Glau-
benseinheit ist ein gesundes politisches Leben denkbar. Was kümmerte
diesen Schwärmer die unbestreitbare Thatsache, daß die politische Ent-
wicklung der protestantischen Völker bisher in leidlichem Frieden verlaufen
war, während die Revolution, in dem katholischen Frankreich geboren, die
katholischen Staaten, und soeben wieder die beiden Halbinseln Südeuro-
pas, mit krampfhaften Zuckungen heimsuchte? Er hatte für sich die dia-
lektische Kraft des Wortes: wer Autorität sagt, der sagt Papst oder er
sagt gar nichts.

Die Angst vor der Revolution beherrschte aber die deutschen Höfe so
gänzlich, daß mancher geistreiche Protestant auf die Weisheit des clericalen
Savoyarden schwur, ohne zu bemerken, wie fest jeder Satz dieses wohlge-
fügten Lehrgebäudes mit der päpstlichen Unfehlbarkeit zusammenhing.
Gentz, der im Kerne seines Wesens doch immer ein Kantianer blieb, er-
klärte de Maistre's Schrift für das erste Buch des Jahrhunderts und rief
entzückt: "das ist mein Mann!" Einzelne blendende Paradoxen des geist-
reichen Ultramontanen wurden in der vornehmen Welt mit Frohlocken
umhergetragen, so das berühmte Schlagwort, das fast wörtlich mit Haller
übereinstimmte: die Fürsten verdanken den Völkern nur leeren Glanz,
die Völker verdanken den Fürsten ihr Alles, ihr sociales Dasein. Auch
der preußische Kronprinz berauschte sich an dem Weihrauchduft dieser
legitimistischen Halbwahrheiten.

Monarchen von starkem Selbstgefühl pflegen ihren Thronfolger mit
einer gewissen Härte von den Geschäften fern zu halten. König Friedrich
Wilhelm aber schaute mit väterlichem Stolz auf seinen vielverheißenden
Erben, der dem Vater stets mit kindlicher Pietät begegnete. Das Miß-
trauen, das ihn vor genialen Naturen so häufig überkam, verleugnete sich
ganz gegenüber diesem Sohne, in dessen Wesen doch Vieles lag was im

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
verfaßt war, aber erſt 1819 in Paris veröffentlicht und erſt jetzt in
Deutſchland bekannt wurde — wohl das ſchönſte Werk der neueren ultra-
montanen Publiciſtik, meiſterhaft geſchrieben, unerbittlich folgerecht in ſeinen
Schlüſſen und durchglüht von einer Wärme der Ueberzeugung, die auch
den Gegner zur Achtung zwang. Rund und nett ward hier die furchtbare
Lehre der päpſtlichen Unfehlbarkeit aufgeſtellt — eine Doktrin, die ſich
aus dem Werdegang der römiſchen Kirche mit logiſcher Nothwendigkeit er-
gab, aber inmitten der nationalkirchlichen Gebilde des achtzehnten Jahr-
hunderts ſich noch nicht recht offen herausgewagt hatte. Da jedes menſch-
liche Geſetz unvollkommen iſt und der Ausnahmen bedarf, ſo muß eine
unfehlbare höchſte Gewalt beſtehen, ausgeſtattet mit dem Rechte zu binden
und zu löſen. Den unmittelbar von Gott eingeſetzten weltlichen Souveränen
wird dieſe Unfehlbarkeit menſchlicherweiſe beigelegt, wirklich vorhanden iſt
ſie nur in dem Statthalter Chriſti. Darum verkettet ein Band des Ge-
horſams alle legitimen Souveräne mit dem heiligen Stuhle, dem Schieds-
richter der Staatenwelt, und nur auf dem Boden der katholiſchen Glau-
benseinheit iſt ein geſundes politiſches Leben denkbar. Was kümmerte
dieſen Schwärmer die unbeſtreitbare Thatſache, daß die politiſche Ent-
wicklung der proteſtantiſchen Völker bisher in leidlichem Frieden verlaufen
war, während die Revolution, in dem katholiſchen Frankreich geboren, die
katholiſchen Staaten, und ſoeben wieder die beiden Halbinſeln Südeuro-
pas, mit krampfhaften Zuckungen heimſuchte? Er hatte für ſich die dia-
lektiſche Kraft des Wortes: wer Autorität ſagt, der ſagt Papſt oder er
ſagt gar nichts.

Die Angſt vor der Revolution beherrſchte aber die deutſchen Höfe ſo
gänzlich, daß mancher geiſtreiche Proteſtant auf die Weisheit des clericalen
Savoyarden ſchwur, ohne zu bemerken, wie feſt jeder Satz dieſes wohlge-
fügten Lehrgebäudes mit der päpſtlichen Unfehlbarkeit zuſammenhing.
Gentz, der im Kerne ſeines Weſens doch immer ein Kantianer blieb, er-
klärte de Maiſtre’s Schrift für das erſte Buch des Jahrhunderts und rief
entzückt: „das iſt mein Mann!“ Einzelne blendende Paradoxen des geiſt-
reichen Ultramontanen wurden in der vornehmen Welt mit Frohlocken
umhergetragen, ſo das berühmte Schlagwort, das faſt wörtlich mit Haller
übereinſtimmte: die Fürſten verdanken den Völkern nur leeren Glanz,
die Völker verdanken den Fürſten ihr Alles, ihr ſociales Daſein. Auch
der preußiſche Kronprinz berauſchte ſich an dem Weihrauchduft dieſer
legitimiſtiſchen Halbwahrheiten.

Monarchen von ſtarkem Selbſtgefühl pflegen ihren Thronfolger mit
einer gewiſſen Härte von den Geſchäften fern zu halten. König Friedrich
Wilhelm aber ſchaute mit väterlichem Stolz auf ſeinen vielverheißenden
Erben, der dem Vater ſtets mit kindlicher Pietät begegnete. Das Miß-
trauen, das ihn vor genialen Naturen ſo häufig überkam, verleugnete ſich
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[128/0144] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. verfaßt war, aber erſt 1819 in Paris veröffentlicht und erſt jetzt in Deutſchland bekannt wurde — wohl das ſchönſte Werk der neueren ultra- montanen Publiciſtik, meiſterhaft geſchrieben, unerbittlich folgerecht in ſeinen Schlüſſen und durchglüht von einer Wärme der Ueberzeugung, die auch den Gegner zur Achtung zwang. Rund und nett ward hier die furchtbare Lehre der päpſtlichen Unfehlbarkeit aufgeſtellt — eine Doktrin, die ſich aus dem Werdegang der römiſchen Kirche mit logiſcher Nothwendigkeit er- gab, aber inmitten der nationalkirchlichen Gebilde des achtzehnten Jahr- hunderts ſich noch nicht recht offen herausgewagt hatte. Da jedes menſch- liche Geſetz unvollkommen iſt und der Ausnahmen bedarf, ſo muß eine unfehlbare höchſte Gewalt beſtehen, ausgeſtattet mit dem Rechte zu binden und zu löſen. Den unmittelbar von Gott eingeſetzten weltlichen Souveränen wird dieſe Unfehlbarkeit menſchlicherweiſe beigelegt, wirklich vorhanden iſt ſie nur in dem Statthalter Chriſti. Darum verkettet ein Band des Ge- horſams alle legitimen Souveräne mit dem heiligen Stuhle, dem Schieds- richter der Staatenwelt, und nur auf dem Boden der katholiſchen Glau- benseinheit iſt ein geſundes politiſches Leben denkbar. Was kümmerte dieſen Schwärmer die unbeſtreitbare Thatſache, daß die politiſche Ent- wicklung der proteſtantiſchen Völker bisher in leidlichem Frieden verlaufen war, während die Revolution, in dem katholiſchen Frankreich geboren, die katholiſchen Staaten, und ſoeben wieder die beiden Halbinſeln Südeuro- pas, mit krampfhaften Zuckungen heimſuchte? Er hatte für ſich die dia- lektiſche Kraft des Wortes: wer Autorität ſagt, der ſagt Papſt oder er ſagt gar nichts. Die Angſt vor der Revolution beherrſchte aber die deutſchen Höfe ſo gänzlich, daß mancher geiſtreiche Proteſtant auf die Weisheit des clericalen Savoyarden ſchwur, ohne zu bemerken, wie feſt jeder Satz dieſes wohlge- fügten Lehrgebäudes mit der päpſtlichen Unfehlbarkeit zuſammenhing. Gentz, der im Kerne ſeines Weſens doch immer ein Kantianer blieb, er- klärte de Maiſtre’s Schrift für das erſte Buch des Jahrhunderts und rief entzückt: „das iſt mein Mann!“ Einzelne blendende Paradoxen des geiſt- reichen Ultramontanen wurden in der vornehmen Welt mit Frohlocken umhergetragen, ſo das berühmte Schlagwort, das faſt wörtlich mit Haller übereinſtimmte: die Fürſten verdanken den Völkern nur leeren Glanz, die Völker verdanken den Fürſten ihr Alles, ihr ſociales Daſein. Auch der preußiſche Kronprinz berauſchte ſich an dem Weihrauchduft dieſer legitimiſtiſchen Halbwahrheiten. Monarchen von ſtarkem Selbſtgefühl pflegen ihren Thronfolger mit einer gewiſſen Härte von den Geſchäften fern zu halten. König Friedrich Wilhelm aber ſchaute mit väterlichem Stolz auf ſeinen vielverheißenden Erben, der dem Vater ſtets mit kindlicher Pietät begegnete. Das Miß- trauen, das ihn vor genialen Naturen ſo häufig überkam, verleugnete ſich ganz gegenüber dieſem Sohne, in deſſen Weſen doch Vieles lag was im

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/144>, abgerufen am 28.11.2024.