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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
rufungszeichen und zwei- und dreifache Unterstreichungen suchte er zu er-
gänzen, was er trotz seiner seltenen Sprachgewalt nicht ausdrücken konnte;
der klare Geist bedarf solcher Krücken nicht, weil er durch den Bau seiner
Sätze den Leser zwingt, die Worte richtig zu betonen. Ihm fehlte auch
die frische Kraft des Wollens. Die Offiziere bemerkten bald, daß er nicht
zu befehlen verstand und seinen Geboten schlecht gehorcht wurde. Seine
Stimmung sprang jählings um von gütiger Hingebung zu aufbrausender
Heftigkeit, und sein blendender Witz gemahnte oftmals an den thatlosen
Humor Hamlet's. Solche Bedenken wurden schon damals laut; General
Wolzogen faßte sie höflich umschreibend dahin zusammen: gewiß, er ist ein
Genie, aber ich zweifle, ob Preußen ein Genie ertragen kann. Für uns
Nachlebende fällt noch ein räthselhaftes pathologisches Moment ins Ge-
wicht, das der freimüthige Historiker zwar nur erwähnen, aber nicht ver-
schweigen darf. Es ist möglich, daß die unheimliche Krankheit, welche
diesen reichen Geist am Abend seines Lebens mit ihrem nächtigen Schleier
bedeckte, schon in früheren Jahren sich auf Augenblicke angekündigt hat,
und unzweifelhaft erwiesen, daß spätestens seit dem Jahre 1848 im Leben
Friedrich Wilhelm's Wendungen eintraten, welche sich kaum anders als
aus augenblicklicher Geistesabwesenheit erklären lassen. Die ersten Spuren
dieser schrecklichen Heimsuchung werden wohl immer in Dunkel gehüllt
bleiben.

Um diese Zeit machten zwei neue politische Schriften in den hoch-
conservativen Kreisen Preußens die Runde. Der Restaurator der Staats-
wissenschaft gab jetzt den allgemeinen Grundsätzen seines großen Werkes
die Nutzanwendung und sagte in seiner Schrift "über die Constitution der
spanischen Cortes" allen constitutionellen Bestrebungen so schonungslos
den Frieden auf, daß die Behörden seiner Heimath für gerathen hielten,
das Buch zu verbieten. Metternich aber gab dem spanischen Geschäfts-
träger, als dieser für Oesterreich das gleiche Verbot forderte, die gelassene
Antwort: erst möge man der spanischen Presse die Angriffe auf Oester-
reich untersagen.*) Und wohl hatte er Grund, den Berner zu beschützen.
Denn grausamer war das Ideal der liberalen Doktrinäre noch nie miß-
handelt worden. Wenn sich nur mit dieser wohlfeilen Kritik der radikalen
Thorheiten einige historische Gerechtigkeit gepaart hätte! Kein Wort davon,
daß diese monarchische Verfassung ohne monarchische Gewalt entstanden
war in einer Zeit, da König Ferdinand sein Land treulos verlassen hatte;
kein Wort von den himmelschreienden Schandthaten des restaurirten Des-
potismus, welche das königstreue Volk zur Wuth gestachelt hatten. Nur "die
Sophistenzunft, die mächtige Sekte, die in Frankreich den Thronfolger er-
morden läßt", hatte dies Grundgesetz zu Stande gebracht, und nicht um
seinetwillen, sondern um ihre eigene Souveränität zu gründen -- die-

*) Krusemark's Bericht, 27. Sept. 1820.

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
rufungszeichen und zwei- und dreifache Unterſtreichungen ſuchte er zu er-
gänzen, was er trotz ſeiner ſeltenen Sprachgewalt nicht ausdrücken konnte;
der klare Geiſt bedarf ſolcher Krücken nicht, weil er durch den Bau ſeiner
Sätze den Leſer zwingt, die Worte richtig zu betonen. Ihm fehlte auch
die friſche Kraft des Wollens. Die Offiziere bemerkten bald, daß er nicht
zu befehlen verſtand und ſeinen Geboten ſchlecht gehorcht wurde. Seine
Stimmung ſprang jählings um von gütiger Hingebung zu aufbrauſender
Heftigkeit, und ſein blendender Witz gemahnte oftmals an den thatloſen
Humor Hamlet’s. Solche Bedenken wurden ſchon damals laut; General
Wolzogen faßte ſie höflich umſchreibend dahin zuſammen: gewiß, er iſt ein
Genie, aber ich zweifle, ob Preußen ein Genie ertragen kann. Für uns
Nachlebende fällt noch ein räthſelhaftes pathologiſches Moment ins Ge-
wicht, das der freimüthige Hiſtoriker zwar nur erwähnen, aber nicht ver-
ſchweigen darf. Es iſt möglich, daß die unheimliche Krankheit, welche
dieſen reichen Geiſt am Abend ſeines Lebens mit ihrem nächtigen Schleier
bedeckte, ſchon in früheren Jahren ſich auf Augenblicke angekündigt hat,
und unzweifelhaft erwieſen, daß ſpäteſtens ſeit dem Jahre 1848 im Leben
Friedrich Wilhelm’s Wendungen eintraten, welche ſich kaum anders als
aus augenblicklicher Geiſtesabweſenheit erklären laſſen. Die erſten Spuren
dieſer ſchrecklichen Heimſuchung werden wohl immer in Dunkel gehüllt
bleiben.

Um dieſe Zeit machten zwei neue politiſche Schriften in den hoch-
conſervativen Kreiſen Preußens die Runde. Der Reſtaurator der Staats-
wiſſenſchaft gab jetzt den allgemeinen Grundſätzen ſeines großen Werkes
die Nutzanwendung und ſagte in ſeiner Schrift „über die Conſtitution der
ſpaniſchen Cortes“ allen conſtitutionellen Beſtrebungen ſo ſchonungslos
den Frieden auf, daß die Behörden ſeiner Heimath für gerathen hielten,
das Buch zu verbieten. Metternich aber gab dem ſpaniſchen Geſchäfts-
träger, als dieſer für Oeſterreich das gleiche Verbot forderte, die gelaſſene
Antwort: erſt möge man der ſpaniſchen Preſſe die Angriffe auf Oeſter-
reich unterſagen.*) Und wohl hatte er Grund, den Berner zu beſchützen.
Denn grauſamer war das Ideal der liberalen Doktrinäre noch nie miß-
handelt worden. Wenn ſich nur mit dieſer wohlfeilen Kritik der radikalen
Thorheiten einige hiſtoriſche Gerechtigkeit gepaart hätte! Kein Wort davon,
daß dieſe monarchiſche Verfaſſung ohne monarchiſche Gewalt entſtanden
war in einer Zeit, da König Ferdinand ſein Land treulos verlaſſen hatte;
kein Wort von den himmelſchreienden Schandthaten des reſtaurirten Des-
potismus, welche das königstreue Volk zur Wuth geſtachelt hatten. Nur „die
Sophiſtenzunft, die mächtige Sekte, die in Frankreich den Thronfolger er-
morden läßt“, hatte dies Grundgeſetz zu Stande gebracht, und nicht um
ſeinetwillen, ſondern um ihre eigene Souveränität zu gründen — die-

*) Kruſemark’s Bericht, 27. Sept. 1820.
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[126/0142] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. rufungszeichen und zwei- und dreifache Unterſtreichungen ſuchte er zu er- gänzen, was er trotz ſeiner ſeltenen Sprachgewalt nicht ausdrücken konnte; der klare Geiſt bedarf ſolcher Krücken nicht, weil er durch den Bau ſeiner Sätze den Leſer zwingt, die Worte richtig zu betonen. Ihm fehlte auch die friſche Kraft des Wollens. Die Offiziere bemerkten bald, daß er nicht zu befehlen verſtand und ſeinen Geboten ſchlecht gehorcht wurde. Seine Stimmung ſprang jählings um von gütiger Hingebung zu aufbrauſender Heftigkeit, und ſein blendender Witz gemahnte oftmals an den thatloſen Humor Hamlet’s. Solche Bedenken wurden ſchon damals laut; General Wolzogen faßte ſie höflich umſchreibend dahin zuſammen: gewiß, er iſt ein Genie, aber ich zweifle, ob Preußen ein Genie ertragen kann. Für uns Nachlebende fällt noch ein räthſelhaftes pathologiſches Moment ins Ge- wicht, das der freimüthige Hiſtoriker zwar nur erwähnen, aber nicht ver- ſchweigen darf. Es iſt möglich, daß die unheimliche Krankheit, welche dieſen reichen Geiſt am Abend ſeines Lebens mit ihrem nächtigen Schleier bedeckte, ſchon in früheren Jahren ſich auf Augenblicke angekündigt hat, und unzweifelhaft erwieſen, daß ſpäteſtens ſeit dem Jahre 1848 im Leben Friedrich Wilhelm’s Wendungen eintraten, welche ſich kaum anders als aus augenblicklicher Geiſtesabweſenheit erklären laſſen. Die erſten Spuren dieſer ſchrecklichen Heimſuchung werden wohl immer in Dunkel gehüllt bleiben. Um dieſe Zeit machten zwei neue politiſche Schriften in den hoch- conſervativen Kreiſen Preußens die Runde. Der Reſtaurator der Staats- wiſſenſchaft gab jetzt den allgemeinen Grundſätzen ſeines großen Werkes die Nutzanwendung und ſagte in ſeiner Schrift „über die Conſtitution der ſpaniſchen Cortes“ allen conſtitutionellen Beſtrebungen ſo ſchonungslos den Frieden auf, daß die Behörden ſeiner Heimath für gerathen hielten, das Buch zu verbieten. Metternich aber gab dem ſpaniſchen Geſchäfts- träger, als dieſer für Oeſterreich das gleiche Verbot forderte, die gelaſſene Antwort: erſt möge man der ſpaniſchen Preſſe die Angriffe auf Oeſter- reich unterſagen. *) Und wohl hatte er Grund, den Berner zu beſchützen. Denn grauſamer war das Ideal der liberalen Doktrinäre noch nie miß- handelt worden. Wenn ſich nur mit dieſer wohlfeilen Kritik der radikalen Thorheiten einige hiſtoriſche Gerechtigkeit gepaart hätte! Kein Wort davon, daß dieſe monarchiſche Verfaſſung ohne monarchiſche Gewalt entſtanden war in einer Zeit, da König Ferdinand ſein Land treulos verlaſſen hatte; kein Wort von den himmelſchreienden Schandthaten des reſtaurirten Des- potismus, welche das königstreue Volk zur Wuth geſtachelt hatten. Nur „die Sophiſtenzunft, die mächtige Sekte, die in Frankreich den Thronfolger er- morden läßt“, hatte dies Grundgeſetz zu Stande gebracht, und nicht um ſeinetwillen, ſondern um ihre eigene Souveränität zu gründen — die- *) Kruſemark’s Bericht, 27. Sept. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/142>, abgerufen am 28.11.2024.