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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Verstimmung des Königs.
damit noch nicht Alles geschehen. Die Sache ist schon tief eingewurzelt,
durch Irrlehren die Jugend schon sehr angesteckt. In vielen Staaten,
meine nicht ausgenommen, viele Staatsdiener aller Klassen, selbst Minister
davon angesteckt gefunden, werde mich nun aber ernstlich damit beschäf-
tigen."*) Nun brachte fast jede neue Post schlimme Nachrichten von den
Fortschritten der Revolution in Spanien und Italien, und überall hatte
das Zauberwort "Verfassung" die bewaffnete Macht zum Bruche des
Fahneneides verführt: durften solche Gräuel unter den schwarzundweißen
Fahnen möglich werden? Ohne nähere Kenntniß von allen den Sünden
des bourbonischen Regiments, welche die Thorheiten der Revolution nur
zu leicht erklärten, sah der König in dieser wilden Bewegung eines ver-
zweifelnden Volkes nur eine wüste Empörung und fand es ganz in der
Ordnung, daß Oesterreich die Ruhe in Italien wiederherstellen wollte.
Eine neue Zusammenkunft der Monarchen in Troppau war bereits ver-
abredet. Noch häufiger als sonst in den freudlosen Tagen seiner Witt-
wereinsamkeit ward er jetzt von Anfällen verzagten Trübsinns überwältigt.
Er fühlte sich müde und mit fünfzig Jahren schon alt -- wie viele schwere
Schickungen hatte er auch in dem Vierteljahrhundert seiner Regierung
ertragen müssen! -- und zuweilen, wie schon in früheren Jahren, dachte
er ernstlich daran, die Bürde dieser Krone niederzulegen, den Abend seines
Lebens in ländlicher Stille, seinen Neigungen gemäß, zu verbringen.**)
Die Geschäfte ekelten ihn oft an, und es kostete Mühe, ihn nur zur Ab-
reise nach Troppau zu bewegen.***)

In solcher Stimmung, verdrießlich und muthlos, richtete der König,
kurz bevor Hardenberg nach Troppau abreiste, ein eigenhändiges Schreiben
an den Staatskanzler und forderte ihn auf, sich nochmals über die Ver-
fassungssache auszusprechen.+) Damit erhielt Hardenberg das erste be-
stimmte Anzeichen, daß der König an dem Verfassungswerke bereits zu
verzweifeln begann; denn mit der Communalordnung fielen auch die
Reichsstände, wenn nicht ein entschlossener Wille die ganze Arbeit von
vorn begann. Der Kanzler sah, was auf dem Spiele stand und sendete
zur Antwort eine ausführliche Denkschrift. Er schrieb französisch, ohne
Zweifel, weil er voraussah, daß der König in Troppau die Frage mit
den beiden Kaisern erörtern würde.++) Noch einmal entwickelte er hier
den Plan seines Zweikammersystems: eine erste Kammer, gebildet aus
den Standesherren, der hohen Geistlichkeit, einigen Abgeordneten des Adels
und einer bestimmten Anzahl von Männern des königlichen Vertrauens;

*) Stockhorn's Bericht, 25. April 1821.
**) Hardenberg's Tagebuch, 11. Nov.
1820.
***) Hardenberg's Tagebuch, 25. Okt. 1820.
+) Hardenberg's Tagebuch,
5. Nov. 1820.
++) Das Original dieser Denkschrift ist bisher noch nicht aufgefunden. Ihr wesent-
licher Inhalt aber ist bekannt, da Hardenberg die Hauptsätze derselben, deutsch übersetzt,
in seinem Berichte vom 2. Mai 1821 wörtlich wieder anführte.

Verſtimmung des Königs.
damit noch nicht Alles geſchehen. Die Sache iſt ſchon tief eingewurzelt,
durch Irrlehren die Jugend ſchon ſehr angeſteckt. In vielen Staaten,
meine nicht ausgenommen, viele Staatsdiener aller Klaſſen, ſelbſt Miniſter
davon angeſteckt gefunden, werde mich nun aber ernſtlich damit beſchäf-
tigen.“*) Nun brachte faſt jede neue Poſt ſchlimme Nachrichten von den
Fortſchritten der Revolution in Spanien und Italien, und überall hatte
das Zauberwort „Verfaſſung“ die bewaffnete Macht zum Bruche des
Fahneneides verführt: durften ſolche Gräuel unter den ſchwarzundweißen
Fahnen möglich werden? Ohne nähere Kenntniß von allen den Sünden
des bourboniſchen Regiments, welche die Thorheiten der Revolution nur
zu leicht erklärten, ſah der König in dieſer wilden Bewegung eines ver-
zweifelnden Volkes nur eine wüſte Empörung und fand es ganz in der
Ordnung, daß Oeſterreich die Ruhe in Italien wiederherſtellen wollte.
Eine neue Zuſammenkunft der Monarchen in Troppau war bereits ver-
abredet. Noch häufiger als ſonſt in den freudloſen Tagen ſeiner Witt-
wereinſamkeit ward er jetzt von Anfällen verzagten Trübſinns überwältigt.
Er fühlte ſich müde und mit fünfzig Jahren ſchon alt — wie viele ſchwere
Schickungen hatte er auch in dem Vierteljahrhundert ſeiner Regierung
ertragen müſſen! — und zuweilen, wie ſchon in früheren Jahren, dachte
er ernſtlich daran, die Bürde dieſer Krone niederzulegen, den Abend ſeines
Lebens in ländlicher Stille, ſeinen Neigungen gemäß, zu verbringen.**)
Die Geſchäfte ekelten ihn oft an, und es koſtete Mühe, ihn nur zur Ab-
reiſe nach Troppau zu bewegen.***)

In ſolcher Stimmung, verdrießlich und muthlos, richtete der König,
kurz bevor Hardenberg nach Troppau abreiſte, ein eigenhändiges Schreiben
an den Staatskanzler und forderte ihn auf, ſich nochmals über die Ver-
faſſungsſache auszuſprechen.†) Damit erhielt Hardenberg das erſte be-
ſtimmte Anzeichen, daß der König an dem Verfaſſungswerke bereits zu
verzweifeln begann; denn mit der Communalordnung fielen auch die
Reichsſtände, wenn nicht ein entſchloſſener Wille die ganze Arbeit von
vorn begann. Der Kanzler ſah, was auf dem Spiele ſtand und ſendete
zur Antwort eine ausführliche Denkſchrift. Er ſchrieb franzöſiſch, ohne
Zweifel, weil er vorausſah, daß der König in Troppau die Frage mit
den beiden Kaiſern erörtern würde.††) Noch einmal entwickelte er hier
den Plan ſeines Zweikammerſyſtems: eine erſte Kammer, gebildet aus
den Standesherren, der hohen Geiſtlichkeit, einigen Abgeordneten des Adels
und einer beſtimmten Anzahl von Männern des königlichen Vertrauens;

*) Stockhorn’s Bericht, 25. April 1821.
**) Hardenberg’s Tagebuch, 11. Nov.
1820.
***) Hardenberg’s Tagebuch, 25. Okt. 1820.
†) Hardenberg’s Tagebuch,
5. Nov. 1820.
††) Das Original dieſer Denkſchrift iſt bisher noch nicht aufgefunden. Ihr weſent-
licher Inhalt aber iſt bekannt, da Hardenberg die Hauptſätze derſelben, deutſch überſetzt,
in ſeinem Berichte vom 2. Mai 1821 wörtlich wieder anführte.
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[117/0133] Verſtimmung des Königs. damit noch nicht Alles geſchehen. Die Sache iſt ſchon tief eingewurzelt, durch Irrlehren die Jugend ſchon ſehr angeſteckt. In vielen Staaten, meine nicht ausgenommen, viele Staatsdiener aller Klaſſen, ſelbſt Miniſter davon angeſteckt gefunden, werde mich nun aber ernſtlich damit beſchäf- tigen.“ *) Nun brachte faſt jede neue Poſt ſchlimme Nachrichten von den Fortſchritten der Revolution in Spanien und Italien, und überall hatte das Zauberwort „Verfaſſung“ die bewaffnete Macht zum Bruche des Fahneneides verführt: durften ſolche Gräuel unter den ſchwarzundweißen Fahnen möglich werden? Ohne nähere Kenntniß von allen den Sünden des bourboniſchen Regiments, welche die Thorheiten der Revolution nur zu leicht erklärten, ſah der König in dieſer wilden Bewegung eines ver- zweifelnden Volkes nur eine wüſte Empörung und fand es ganz in der Ordnung, daß Oeſterreich die Ruhe in Italien wiederherſtellen wollte. Eine neue Zuſammenkunft der Monarchen in Troppau war bereits ver- abredet. Noch häufiger als ſonſt in den freudloſen Tagen ſeiner Witt- wereinſamkeit ward er jetzt von Anfällen verzagten Trübſinns überwältigt. Er fühlte ſich müde und mit fünfzig Jahren ſchon alt — wie viele ſchwere Schickungen hatte er auch in dem Vierteljahrhundert ſeiner Regierung ertragen müſſen! — und zuweilen, wie ſchon in früheren Jahren, dachte er ernſtlich daran, die Bürde dieſer Krone niederzulegen, den Abend ſeines Lebens in ländlicher Stille, ſeinen Neigungen gemäß, zu verbringen. **) Die Geſchäfte ekelten ihn oft an, und es koſtete Mühe, ihn nur zur Ab- reiſe nach Troppau zu bewegen. ***) In ſolcher Stimmung, verdrießlich und muthlos, richtete der König, kurz bevor Hardenberg nach Troppau abreiſte, ein eigenhändiges Schreiben an den Staatskanzler und forderte ihn auf, ſich nochmals über die Ver- faſſungsſache auszuſprechen. †) Damit erhielt Hardenberg das erſte be- ſtimmte Anzeichen, daß der König an dem Verfaſſungswerke bereits zu verzweifeln begann; denn mit der Communalordnung fielen auch die Reichsſtände, wenn nicht ein entſchloſſener Wille die ganze Arbeit von vorn begann. Der Kanzler ſah, was auf dem Spiele ſtand und ſendete zur Antwort eine ausführliche Denkſchrift. Er ſchrieb franzöſiſch, ohne Zweifel, weil er vorausſah, daß der König in Troppau die Frage mit den beiden Kaiſern erörtern würde. ††) Noch einmal entwickelte er hier den Plan ſeines Zweikammerſyſtems: eine erſte Kammer, gebildet aus den Standesherren, der hohen Geiſtlichkeit, einigen Abgeordneten des Adels und einer beſtimmten Anzahl von Männern des königlichen Vertrauens; *) Stockhorn’s Bericht, 25. April 1821. **) Hardenberg’s Tagebuch, 11. Nov. 1820. ***) Hardenberg’s Tagebuch, 25. Okt. 1820. †) Hardenberg’s Tagebuch, 5. Nov. 1820. ††) Das Original dieſer Denkſchrift iſt bisher noch nicht aufgefunden. Ihr weſent- licher Inhalt aber iſt bekannt, da Hardenberg die Hauptſätze derſelben, deutſch überſetzt, in ſeinem Berichte vom 2. Mai 1821 wörtlich wieder anführte.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/133>, abgerufen am 29.11.2024.