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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
praktischem Verstande, der in Wahrheit keiner Partei angehörte, aber die
agrarischen Interessen eifrig vertrat und darum bei den Liberalen bald
in den Geruch junkerhafter Gesinnung kam, während ihn seine Standes-
genossen als unruhigen Kopf beargwöhnten. Er war kein unbedingter
Gegner des Staatskanzlers und billigte mindestens einen Theil der neuen
Reformgesetze. Jetzt aber meinte er die legitime Machtstellung des Groß-
grundbesitzers bedroht; er verwahrte sich gegen eine bureaukratische Politik,
welche dem Adel die Mehrheit auf den Kreistagen rauben wolle, und ge-
langte zu dem Schluß: Benzenberg's Buch beweise, wie weit die preu-
ßische Revolution, gefördert durch die Staatsverwaltung selbst, schon fort-
geschritten sei. --

Alle diese Feinde ließen sich überwinden, so lange der König seinen
Kanzler hielt. Schon oft war Friedrich Wilhelm wegen der Folgen der
übereilten Verfassungszusage besorgt gewesen; zuletzt hatte er sich doch
immer wieder mit der Politik Hardenberg's ausgesöhnt, ja soeben erst das
alte Versprechen feierlich erneuert und durch neue Verheißungen verstärkt,
die den Staatscredit, wenn man sie nicht ausführte, schwer zu erschüttern
drohten. Der Staatskanzler fühlte sich ganz sicher und ließ noch zu Ende
August in der Staatszeitung das Gerücht, daß man sich mit Provinzial-
ständen begnügen wolle, als eine böswillige Erfindung scharf zurückweisen.
Doch fast im nämlichen Augenblicke erhielt der König die unglücklichen
Entwürfe der Communalordnungs-Commission. Er sah sofort, daß die
preußische Verfassung auf so schwankem Boden unmöglich aufgeführt wer-
den konnte, und von Stund an begann er sich von Hardenberg wieder
abzuwenden. Diesmal für immer.

Die Schrift Benzenberg's verstimmte ihn tief; er las sie sorgfältig
und schrieb mißbilligende Bemerkungen an den Rand, die dem Kanzler
nachher durch Wittgenstein zugetragen wurden.*) Je näher ihm das
Schreckbild der Reichsstände jetzt auf den Leib rückte, um so heftiger sträubte
sich sein innerstes Wesen dawider: glückverheißende Thronreden und dank-
erfüllte Kammeradressen, die dem lustigen Max Joseph von Baiern so
viel Vergnügen bereiteten, waren dem schüchternen Friedrich Wilhelm
furchtbar. Sein Argwohn gegen die Demagogen hatte sich noch nicht ge-
legt. Da er den Grafen Gröben, der als Bekannter von Görres unge-
recht verdächtigt worden war, seines unveränderten Wohlwollens versicherte,
konnte er doch die Bemerkung nicht unterdrücken: "selbst die frühere Ver-
bindung mit einem Manne von weniger bewährten Gesinnungen wird
mein Vertrauen gegen Sie nicht verringern."**) Und dem badischen Ge-
sandten General Stockhorn, der ihm von der wohlthätigen Wirkung der
Karlsbader Beschlüsse sprach, gab er zur Antwort: "Ist wohl wahr, aber

*) Hardenberg's Tagebuch, 9., 10. Nov. 1820.
**) König Friedrich Wilhelm an Gröben, 15. Febr. 1820.

III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
praktiſchem Verſtande, der in Wahrheit keiner Partei angehörte, aber die
agrariſchen Intereſſen eifrig vertrat und darum bei den Liberalen bald
in den Geruch junkerhafter Geſinnung kam, während ihn ſeine Standes-
genoſſen als unruhigen Kopf beargwöhnten. Er war kein unbedingter
Gegner des Staatskanzlers und billigte mindeſtens einen Theil der neuen
Reformgeſetze. Jetzt aber meinte er die legitime Machtſtellung des Groß-
grundbeſitzers bedroht; er verwahrte ſich gegen eine bureaukratiſche Politik,
welche dem Adel die Mehrheit auf den Kreistagen rauben wolle, und ge-
langte zu dem Schluß: Benzenberg’s Buch beweiſe, wie weit die preu-
ßiſche Revolution, gefördert durch die Staatsverwaltung ſelbſt, ſchon fort-
geſchritten ſei. —

Alle dieſe Feinde ließen ſich überwinden, ſo lange der König ſeinen
Kanzler hielt. Schon oft war Friedrich Wilhelm wegen der Folgen der
übereilten Verfaſſungszuſage beſorgt geweſen; zuletzt hatte er ſich doch
immer wieder mit der Politik Hardenberg’s ausgeſöhnt, ja ſoeben erſt das
alte Verſprechen feierlich erneuert und durch neue Verheißungen verſtärkt,
die den Staatscredit, wenn man ſie nicht ausführte, ſchwer zu erſchüttern
drohten. Der Staatskanzler fühlte ſich ganz ſicher und ließ noch zu Ende
Auguſt in der Staatszeitung das Gerücht, daß man ſich mit Provinzial-
ſtänden begnügen wolle, als eine böswillige Erfindung ſcharf zurückweiſen.
Doch faſt im nämlichen Augenblicke erhielt der König die unglücklichen
Entwürfe der Communalordnungs-Commiſſion. Er ſah ſofort, daß die
preußiſche Verfaſſung auf ſo ſchwankem Boden unmöglich aufgeführt wer-
den konnte, und von Stund an begann er ſich von Hardenberg wieder
abzuwenden. Diesmal für immer.

Die Schrift Benzenberg’s verſtimmte ihn tief; er las ſie ſorgfältig
und ſchrieb mißbilligende Bemerkungen an den Rand, die dem Kanzler
nachher durch Wittgenſtein zugetragen wurden.*) Je näher ihm das
Schreckbild der Reichsſtände jetzt auf den Leib rückte, um ſo heftiger ſträubte
ſich ſein innerſtes Weſen dawider: glückverheißende Thronreden und dank-
erfüllte Kammeradreſſen, die dem luſtigen Max Joſeph von Baiern ſo
viel Vergnügen bereiteten, waren dem ſchüchternen Friedrich Wilhelm
furchtbar. Sein Argwohn gegen die Demagogen hatte ſich noch nicht ge-
legt. Da er den Grafen Gröben, der als Bekannter von Görres unge-
recht verdächtigt worden war, ſeines unveränderten Wohlwollens verſicherte,
konnte er doch die Bemerkung nicht unterdrücken: „ſelbſt die frühere Ver-
bindung mit einem Manne von weniger bewährten Geſinnungen wird
mein Vertrauen gegen Sie nicht verringern.“**) Und dem badiſchen Ge-
ſandten General Stockhorn, der ihm von der wohlthätigen Wirkung der
Karlsbader Beſchlüſſe ſprach, gab er zur Antwort: „Iſt wohl wahr, aber

*) Hardenberg’s Tagebuch, 9., 10. Nov. 1820.
**) König Friedrich Wilhelm an Gröben, 15. Febr. 1820.
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[116/0132] III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. praktiſchem Verſtande, der in Wahrheit keiner Partei angehörte, aber die agrariſchen Intereſſen eifrig vertrat und darum bei den Liberalen bald in den Geruch junkerhafter Geſinnung kam, während ihn ſeine Standes- genoſſen als unruhigen Kopf beargwöhnten. Er war kein unbedingter Gegner des Staatskanzlers und billigte mindeſtens einen Theil der neuen Reformgeſetze. Jetzt aber meinte er die legitime Machtſtellung des Groß- grundbeſitzers bedroht; er verwahrte ſich gegen eine bureaukratiſche Politik, welche dem Adel die Mehrheit auf den Kreistagen rauben wolle, und ge- langte zu dem Schluß: Benzenberg’s Buch beweiſe, wie weit die preu- ßiſche Revolution, gefördert durch die Staatsverwaltung ſelbſt, ſchon fort- geſchritten ſei. — Alle dieſe Feinde ließen ſich überwinden, ſo lange der König ſeinen Kanzler hielt. Schon oft war Friedrich Wilhelm wegen der Folgen der übereilten Verfaſſungszuſage beſorgt geweſen; zuletzt hatte er ſich doch immer wieder mit der Politik Hardenberg’s ausgeſöhnt, ja ſoeben erſt das alte Verſprechen feierlich erneuert und durch neue Verheißungen verſtärkt, die den Staatscredit, wenn man ſie nicht ausführte, ſchwer zu erſchüttern drohten. Der Staatskanzler fühlte ſich ganz ſicher und ließ noch zu Ende Auguſt in der Staatszeitung das Gerücht, daß man ſich mit Provinzial- ſtänden begnügen wolle, als eine böswillige Erfindung ſcharf zurückweiſen. Doch faſt im nämlichen Augenblicke erhielt der König die unglücklichen Entwürfe der Communalordnungs-Commiſſion. Er ſah ſofort, daß die preußiſche Verfaſſung auf ſo ſchwankem Boden unmöglich aufgeführt wer- den konnte, und von Stund an begann er ſich von Hardenberg wieder abzuwenden. Diesmal für immer. Die Schrift Benzenberg’s verſtimmte ihn tief; er las ſie ſorgfältig und ſchrieb mißbilligende Bemerkungen an den Rand, die dem Kanzler nachher durch Wittgenſtein zugetragen wurden. *) Je näher ihm das Schreckbild der Reichsſtände jetzt auf den Leib rückte, um ſo heftiger ſträubte ſich ſein innerſtes Weſen dawider: glückverheißende Thronreden und dank- erfüllte Kammeradreſſen, die dem luſtigen Max Joſeph von Baiern ſo viel Vergnügen bereiteten, waren dem ſchüchternen Friedrich Wilhelm furchtbar. Sein Argwohn gegen die Demagogen hatte ſich noch nicht ge- legt. Da er den Grafen Gröben, der als Bekannter von Görres unge- recht verdächtigt worden war, ſeines unveränderten Wohlwollens verſicherte, konnte er doch die Bemerkung nicht unterdrücken: „ſelbſt die frühere Ver- bindung mit einem Manne von weniger bewährten Geſinnungen wird mein Vertrauen gegen Sie nicht verringern.“ **) Und dem badiſchen Ge- ſandten General Stockhorn, der ihm von der wohlthätigen Wirkung der Karlsbader Beſchlüſſe ſprach, gab er zur Antwort: „Iſt wohl wahr, aber *) Hardenberg’s Tagebuch, 9., 10. Nov. 1820. **) König Friedrich Wilhelm an Gröben, 15. Febr. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/132>, abgerufen am 29.11.2024.