der trotz seiner staunenswerthen Gelehrsamkeit ebenso unmöglich und im Grunde ebenso unhistorisch war wie die leichtfertigsten Verfassungsgebilde jakobinischer Volksbeglücker.
Durch Niebuhrs Forschungen verlor die urtheilslose, unbedingte Ver- ehrung des Alterthums den Boden unter den Füßen; die antike Welt ward wieder in den Fluß der Zeit gestellt. Gleichzeitig begann auch eine neue Auffassung der mittelalterlichen Geschichte durchzudringen. Die Cultur des Mittelalters war von dem philosophischen Jahrhundert leidenschaftlich bekämpft, von der jugendlichen Romantik blindlings bewundert worden; jetzt versuchte man sie zu verstehen. Der öffentlichen Meinung freilich lag der alte Rationalismus noch tief im Blute; sie bedurfte noch einer guten Weile bis sie ein wissenschaftliches Urtheil über das verhaßte finstere Mittelalter ertragen lernte. Als der junge Johannes Voigt seine Geschichte Gregors VII. herausgab, ward er von der Presse hart angelassen; der treue Protestant mußte den Vorwurf katholischer Gesinnung hören, weil er die persönliche Größe Hildebrands ehrlich anerkannt hatte. Indessen betrieb Friedrich v. Raumer die Vorarbeiten für seine Geschichte der Hohen- staufen; und wie Schön für den Wiederaufbau der Marienburg sorgte, so setzte Stein die beste Kraft seiner alten Tage an die Sammlung der Geschichtsquellen unserer Vorzeit. Zu Neujahr 1819 stiftete er die Gesell- schaft zur Herausgabe der Monumenta Germaniae. Sanctus amor pa- triae dat animum -- so lautete der bezeichnende Wahlspruch des großen Unternehmens, das nach und nach einen Stamm historischer Forscher heranbilden und für die Kenntniß des deutschen Mittelalters erst den sicheren Grund legen sollte. Das Alles war noch im Werden; die poli- tische Geschichtschreibung fand während der ersten Friedensjahre allein in Niebuhr einen classischen Vertreter.
Um so reichere Erfolge errangen die Philologen, die sich jetzt erst ihrer historischen Aufgabe klar bewußt wurden. Der Ausspruch Boeckhs "es giebt keine Philologie, die nicht Geschichte ist" war in Aller Munde. Die Sprachforscher erfüllten was die Poeten der Romantik versprochen hatten. Nun kam sie wirklich, die Zeit, die einst Novalis geweissagt,
wo man in Märchen und Gedichten erkennt die ew'gen Weltgeschichten.
Und auch jenes stolze Wort Friedrich Schlegels, das den Historiker einen rückwärts gewandten Propheten nannte, fand jetzt seine Bewährung, da plötzlich die ferne, bisher aller Untersuchung unzugängliche Jugendzeit der indogermanischen Völker durch die Strahlen der Forschung erhellt ward und von ihr wieder ein erklärendes Licht auf die Grundlagen der heutigen europäischen Cultur zurückfiel. Derselbe Zug der Zeit, der die Ideen der historischen Staats- und Rechtslehre beherrschte, trieb auch die Philologen die Sprache als ein ewig Werdendes zu begreifen. Auch sie führten, wie Niebuhr und Savigny, den Kampf gegen die Abstraktionen
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Mittelalterliche Forſchungen.
der trotz ſeiner ſtaunenswerthen Gelehrſamkeit ebenſo unmöglich und im Grunde ebenſo unhiſtoriſch war wie die leichtfertigſten Verfaſſungsgebilde jakobiniſcher Volksbeglücker.
Durch Niebuhrs Forſchungen verlor die urtheilsloſe, unbedingte Ver- ehrung des Alterthums den Boden unter den Füßen; die antike Welt ward wieder in den Fluß der Zeit geſtellt. Gleichzeitig begann auch eine neue Auffaſſung der mittelalterlichen Geſchichte durchzudringen. Die Cultur des Mittelalters war von dem philoſophiſchen Jahrhundert leidenſchaftlich bekämpft, von der jugendlichen Romantik blindlings bewundert worden; jetzt verſuchte man ſie zu verſtehen. Der öffentlichen Meinung freilich lag der alte Rationalismus noch tief im Blute; ſie bedurfte noch einer guten Weile bis ſie ein wiſſenſchaftliches Urtheil über das verhaßte finſtere Mittelalter ertragen lernte. Als der junge Johannes Voigt ſeine Geſchichte Gregors VII. herausgab, ward er von der Preſſe hart angelaſſen; der treue Proteſtant mußte den Vorwurf katholiſcher Geſinnung hören, weil er die perſönliche Größe Hildebrands ehrlich anerkannt hatte. Indeſſen betrieb Friedrich v. Raumer die Vorarbeiten für ſeine Geſchichte der Hohen- ſtaufen; und wie Schön für den Wiederaufbau der Marienburg ſorgte, ſo ſetzte Stein die beſte Kraft ſeiner alten Tage an die Sammlung der Geſchichtsquellen unſerer Vorzeit. Zu Neujahr 1819 ſtiftete er die Geſell- ſchaft zur Herausgabe der Monumenta Germaniae. Sanctus amor pa- triae dat animum — ſo lautete der bezeichnende Wahlſpruch des großen Unternehmens, das nach und nach einen Stamm hiſtoriſcher Forſcher heranbilden und für die Kenntniß des deutſchen Mittelalters erſt den ſicheren Grund legen ſollte. Das Alles war noch im Werden; die poli- tiſche Geſchichtſchreibung fand während der erſten Friedensjahre allein in Niebuhr einen claſſiſchen Vertreter.
Um ſo reichere Erfolge errangen die Philologen, die ſich jetzt erſt ihrer hiſtoriſchen Aufgabe klar bewußt wurden. Der Ausſpruch Boeckhs „es giebt keine Philologie, die nicht Geſchichte iſt“ war in Aller Munde. Die Sprachforſcher erfüllten was die Poeten der Romantik verſprochen hatten. Nun kam ſie wirklich, die Zeit, die einſt Novalis geweiſſagt,
wo man in Märchen und Gedichten erkennt die ew’gen Weltgeſchichten.
Und auch jenes ſtolze Wort Friedrich Schlegels, das den Hiſtoriker einen rückwärts gewandten Propheten nannte, fand jetzt ſeine Bewährung, da plötzlich die ferne, bisher aller Unterſuchung unzugängliche Jugendzeit der indogermaniſchen Völker durch die Strahlen der Forſchung erhellt ward und von ihr wieder ein erklärendes Licht auf die Grundlagen der heutigen europäiſchen Cultur zurückfiel. Derſelbe Zug der Zeit, der die Ideen der hiſtoriſchen Staats- und Rechtslehre beherrſchte, trieb auch die Philologen die Sprache als ein ewig Werdendes zu begreifen. Auch ſie führten, wie Niebuhr und Savigny, den Kampf gegen die Abſtraktionen
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Mittelalterliche Forſchungen.
der trotz ſeiner ſtaunenswerthen Gelehrſamkeit ebenſo unmöglich und im
Grunde ebenſo unhiſtoriſch war wie die leichtfertigſten Verfaſſungsgebilde
jakobiniſcher Volksbeglücker.
Durch Niebuhrs Forſchungen verlor die urtheilsloſe, unbedingte Ver-
ehrung des Alterthums den Boden unter den Füßen; die antike Welt
ward wieder in den Fluß der Zeit geſtellt. Gleichzeitig begann auch eine
neue Auffaſſung der mittelalterlichen Geſchichte durchzudringen. Die Cultur
des Mittelalters war von dem philoſophiſchen Jahrhundert leidenſchaftlich
bekämpft, von der jugendlichen Romantik blindlings bewundert worden;
jetzt verſuchte man ſie zu verſtehen. Der öffentlichen Meinung freilich
lag der alte Rationalismus noch tief im Blute; ſie bedurfte noch einer
guten Weile bis ſie ein wiſſenſchaftliches Urtheil über das verhaßte finſtere
Mittelalter ertragen lernte. Als der junge Johannes Voigt ſeine Geſchichte
Gregors VII. herausgab, ward er von der Preſſe hart angelaſſen; der
treue Proteſtant mußte den Vorwurf katholiſcher Geſinnung hören, weil
er die perſönliche Größe Hildebrands ehrlich anerkannt hatte. Indeſſen
betrieb Friedrich v. Raumer die Vorarbeiten für ſeine Geſchichte der Hohen-
ſtaufen; und wie Schön für den Wiederaufbau der Marienburg ſorgte,
ſo ſetzte Stein die beſte Kraft ſeiner alten Tage an die Sammlung der
Geſchichtsquellen unſerer Vorzeit. Zu Neujahr 1819 ſtiftete er die Geſell-
ſchaft zur Herausgabe der Monumenta Germaniae. Sanctus amor pa-
triae dat animum — ſo lautete der bezeichnende Wahlſpruch des großen
Unternehmens, das nach und nach einen Stamm hiſtoriſcher Forſcher
heranbilden und für die Kenntniß des deutſchen Mittelalters erſt den
ſicheren Grund legen ſollte. Das Alles war noch im Werden; die poli-
tiſche Geſchichtſchreibung fand während der erſten Friedensjahre allein in
Niebuhr einen claſſiſchen Vertreter.
Um ſo reichere Erfolge errangen die Philologen, die ſich jetzt erſt
ihrer hiſtoriſchen Aufgabe klar bewußt wurden. Der Ausſpruch Boeckhs
„es giebt keine Philologie, die nicht Geſchichte iſt“ war in Aller Munde.
Die Sprachforſcher erfüllten was die Poeten der Romantik verſprochen
hatten. Nun kam ſie wirklich, die Zeit, die einſt Novalis geweiſſagt,
wo man in Märchen und Gedichten
erkennt die ew’gen Weltgeſchichten.
Und auch jenes ſtolze Wort Friedrich Schlegels, das den Hiſtoriker einen
rückwärts gewandten Propheten nannte, fand jetzt ſeine Bewährung, da
plötzlich die ferne, bisher aller Unterſuchung unzugängliche Jugendzeit
der indogermaniſchen Völker durch die Strahlen der Forſchung erhellt
ward und von ihr wieder ein erklärendes Licht auf die Grundlagen der
heutigen europäiſchen Cultur zurückfiel. Derſelbe Zug der Zeit, der die
Ideen der hiſtoriſchen Staats- und Rechtslehre beherrſchte, trieb auch die
Philologen die Sprache als ein ewig Werdendes zu begreifen. Auch ſie
führten, wie Niebuhr und Savigny, den Kampf gegen die Abſtraktionen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/81>, abgerufen am 23.11.2024.
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