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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Verhandlungen mit Sondershausen.
das Zollwesen der Provinz Sachsen nicht dem Belieben Oesterreichs und
der Bundestagsmehrheit preisgeben, sondern gab sich der Hoffnung hin,
die Erkenntniß des eigenen Vortheils würde die kleinen thüringischen Dy-
nasten bestimmen auf das Anerbieten Preußens einzugehen und ihre
enclavirten Gebietstheile durch Verträge dem preußischen Zollsystem anzu-
schließen. In der That wendeten sich die kleinen Nachbarn allesammt so-
gleich an den Berliner Hof, aber nur um zu fordern, daß Preußen sein
Enclavensystem alsbald wieder aufhebe; wie dies möglich sein sollte, wußten
sie freilich nicht anzugeben. Besonders hart fühlte sich der wohlmeinende
Fürst Anton Günther von Schwarzburg-Sondershausen getroffen. Die
Hauptmasse seines Reiches, die Unterherrschaft mit der Hauptstadt, ein
Land von fast 30,000 Einwohnern, war von preußischem Gebiet um-
schlossen und dem preußischen Zollwesen einverleibt; da die Krone Preußen
als Rechtsnachfolgerin von Kursachsen hier überdies das Postregal und
einige andere Hoheitsrechte ausübte, so blieb dem Fürsten von seiner
theueren Souveränität allerdings wenig übrig. Mit dringenden Bitten
mußten also erst der vielgeplagte gemeinsame thüringische Gesandte General
Lestocq, dann das Sondershausener Geheime Consilium selbst den preu-
ßischen Hof bestürmen um "Zurücknahme einer Anordnung, in welche
man schwarzburg-sonderhausenscher Seits sich nie zu fügen entschlossen ist."

Minister Klewiz erwiderte verbindlich, durch einen Vertrag könne die
Angelegenheit ohne Schwierigkeit geordnet werden; er gewährte auch dem
Fürsten freundnachbarlich Freipässe für die Verzehrung seines Hofhalts,
aber eine Abänderung des Gesetzes schlug er rundweg ab, da die Gefahr
des Schmuggels aus den kleinen Nachbarlanden gar zu groß sei.*) In
Sondershausen wollte man den Wink nicht verstehen. Mehrere Monate
hindurch wurde die preußische Regierung immer von Neuem mit der An-
frage belästigt, ob sie nun endlich bereit sei eine Verfügung aufzuheben,
welche so gröblich in die Rechte der Sondershausener Souveränität ein-
greife. Der Fürst selber richtete an den König die "devoteste Bitte", ihn
"durch einen neuen Beweis Allerhöchstdero allgemein verehrter und geprie-
sener Liberalität und Großmuth zum unbegrenztesten und devotesten Danke
zu verpflichten."**) Alles war vergeblich; die unterthänige Form konnte
über den anmaßenden Inhalt der Bittschriften nicht täuschen. Dann kam
der Kanzler v. Weise selbst nach Berlin, ein wackerer alter Herr, der im
Verein mit seinem Sohne, dem Geheimen Rath, das Sondershausener
Ländchen patriarchalisch regierte. Auch er richtete nichts aus.

Mittlerweile hatte sich Vicepräsident v. Motz in Erfurt des Streites

*) Lestocq an Bernstorff 22. Jan.; Schreiben des Sondershausener Geh. Consiliums
an Bernstorff 27. Febr., an Klewiz 9. Febr.; Klewiz an Kanzler v. Weise 30. Jan.,
an Bernstorff 18. März 1819.
**) Kanzler v. Weise an Hoffmann, 23. April; Fürst Anton Günther an König
Friedrich Wilhelm, 29. Juli 1819.

Verhandlungen mit Sondershauſen.
das Zollweſen der Provinz Sachſen nicht dem Belieben Oeſterreichs und
der Bundestagsmehrheit preisgeben, ſondern gab ſich der Hoffnung hin,
die Erkenntniß des eigenen Vortheils würde die kleinen thüringiſchen Dy-
naſten beſtimmen auf das Anerbieten Preußens einzugehen und ihre
enclavirten Gebietstheile durch Verträge dem preußiſchen Zollſyſtem anzu-
ſchließen. In der That wendeten ſich die kleinen Nachbarn alleſammt ſo-
gleich an den Berliner Hof, aber nur um zu fordern, daß Preußen ſein
Enclavenſyſtem alsbald wieder aufhebe; wie dies möglich ſein ſollte, wußten
ſie freilich nicht anzugeben. Beſonders hart fühlte ſich der wohlmeinende
Fürſt Anton Günther von Schwarzburg-Sondershauſen getroffen. Die
Hauptmaſſe ſeines Reiches, die Unterherrſchaft mit der Hauptſtadt, ein
Land von faſt 30,000 Einwohnern, war von preußiſchem Gebiet um-
ſchloſſen und dem preußiſchen Zollweſen einverleibt; da die Krone Preußen
als Rechtsnachfolgerin von Kurſachſen hier überdies das Poſtregal und
einige andere Hoheitsrechte ausübte, ſo blieb dem Fürſten von ſeiner
theueren Souveränität allerdings wenig übrig. Mit dringenden Bitten
mußten alſo erſt der vielgeplagte gemeinſame thüringiſche Geſandte General
Leſtocq, dann das Sondershauſener Geheime Conſilium ſelbſt den preu-
ßiſchen Hof beſtürmen um „Zurücknahme einer Anordnung, in welche
man ſchwarzburg-ſonderhauſenſcher Seits ſich nie zu fügen entſchloſſen iſt.“

Miniſter Klewiz erwiderte verbindlich, durch einen Vertrag könne die
Angelegenheit ohne Schwierigkeit geordnet werden; er gewährte auch dem
Fürſten freundnachbarlich Freipäſſe für die Verzehrung ſeines Hofhalts,
aber eine Abänderung des Geſetzes ſchlug er rundweg ab, da die Gefahr
des Schmuggels aus den kleinen Nachbarlanden gar zu groß ſei.*) In
Sondershauſen wollte man den Wink nicht verſtehen. Mehrere Monate
hindurch wurde die preußiſche Regierung immer von Neuem mit der An-
frage beläſtigt, ob ſie nun endlich bereit ſei eine Verfügung aufzuheben,
welche ſo gröblich in die Rechte der Sondershauſener Souveränität ein-
greife. Der Fürſt ſelber richtete an den König die „devoteſte Bitte“, ihn
„durch einen neuen Beweis Allerhöchſtdero allgemein verehrter und geprie-
ſener Liberalität und Großmuth zum unbegrenzteſten und devoteſten Danke
zu verpflichten.“**) Alles war vergeblich; die unterthänige Form konnte
über den anmaßenden Inhalt der Bittſchriften nicht täuſchen. Dann kam
der Kanzler v. Weiſe ſelbſt nach Berlin, ein wackerer alter Herr, der im
Verein mit ſeinem Sohne, dem Geheimen Rath, das Sondershauſener
Ländchen patriarchaliſch regierte. Auch er richtete nichts aus.

Mittlerweile hatte ſich Vicepräſident v. Motz in Erfurt des Streites

*) Leſtocq an Bernſtorff 22. Jan.; Schreiben des Sondershauſener Geh. Conſiliums
an Bernſtorff 27. Febr., an Klewiz 9. Febr.; Klewiz an Kanzler v. Weiſe 30. Jan.,
an Bernſtorff 18. März 1819.
**) Kanzler v. Weiſe an Hoffmann, 23. April; Fürſt Anton Günther an König
Friedrich Wilhelm, 29. Juli 1819.
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[623/0637] Verhandlungen mit Sondershauſen. das Zollweſen der Provinz Sachſen nicht dem Belieben Oeſterreichs und der Bundestagsmehrheit preisgeben, ſondern gab ſich der Hoffnung hin, die Erkenntniß des eigenen Vortheils würde die kleinen thüringiſchen Dy- naſten beſtimmen auf das Anerbieten Preußens einzugehen und ihre enclavirten Gebietstheile durch Verträge dem preußiſchen Zollſyſtem anzu- ſchließen. In der That wendeten ſich die kleinen Nachbarn alleſammt ſo- gleich an den Berliner Hof, aber nur um zu fordern, daß Preußen ſein Enclavenſyſtem alsbald wieder aufhebe; wie dies möglich ſein ſollte, wußten ſie freilich nicht anzugeben. Beſonders hart fühlte ſich der wohlmeinende Fürſt Anton Günther von Schwarzburg-Sondershauſen getroffen. Die Hauptmaſſe ſeines Reiches, die Unterherrſchaft mit der Hauptſtadt, ein Land von faſt 30,000 Einwohnern, war von preußiſchem Gebiet um- ſchloſſen und dem preußiſchen Zollweſen einverleibt; da die Krone Preußen als Rechtsnachfolgerin von Kurſachſen hier überdies das Poſtregal und einige andere Hoheitsrechte ausübte, ſo blieb dem Fürſten von ſeiner theueren Souveränität allerdings wenig übrig. Mit dringenden Bitten mußten alſo erſt der vielgeplagte gemeinſame thüringiſche Geſandte General Leſtocq, dann das Sondershauſener Geheime Conſilium ſelbſt den preu- ßiſchen Hof beſtürmen um „Zurücknahme einer Anordnung, in welche man ſchwarzburg-ſonderhauſenſcher Seits ſich nie zu fügen entſchloſſen iſt.“ Miniſter Klewiz erwiderte verbindlich, durch einen Vertrag könne die Angelegenheit ohne Schwierigkeit geordnet werden; er gewährte auch dem Fürſten freundnachbarlich Freipäſſe für die Verzehrung ſeines Hofhalts, aber eine Abänderung des Geſetzes ſchlug er rundweg ab, da die Gefahr des Schmuggels aus den kleinen Nachbarlanden gar zu groß ſei. *) In Sondershauſen wollte man den Wink nicht verſtehen. Mehrere Monate hindurch wurde die preußiſche Regierung immer von Neuem mit der An- frage beläſtigt, ob ſie nun endlich bereit ſei eine Verfügung aufzuheben, welche ſo gröblich in die Rechte der Sondershauſener Souveränität ein- greife. Der Fürſt ſelber richtete an den König die „devoteſte Bitte“, ihn „durch einen neuen Beweis Allerhöchſtdero allgemein verehrter und geprie- ſener Liberalität und Großmuth zum unbegrenzteſten und devoteſten Danke zu verpflichten.“ **) Alles war vergeblich; die unterthänige Form konnte über den anmaßenden Inhalt der Bittſchriften nicht täuſchen. Dann kam der Kanzler v. Weiſe ſelbſt nach Berlin, ein wackerer alter Herr, der im Verein mit ſeinem Sohne, dem Geheimen Rath, das Sondershauſener Ländchen patriarchaliſch regierte. Auch er richtete nichts aus. Mittlerweile hatte ſich Vicepräſident v. Motz in Erfurt des Streites *) Leſtocq an Bernſtorff 22. Jan.; Schreiben des Sondershauſener Geh. Conſiliums an Bernſtorff 27. Febr., an Klewiz 9. Febr.; Klewiz an Kanzler v. Weiſe 30. Jan., an Bernſtorff 18. März 1819. **) Kanzler v. Weiſe an Hoffmann, 23. April; Fürſt Anton Günther an König Friedrich Wilhelm, 29. Juli 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/637>, abgerufen am 25.11.2024.