als Greis hat er Radowitz's Unionspläne als unausführbare Träume be- kämpft. --
Einen widerwärtigen Uebelstand, der sofort beseitigt werden mußte, bot die Lage der zahlreichen Enclaven. Die Zolllinien wurden alsbald soweit vorgeschoben, daß sie die anhaltischen Herzogthümer fast ganz und auch einen Theil der kleinen thüringischen Gebiete, die mit Preußen im Gemenge lagen, umfaßten. Alle nach diesen Ländern eingeführten Waaren unterlagen ohne Weiteres den preußischen Einfuhrzöllen. Erst nachdem die neue Grenz- bewachung in Kraft getreten, ließ Eichhorn, zu Anfang 1819, diesen Staaten die Einladung zugehen, mit dem Berliner Cabinet wegen des Zollwesens zu verhandeln. Der König sei bereit, nach billiger Uebereinkunft den Landes- herren der eingeschlossenen Gebiete das Einkommen zu überweisen, das seinen Staats-Kassen aus den Enclaven zufließe. Dies kurz angebundene Ver- fahren, das in den Papieren des Finanzministeriums als "unser Enclaven- system" bezeichnet ward, mußte allerdings die kleinen Höfe befremden; doch die Nothwendigkeit gebot, diesen Nachbarn zu zeigen, daß sie in ihrer Han- delspolitik von Preußen abhängig seien. Nur gutmüthige Schwäche konnte das Gelingen der großen Zollreform abhängen lassen von der vorausgehenden Zustimmung eines Dutzends kleiner Herren, die nach deutscher Fürstenweise allein für die Beredsamkeit vollendeter Thatsachen empfänglich waren. Ledig- lich die Eitelkeit der Nachbarfürsten ward gekränkt; den wirthschaftlichen Interessen der Enclaven gereichte Preußens Vorgehen offenbar zum Segen. Eine selbständige Handespolitik blieb in diesen armseligen Gebietstrümmern ja doch undenkbar. Das Gedeihen ihrer Volkswirthschaft wurde sofort ver- nichtet, wenn Preußen sie von seinem Zollsystem ausschloß und sie mit seinen Schlagbäumen rings umstellte; auch der Handel innerhalb der Provinz Sachsen erlitt ärgerliche Störung, wenn alle durch das Anhaltische oder das Schwarzburgische gehenden Waaren verbleit und der Controle der Zoll- ämter unterworfen werden mußten. Ebenso wenig durfte Preußen den Ver- kehr der Enclaven völlig unbeaufsichtigt lassen. Was diese Ländchen selbst an Zolleinkünften aufbrachten, bildete freilich nur den achtzigsten Theil der preußischen Zolleinnahmen; doch durch den Schmuggel konnten sie den Finanzen Preußens hochgefährlich werden.
Durch die heilsame Rücksichtslosigkeit der Berliner Finanzmänner er- hielten die Enclaven freien Verkehr auf dem preußischen Markte, ihre Staatskassen die Zusage eines gesicherten reichlichen Einkommens, das sie aus eigener Kraft niemals erwerben konnten. Die preußische Regierung handelte in gutem Glauben; sie war bereit ihr eigenes Enclavensystem auch gegen preußisches Gebiet anwenden zu lassen; mehrmals erklärte sie, wenn ein süddeutscher Zollverein zu Stande komme, so müsse der enclavirte Kreis Wetzlar sich diesem Zollsystem unterwerfen.*) Ganz unhaltbar war vollends
*) So u. A. in einer Denkschrift des Finanzministeriums vom 28. Dec. 1824.
II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
als Greis hat er Radowitz’s Unionspläne als unausführbare Träume be- kämpft. —
Einen widerwärtigen Uebelſtand, der ſofort beſeitigt werden mußte, bot die Lage der zahlreichen Enclaven. Die Zolllinien wurden alsbald ſoweit vorgeſchoben, daß ſie die anhaltiſchen Herzogthümer faſt ganz und auch einen Theil der kleinen thüringiſchen Gebiete, die mit Preußen im Gemenge lagen, umfaßten. Alle nach dieſen Ländern eingeführten Waaren unterlagen ohne Weiteres den preußiſchen Einfuhrzöllen. Erſt nachdem die neue Grenz- bewachung in Kraft getreten, ließ Eichhorn, zu Anfang 1819, dieſen Staaten die Einladung zugehen, mit dem Berliner Cabinet wegen des Zollweſens zu verhandeln. Der König ſei bereit, nach billiger Uebereinkunft den Landes- herren der eingeſchloſſenen Gebiete das Einkommen zu überweiſen, das ſeinen Staats-Kaſſen aus den Enclaven zufließe. Dies kurz angebundene Ver- fahren, das in den Papieren des Finanzminiſteriums als „unſer Enclaven- ſyſtem“ bezeichnet ward, mußte allerdings die kleinen Höfe befremden; doch die Nothwendigkeit gebot, dieſen Nachbarn zu zeigen, daß ſie in ihrer Han- delspolitik von Preußen abhängig ſeien. Nur gutmüthige Schwäche konnte das Gelingen der großen Zollreform abhängen laſſen von der vorausgehenden Zuſtimmung eines Dutzends kleiner Herren, die nach deutſcher Fürſtenweiſe allein für die Beredſamkeit vollendeter Thatſachen empfänglich waren. Ledig- lich die Eitelkeit der Nachbarfürſten ward gekränkt; den wirthſchaftlichen Intereſſen der Enclaven gereichte Preußens Vorgehen offenbar zum Segen. Eine ſelbſtändige Handespolitik blieb in dieſen armſeligen Gebietstrümmern ja doch undenkbar. Das Gedeihen ihrer Volkswirthſchaft wurde ſofort ver- nichtet, wenn Preußen ſie von ſeinem Zollſyſtem ausſchloß und ſie mit ſeinen Schlagbäumen rings umſtellte; auch der Handel innerhalb der Provinz Sachſen erlitt ärgerliche Störung, wenn alle durch das Anhaltiſche oder das Schwarzburgiſche gehenden Waaren verbleit und der Controle der Zoll- ämter unterworfen werden mußten. Ebenſo wenig durfte Preußen den Ver- kehr der Enclaven völlig unbeaufſichtigt laſſen. Was dieſe Ländchen ſelbſt an Zolleinkünften aufbrachten, bildete freilich nur den achtzigſten Theil der preußiſchen Zolleinnahmen; doch durch den Schmuggel konnten ſie den Finanzen Preußens hochgefährlich werden.
Durch die heilſame Rückſichtsloſigkeit der Berliner Finanzmänner er- hielten die Enclaven freien Verkehr auf dem preußiſchen Markte, ihre Staatskaſſen die Zuſage eines geſicherten reichlichen Einkommens, das ſie aus eigener Kraft niemals erwerben konnten. Die preußiſche Regierung handelte in gutem Glauben; ſie war bereit ihr eigenes Enclavenſyſtem auch gegen preußiſches Gebiet anwenden zu laſſen; mehrmals erklärte ſie, wenn ein ſüddeutſcher Zollverein zu Stande komme, ſo müſſe der enclavirte Kreis Wetzlar ſich dieſem Zollſyſtem unterwerfen.*) Ganz unhaltbar war vollends
*) So u. A. in einer Denkſchrift des Finanzminiſteriums vom 28. Dec. 1824.
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II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
als Greis hat er Radowitz’s Unionspläne als unausführbare Träume be-
kämpft. —
Einen widerwärtigen Uebelſtand, der ſofort beſeitigt werden mußte, bot
die Lage der zahlreichen Enclaven. Die Zolllinien wurden alsbald ſoweit
vorgeſchoben, daß ſie die anhaltiſchen Herzogthümer faſt ganz und auch einen
Theil der kleinen thüringiſchen Gebiete, die mit Preußen im Gemenge lagen,
umfaßten. Alle nach dieſen Ländern eingeführten Waaren unterlagen ohne
Weiteres den preußiſchen Einfuhrzöllen. Erſt nachdem die neue Grenz-
bewachung in Kraft getreten, ließ Eichhorn, zu Anfang 1819, dieſen Staaten
die Einladung zugehen, mit dem Berliner Cabinet wegen des Zollweſens
zu verhandeln. Der König ſei bereit, nach billiger Uebereinkunft den Landes-
herren der eingeſchloſſenen Gebiete das Einkommen zu überweiſen, das ſeinen
Staats-Kaſſen aus den Enclaven zufließe. Dies kurz angebundene Ver-
fahren, das in den Papieren des Finanzminiſteriums als „unſer Enclaven-
ſyſtem“ bezeichnet ward, mußte allerdings die kleinen Höfe befremden; doch
die Nothwendigkeit gebot, dieſen Nachbarn zu zeigen, daß ſie in ihrer Han-
delspolitik von Preußen abhängig ſeien. Nur gutmüthige Schwäche konnte
das Gelingen der großen Zollreform abhängen laſſen von der vorausgehenden
Zuſtimmung eines Dutzends kleiner Herren, die nach deutſcher Fürſtenweiſe
allein für die Beredſamkeit vollendeter Thatſachen empfänglich waren. Ledig-
lich die Eitelkeit der Nachbarfürſten ward gekränkt; den wirthſchaftlichen
Intereſſen der Enclaven gereichte Preußens Vorgehen offenbar zum Segen.
Eine ſelbſtändige Handespolitik blieb in dieſen armſeligen Gebietstrümmern
ja doch undenkbar. Das Gedeihen ihrer Volkswirthſchaft wurde ſofort ver-
nichtet, wenn Preußen ſie von ſeinem Zollſyſtem ausſchloß und ſie mit ſeinen
Schlagbäumen rings umſtellte; auch der Handel innerhalb der Provinz
Sachſen erlitt ärgerliche Störung, wenn alle durch das Anhaltiſche oder
das Schwarzburgiſche gehenden Waaren verbleit und der Controle der Zoll-
ämter unterworfen werden mußten. Ebenſo wenig durfte Preußen den Ver-
kehr der Enclaven völlig unbeaufſichtigt laſſen. Was dieſe Ländchen ſelbſt
an Zolleinkünften aufbrachten, bildete freilich nur den achtzigſten Theil der
preußiſchen Zolleinnahmen; doch durch den Schmuggel konnten ſie den
Finanzen Preußens hochgefährlich werden.
Durch die heilſame Rückſichtsloſigkeit der Berliner Finanzmänner er-
hielten die Enclaven freien Verkehr auf dem preußiſchen Markte, ihre
Staatskaſſen die Zuſage eines geſicherten reichlichen Einkommens, das ſie
aus eigener Kraft niemals erwerben konnten. Die preußiſche Regierung
handelte in gutem Glauben; ſie war bereit ihr eigenes Enclavenſyſtem auch
gegen preußiſches Gebiet anwenden zu laſſen; mehrmals erklärte ſie, wenn
ein ſüddeutſcher Zollverein zu Stande komme, ſo müſſe der enclavirte Kreis
Wetzlar ſich dieſem Zollſyſtem unterwerfen. *) Ganz unhaltbar war vollends
*) So u. A. in einer Denkſchrift des Finanzminiſteriums vom 28. Dec. 1824.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/634>, abgerufen am 22.11.2024.
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