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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Eichhorns deutsche Politik.
geübt wie Eichhorn. Da watet der geistvolle Mann jahraus jahrein durch
den zähen Schlamm armseliger Verhandlungen, die schon beim Durchlesen
körperlichen Ekel erregen. Nichts schwächt ihm die Frische des Geistes;
immer bleibt ihm der Gedanke gegenwärtig, welch großes Ziel hinter den
kleinen Händeln winkt; immer wieder rafft sich sein gebrechlicher Körper
nach schweren Krankheitsanfällen zu rastloser Thätigkeit auf. Ueberall hat
er seine Augen; wie der Arzt am Krankenbette überwacht er die Stimmung
der kleinen Höfe, ihre Bosheit, ihre Selbstsucht, ihre rathlose Thorheit.
Zuweilen hilft er sich mit einem scharfen Witze über die Langeweile hinaus.
"Was wohl die herzoglich sächsischen Häuser beabsichtigen? -- schreibt er
einmal -- Ja, wenn sie es nur selber wüßten!" Und nach allem Jammer,
den ihm die Kleinfürsten zu kosten geben, bewahrt er ihnen doch Achtung
und Wohlwollen, kommt bereitwillig, mit bundesfreundlicher Gesinnung,
jedem billigen Wunsche entgegen. Oftmals schlugen die schmutzigen Wellen
der Demagogenverfolgung gegen seinen ehrlichen Namen an; er blieb sich
selber treu, trat tapfer ein für seine verfolgten Freunde und behauptete
sich doch im Vertrauen des Königs. Dann hat Fürst Metternich viele
Jahre hindurch alle seine schlechten Künste spielen lassen gegen den ver-
haßten Patrioten, der in Wien als der böse Dämon Preußens galt. Zu-
gleich schmähte die liberale Presse auf den Servilen. Er aber trug gelassen
Stein auf Stein zu dem unscheinbaren Bau deutscher Handelseinheit und
duldete schweigend die Unbilden der öffentlichen Meinung, denn jeder Ver-
such einer lauten Rechtfertigung wäre sein sicherer Sturz gewesen. Nachher
kam doch eine Zeit, da mindestens die Höfe sein Verdienst erkannten;
sämmtliche Orden des deutschen Bundes, nur kein österreichischer, wurden
dem anspruchslosen Geheimen Rathe verliehen, und die Staatsschriften der
dankbaren Zollverbündeten priesen ihn als "die Seele des preußischen Mi-
nisteriums". Die Nation aber erfuhr niemals ganz was sie ihm schuldete.

Seine Hoffnung war, das preußische Zollsystem durch Verträge mit
den deutschen Nachbarstaaten allmählich zu erweitern. Für die Formen und
Grenzen dieser Erweiterung hat er nicht im Voraus einen festen Plan
entworfen; er stellte sie, da er die Schwierigkeit des Unternehmens richtig
würdigte, dem unberechenbaren Gange der Ereignisse anheim. Die Frage, ob
Preußens Zollschranken dereinst am Main oder am Bodensee stehen wür-
den, war im Jahr 1819 noch nicht praktisch; sie konnte den Leiter der
preußisch-deutschen Politik vielleicht in seinen Träumen, sie durfte ihn nicht
bei seiner Arbeit beschäftigen. Nur das Eine war ihm sicher, daß das neue
Zollsystem aufrecht bleiben, den festen Kern bilden müsse für die Neu-
gestaltung des deutschen Verkehrs. Er verlangte freie Hand für Preußens
Handelspolitik, wies von diesem Gebiete die Einmischung Oesterreichs ent-
schieden zurück. Aber jede Feindseligkeit gegen die Hofburg lag ihm fern;
der Gedanke, den Deutschen Bund von Oesterreich abzutrennen, blieb ihm,
dem Conservativen, der in den Ideen von 1813 lebte, völlig fremd. Noch

Eichhorns deutſche Politik.
geübt wie Eichhorn. Da watet der geiſtvolle Mann jahraus jahrein durch
den zähen Schlamm armſeliger Verhandlungen, die ſchon beim Durchleſen
körperlichen Ekel erregen. Nichts ſchwächt ihm die Friſche des Geiſtes;
immer bleibt ihm der Gedanke gegenwärtig, welch großes Ziel hinter den
kleinen Händeln winkt; immer wieder rafft ſich ſein gebrechlicher Körper
nach ſchweren Krankheitsanfällen zu raſtloſer Thätigkeit auf. Ueberall hat
er ſeine Augen; wie der Arzt am Krankenbette überwacht er die Stimmung
der kleinen Höfe, ihre Bosheit, ihre Selbſtſucht, ihre rathloſe Thorheit.
Zuweilen hilft er ſich mit einem ſcharfen Witze über die Langeweile hinaus.
„Was wohl die herzoglich ſächſiſchen Häuſer beabſichtigen? — ſchreibt er
einmal — Ja, wenn ſie es nur ſelber wüßten!“ Und nach allem Jammer,
den ihm die Kleinfürſten zu koſten geben, bewahrt er ihnen doch Achtung
und Wohlwollen, kommt bereitwillig, mit bundesfreundlicher Geſinnung,
jedem billigen Wunſche entgegen. Oftmals ſchlugen die ſchmutzigen Wellen
der Demagogenverfolgung gegen ſeinen ehrlichen Namen an; er blieb ſich
ſelber treu, trat tapfer ein für ſeine verfolgten Freunde und behauptete
ſich doch im Vertrauen des Königs. Dann hat Fürſt Metternich viele
Jahre hindurch alle ſeine ſchlechten Künſte ſpielen laſſen gegen den ver-
haßten Patrioten, der in Wien als der böſe Dämon Preußens galt. Zu-
gleich ſchmähte die liberale Preſſe auf den Servilen. Er aber trug gelaſſen
Stein auf Stein zu dem unſcheinbaren Bau deutſcher Handelseinheit und
duldete ſchweigend die Unbilden der öffentlichen Meinung, denn jeder Ver-
ſuch einer lauten Rechtfertigung wäre ſein ſicherer Sturz geweſen. Nachher
kam doch eine Zeit, da mindeſtens die Höfe ſein Verdienſt erkannten;
ſämmtliche Orden des deutſchen Bundes, nur kein öſterreichiſcher, wurden
dem anſpruchsloſen Geheimen Rathe verliehen, und die Staatsſchriften der
dankbaren Zollverbündeten prieſen ihn als „die Seele des preußiſchen Mi-
niſteriums“. Die Nation aber erfuhr niemals ganz was ſie ihm ſchuldete.

Seine Hoffnung war, das preußiſche Zollſyſtem durch Verträge mit
den deutſchen Nachbarſtaaten allmählich zu erweitern. Für die Formen und
Grenzen dieſer Erweiterung hat er nicht im Voraus einen feſten Plan
entworfen; er ſtellte ſie, da er die Schwierigkeit des Unternehmens richtig
würdigte, dem unberechenbaren Gange der Ereigniſſe anheim. Die Frage, ob
Preußens Zollſchranken dereinſt am Main oder am Bodenſee ſtehen wür-
den, war im Jahr 1819 noch nicht praktiſch; ſie konnte den Leiter der
preußiſch-deutſchen Politik vielleicht in ſeinen Träumen, ſie durfte ihn nicht
bei ſeiner Arbeit beſchäftigen. Nur das Eine war ihm ſicher, daß das neue
Zollſyſtem aufrecht bleiben, den feſten Kern bilden müſſe für die Neu-
geſtaltung des deutſchen Verkehrs. Er verlangte freie Hand für Preußens
Handelspolitik, wies von dieſem Gebiete die Einmiſchung Oeſterreichs ent-
ſchieden zurück. Aber jede Feindſeligkeit gegen die Hofburg lag ihm fern;
der Gedanke, den Deutſchen Bund von Oeſterreich abzutrennen, blieb ihm,
dem Conſervativen, der in den Ideen von 1813 lebte, völlig fremd. Noch

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[619/0633] Eichhorns deutſche Politik. geübt wie Eichhorn. Da watet der geiſtvolle Mann jahraus jahrein durch den zähen Schlamm armſeliger Verhandlungen, die ſchon beim Durchleſen körperlichen Ekel erregen. Nichts ſchwächt ihm die Friſche des Geiſtes; immer bleibt ihm der Gedanke gegenwärtig, welch großes Ziel hinter den kleinen Händeln winkt; immer wieder rafft ſich ſein gebrechlicher Körper nach ſchweren Krankheitsanfällen zu raſtloſer Thätigkeit auf. Ueberall hat er ſeine Augen; wie der Arzt am Krankenbette überwacht er die Stimmung der kleinen Höfe, ihre Bosheit, ihre Selbſtſucht, ihre rathloſe Thorheit. Zuweilen hilft er ſich mit einem ſcharfen Witze über die Langeweile hinaus. „Was wohl die herzoglich ſächſiſchen Häuſer beabſichtigen? — ſchreibt er einmal — Ja, wenn ſie es nur ſelber wüßten!“ Und nach allem Jammer, den ihm die Kleinfürſten zu koſten geben, bewahrt er ihnen doch Achtung und Wohlwollen, kommt bereitwillig, mit bundesfreundlicher Geſinnung, jedem billigen Wunſche entgegen. Oftmals ſchlugen die ſchmutzigen Wellen der Demagogenverfolgung gegen ſeinen ehrlichen Namen an; er blieb ſich ſelber treu, trat tapfer ein für ſeine verfolgten Freunde und behauptete ſich doch im Vertrauen des Königs. Dann hat Fürſt Metternich viele Jahre hindurch alle ſeine ſchlechten Künſte ſpielen laſſen gegen den ver- haßten Patrioten, der in Wien als der böſe Dämon Preußens galt. Zu- gleich ſchmähte die liberale Preſſe auf den Servilen. Er aber trug gelaſſen Stein auf Stein zu dem unſcheinbaren Bau deutſcher Handelseinheit und duldete ſchweigend die Unbilden der öffentlichen Meinung, denn jeder Ver- ſuch einer lauten Rechtfertigung wäre ſein ſicherer Sturz geweſen. Nachher kam doch eine Zeit, da mindeſtens die Höfe ſein Verdienſt erkannten; ſämmtliche Orden des deutſchen Bundes, nur kein öſterreichiſcher, wurden dem anſpruchsloſen Geheimen Rathe verliehen, und die Staatsſchriften der dankbaren Zollverbündeten prieſen ihn als „die Seele des preußiſchen Mi- niſteriums“. Die Nation aber erfuhr niemals ganz was ſie ihm ſchuldete. Seine Hoffnung war, das preußiſche Zollſyſtem durch Verträge mit den deutſchen Nachbarſtaaten allmählich zu erweitern. Für die Formen und Grenzen dieſer Erweiterung hat er nicht im Voraus einen feſten Plan entworfen; er ſtellte ſie, da er die Schwierigkeit des Unternehmens richtig würdigte, dem unberechenbaren Gange der Ereigniſſe anheim. Die Frage, ob Preußens Zollſchranken dereinſt am Main oder am Bodenſee ſtehen wür- den, war im Jahr 1819 noch nicht praktiſch; ſie konnte den Leiter der preußiſch-deutſchen Politik vielleicht in ſeinen Träumen, ſie durfte ihn nicht bei ſeiner Arbeit beſchäftigen. Nur das Eine war ihm ſicher, daß das neue Zollſyſtem aufrecht bleiben, den feſten Kern bilden müſſe für die Neu- geſtaltung des deutſchen Verkehrs. Er verlangte freie Hand für Preußens Handelspolitik, wies von dieſem Gebiete die Einmiſchung Oeſterreichs ent- ſchieden zurück. Aber jede Feindſeligkeit gegen die Hofburg lag ihm fern; der Gedanke, den Deutſchen Bund von Oeſterreich abzutrennen, blieb ihm, dem Conſervativen, der in den Ideen von 1813 lebte, völlig fremd. Noch

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/633>, abgerufen am 22.11.2024.