Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Schinkel.
Thones zu beliebiger Formung in die Hand gab, hatte der preußische
Künstler sein Leben lang mit der nothgedrungenen Sparsamkeit des Mon-
archen und seiner Beamten zu kämpfen. Dem muß man einen Zaum
anlegen! -- sagte der König lächelnd, so oft der Unerschöpfliche wieder
mit einem neuen Vorschlage herantrat. Kaum der zwanzigste Theil seiner
kühnen Pläne gelangte zur Ausführung. Wie viel Mühe hat es ihn ge-
kostet, auch nur die baufälligen Statuen auf dem Dache des Schlosses,
die das Beamtenthum abbrechen wollte, vor der Vernichtung zu retten.
Statt des edlen Hausteins, der ihn in Italien entzückt hatte, mußte er
sich zumeist mit verputztem Backstein, statt des Erzes mit Zinkguß be-
helfen. Gleichwohl genügte dieser armselige Bruchtheil seiner Entwürfe,
neben den Werken der Schlüterschen Epoche, um der Baukunst Berlins
für immer ihren Charakter aufzuprägen.

Schinkel befreite sich bald von dem teutonischen Rausche der Kriegs-
jahre. Er erkannte, daß die vielgestaltige moderne Bildung sich nicht auf
Einen Baustil beschränken darf, und ließ die Kunstformen des Mittel-
alters gelten, wo sie durch Lage und Bedeutung des Bauwerks bedingt
schienen. Für seine eigensten Ideale aber fand er jetzt den rechten Aus-
druck in einer neuen Form der Renaissance, die sich enger als die Kunst
des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts an die Werke der Alten,
vornehmlich der Hellenen, anschloß und doch immer verstand dem Sinn
und Zweck moderner Bauten gerecht zu werden. Gleich an seinem ersten
größeren Werke, der neuen Hauptwache, sprach die kriegerische Bestimmung
des Gebäudes so mächtig und trutzig aus den strengen, gedrungenen dori-
schen Formen, daß der Beschauer den überaus bescheidenen Umfang fast
vergaß und sich an Sanmichelis majestätische Festungswerke gemahnt fühlte.
Als bald darauf, im Jahre 1817, das Schauspielhaus abbrannte und
das kargende Beamtenthum die Benutzung der alten Brandmauern für
den Neubau forderte, da wußte er wieder aus der Noth eine Tugend zu
machen; und bald erhob sich zwischen den beiden prächtigen Kuppeln der
Gensdarmenkirchen über einer hohen Freitreppe ein festlich heiterer ioni-
scher Tempel, die Giebel und Treppenwangen mit reichem Bildnerwerk
geschmückt -- denn auf das Zusammenwirken aller Künste ging jeder
seiner Pläne aus -- der ganze Bau ein getreues Bild dieser geistig so
reichen, wirthschaftlich so armen Epoche, genial im Entwurfe, aber in der
Ausführung vielfach eng und dürftig.

Seitdem stand Schinkel fest in der Gunst des Königs und übernahm
die Leitung alles künstlerischen Schaffens in Preußen, nur daß ihm die
leidige Geldnoth immer wieder die Fittiche seines Genius beschnitt. In
ganz Norddeutschland und bis nach Skandinavien hinüber gelangte seine
classische Richtung zur Herrschaft. Die Pläne für den Berliner Dom
wurden aufgegeben, weil die Mittel fehlten. Statt dessen entstand das
schöne Siegesdenkmal auf dem Kreuzberge. Das Denkmal selbst hatte

Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 4

Schinkel.
Thones zu beliebiger Formung in die Hand gab, hatte der preußiſche
Künſtler ſein Leben lang mit der nothgedrungenen Sparſamkeit des Mon-
archen und ſeiner Beamten zu kämpfen. Dem muß man einen Zaum
anlegen! — ſagte der König lächelnd, ſo oft der Unerſchöpfliche wieder
mit einem neuen Vorſchlage herantrat. Kaum der zwanzigſte Theil ſeiner
kühnen Pläne gelangte zur Ausführung. Wie viel Mühe hat es ihn ge-
koſtet, auch nur die baufälligen Statuen auf dem Dache des Schloſſes,
die das Beamtenthum abbrechen wollte, vor der Vernichtung zu retten.
Statt des edlen Hauſteins, der ihn in Italien entzückt hatte, mußte er
ſich zumeiſt mit verputztem Backſtein, ſtatt des Erzes mit Zinkguß be-
helfen. Gleichwohl genügte dieſer armſelige Bruchtheil ſeiner Entwürfe,
neben den Werken der Schlüterſchen Epoche, um der Baukunſt Berlins
für immer ihren Charakter aufzuprägen.

Schinkel befreite ſich bald von dem teutoniſchen Rauſche der Kriegs-
jahre. Er erkannte, daß die vielgeſtaltige moderne Bildung ſich nicht auf
Einen Bauſtil beſchränken darf, und ließ die Kunſtformen des Mittel-
alters gelten, wo ſie durch Lage und Bedeutung des Bauwerks bedingt
ſchienen. Für ſeine eigenſten Ideale aber fand er jetzt den rechten Aus-
druck in einer neuen Form der Renaiſſance, die ſich enger als die Kunſt
des ſechzehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts an die Werke der Alten,
vornehmlich der Hellenen, anſchloß und doch immer verſtand dem Sinn
und Zweck moderner Bauten gerecht zu werden. Gleich an ſeinem erſten
größeren Werke, der neuen Hauptwache, ſprach die kriegeriſche Beſtimmung
des Gebäudes ſo mächtig und trutzig aus den ſtrengen, gedrungenen dori-
ſchen Formen, daß der Beſchauer den überaus beſcheidenen Umfang faſt
vergaß und ſich an Sanmichelis majeſtätiſche Feſtungswerke gemahnt fühlte.
Als bald darauf, im Jahre 1817, das Schauſpielhaus abbrannte und
das kargende Beamtenthum die Benutzung der alten Brandmauern für
den Neubau forderte, da wußte er wieder aus der Noth eine Tugend zu
machen; und bald erhob ſich zwiſchen den beiden prächtigen Kuppeln der
Gensdarmenkirchen über einer hohen Freitreppe ein feſtlich heiterer ioni-
ſcher Tempel, die Giebel und Treppenwangen mit reichem Bildnerwerk
geſchmückt — denn auf das Zuſammenwirken aller Künſte ging jeder
ſeiner Pläne aus — der ganze Bau ein getreues Bild dieſer geiſtig ſo
reichen, wirthſchaftlich ſo armen Epoche, genial im Entwurfe, aber in der
Ausführung vielfach eng und dürftig.

Seitdem ſtand Schinkel feſt in der Gunſt des Königs und übernahm
die Leitung alles künſtleriſchen Schaffens in Preußen, nur daß ihm die
leidige Geldnoth immer wieder die Fittiche ſeines Genius beſchnitt. In
ganz Norddeutſchland und bis nach Skandinavien hinüber gelangte ſeine
claſſiſche Richtung zur Herrſchaft. Die Pläne für den Berliner Dom
wurden aufgegeben, weil die Mittel fehlten. Statt deſſen entſtand das
ſchöne Siegesdenkmal auf dem Kreuzberge. Das Denkmal ſelbſt hatte

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0063" n="49"/><fw place="top" type="header">Schinkel.</fw><lb/>
Thones zu beliebiger Formung in die Hand gab, hatte der preußi&#x017F;che<lb/>
Kün&#x017F;tler &#x017F;ein Leben lang mit der nothgedrungenen Spar&#x017F;amkeit des Mon-<lb/>
archen und &#x017F;einer Beamten zu kämpfen. Dem muß man einen Zaum<lb/>
anlegen! &#x2014; &#x017F;agte der König lächelnd, &#x017F;o oft der Uner&#x017F;chöpfliche wieder<lb/>
mit einem neuen Vor&#x017F;chlage herantrat. Kaum der zwanzig&#x017F;te Theil &#x017F;einer<lb/>
kühnen Pläne gelangte zur Ausführung. Wie viel Mühe hat es ihn ge-<lb/>
ko&#x017F;tet, auch nur die baufälligen Statuen auf dem Dache des Schlo&#x017F;&#x017F;es,<lb/>
die das Beamtenthum abbrechen wollte, vor der Vernichtung zu retten.<lb/>
Statt des edlen Hau&#x017F;teins, der ihn in Italien entzückt hatte, mußte er<lb/>
&#x017F;ich zumei&#x017F;t mit verputztem Back&#x017F;tein, &#x017F;tatt des Erzes mit Zinkguß be-<lb/>
helfen. Gleichwohl genügte die&#x017F;er arm&#x017F;elige Bruchtheil &#x017F;einer Entwürfe,<lb/>
neben den Werken der Schlüter&#x017F;chen Epoche, um der Baukun&#x017F;t Berlins<lb/>
für immer ihren Charakter aufzuprägen.</p><lb/>
          <p>Schinkel befreite &#x017F;ich bald von dem teutoni&#x017F;chen Rau&#x017F;che der Kriegs-<lb/>
jahre. Er erkannte, daß die vielge&#x017F;taltige moderne Bildung &#x017F;ich nicht auf<lb/>
Einen Bau&#x017F;til be&#x017F;chränken darf, und ließ die Kun&#x017F;tformen des Mittel-<lb/>
alters gelten, wo &#x017F;ie durch Lage und Bedeutung des Bauwerks bedingt<lb/>
&#x017F;chienen. Für &#x017F;eine eigen&#x017F;ten Ideale aber fand er jetzt den rechten Aus-<lb/>
druck in einer neuen Form der Renai&#x017F;&#x017F;ance, die &#x017F;ich enger als die Kun&#x017F;t<lb/>
des &#x017F;echzehnten und &#x017F;iebzehnten Jahrhunderts an die Werke der Alten,<lb/>
vornehmlich der Hellenen, an&#x017F;chloß und doch immer ver&#x017F;tand dem Sinn<lb/>
und Zweck moderner Bauten gerecht zu werden. Gleich an &#x017F;einem er&#x017F;ten<lb/>
größeren Werke, der neuen Hauptwache, &#x017F;prach die kriegeri&#x017F;che Be&#x017F;timmung<lb/>
des Gebäudes &#x017F;o mächtig und trutzig aus den &#x017F;trengen, gedrungenen dori-<lb/>
&#x017F;chen Formen, daß der Be&#x017F;chauer den überaus be&#x017F;cheidenen Umfang fa&#x017F;t<lb/>
vergaß und &#x017F;ich an Sanmichelis maje&#x017F;täti&#x017F;che Fe&#x017F;tungswerke gemahnt fühlte.<lb/>
Als bald darauf, im Jahre 1817, das Schau&#x017F;pielhaus abbrannte und<lb/>
das kargende Beamtenthum die Benutzung der alten Brandmauern für<lb/>
den Neubau forderte, da wußte er wieder aus der Noth eine Tugend zu<lb/>
machen; und bald erhob &#x017F;ich zwi&#x017F;chen den beiden prächtigen Kuppeln der<lb/>
Gensdarmenkirchen über einer hohen Freitreppe ein fe&#x017F;tlich heiterer ioni-<lb/>
&#x017F;cher Tempel, die Giebel und Treppenwangen mit reichem Bildnerwerk<lb/>
ge&#x017F;chmückt &#x2014; denn auf das Zu&#x017F;ammenwirken aller Kün&#x017F;te ging jeder<lb/>
&#x017F;einer Pläne aus &#x2014; der ganze Bau ein getreues Bild die&#x017F;er gei&#x017F;tig &#x017F;o<lb/>
reichen, wirth&#x017F;chaftlich &#x017F;o armen Epoche, genial im Entwurfe, aber in der<lb/>
Ausführung vielfach eng und dürftig.</p><lb/>
          <p>Seitdem &#x017F;tand Schinkel fe&#x017F;t in der Gun&#x017F;t des Königs und übernahm<lb/>
die Leitung alles kün&#x017F;tleri&#x017F;chen Schaffens in Preußen, nur daß ihm die<lb/>
leidige Geldnoth immer wieder die Fittiche &#x017F;eines Genius be&#x017F;chnitt. In<lb/>
ganz Norddeut&#x017F;chland und bis nach Skandinavien hinüber gelangte &#x017F;eine<lb/>
cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Richtung zur Herr&#x017F;chaft. Die Pläne für den Berliner Dom<lb/>
wurden aufgegeben, weil die Mittel fehlten. Statt de&#x017F;&#x017F;en ent&#x017F;tand das<lb/>
&#x017F;chöne Siegesdenkmal auf dem Kreuzberge. Das Denkmal &#x017F;elb&#x017F;t hatte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Treit&#x017F;chke</hi>, Deut&#x017F;che Ge&#x017F;chichte. <hi rendition="#aq">II.</hi> 4</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0063] Schinkel. Thones zu beliebiger Formung in die Hand gab, hatte der preußiſche Künſtler ſein Leben lang mit der nothgedrungenen Sparſamkeit des Mon- archen und ſeiner Beamten zu kämpfen. Dem muß man einen Zaum anlegen! — ſagte der König lächelnd, ſo oft der Unerſchöpfliche wieder mit einem neuen Vorſchlage herantrat. Kaum der zwanzigſte Theil ſeiner kühnen Pläne gelangte zur Ausführung. Wie viel Mühe hat es ihn ge- koſtet, auch nur die baufälligen Statuen auf dem Dache des Schloſſes, die das Beamtenthum abbrechen wollte, vor der Vernichtung zu retten. Statt des edlen Hauſteins, der ihn in Italien entzückt hatte, mußte er ſich zumeiſt mit verputztem Backſtein, ſtatt des Erzes mit Zinkguß be- helfen. Gleichwohl genügte dieſer armſelige Bruchtheil ſeiner Entwürfe, neben den Werken der Schlüterſchen Epoche, um der Baukunſt Berlins für immer ihren Charakter aufzuprägen. Schinkel befreite ſich bald von dem teutoniſchen Rauſche der Kriegs- jahre. Er erkannte, daß die vielgeſtaltige moderne Bildung ſich nicht auf Einen Bauſtil beſchränken darf, und ließ die Kunſtformen des Mittel- alters gelten, wo ſie durch Lage und Bedeutung des Bauwerks bedingt ſchienen. Für ſeine eigenſten Ideale aber fand er jetzt den rechten Aus- druck in einer neuen Form der Renaiſſance, die ſich enger als die Kunſt des ſechzehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts an die Werke der Alten, vornehmlich der Hellenen, anſchloß und doch immer verſtand dem Sinn und Zweck moderner Bauten gerecht zu werden. Gleich an ſeinem erſten größeren Werke, der neuen Hauptwache, ſprach die kriegeriſche Beſtimmung des Gebäudes ſo mächtig und trutzig aus den ſtrengen, gedrungenen dori- ſchen Formen, daß der Beſchauer den überaus beſcheidenen Umfang faſt vergaß und ſich an Sanmichelis majeſtätiſche Feſtungswerke gemahnt fühlte. Als bald darauf, im Jahre 1817, das Schauſpielhaus abbrannte und das kargende Beamtenthum die Benutzung der alten Brandmauern für den Neubau forderte, da wußte er wieder aus der Noth eine Tugend zu machen; und bald erhob ſich zwiſchen den beiden prächtigen Kuppeln der Gensdarmenkirchen über einer hohen Freitreppe ein feſtlich heiterer ioni- ſcher Tempel, die Giebel und Treppenwangen mit reichem Bildnerwerk geſchmückt — denn auf das Zuſammenwirken aller Künſte ging jeder ſeiner Pläne aus — der ganze Bau ein getreues Bild dieſer geiſtig ſo reichen, wirthſchaftlich ſo armen Epoche, genial im Entwurfe, aber in der Ausführung vielfach eng und dürftig. Seitdem ſtand Schinkel feſt in der Gunſt des Königs und übernahm die Leitung alles künſtleriſchen Schaffens in Preußen, nur daß ihm die leidige Geldnoth immer wieder die Fittiche ſeines Genius beſchnitt. In ganz Norddeutſchland und bis nach Skandinavien hinüber gelangte ſeine claſſiſche Richtung zur Herrſchaft. Die Pläne für den Berliner Dom wurden aufgegeben, weil die Mittel fehlten. Statt deſſen entſtand das ſchöne Siegesdenkmal auf dem Kreuzberge. Das Denkmal ſelbſt hatte Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/63
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/63>, abgerufen am 27.11.2024.