neben sich einen Minister dulden, der also über die Lebensfrage der nächsten Zukunft dachte?
Wie begründet immerhin der Unmuth der drei Minister über die Karlsbader Beschlüsse war, Hardenberg befand sich doch im Zustande ge- rechter Nothwehr; er kämpfte nicht blos für seine Macht, sondern auch für die wohldurchdachten Reformpläne, welche allein einen Ersatz für die auf- gehobene Accise schaffen und das Gleichgewicht im Staatshaushalt wieder- herstellen konnten, wenn er jetzt dem Könige dringend vorstellte: ein Zu- sammenwirken mit Humboldt und Beyme sei unmöglich. Manches ge- hässige Wort floß dabei mit unter. Der Staatskanzler erinnerte an Beymes Parteinahme für Görres, er behauptete bestimmt zu wissen, daß Humboldt im Staatsrathe den Steuergesetzen widersprechen, dann "mit einer erschwungenen Popularität glänzen und den Dienst verlassen wolle"; den Bericht über die geplante Berufung der Oberpräsidenten versäumte er nicht beizulegen. Fester denn je glaubte er an die gefährlichen Umtriebe der revolutionären Partei. Auch den Oberpräsidenten von Schlesien wollte er entfernen, weil ihm Merckel zu nachsichtig gegen die Turner erschien; auch die Militär-Bildungsanstalten sollten einen neuen Direktor erhalten, damit die jungen Offiziere nicht den teutonischen Jakobinern anheimfielen.*) So wunderbar hatten sich die Dinge verschoben: die Neuordnung des preußischen Staatshaushalts hing in jenem Augenblicke mit der Politik der Karlsbader Beschlüsse unzertrennlich zusammen.
Für den König bestand nun keine Wahl mehr, auch wenn er nicht so fest an die Heilsamkeit der Karlsbader Politik geglaubt hätte. Konnte Friedrich Wilhelm dem Rathe Humboldts folgen und in Frankfurt nach- träglich beantragen, daß die Giltigkeit des provisorischen Preßgesetzes von fünf auf zwei Jahre herabgesetzt werde? Durfte er um einer solchen aus- sichtslosen Halbheit willen die Grundlagen seiner europäischen Politik ver- ändern? In diesen Tagen der Tendenzpolitik der Legitimität war das System der europäischen Allianzen unlösbar mit den inneren Verhältnissen der Staaten verkettet, und eine Großmacht konnte nicht, wie die Schein- staaten des Rheinbundes, zwischen ihrem eigenen Volke und den auswär- tigen Mächten ein unredliches Spiel treiben. Ein nachträglicher Kampf gegen die Karlsbader Beschlüsse, das bedeutete: Trennung von Oesterreich, Auflösung oder doch Lockerung jenes großen Vierbundes, welchem die Mo- narchie während der letzten Jahre ihre Sicherheit, ihr europäisches Ansehen verdankte. Getrennt von seinen alten Bundesgenossen stand der Staat völlig vereinsamt; er fand an dem liberalisirenden Particularismus der deutschen Kleinstaaten weder mächtigen noch treuen Beistand, sah sich vielleicht bald auf die Seite Frankreichs hinübergedrängt, jedenfalls ge-
*) Hardenberg an den König, 28. Dec. 1819; Hardenbergs Aufzeichnungen, Weih- nachten 1819. S. Beilage V.
Humboldts und Beymes Entlaſſung.
neben ſich einen Miniſter dulden, der alſo über die Lebensfrage der nächſten Zukunft dachte?
Wie begründet immerhin der Unmuth der drei Miniſter über die Karlsbader Beſchlüſſe war, Hardenberg befand ſich doch im Zuſtande ge- rechter Nothwehr; er kämpfte nicht blos für ſeine Macht, ſondern auch für die wohldurchdachten Reformpläne, welche allein einen Erſatz für die auf- gehobene Acciſe ſchaffen und das Gleichgewicht im Staatshaushalt wieder- herſtellen konnten, wenn er jetzt dem Könige dringend vorſtellte: ein Zu- ſammenwirken mit Humboldt und Beyme ſei unmöglich. Manches ge- häſſige Wort floß dabei mit unter. Der Staatskanzler erinnerte an Beymes Parteinahme für Görres, er behauptete beſtimmt zu wiſſen, daß Humboldt im Staatsrathe den Steuergeſetzen widerſprechen, dann „mit einer erſchwungenen Popularität glänzen und den Dienſt verlaſſen wolle“; den Bericht über die geplante Berufung der Oberpräſidenten verſäumte er nicht beizulegen. Feſter denn je glaubte er an die gefährlichen Umtriebe der revolutionären Partei. Auch den Oberpräſidenten von Schleſien wollte er entfernen, weil ihm Merckel zu nachſichtig gegen die Turner erſchien; auch die Militär-Bildungsanſtalten ſollten einen neuen Direktor erhalten, damit die jungen Offiziere nicht den teutoniſchen Jakobinern anheimfielen.*) So wunderbar hatten ſich die Dinge verſchoben: die Neuordnung des preußiſchen Staatshaushalts hing in jenem Augenblicke mit der Politik der Karlsbader Beſchlüſſe unzertrennlich zuſammen.
Für den König beſtand nun keine Wahl mehr, auch wenn er nicht ſo feſt an die Heilſamkeit der Karlsbader Politik geglaubt hätte. Konnte Friedrich Wilhelm dem Rathe Humboldts folgen und in Frankfurt nach- träglich beantragen, daß die Giltigkeit des proviſoriſchen Preßgeſetzes von fünf auf zwei Jahre herabgeſetzt werde? Durfte er um einer ſolchen aus- ſichtsloſen Halbheit willen die Grundlagen ſeiner europäiſchen Politik ver- ändern? In dieſen Tagen der Tendenzpolitik der Legitimität war das Syſtem der europäiſchen Allianzen unlösbar mit den inneren Verhältniſſen der Staaten verkettet, und eine Großmacht konnte nicht, wie die Schein- ſtaaten des Rheinbundes, zwiſchen ihrem eigenen Volke und den auswär- tigen Mächten ein unredliches Spiel treiben. Ein nachträglicher Kampf gegen die Karlsbader Beſchlüſſe, das bedeutete: Trennung von Oeſterreich, Auflöſung oder doch Lockerung jenes großen Vierbundes, welchem die Mo- narchie während der letzten Jahre ihre Sicherheit, ihr europäiſches Anſehen verdankte. Getrennt von ſeinen alten Bundesgenoſſen ſtand der Staat völlig vereinſamt; er fand an dem liberaliſirenden Particularismus der deutſchen Kleinſtaaten weder mächtigen noch treuen Beiſtand, ſah ſich vielleicht bald auf die Seite Frankreichs hinübergedrängt, jedenfalls ge-
*) Hardenberg an den König, 28. Dec. 1819; Hardenbergs Aufzeichnungen, Weih- nachten 1819. S. Beilage V.
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[605/0619]
Humboldts und Beymes Entlaſſung.
neben ſich einen Miniſter dulden, der alſo über die Lebensfrage der nächſten
Zukunft dachte?
Wie begründet immerhin der Unmuth der drei Miniſter über die
Karlsbader Beſchlüſſe war, Hardenberg befand ſich doch im Zuſtande ge-
rechter Nothwehr; er kämpfte nicht blos für ſeine Macht, ſondern auch für
die wohldurchdachten Reformpläne, welche allein einen Erſatz für die auf-
gehobene Acciſe ſchaffen und das Gleichgewicht im Staatshaushalt wieder-
herſtellen konnten, wenn er jetzt dem Könige dringend vorſtellte: ein Zu-
ſammenwirken mit Humboldt und Beyme ſei unmöglich. Manches ge-
häſſige Wort floß dabei mit unter. Der Staatskanzler erinnerte an
Beymes Parteinahme für Görres, er behauptete beſtimmt zu wiſſen, daß
Humboldt im Staatsrathe den Steuergeſetzen widerſprechen, dann „mit
einer erſchwungenen Popularität glänzen und den Dienſt verlaſſen wolle“;
den Bericht über die geplante Berufung der Oberpräſidenten verſäumte
er nicht beizulegen. Feſter denn je glaubte er an die gefährlichen Umtriebe
der revolutionären Partei. Auch den Oberpräſidenten von Schleſien wollte
er entfernen, weil ihm Merckel zu nachſichtig gegen die Turner erſchien;
auch die Militär-Bildungsanſtalten ſollten einen neuen Direktor erhalten,
damit die jungen Offiziere nicht den teutoniſchen Jakobinern anheimfielen. *)
So wunderbar hatten ſich die Dinge verſchoben: die Neuordnung des
preußiſchen Staatshaushalts hing in jenem Augenblicke mit der Politik
der Karlsbader Beſchlüſſe unzertrennlich zuſammen.
Für den König beſtand nun keine Wahl mehr, auch wenn er nicht
ſo feſt an die Heilſamkeit der Karlsbader Politik geglaubt hätte. Konnte
Friedrich Wilhelm dem Rathe Humboldts folgen und in Frankfurt nach-
träglich beantragen, daß die Giltigkeit des proviſoriſchen Preßgeſetzes von
fünf auf zwei Jahre herabgeſetzt werde? Durfte er um einer ſolchen aus-
ſichtsloſen Halbheit willen die Grundlagen ſeiner europäiſchen Politik ver-
ändern? In dieſen Tagen der Tendenzpolitik der Legitimität war das
Syſtem der europäiſchen Allianzen unlösbar mit den inneren Verhältniſſen
der Staaten verkettet, und eine Großmacht konnte nicht, wie die Schein-
ſtaaten des Rheinbundes, zwiſchen ihrem eigenen Volke und den auswär-
tigen Mächten ein unredliches Spiel treiben. Ein nachträglicher Kampf
gegen die Karlsbader Beſchlüſſe, das bedeutete: Trennung von Oeſterreich,
Auflöſung oder doch Lockerung jenes großen Vierbundes, welchem die Mo-
narchie während der letzten Jahre ihre Sicherheit, ihr europäiſches Anſehen
verdankte. Getrennt von ſeinen alten Bundesgenoſſen ſtand der Staat
völlig vereinſamt; er fand an dem liberaliſirenden Particularismus der
deutſchen Kleinſtaaten weder mächtigen noch treuen Beiſtand, ſah ſich
vielleicht bald auf die Seite Frankreichs hinübergedrängt, jedenfalls ge-
*) Hardenberg an den König, 28. Dec. 1819; Hardenbergs Aufzeichnungen, Weih-
nachten 1819. S. Beilage V.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/619>, abgerufen am 22.11.2024.
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