systems darzulegen. Er zeigte, wie gering in Deutschland die Gefahr einer Revolution sei, wie nahe dagegen die Möglichkeit eines feindlichen Angriffs von zwei Seiten her, und verhehlte nicht, daß die Krone früher oder später die Vertreter der Nation um sich versammeln müsse wenn sie die neue Heeres- verfassung behaupten wolle. Nachdrücklich warnte er die Männer von 1806 "vor der Zertrümmerung eines Gebäudes, auf dem unser großartiges Schicksal in den Jahren 13, 14, 15 wie eine Siegesgöttin auf ihrem Streitwagen geruht hat".
Schon die nächsten Tage lehrten, daß alle solche Besorgnisse eitel waren und die beiden Generale voreilig gehandelt hatten. In einer Ca- binetsordre v. 22. December erkannte der König mit herzlichen Worten an, wie glücklich die Landwehr bisher gediehen sei, wie willig das Volk die ihm auferlegten Opfer getragen habe, und befahl darauf eine neue Eintheilung der Landwehr, welche "das Wesen des Instituts nicht im Mindesten ändern" sollte: sechzehn Landwehrbrigaden wurden gebildet und dem Divisionsver- bande der Linie einverleibt. Die Division (diesen Namen führten die alten gemischten Brigaden seit 1818) bestand fortan, außer den technischen Truppen, aus einer Brigade Linieninfanterie, einer Brigade Landwehrinfanterie und einer Cavalleriebrigade. Damit wurde die Formation der Landwehr ge- schaffen, welche im Wesentlichen bis auf die Tage des Prinzregenten be- standen hat. Die beiden Hälften der Armee traten in eine etwas engere Verbindung, die nur leider noch immer nicht fest genug war; durch die ge- meinsamen Uebungen der Divisionen hoffte man den Unterschied einigermaßen auszugleichen. Die unklare Vorstellung, als ob die Landwehr ein Dasein für sich führen könne, ward wenigstens im Grundsatz aufgegeben. Tags darauf stellte eine zweite Cabinetsordre die Friedenspräsenzstärke der Linie und ihre Cadres gesetzlich fest; bei dem raschen Wachsthum der Bevölke- rung eröffnete sich mithin die Aussicht auf ein allmähliges Sinken der Militärlast. Die Reform erwies sich im Ganzen als heilsam, da die Land- wehr nunmehr ohne eine wesentliche Veränderung ihrer Formation in den Krieg geführt werden konnte. Durchgreifende Entschlüsse verhinderte leider die Rücksicht auf den Staatshaushalt; der gefährlichste Uebelstand des neuen Heerwesens, die Schwäche der Linienarmee, die nur 136,000 Mann betrug, blieb unverändert. Sparen hieß jetzt die allgemeine Losung; die Staatsschuld sollte sofort geschlossen werden, das Deficit für immer ver- schwinden.
Für dies System ängstlicher knapper Sparsamkeit war Boyens Nach- folger General von Hake wohlgeeignet, derselbe, der in Scharnhorsts Tagen schon zweimal auf kurze Zeit die Kriegsverwaltung geleitet hatte, ein fleißiger, gewissenhafter Arbeiter, aber pedantisch, beschränkt, ohne Ideen, ohne Schwung der Seele. Während seiner Amtsführung erlangten die Anschauungen des Civilbeamtenthums wieder, wie in den ersten Jahren Friedrich Wilhelms III., einen ungebührlichen Einfluß auf das Heerwesen.
Rücktritt von Boyen und Grolman.
ſyſtems darzulegen. Er zeigte, wie gering in Deutſchland die Gefahr einer Revolution ſei, wie nahe dagegen die Möglichkeit eines feindlichen Angriffs von zwei Seiten her, und verhehlte nicht, daß die Krone früher oder ſpäter die Vertreter der Nation um ſich verſammeln müſſe wenn ſie die neue Heeres- verfaſſung behaupten wolle. Nachdrücklich warnte er die Männer von 1806 „vor der Zertrümmerung eines Gebäudes, auf dem unſer großartiges Schickſal in den Jahren 13, 14, 15 wie eine Siegesgöttin auf ihrem Streitwagen geruht hat“.
Schon die nächſten Tage lehrten, daß alle ſolche Beſorgniſſe eitel waren und die beiden Generale voreilig gehandelt hatten. In einer Ca- binetsordre v. 22. December erkannte der König mit herzlichen Worten an, wie glücklich die Landwehr bisher gediehen ſei, wie willig das Volk die ihm auferlegten Opfer getragen habe, und befahl darauf eine neue Eintheilung der Landwehr, welche „das Weſen des Inſtituts nicht im Mindeſten ändern“ ſollte: ſechzehn Landwehrbrigaden wurden gebildet und dem Diviſionsver- bande der Linie einverleibt. Die Diviſion (dieſen Namen führten die alten gemiſchten Brigaden ſeit 1818) beſtand fortan, außer den techniſchen Truppen, aus einer Brigade Linieninfanterie, einer Brigade Landwehrinfanterie und einer Cavalleriebrigade. Damit wurde die Formation der Landwehr ge- ſchaffen, welche im Weſentlichen bis auf die Tage des Prinzregenten be- ſtanden hat. Die beiden Hälften der Armee traten in eine etwas engere Verbindung, die nur leider noch immer nicht feſt genug war; durch die ge- meinſamen Uebungen der Diviſionen hoffte man den Unterſchied einigermaßen auszugleichen. Die unklare Vorſtellung, als ob die Landwehr ein Daſein für ſich führen könne, ward wenigſtens im Grundſatz aufgegeben. Tags darauf ſtellte eine zweite Cabinetsordre die Friedenspräſenzſtärke der Linie und ihre Cadres geſetzlich feſt; bei dem raſchen Wachsthum der Bevölke- rung eröffnete ſich mithin die Ausſicht auf ein allmähliges Sinken der Militärlaſt. Die Reform erwies ſich im Ganzen als heilſam, da die Land- wehr nunmehr ohne eine weſentliche Veränderung ihrer Formation in den Krieg geführt werden konnte. Durchgreifende Entſchlüſſe verhinderte leider die Rückſicht auf den Staatshaushalt; der gefährlichſte Uebelſtand des neuen Heerweſens, die Schwäche der Linienarmee, die nur 136,000 Mann betrug, blieb unverändert. Sparen hieß jetzt die allgemeine Loſung; die Staatsſchuld ſollte ſofort geſchloſſen werden, das Deficit für immer ver- ſchwinden.
Für dies Syſtem ängſtlicher knapper Sparſamkeit war Boyens Nach- folger General von Hake wohlgeeignet, derſelbe, der in Scharnhorſts Tagen ſchon zweimal auf kurze Zeit die Kriegsverwaltung geleitet hatte, ein fleißiger, gewiſſenhafter Arbeiter, aber pedantiſch, beſchränkt, ohne Ideen, ohne Schwung der Seele. Während ſeiner Amtsführung erlangten die Anſchauungen des Civilbeamtenthums wieder, wie in den erſten Jahren Friedrich Wilhelms III., einen ungebührlichen Einfluß auf das Heerweſen.
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Rücktritt von Boyen und Grolman.
ſyſtems darzulegen. Er zeigte, wie gering in Deutſchland die Gefahr einer
Revolution ſei, wie nahe dagegen die Möglichkeit eines feindlichen Angriffs
von zwei Seiten her, und verhehlte nicht, daß die Krone früher oder ſpäter
die Vertreter der Nation um ſich verſammeln müſſe wenn ſie die neue Heeres-
verfaſſung behaupten wolle. Nachdrücklich warnte er die Männer von 1806
„vor der Zertrümmerung eines Gebäudes, auf dem unſer großartiges
Schickſal in den Jahren 13, 14, 15 wie eine Siegesgöttin auf ihrem
Streitwagen geruht hat“.
Schon die nächſten Tage lehrten, daß alle ſolche Beſorgniſſe eitel
waren und die beiden Generale voreilig gehandelt hatten. In einer Ca-
binetsordre v. 22. December erkannte der König mit herzlichen Worten an,
wie glücklich die Landwehr bisher gediehen ſei, wie willig das Volk die ihm
auferlegten Opfer getragen habe, und befahl darauf eine neue Eintheilung
der Landwehr, welche „das Weſen des Inſtituts nicht im Mindeſten ändern“
ſollte: ſechzehn Landwehrbrigaden wurden gebildet und dem Diviſionsver-
bande der Linie einverleibt. Die Diviſion (dieſen Namen führten die alten
gemiſchten Brigaden ſeit 1818) beſtand fortan, außer den techniſchen Truppen,
aus einer Brigade Linieninfanterie, einer Brigade Landwehrinfanterie und
einer Cavalleriebrigade. Damit wurde die Formation der Landwehr ge-
ſchaffen, welche im Weſentlichen bis auf die Tage des Prinzregenten be-
ſtanden hat. Die beiden Hälften der Armee traten in eine etwas engere
Verbindung, die nur leider noch immer nicht feſt genug war; durch die ge-
meinſamen Uebungen der Diviſionen hoffte man den Unterſchied einigermaßen
auszugleichen. Die unklare Vorſtellung, als ob die Landwehr ein Daſein
für ſich führen könne, ward wenigſtens im Grundſatz aufgegeben. Tags
darauf ſtellte eine zweite Cabinetsordre die Friedenspräſenzſtärke der Linie
und ihre Cadres geſetzlich feſt; bei dem raſchen Wachsthum der Bevölke-
rung eröffnete ſich mithin die Ausſicht auf ein allmähliges Sinken der
Militärlaſt. Die Reform erwies ſich im Ganzen als heilſam, da die Land-
wehr nunmehr ohne eine weſentliche Veränderung ihrer Formation in den
Krieg geführt werden konnte. Durchgreifende Entſchlüſſe verhinderte leider
die Rückſicht auf den Staatshaushalt; der gefährlichſte Uebelſtand des neuen
Heerweſens, die Schwäche der Linienarmee, die nur 136,000 Mann
betrug, blieb unverändert. Sparen hieß jetzt die allgemeine Loſung; die
Staatsſchuld ſollte ſofort geſchloſſen werden, das Deficit für immer ver-
ſchwinden.
Für dies Syſtem ängſtlicher knapper Sparſamkeit war Boyens Nach-
folger General von Hake wohlgeeignet, derſelbe, der in Scharnhorſts
Tagen ſchon zweimal auf kurze Zeit die Kriegsverwaltung geleitet hatte,
ein fleißiger, gewiſſenhafter Arbeiter, aber pedantiſch, beſchränkt, ohne Ideen,
ohne Schwung der Seele. Während ſeiner Amtsführung erlangten die
Anſchauungen des Civilbeamtenthums wieder, wie in den erſten Jahren
Friedrich Wilhelms III., einen ungebührlichen Einfluß auf das Heerweſen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 603. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/617>, abgerufen am 25.11.2024.
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