kanzler Beyme schlossen sich den Anträgen Humboldts an. General Boyen war in seinem preußischen Stolze den Wahngebilden des friedlichen Dua- lismus immer fremd geblieben; der gradsinnige Soldat fühlte sich angee- kelt durch das lichtscheue Treiben der Demagogen, die sogar Gneisenau und den christlichen Romantiker Gröben nicht mit ihren Verdächtigungen verschonten. Der greise Beyme hatte in den letzten Jahren seine Sympa- thien ganz dem Liberalismus zugewendet, obgleich er in seinem Departe- ment nie eine praktische Reform zu Stande brachte, und sich neuerdings eng an Humboldt angeschlossen.
So brachte die Politik plötzlich drei Männer zusammen, die im Grunde sehr wenig mit einander gemein hatten. Beymes altmodische weichliche Philanthropie war das genaue Gegentheil von Humboldts hellenischer Welt- anschauung; auch Boyen und Humboldt liebten sich nicht, noch auf dem Wiener Congresse hatten sie ein Duell mit einander ausgefochten. Leider führten die beiden Bundesgenossen ihre Sache nicht glücklicher als Humboldt selbst. Der Kriegsminister reichte ein gedankenreiches Gutachten ein, das in markigen Zügen den natürlichen Gegensatz der beharrenden, katholischen Macht Oesterreich und der frei aufstrebenden Politik Preußens schilderte. Das Verhältniß zu Oesterreich wollte Boyen womöglich auf ein einfaches Vertheidigungsbündniß beschränken, obgleich wir wegen der Schwerfälligkeit des k. k. Staatshaushalts und Heerwesens "den ersten Feldzug wahr- scheinlich allein tragen müßten". Die Verstärkung der Bundesgewalt hielt er für bedenklich, so lange Preußen am Bundestage keinen überwiegenden Einfluß besitze und der Bund ihm nicht einmal die Sicherheit seiner außer- deutschen Provinzen verbürge; "niemals richtete eines Nassauers Stimme über den treuen oder verirrten Sinn eines Preußen." Es war das frei- müthige Glaubensbekenntniß eines fridericianischen Patrioten, aber zur Entscheidung der vorliegenden Frage trugen diese Betrachtungen nichts bei. Auch Beyme ging von der Souveränität der Krone Preußen aus und er- örterte, wie stark der völkerrechtliche Charakter des Bundes durch die jüngsten Beschlüsse verändert werde. Den Kern der Sache berührte keiner der drei Minister; keiner sagte frei heraus, daß die Karlsbader Politik einer thö- richten Angst entsprungen war und die Kräftigung der Bundesgewalt nur darum verderblich wirkte, weil sie nicht der nationalen Macht, sondern der Unterjochung der Geister dienen sollte.
Bernstorff vertheidigte sich sehr gewandt gegen Humboldts versteckte Angriffe. Er gestand offen ein: "daß der Bundesvertrag im Drange des Augenblicks als eine unreife Frucht aus übereilten Verhandlungen hervor- ging und streitende Ansichten und Interessen auf eine Niemand befriedigende Weise ausglich, darüber war sich sogleich ganz Deutschland einig." In solcher Lage bleibe eben nichts übrig als den unfähigen Bundestag durch eine vertrauliche Verständigung zwischen den beiden Großmächten zu leiten. Seien die Karlsbader Beschlüsse gerechtfertigt -- was Humboldt selbst nicht
II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
kanzler Beyme ſchloſſen ſich den Anträgen Humboldts an. General Boyen war in ſeinem preußiſchen Stolze den Wahngebilden des friedlichen Dua- lismus immer fremd geblieben; der gradſinnige Soldat fühlte ſich angee- kelt durch das lichtſcheue Treiben der Demagogen, die ſogar Gneiſenau und den chriſtlichen Romantiker Gröben nicht mit ihren Verdächtigungen verſchonten. Der greiſe Beyme hatte in den letzten Jahren ſeine Sympa- thien ganz dem Liberalismus zugewendet, obgleich er in ſeinem Departe- ment nie eine praktiſche Reform zu Stande brachte, und ſich neuerdings eng an Humboldt angeſchloſſen.
So brachte die Politik plötzlich drei Männer zuſammen, die im Grunde ſehr wenig mit einander gemein hatten. Beymes altmodiſche weichliche Philanthropie war das genaue Gegentheil von Humboldts helleniſcher Welt- anſchauung; auch Boyen und Humboldt liebten ſich nicht, noch auf dem Wiener Congreſſe hatten ſie ein Duell mit einander ausgefochten. Leider führten die beiden Bundesgenoſſen ihre Sache nicht glücklicher als Humboldt ſelbſt. Der Kriegsminiſter reichte ein gedankenreiches Gutachten ein, das in markigen Zügen den natürlichen Gegenſatz der beharrenden, katholiſchen Macht Oeſterreich und der frei aufſtrebenden Politik Preußens ſchilderte. Das Verhältniß zu Oeſterreich wollte Boyen womöglich auf ein einfaches Vertheidigungsbündniß beſchränken, obgleich wir wegen der Schwerfälligkeit des k. k. Staatshaushalts und Heerweſens „den erſten Feldzug wahr- ſcheinlich allein tragen müßten“. Die Verſtärkung der Bundesgewalt hielt er für bedenklich, ſo lange Preußen am Bundestage keinen überwiegenden Einfluß beſitze und der Bund ihm nicht einmal die Sicherheit ſeiner außer- deutſchen Provinzen verbürge; „niemals richtete eines Naſſauers Stimme über den treuen oder verirrten Sinn eines Preußen.“ Es war das frei- müthige Glaubensbekenntniß eines fridericianiſchen Patrioten, aber zur Entſcheidung der vorliegenden Frage trugen dieſe Betrachtungen nichts bei. Auch Beyme ging von der Souveränität der Krone Preußen aus und er- örterte, wie ſtark der völkerrechtliche Charakter des Bundes durch die jüngſten Beſchlüſſe verändert werde. Den Kern der Sache berührte keiner der drei Miniſter; keiner ſagte frei heraus, daß die Karlsbader Politik einer thö- richten Angſt entſprungen war und die Kräftigung der Bundesgewalt nur darum verderblich wirkte, weil ſie nicht der nationalen Macht, ſondern der Unterjochung der Geiſter dienen ſollte.
Bernſtorff vertheidigte ſich ſehr gewandt gegen Humboldts verſteckte Angriffe. Er geſtand offen ein: „daß der Bundesvertrag im Drange des Augenblicks als eine unreife Frucht aus übereilten Verhandlungen hervor- ging und ſtreitende Anſichten und Intereſſen auf eine Niemand befriedigende Weiſe ausglich, darüber war ſich ſogleich ganz Deutſchland einig.“ In ſolcher Lage bleibe eben nichts übrig als den unfähigen Bundestag durch eine vertrauliche Verſtändigung zwiſchen den beiden Großmächten zu leiten. Seien die Karlsbader Beſchlüſſe gerechtfertigt — was Humboldt ſelbſt nicht
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war in ſeinem preußiſchen Stolze den Wahngebilden des friedlichen Dua-
lismus immer fremd geblieben; der gradſinnige Soldat fühlte ſich angee-
kelt durch das lichtſcheue Treiben der Demagogen, die ſogar Gneiſenau
und den chriſtlichen Romantiker Gröben nicht mit ihren Verdächtigungen
verſchonten. Der greiſe Beyme hatte in den letzten Jahren ſeine Sympa-
thien ganz dem Liberalismus zugewendet, obgleich er in ſeinem Departe-
ment nie eine praktiſche Reform zu Stande brachte, und ſich neuerdings
eng an Humboldt angeſchloſſen.
So brachte die Politik plötzlich drei Männer zuſammen, die im Grunde
ſehr wenig mit einander gemein hatten. Beymes altmodiſche weichliche
Philanthropie war das genaue Gegentheil von Humboldts helleniſcher Welt-
anſchauung; auch Boyen und Humboldt liebten ſich nicht, noch auf dem
Wiener Congreſſe hatten ſie ein Duell mit einander ausgefochten. Leider
führten die beiden Bundesgenoſſen ihre Sache nicht glücklicher als Humboldt
ſelbſt. Der Kriegsminiſter reichte ein gedankenreiches Gutachten ein, das in
markigen Zügen den natürlichen Gegenſatz der beharrenden, katholiſchen
Macht Oeſterreich und der frei aufſtrebenden Politik Preußens ſchilderte.
Das Verhältniß zu Oeſterreich wollte Boyen womöglich auf ein einfaches
Vertheidigungsbündniß beſchränken, obgleich wir wegen der Schwerfälligkeit
des k. k. Staatshaushalts und Heerweſens „den erſten Feldzug wahr-
ſcheinlich allein tragen müßten“. Die Verſtärkung der Bundesgewalt hielt
er für bedenklich, ſo lange Preußen am Bundestage keinen überwiegenden
Einfluß beſitze und der Bund ihm nicht einmal die Sicherheit ſeiner außer-
deutſchen Provinzen verbürge; „niemals richtete eines Naſſauers Stimme
über den treuen oder verirrten Sinn eines Preußen.“ Es war das frei-
müthige Glaubensbekenntniß eines fridericianiſchen Patrioten, aber zur
Entſcheidung der vorliegenden Frage trugen dieſe Betrachtungen nichts bei.
Auch Beyme ging von der Souveränität der Krone Preußen aus und er-
örterte, wie ſtark der völkerrechtliche Charakter des Bundes durch die jüngſten
Beſchlüſſe verändert werde. Den Kern der Sache berührte keiner der drei
Miniſter; keiner ſagte frei heraus, daß die Karlsbader Politik einer thö-
richten Angſt entſprungen war und die Kräftigung der Bundesgewalt nur
darum verderblich wirkte, weil ſie nicht der nationalen Macht, ſondern der
Unterjochung der Geiſter dienen ſollte.
Bernſtorff vertheidigte ſich ſehr gewandt gegen Humboldts verſteckte
Angriffe. Er geſtand offen ein: „daß der Bundesvertrag im Drange des
Augenblicks als eine unreife Frucht aus übereilten Verhandlungen hervor-
ging und ſtreitende Anſichten und Intereſſen auf eine Niemand befriedigende
Weiſe ausglich, darüber war ſich ſogleich ganz Deutſchland einig.“ In
ſolcher Lage bleibe eben nichts übrig als den unfähigen Bundestag durch
eine vertrauliche Verſtändigung zwiſchen den beiden Großmächten zu leiten.
Seien die Karlsbader Beſchlüſſe gerechtfertigt — was Humboldt ſelbſt nicht
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/612>, abgerufen am 22.11.2024.
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