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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Karlsbader Beschlüsse vor dem Staatsministerium.
Gehorsam war die Antwort (16. September). Darauf wurden die neuen
Bundesbeschlüsse dem Staatsministerium vorgelegt und in drei Sitzungen
erwogen (5. 27. Okt., 3. Nov.).*) Es kam zu stürmischen Auftritten; die
Berliner wollten wissen, daß Humboldt die Karlsbader Beschlüsse "schändlich,
antinational, ein denkendes Volk beleidigend" genannt habe. Von solcher
Kühnheit war in dem langen Berichts-Entwurfe, welchen er am 5. Oktober
dem Ministerium vorlegte, keine Spur zu finden. Seine Bedenken
stützten sich ausschließlich auf die gefährdete Souveränität Preußens. "Wir
verkennen gewiß, so führte er aus, das wohlthätige Band nicht, welches
Preußen an Deutschland knüpft; aber das Gefühl, einer selbständigen und
Deutschland nicht einverleibten Monarchie anzugehören, ist immer vorherr-
schend in uns gewesen." Durch die Karlsbader Beschlüsse erlange der Bundes-
tag das gefährliche Recht sich in die inneren Angelegenheiten der Monarchie
einzumischen; überdies werde Preußen, da Alles auf Oesterreichs Antrag
beschlossen sei, "in die ganze Reihe der sich gewissermaßen leidend verhaltenden
Staaten gestellt". Der Art. 13 der Bundesakte berühre den preußischen
Staat nicht, da der König schon vorher seiner gesammten Monarchie, auch
den nichtdeutschen Provinzen eine Verfassung versprochen habe. Die Polizei-
berichte über die Demagogen bewiesen, "daß weder die Zahl dieser Menschen
groß noch ihre Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft bedeutend sei."
Auf solche Erwägungen gestützt beantragte Humboldt: es solle am Bundes-
tage die Verkündigung der Karlsbader Beschlüsse als außerordentlicher Maß-
regeln für zwei Jahre verlangt werden; es solle ferner der Minister des
Auswärtigen die Vollmacht erhalten, über Bundesbeschlüsse, welche innere
Angelegenheiten beträfen, mit den betheiligten Ministern Rücksprache zu
nehmen.

Der zweite Antrag erschien ganz müßig, da der Minister des Auswärtigen
die gewünschte Vollmacht bereits besaß; aber auch der erste Antrag war
ebenso ungeschickt als schwächlich. Denn als Humboldt seinen Bericht vor-
legte, hatte der Bundestag die Karlsbader Beschlüsse, mit ausdrücklicher
Genehmigung des Königs, schon längst angenommen, und während das
Ministerium noch berieth, wurden sie in Preußen, abermals auf Befehl
des Monarchen, förmlich verkündigt. Nach dem Staatsrechte der absoluten
Monarchie lag eine vollendete Thatsache vor; konnte man nicht den König
selbst zum Abfall von der österreichischen Politik bewegen -- und dazu
reichten Humboldts gewundene Sätze wahrlich nicht aus -- so ließ sich
an dem Geschehenen nichts mehr ändern. Die offenbare Aussichtslosigkeit
des Kampfes stimmte die übrigen Minister bedenklich, obwohl sie fast alle-
sammt gegen Form und Inhalt der Karlsbader Beschlüsse ernste Einwen-
dungen zu erheben hatten. Nur Zwei, der Kriegsminister und der Groß-

*) Protokoll der Sitzungen des Staatsministeriums vom 5., 27. Okt., 3. Nov. 1819
(von Humboldt).

Die Karlsbader Beſchlüſſe vor dem Staatsminiſterium.
Gehorſam war die Antwort (16. September). Darauf wurden die neuen
Bundesbeſchlüſſe dem Staatsminiſterium vorgelegt und in drei Sitzungen
erwogen (5. 27. Okt., 3. Nov.).*) Es kam zu ſtürmiſchen Auftritten; die
Berliner wollten wiſſen, daß Humboldt die Karlsbader Beſchlüſſe „ſchändlich,
antinational, ein denkendes Volk beleidigend“ genannt habe. Von ſolcher
Kühnheit war in dem langen Berichts-Entwurfe, welchen er am 5. Oktober
dem Miniſterium vorlegte, keine Spur zu finden. Seine Bedenken
ſtützten ſich ausſchließlich auf die gefährdete Souveränität Preußens. „Wir
verkennen gewiß, ſo führte er aus, das wohlthätige Band nicht, welches
Preußen an Deutſchland knüpft; aber das Gefühl, einer ſelbſtändigen und
Deutſchland nicht einverleibten Monarchie anzugehören, iſt immer vorherr-
ſchend in uns geweſen.“ Durch die Karlsbader Beſchlüſſe erlange der Bundes-
tag das gefährliche Recht ſich in die inneren Angelegenheiten der Monarchie
einzumiſchen; überdies werde Preußen, da Alles auf Oeſterreichs Antrag
beſchloſſen ſei, „in die ganze Reihe der ſich gewiſſermaßen leidend verhaltenden
Staaten geſtellt“. Der Art. 13 der Bundesakte berühre den preußiſchen
Staat nicht, da der König ſchon vorher ſeiner geſammten Monarchie, auch
den nichtdeutſchen Provinzen eine Verfaſſung verſprochen habe. Die Polizei-
berichte über die Demagogen bewieſen, „daß weder die Zahl dieſer Menſchen
groß noch ihre Stellung in der bürgerlichen Geſellſchaft bedeutend ſei.“
Auf ſolche Erwägungen geſtützt beantragte Humboldt: es ſolle am Bundes-
tage die Verkündigung der Karlsbader Beſchlüſſe als außerordentlicher Maß-
regeln für zwei Jahre verlangt werden; es ſolle ferner der Miniſter des
Auswärtigen die Vollmacht erhalten, über Bundesbeſchlüſſe, welche innere
Angelegenheiten beträfen, mit den betheiligten Miniſtern Rückſprache zu
nehmen.

Der zweite Antrag erſchien ganz müßig, da der Miniſter des Auswärtigen
die gewünſchte Vollmacht bereits beſaß; aber auch der erſte Antrag war
ebenſo ungeſchickt als ſchwächlich. Denn als Humboldt ſeinen Bericht vor-
legte, hatte der Bundestag die Karlsbader Beſchlüſſe, mit ausdrücklicher
Genehmigung des Königs, ſchon längſt angenommen, und während das
Miniſterium noch berieth, wurden ſie in Preußen, abermals auf Befehl
des Monarchen, förmlich verkündigt. Nach dem Staatsrechte der abſoluten
Monarchie lag eine vollendete Thatſache vor; konnte man nicht den König
ſelbſt zum Abfall von der öſterreichiſchen Politik bewegen — und dazu
reichten Humboldts gewundene Sätze wahrlich nicht aus — ſo ließ ſich
an dem Geſchehenen nichts mehr ändern. Die offenbare Ausſichtsloſigkeit
des Kampfes ſtimmte die übrigen Miniſter bedenklich, obwohl ſie faſt alle-
ſammt gegen Form und Inhalt der Karlsbader Beſchlüſſe ernſte Einwen-
dungen zu erheben hatten. Nur Zwei, der Kriegsminiſter und der Groß-

*) Protokoll der Sitzungen des Staatsminiſteriums vom 5., 27. Okt., 3. Nov. 1819
(von Humboldt).
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[597/0611] Die Karlsbader Beſchlüſſe vor dem Staatsminiſterium. Gehorſam war die Antwort (16. September). Darauf wurden die neuen Bundesbeſchlüſſe dem Staatsminiſterium vorgelegt und in drei Sitzungen erwogen (5. 27. Okt., 3. Nov.). *) Es kam zu ſtürmiſchen Auftritten; die Berliner wollten wiſſen, daß Humboldt die Karlsbader Beſchlüſſe „ſchändlich, antinational, ein denkendes Volk beleidigend“ genannt habe. Von ſolcher Kühnheit war in dem langen Berichts-Entwurfe, welchen er am 5. Oktober dem Miniſterium vorlegte, keine Spur zu finden. Seine Bedenken ſtützten ſich ausſchließlich auf die gefährdete Souveränität Preußens. „Wir verkennen gewiß, ſo führte er aus, das wohlthätige Band nicht, welches Preußen an Deutſchland knüpft; aber das Gefühl, einer ſelbſtändigen und Deutſchland nicht einverleibten Monarchie anzugehören, iſt immer vorherr- ſchend in uns geweſen.“ Durch die Karlsbader Beſchlüſſe erlange der Bundes- tag das gefährliche Recht ſich in die inneren Angelegenheiten der Monarchie einzumiſchen; überdies werde Preußen, da Alles auf Oeſterreichs Antrag beſchloſſen ſei, „in die ganze Reihe der ſich gewiſſermaßen leidend verhaltenden Staaten geſtellt“. Der Art. 13 der Bundesakte berühre den preußiſchen Staat nicht, da der König ſchon vorher ſeiner geſammten Monarchie, auch den nichtdeutſchen Provinzen eine Verfaſſung verſprochen habe. Die Polizei- berichte über die Demagogen bewieſen, „daß weder die Zahl dieſer Menſchen groß noch ihre Stellung in der bürgerlichen Geſellſchaft bedeutend ſei.“ Auf ſolche Erwägungen geſtützt beantragte Humboldt: es ſolle am Bundes- tage die Verkündigung der Karlsbader Beſchlüſſe als außerordentlicher Maß- regeln für zwei Jahre verlangt werden; es ſolle ferner der Miniſter des Auswärtigen die Vollmacht erhalten, über Bundesbeſchlüſſe, welche innere Angelegenheiten beträfen, mit den betheiligten Miniſtern Rückſprache zu nehmen. Der zweite Antrag erſchien ganz müßig, da der Miniſter des Auswärtigen die gewünſchte Vollmacht bereits beſaß; aber auch der erſte Antrag war ebenſo ungeſchickt als ſchwächlich. Denn als Humboldt ſeinen Bericht vor- legte, hatte der Bundestag die Karlsbader Beſchlüſſe, mit ausdrücklicher Genehmigung des Königs, ſchon längſt angenommen, und während das Miniſterium noch berieth, wurden ſie in Preußen, abermals auf Befehl des Monarchen, förmlich verkündigt. Nach dem Staatsrechte der abſoluten Monarchie lag eine vollendete Thatſache vor; konnte man nicht den König ſelbſt zum Abfall von der öſterreichiſchen Politik bewegen — und dazu reichten Humboldts gewundene Sätze wahrlich nicht aus — ſo ließ ſich an dem Geſchehenen nichts mehr ändern. Die offenbare Ausſichtsloſigkeit des Kampfes ſtimmte die übrigen Miniſter bedenklich, obwohl ſie faſt alle- ſammt gegen Form und Inhalt der Karlsbader Beſchlüſſe ernſte Einwen- dungen zu erheben hatten. Nur Zwei, der Kriegsminiſter und der Groß- *) Protokoll der Sitzungen des Staatsminiſteriums vom 5., 27. Okt., 3. Nov. 1819 (von Humboldt).

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/611>, abgerufen am 22.11.2024.