Der Entwurf bot der anfechtbaren Stellen genug. Eine einzige Com- munalordnung für die gesammte Monarchie war bei der unendlichen Mannich- faltigkeit der socialen Zustände des flachen Landes offenbar unmöglich. Noch bedenklicher erschien die ausschließliche Wahlberechtigung des Grundbesitzes, die in den Städten zu widersinnigen Verhältnissen führen mußte; sodann die als möglich angenommene Wiederherstellung der alten Territorien, deren verwickeltes Schuldenwesen allerdings nicht ohne Mühe in eine neue Pro- vinzialverfassung eingefügt werden konnte; endlich und zu allermeist das unglückliche System der vierfach indirekten Wahlen. Die Gefahr lag nahe, daß ein also -- nicht gewählter, sondern delegirter Allgemeiner Landtag sich der Nation entfremdete, die Monarchie den Charakter eines Föderativ- staats annähme. Und dennoch, wie die Dinge lagen, kam Alles darauf an, daß ein Parlament für die gesammte Monarchie berufen wurde; an den Formen lag wenig. Hardenbergs Vorschläge liefen im Wesentlichen hinaus auf einen Vereinigten Landtag, wie er im Jahre 1847 zusammen- trat; unmöglich war es nicht, daß eine ähnliche Versammlung, um das Jahr 1820 berufen, den Staat binnen eines Menschenalters allmählich und friedlich in die Bahnen des reinen Repräsentativsystems hätte hinüber- führen können.
Jeder Satz der Denkschrift verrieth den ernsten und ehrlichen Entschluß des Staatskanzlers. Umsichtig hatte er Alles entfernt was den König be- denklich stimmen konnte und darum namentlich das Heerwesen sowie die auswärtige Politik der Einwirkung der Stände entzogen. Auch den Be- gehren der altständischen Partei war er so weit als möglich entgegenge- kommen, und doch enthielt der Entwurf, in dem unscheinbaren Abschnitt über die Kreistage, eine tief einschneidende, kühne Reform: wurde die Ritter- schaft ihrer Virilstimmen auf den Kreisversammlungen beraubt und auf eine mäßige, den wirthschaftlichen Machtverhältnissen der Gegenwart ent- sprechende Stimmenzahl beschränkt, so war eine der schwersten und bestbe- rechtigten Klagen der Bauern im Osten beseitigt, die ständische Herrschaft des Adels auf dem flachen Lande brach zusammen, und an ihre Stelle trat eine Interessenvertretung von drei socialen Gruppen, welche der Ritter- schaft zwar noch ein starkes Uebergewicht, doch nicht mehr die alleinige Entscheidung gewährte. Was Hardenberg plante war in der That der Abschluß der Reformen von 1807--12, die Zerstörung der letzten Trümmer des feudalen Gemeinwesens; und mit begreiflichem Zorne schalt die altstän- dische Partei am Hofe auf den alten Jakobiner: hatte er denn nicht selber in dem ungeschickten Schlußwort seiner "Ideen" verrathen, daß er das salut public als das höchste der Gesetze verehre?
Freilich, der Staatskanzler bot dem Ausschusse nur den Entwurf eines Entwurfs, nur eine leichte Skizze, die sich zu Humboldts Verfassungsdenk- schrift verhielt wie ein Skelett zu einem lebendigen Körper. Alles kam darauf an, wie der Ausschuß diese Umrisse ausfüllen würde. Ein grund-
Hardenbergs Verfaſſungsplan.
Der Entwurf bot der anfechtbaren Stellen genug. Eine einzige Com- munalordnung für die geſammte Monarchie war bei der unendlichen Mannich- faltigkeit der ſocialen Zuſtände des flachen Landes offenbar unmöglich. Noch bedenklicher erſchien die ausſchließliche Wahlberechtigung des Grundbeſitzes, die in den Städten zu widerſinnigen Verhältniſſen führen mußte; ſodann die als möglich angenommene Wiederherſtellung der alten Territorien, deren verwickeltes Schuldenweſen allerdings nicht ohne Mühe in eine neue Pro- vinzialverfaſſung eingefügt werden konnte; endlich und zu allermeiſt das unglückliche Syſtem der vierfach indirekten Wahlen. Die Gefahr lag nahe, daß ein alſo — nicht gewählter, ſondern delegirter Allgemeiner Landtag ſich der Nation entfremdete, die Monarchie den Charakter eines Föderativ- ſtaats annähme. Und dennoch, wie die Dinge lagen, kam Alles darauf an, daß ein Parlament für die geſammte Monarchie berufen wurde; an den Formen lag wenig. Hardenbergs Vorſchläge liefen im Weſentlichen hinaus auf einen Vereinigten Landtag, wie er im Jahre 1847 zuſammen- trat; unmöglich war es nicht, daß eine ähnliche Verſammlung, um das Jahr 1820 berufen, den Staat binnen eines Menſchenalters allmählich und friedlich in die Bahnen des reinen Repräſentativſyſtems hätte hinüber- führen können.
Jeder Satz der Denkſchrift verrieth den ernſten und ehrlichen Entſchluß des Staatskanzlers. Umſichtig hatte er Alles entfernt was den König be- denklich ſtimmen konnte und darum namentlich das Heerweſen ſowie die auswärtige Politik der Einwirkung der Stände entzogen. Auch den Be- gehren der altſtändiſchen Partei war er ſo weit als möglich entgegenge- kommen, und doch enthielt der Entwurf, in dem unſcheinbaren Abſchnitt über die Kreistage, eine tief einſchneidende, kühne Reform: wurde die Ritter- ſchaft ihrer Virilſtimmen auf den Kreisverſammlungen beraubt und auf eine mäßige, den wirthſchaftlichen Machtverhältniſſen der Gegenwart ent- ſprechende Stimmenzahl beſchränkt, ſo war eine der ſchwerſten und beſtbe- rechtigten Klagen der Bauern im Oſten beſeitigt, die ſtändiſche Herrſchaft des Adels auf dem flachen Lande brach zuſammen, und an ihre Stelle trat eine Intereſſenvertretung von drei ſocialen Gruppen, welche der Ritter- ſchaft zwar noch ein ſtarkes Uebergewicht, doch nicht mehr die alleinige Entſcheidung gewährte. Was Hardenberg plante war in der That der Abſchluß der Reformen von 1807—12, die Zerſtörung der letzten Trümmer des feudalen Gemeinweſens; und mit begreiflichem Zorne ſchalt die altſtän- diſche Partei am Hofe auf den alten Jakobiner: hatte er denn nicht ſelber in dem ungeſchickten Schlußwort ſeiner „Ideen“ verrathen, daß er das salut public als das höchſte der Geſetze verehre?
Freilich, der Staatskanzler bot dem Ausſchuſſe nur den Entwurf eines Entwurfs, nur eine leichte Skizze, die ſich zu Humboldts Verfaſſungsdenk- ſchrift verhielt wie ein Skelett zu einem lebendigen Körper. Alles kam darauf an, wie der Ausſchuß dieſe Umriſſe ausfüllen würde. Ein grund-
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Hardenbergs Verfaſſungsplan.
Der Entwurf bot der anfechtbaren Stellen genug. Eine einzige Com-
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faltigkeit der ſocialen Zuſtände des flachen Landes offenbar unmöglich. Noch
bedenklicher erſchien die ausſchließliche Wahlberechtigung des Grundbeſitzes,
die in den Städten zu widerſinnigen Verhältniſſen führen mußte; ſodann
die als möglich angenommene Wiederherſtellung der alten Territorien, deren
verwickeltes Schuldenweſen allerdings nicht ohne Mühe in eine neue Pro-
vinzialverfaſſung eingefügt werden konnte; endlich und zu allermeiſt das
unglückliche Syſtem der vierfach indirekten Wahlen. Die Gefahr lag nahe,
daß ein alſo — nicht gewählter, ſondern delegirter Allgemeiner Landtag
ſich der Nation entfremdete, die Monarchie den Charakter eines Föderativ-
ſtaats annähme. Und dennoch, wie die Dinge lagen, kam Alles darauf
an, daß ein Parlament für die geſammte Monarchie berufen wurde; an
den Formen lag wenig. Hardenbergs Vorſchläge liefen im Weſentlichen
hinaus auf einen Vereinigten Landtag, wie er im Jahre 1847 zuſammen-
trat; unmöglich war es nicht, daß eine ähnliche Verſammlung, um das
Jahr 1820 berufen, den Staat binnen eines Menſchenalters allmählich
und friedlich in die Bahnen des reinen Repräſentativſyſtems hätte hinüber-
führen können.
Jeder Satz der Denkſchrift verrieth den ernſten und ehrlichen Entſchluß
des Staatskanzlers. Umſichtig hatte er Alles entfernt was den König be-
denklich ſtimmen konnte und darum namentlich das Heerweſen ſowie die
auswärtige Politik der Einwirkung der Stände entzogen. Auch den Be-
gehren der altſtändiſchen Partei war er ſo weit als möglich entgegenge-
kommen, und doch enthielt der Entwurf, in dem unſcheinbaren Abſchnitt
über die Kreistage, eine tief einſchneidende, kühne Reform: wurde die Ritter-
ſchaft ihrer Virilſtimmen auf den Kreisverſammlungen beraubt und auf
eine mäßige, den wirthſchaftlichen Machtverhältniſſen der Gegenwart ent-
ſprechende Stimmenzahl beſchränkt, ſo war eine der ſchwerſten und beſtbe-
rechtigten Klagen der Bauern im Oſten beſeitigt, die ſtändiſche Herrſchaft
des Adels auf dem flachen Lande brach zuſammen, und an ihre Stelle
trat eine Intereſſenvertretung von drei ſocialen Gruppen, welche der Ritter-
ſchaft zwar noch ein ſtarkes Uebergewicht, doch nicht mehr die alleinige
Entſcheidung gewährte. Was Hardenberg plante war in der That der
Abſchluß der Reformen von 1807—12, die Zerſtörung der letzten Trümmer
des feudalen Gemeinweſens; und mit begreiflichem Zorne ſchalt die altſtän-
diſche Partei am Hofe auf den alten Jakobiner: hatte er denn nicht ſelber
in dem ungeſchickten Schlußwort ſeiner „Ideen“ verrathen, daß er das
salut public als das höchſte der Geſetze verehre?
Freilich, der Staatskanzler bot dem Ausſchuſſe nur den Entwurf eines
Entwurfs, nur eine leichte Skizze, die ſich zu Humboldts Verfaſſungsdenk-
ſchrift verhielt wie ein Skelett zu einem lebendigen Körper. Alles kam
darauf an, wie der Ausſchuß dieſe Umriſſe ausfüllen würde. Ein grund-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/605>, abgerufen am 25.11.2024.
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