Karlsbader Beschlüssen einen neuen Beweis der hochherzigen Absichten seiner Alliirten. Aber er vermöge dem Geschehenen nicht so unbedingt seinen Beifall zu geben, wie der preußische Hof erwarte; denn er be- merke mit tiefem Schmerz, daß unter den deutschen Regierungen selber kein Einmuth bestehe; manche von ihnen "mißbilligen heute durch die That was sie gestern im Grundsatz angenommen haben". Angesichts dieser Zwie- tracht und der schweren Krankheit Deutschlands, die sich auch in der be- ginnenden Auswanderung bekunde, könne der Kaiser keine bestimmte Mei- nung aussprechen bevor er den Hof von St. James um Rath gefragt habe.
Also Rußland suchte Rath bei seinen geschworenen Feinden, den engli- schen Torys, und dies England stand unerschütterlich auf Oesterreichs Seite! Graf Münster, noch immer der einzige Rathgeber Lord Castlereaghs in allen deutschen Fragen, betrieb die Karlsbader Politik fast noch freudiger als Metternich selber, er hatte noch von Böhmen aus den Geheimen Räthen des Herzogthums Braunschweig, das unter der vormundschaftlichen Regie- rung des Prinzregenten stand, die neue correcte Doctrin von den deutsch- rechtlichen Landständen nachdrücklich eingeschärft. Einen so namenlos un- geschickten Fechterstreich abzuschlagen konnte den deutschen Großmächten nicht schwer fallen. Hardenberg schrieb sogleich an Castlereagh (30. Dec.), forderte ihn freundschaftlich auf, diesem Sophisten Kapodistrias, "der uns schon in Aachen soviel Noth gemacht", ernstlich heimzuleuchten; der Czar selber sei durchaus gutgesinnt. Aehnlich schrieb Metternich.*) Der Lord beeilte sich natürlich seinen alten Freunden zu erwidern, daß er alle ihre Unterneh- mungen mit seinen glühenden Wünschen begleite, und sendete dem russischen Hofe eine Antwort (14. Januar), welche "die Visionen des Grafen Kapo- distrias" gründlich zerstörte. In der Form war seine Erwiderung freilich sehr vorsichtig gehalten. Er durfte die Whigs im Parlamente nicht reizen, die ihm soeben wieder, in einer donnernden Rede Lord Minto's "den Bund der Höfe gegen die Völker" vorgeworfen hatten; daher weigerte er sich auch mit den anderen Höfen des Vierbundes gemeinsame Maßregeln für den Fall von Ludwigs XVIII. Tode zu verabreden, wie Metternich ihm vorgeschlagen, und gab seinem Schreiben an den russischen Gesandten die Wendung, daß England den Grundsatz der Nichteinmischung festhalten müsse.**) Doch in der Sache sprach er sich entschieden für Oesterreich aus, er billigte den Kampf gegen die Revolution und fand keinen Anlaß zu irgend welchen Beschwerden. Auch die badische Regierung hielt sich verpflichtet die Warnungen des Griechen scharf zurückzuweisen: "die Bundesakte, schrieb ihm Berstett, ist heute für Deutschland das Gesetz und die Propheten."***)
*) Krusemarks Bericht, 2. Jan. 1820.
**) Krusemarks Berichte, 2. Jan., 10. April 1820.
***) Berstett an Kapodistrias, 10. Dec. 1819.
Rathloſigkeit des ruſſiſchen Hofes.
Karlsbader Beſchlüſſen einen neuen Beweis der hochherzigen Abſichten ſeiner Alliirten. Aber er vermöge dem Geſchehenen nicht ſo unbedingt ſeinen Beifall zu geben, wie der preußiſche Hof erwarte; denn er be- merke mit tiefem Schmerz, daß unter den deutſchen Regierungen ſelber kein Einmuth beſtehe; manche von ihnen „mißbilligen heute durch die That was ſie geſtern im Grundſatz angenommen haben“. Angeſichts dieſer Zwie- tracht und der ſchweren Krankheit Deutſchlands, die ſich auch in der be- ginnenden Auswanderung bekunde, könne der Kaiſer keine beſtimmte Mei- nung ausſprechen bevor er den Hof von St. James um Rath gefragt habe.
Alſo Rußland ſuchte Rath bei ſeinen geſchworenen Feinden, den engli- ſchen Torys, und dies England ſtand unerſchütterlich auf Oeſterreichs Seite! Graf Münſter, noch immer der einzige Rathgeber Lord Caſtlereaghs in allen deutſchen Fragen, betrieb die Karlsbader Politik faſt noch freudiger als Metternich ſelber, er hatte noch von Böhmen aus den Geheimen Räthen des Herzogthums Braunſchweig, das unter der vormundſchaftlichen Regie- rung des Prinzregenten ſtand, die neue correcte Doctrin von den deutſch- rechtlichen Landſtänden nachdrücklich eingeſchärft. Einen ſo namenlos un- geſchickten Fechterſtreich abzuſchlagen konnte den deutſchen Großmächten nicht ſchwer fallen. Hardenberg ſchrieb ſogleich an Caſtlereagh (30. Dec.), forderte ihn freundſchaftlich auf, dieſem Sophiſten Kapodiſtrias, „der uns ſchon in Aachen ſoviel Noth gemacht“, ernſtlich heimzuleuchten; der Czar ſelber ſei durchaus gutgeſinnt. Aehnlich ſchrieb Metternich.*) Der Lord beeilte ſich natürlich ſeinen alten Freunden zu erwidern, daß er alle ihre Unterneh- mungen mit ſeinen glühenden Wünſchen begleite, und ſendete dem ruſſiſchen Hofe eine Antwort (14. Januar), welche „die Viſionen des Grafen Kapo- diſtrias“ gründlich zerſtörte. In der Form war ſeine Erwiderung freilich ſehr vorſichtig gehalten. Er durfte die Whigs im Parlamente nicht reizen, die ihm ſoeben wieder, in einer donnernden Rede Lord Minto’s „den Bund der Höfe gegen die Völker“ vorgeworfen hatten; daher weigerte er ſich auch mit den anderen Höfen des Vierbundes gemeinſame Maßregeln für den Fall von Ludwigs XVIII. Tode zu verabreden, wie Metternich ihm vorgeſchlagen, und gab ſeinem Schreiben an den ruſſiſchen Geſandten die Wendung, daß England den Grundſatz der Nichteinmiſchung feſthalten müſſe.**) Doch in der Sache ſprach er ſich entſchieden für Oeſterreich aus, er billigte den Kampf gegen die Revolution und fand keinen Anlaß zu irgend welchen Beſchwerden. Auch die badiſche Regierung hielt ſich verpflichtet die Warnungen des Griechen ſcharf zurückzuweiſen: „die Bundesakte, ſchrieb ihm Berſtett, iſt heute für Deutſchland das Geſetz und die Propheten.“***)
*) Kruſemarks Bericht, 2. Jan. 1820.
**) Kruſemarks Berichte, 2. Jan., 10. April 1820.
***) Berſtett an Kapodiſtrias, 10. Dec. 1819.
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Karlsbader Beſchlüſſen einen neuen Beweis der hochherzigen Abſichten
ſeiner Alliirten. Aber er vermöge dem Geſchehenen nicht ſo unbedingt
ſeinen Beifall zu geben, wie der preußiſche Hof erwarte; denn er be-
merke mit tiefem Schmerz, daß unter den deutſchen Regierungen ſelber
kein Einmuth beſtehe; manche von ihnen „mißbilligen heute durch die That
was ſie geſtern im Grundſatz angenommen haben“. Angeſichts dieſer Zwie-
tracht und der ſchweren Krankheit Deutſchlands, die ſich auch in der be-
ginnenden Auswanderung bekunde, könne der Kaiſer keine beſtimmte Mei-
nung ausſprechen bevor er den Hof von St. James um Rath gefragt
habe.
Alſo Rußland ſuchte Rath bei ſeinen geſchworenen Feinden, den engli-
ſchen Torys, und dies England ſtand unerſchütterlich auf Oeſterreichs
Seite! Graf Münſter, noch immer der einzige Rathgeber Lord Caſtlereaghs
in allen deutſchen Fragen, betrieb die Karlsbader Politik faſt noch freudiger
als Metternich ſelber, er hatte noch von Böhmen aus den Geheimen Räthen
des Herzogthums Braunſchweig, das unter der vormundſchaftlichen Regie-
rung des Prinzregenten ſtand, die neue correcte Doctrin von den deutſch-
rechtlichen Landſtänden nachdrücklich eingeſchärft. Einen ſo namenlos un-
geſchickten Fechterſtreich abzuſchlagen konnte den deutſchen Großmächten
nicht ſchwer fallen. Hardenberg ſchrieb ſogleich an Caſtlereagh (30. Dec.),
forderte ihn freundſchaftlich auf, dieſem Sophiſten Kapodiſtrias, „der uns
ſchon in Aachen ſoviel Noth gemacht“, ernſtlich heimzuleuchten; der Czar
ſelber ſei durchaus gutgeſinnt. Aehnlich ſchrieb Metternich. *) Der Lord beeilte
ſich natürlich ſeinen alten Freunden zu erwidern, daß er alle ihre Unterneh-
mungen mit ſeinen glühenden Wünſchen begleite, und ſendete dem ruſſiſchen
Hofe eine Antwort (14. Januar), welche „die Viſionen des Grafen Kapo-
diſtrias“ gründlich zerſtörte. In der Form war ſeine Erwiderung freilich
ſehr vorſichtig gehalten. Er durfte die Whigs im Parlamente nicht reizen,
die ihm ſoeben wieder, in einer donnernden Rede Lord Minto’s „den
Bund der Höfe gegen die Völker“ vorgeworfen hatten; daher weigerte er
ſich auch mit den anderen Höfen des Vierbundes gemeinſame Maßregeln
für den Fall von Ludwigs XVIII. Tode zu verabreden, wie Metternich ihm
vorgeſchlagen, und gab ſeinem Schreiben an den ruſſiſchen Geſandten die
Wendung, daß England den Grundſatz der Nichteinmiſchung feſthalten
müſſe. **) Doch in der Sache ſprach er ſich entſchieden für Oeſterreich aus,
er billigte den Kampf gegen die Revolution und fand keinen Anlaß zu irgend
welchen Beſchwerden. Auch die badiſche Regierung hielt ſich verpflichtet
die Warnungen des Griechen ſcharf zurückzuweiſen: „die Bundesakte, ſchrieb
ihm Berſtett, iſt heute für Deutſchland das Geſetz und die Propheten.“ ***)
*) Kruſemarks Bericht, 2. Jan. 1820.
**) Kruſemarks Berichte, 2. Jan., 10. April 1820.
***) Berſtett an Kapodiſtrias, 10. Dec. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/601>, abgerufen am 16.07.2024.
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