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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Baierns Vorbehalt.
Reigersberg mit Vorwürfen überhäuft. Jener befürchtete den Untergang
der politischen Freiheit und hatte bereits in einem leidenschaftlichen Briefe
an seinen Freund Wangenheim seinen liberalen Unwillen über die Karls-
bader Beschlüsse ausgesprochen*); dieser zitterte für Baierns europäische
Machtstellung und meinte stolz, Baiern sei sich selbst genug, könne des
Bundes entrathen. Auch Montgelas half in der Stille nach; der alte
Gegner Oesterreichs hoffte jetzt wieder an's Ruder zu kommen. Als die
Karlsbader Beschlüsse dem Ministerrathe vorgelegt wurden, beschuldigten
Lerchenfeld und Reigersberg den Minister des Auswärtigen, daß er seine
Instructionen überschritten habe. Und allerdings hatte Rechberg die
Weisung erhalten nichts zu bewilligen was der Souveränität und der Ver-
fassung des Königreichs zuwiderliefe; die bairische Constitution war die ein-
zige unter den neuen Verfassungen, welche die Rechtsverbindlichkeit der
Bundesgesetze nicht förmlich aussprach.

König Max Joseph aber war, soweit er einen Entschluß zu fassen
vermochte, durchaus erfüllt von der Furcht vor den Demagogen, und da
der Einzige, der ihn vielleicht hätte bekehren können, der Kronprinz grade
in Italien weilte, so nahm er sich Rechbergs an. Aergerlich über den
Zwiespalt seiner Räthe hatte er dem Ministerrathe nicht selber beiwohnen
wollen und statt seiner den getreuen Wrede entsendet. Der legte, sobald
Rechberg angegriffen wurde, rasch entschlossen die Hände auf die Akten und
erklärte im Namen des Königs: das Vergangene sei abgethan, nur über
die Annahme der Karlsbader Beschlüsse dürfe jetzt noch berathen werden.**)
Dergestalt war der Angriff auf Rechberg abgeschlagen, und nach neuem
lebhaftem Streite einigten sich die beiden Parteien des Ministeriums über
ein kümmerliches Compromiß. Die Karlsbader Beschlüsse wurden veröffent-
licht, aber mit dem Zusatze: sie sollten gelten "mit Rücksicht auf Unsere
Souveränität, nach der Verfassung und den Gesetzen Unseres Königreichs."

Wenn dieser Vorbehalt überhaupt einen Sinn haben sollte, so be-
deutete er die Lossagung Baierns von jenen Beschlüssen, welchen der
Münchener Hof bereits zweimal, in Karlsbad wie in Frankfurt, feierlich
zugestimmt hatte. Sofort rüsteten sich die beiden Großmächte zur Ab-
wehr; und nach den Staatsstreichsplänen, welche die bairische Krone ihnen
kürzlich vorgelegt, erschien dieser Vorbehalt in der That unehrenhaft.
Kaiser Franz sprach dem bairischen Gesandten persönlich sein Befremden
aus***), sendete seinem Schwiegervater einen eigenhändigen Brief um ihn
vor den Umtrieben "der Partei" zu warnen, gab seinem Gesandten in
München strenge Weisungen. Noch kräftiger legte sich Bernstorff ins Zeug.

*) Abgedruckt bei F. v. Weech, Correspondenzen und Aktenstücke zur Geschichte der
Ministerconferenzen von Karlsbad und Wien. S. 16.
**) Zastrows Berichte 9., 20. Okt., 23. Dec. 1819.
***) Krusemarks Bericht 30. Okt. 1819.

Baierns Vorbehalt.
Reigersberg mit Vorwürfen überhäuft. Jener befürchtete den Untergang
der politiſchen Freiheit und hatte bereits in einem leidenſchaftlichen Briefe
an ſeinen Freund Wangenheim ſeinen liberalen Unwillen über die Karls-
bader Beſchlüſſe ausgeſprochen*); dieſer zitterte für Baierns europäiſche
Machtſtellung und meinte ſtolz, Baiern ſei ſich ſelbſt genug, könne des
Bundes entrathen. Auch Montgelas half in der Stille nach; der alte
Gegner Oeſterreichs hoffte jetzt wieder an’s Ruder zu kommen. Als die
Karlsbader Beſchlüſſe dem Miniſterrathe vorgelegt wurden, beſchuldigten
Lerchenfeld und Reigersberg den Miniſter des Auswärtigen, daß er ſeine
Inſtructionen überſchritten habe. Und allerdings hatte Rechberg die
Weiſung erhalten nichts zu bewilligen was der Souveränität und der Ver-
faſſung des Königreichs zuwiderliefe; die bairiſche Conſtitution war die ein-
zige unter den neuen Verfaſſungen, welche die Rechtsverbindlichkeit der
Bundesgeſetze nicht förmlich ausſprach.

König Max Joſeph aber war, ſoweit er einen Entſchluß zu faſſen
vermochte, durchaus erfüllt von der Furcht vor den Demagogen, und da
der Einzige, der ihn vielleicht hätte bekehren können, der Kronprinz grade
in Italien weilte, ſo nahm er ſich Rechbergs an. Aergerlich über den
Zwieſpalt ſeiner Räthe hatte er dem Miniſterrathe nicht ſelber beiwohnen
wollen und ſtatt ſeiner den getreuen Wrede entſendet. Der legte, ſobald
Rechberg angegriffen wurde, raſch entſchloſſen die Hände auf die Akten und
erklärte im Namen des Königs: das Vergangene ſei abgethan, nur über
die Annahme der Karlsbader Beſchlüſſe dürfe jetzt noch berathen werden.**)
Dergeſtalt war der Angriff auf Rechberg abgeſchlagen, und nach neuem
lebhaftem Streite einigten ſich die beiden Parteien des Miniſteriums über
ein kümmerliches Compromiß. Die Karlsbader Beſchlüſſe wurden veröffent-
licht, aber mit dem Zuſatze: ſie ſollten gelten „mit Rückſicht auf Unſere
Souveränität, nach der Verfaſſung und den Geſetzen Unſeres Königreichs.“

Wenn dieſer Vorbehalt überhaupt einen Sinn haben ſollte, ſo be-
deutete er die Losſagung Baierns von jenen Beſchlüſſen, welchen der
Münchener Hof bereits zweimal, in Karlsbad wie in Frankfurt, feierlich
zugeſtimmt hatte. Sofort rüſteten ſich die beiden Großmächte zur Ab-
wehr; und nach den Staatsſtreichsplänen, welche die bairiſche Krone ihnen
kürzlich vorgelegt, erſchien dieſer Vorbehalt in der That unehrenhaft.
Kaiſer Franz ſprach dem bairiſchen Geſandten perſönlich ſein Befremden
aus***), ſendete ſeinem Schwiegervater einen eigenhändigen Brief um ihn
vor den Umtrieben „der Partei“ zu warnen, gab ſeinem Geſandten in
München ſtrenge Weiſungen. Noch kräftiger legte ſich Bernſtorff ins Zeug.

*) Abgedruckt bei F. v. Weech, Correſpondenzen und Aktenſtücke zur Geſchichte der
Miniſterconferenzen von Karlsbad und Wien. S. 16.
**) Zaſtrows Berichte 9., 20. Okt., 23. Dec. 1819.
***) Kruſemarks Bericht 30. Okt. 1819.
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[581/0595] Baierns Vorbehalt. Reigersberg mit Vorwürfen überhäuft. Jener befürchtete den Untergang der politiſchen Freiheit und hatte bereits in einem leidenſchaftlichen Briefe an ſeinen Freund Wangenheim ſeinen liberalen Unwillen über die Karls- bader Beſchlüſſe ausgeſprochen *); dieſer zitterte für Baierns europäiſche Machtſtellung und meinte ſtolz, Baiern ſei ſich ſelbſt genug, könne des Bundes entrathen. Auch Montgelas half in der Stille nach; der alte Gegner Oeſterreichs hoffte jetzt wieder an’s Ruder zu kommen. Als die Karlsbader Beſchlüſſe dem Miniſterrathe vorgelegt wurden, beſchuldigten Lerchenfeld und Reigersberg den Miniſter des Auswärtigen, daß er ſeine Inſtructionen überſchritten habe. Und allerdings hatte Rechberg die Weiſung erhalten nichts zu bewilligen was der Souveränität und der Ver- faſſung des Königreichs zuwiderliefe; die bairiſche Conſtitution war die ein- zige unter den neuen Verfaſſungen, welche die Rechtsverbindlichkeit der Bundesgeſetze nicht förmlich ausſprach. König Max Joſeph aber war, ſoweit er einen Entſchluß zu faſſen vermochte, durchaus erfüllt von der Furcht vor den Demagogen, und da der Einzige, der ihn vielleicht hätte bekehren können, der Kronprinz grade in Italien weilte, ſo nahm er ſich Rechbergs an. Aergerlich über den Zwieſpalt ſeiner Räthe hatte er dem Miniſterrathe nicht ſelber beiwohnen wollen und ſtatt ſeiner den getreuen Wrede entſendet. Der legte, ſobald Rechberg angegriffen wurde, raſch entſchloſſen die Hände auf die Akten und erklärte im Namen des Königs: das Vergangene ſei abgethan, nur über die Annahme der Karlsbader Beſchlüſſe dürfe jetzt noch berathen werden. **) Dergeſtalt war der Angriff auf Rechberg abgeſchlagen, und nach neuem lebhaftem Streite einigten ſich die beiden Parteien des Miniſteriums über ein kümmerliches Compromiß. Die Karlsbader Beſchlüſſe wurden veröffent- licht, aber mit dem Zuſatze: ſie ſollten gelten „mit Rückſicht auf Unſere Souveränität, nach der Verfaſſung und den Geſetzen Unſeres Königreichs.“ Wenn dieſer Vorbehalt überhaupt einen Sinn haben ſollte, ſo be- deutete er die Losſagung Baierns von jenen Beſchlüſſen, welchen der Münchener Hof bereits zweimal, in Karlsbad wie in Frankfurt, feierlich zugeſtimmt hatte. Sofort rüſteten ſich die beiden Großmächte zur Ab- wehr; und nach den Staatsſtreichsplänen, welche die bairiſche Krone ihnen kürzlich vorgelegt, erſchien dieſer Vorbehalt in der That unehrenhaft. Kaiſer Franz ſprach dem bairiſchen Geſandten perſönlich ſein Befremden aus ***), ſendete ſeinem Schwiegervater einen eigenhändigen Brief um ihn vor den Umtrieben „der Partei“ zu warnen, gab ſeinem Geſandten in München ſtrenge Weiſungen. Noch kräftiger legte ſich Bernſtorff ins Zeug. *) Abgedruckt bei F. v. Weech, Correſpondenzen und Aktenſtücke zur Geſchichte der Miniſterconferenzen von Karlsbad und Wien. S. 16. **) Zaſtrows Berichte 9., 20. Okt., 23. Dec. 1819. ***) Kruſemarks Bericht 30. Okt. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/595>, abgerufen am 22.11.2024.