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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Das preußische Preßgesetz. Görres.
Das wohlgemeinte Werk blieb nunmehr unbeachtet liegen, ein redendes
Zeugniß für den plötzlichen Umschwung der Hardenbergischen Politik. Be-
deutsamer noch war die Haltung Ancillons, der es über sich gewann, gleich-
zeitig dies liberale Preßgesetz auszuarbeiten und der Diplomatie die strenge
Vollziehung der Karlsbader Beschlüsse einzuschärfen. Auch über die Disciplin
der Universitäten ergingen einige scharfe Verordnungen, denen Altensteins
Wohlwollen zum Glück durch milde Auslegung die Spitze abbrach.

Seit den Verhaftungen des Juli hatten Kamptz's Werkzeuge im ganzen
Bereiche des Staates nur noch zwei namhafte Demagogen aufspüren können.
Jener unbegreifliche Brief von de Wette an Sands Mutter wurde bekannt
und dem Könige vorgelegt. Sobald der Thatbestand erwiesen war, ver-
fügte Friedrich Wilhelm, unbeirrt durch die Bitten der Berliner Univer-
sität, die Absetzung des Theologen: "es würde, ließ er dem Entlassenen
schreiben, Sr. Majestät Gewissen verletzen, wenn Sie einem Manne, der
den Meuchelmord unter Bedingungen und Voraussetzungen für gerecht-
fertigt hält, den Unterricht der Jugend ferner anvertrauen wollten." De
Wette ertrug die harte, aber gerechte Strafe mit einer christlichen Ergebung,
die nur von Neuem bewies, wie wenig revolutionäre Kraft in dem theore-
tischen Radicalismus dieser Gelehrtenkreise lag; in dem Augenblicke, da
man ihn aus Preußen vertrieb, erflehte er noch Gottes Segen für diesen
König und diesen Staat, denen er mit seiner besten Kraft gedient habe.

Trotziger trat Görres auf. Von seinem Freunde Willemer rechtzeitig
gewarnt entzog er sich, als sein Buch über Deutschland und die Revolution
erschienen war, der drohenden Verhaftung durch die Flucht und forderte
dann von Straßburg aus freies Geleit: nur vor den Geschworenen seiner
rheinischen Heimath wolle er Rede stehen. Auf solche Verhandlungen mit
einem Angeklagten durfte die Krone sich nicht einlassen; aber auch das
Schwurgericht wollte ihm der König nicht bewilligen, denn nachdem die
Stadt Coblenz sich soeben in einer recht anmaßenden Bittschrift für ihren
Mitbürger verwendet hatte, ließ sich unschwer voraussehen, daß die Rhein-
länder diesen Proceß zu einer gehässigen Kundgebung gegen die preußische
Herrschaft mißbrauchen würden. Nach den Anschauungen des alten Absolu-
tismus hielt sich der König berechtigt, in Fällen politischer Gefahr selber
die Richter zu bezeichnen und ward auch nicht anderen Sinnes, als die
rheinischen Staatsprocuratoren erklärten, zu einer Criminaluntersuchung
liege kein Anlaß vor; er meinte seine Befugnisse nicht zu überschreiten, da
er den Flüchtigen durch Hardenberg bedeuten ließ: zuerst habe Görres dem
Haftbefehle zu gehorchen und dann abzuwarten, vor welches Gericht der
Monarch ihn stellen werde. Görres aber sah in dem Verfahren des
Königs einen Eingriff in die rheinische Freiheit und weigerte sich Straßburg
zu verlassen.

Die ohnehin verstimmte öffentliche Meinung brauste in hellem Zorne
auf, als der Herausgeber des Rheinischen Merkurs dergestalt -- zwar

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Das preußiſche Preßgeſetz. Görres.
Das wohlgemeinte Werk blieb nunmehr unbeachtet liegen, ein redendes
Zeugniß für den plötzlichen Umſchwung der Hardenbergiſchen Politik. Be-
deutſamer noch war die Haltung Ancillons, der es über ſich gewann, gleich-
zeitig dies liberale Preßgeſetz auszuarbeiten und der Diplomatie die ſtrenge
Vollziehung der Karlsbader Beſchlüſſe einzuſchärfen. Auch über die Disciplin
der Univerſitäten ergingen einige ſcharfe Verordnungen, denen Altenſteins
Wohlwollen zum Glück durch milde Auslegung die Spitze abbrach.

Seit den Verhaftungen des Juli hatten Kamptz’s Werkzeuge im ganzen
Bereiche des Staates nur noch zwei namhafte Demagogen aufſpüren können.
Jener unbegreifliche Brief von de Wette an Sands Mutter wurde bekannt
und dem Könige vorgelegt. Sobald der Thatbeſtand erwieſen war, ver-
fügte Friedrich Wilhelm, unbeirrt durch die Bitten der Berliner Univer-
ſität, die Abſetzung des Theologen: „es würde, ließ er dem Entlaſſenen
ſchreiben, Sr. Majeſtät Gewiſſen verletzen, wenn Sie einem Manne, der
den Meuchelmord unter Bedingungen und Vorausſetzungen für gerecht-
fertigt hält, den Unterricht der Jugend ferner anvertrauen wollten.“ De
Wette ertrug die harte, aber gerechte Strafe mit einer chriſtlichen Ergebung,
die nur von Neuem bewies, wie wenig revolutionäre Kraft in dem theore-
tiſchen Radicalismus dieſer Gelehrtenkreiſe lag; in dem Augenblicke, da
man ihn aus Preußen vertrieb, erflehte er noch Gottes Segen für dieſen
König und dieſen Staat, denen er mit ſeiner beſten Kraft gedient habe.

Trotziger trat Görres auf. Von ſeinem Freunde Willemer rechtzeitig
gewarnt entzog er ſich, als ſein Buch über Deutſchland und die Revolution
erſchienen war, der drohenden Verhaftung durch die Flucht und forderte
dann von Straßburg aus freies Geleit: nur vor den Geſchworenen ſeiner
rheiniſchen Heimath wolle er Rede ſtehen. Auf ſolche Verhandlungen mit
einem Angeklagten durfte die Krone ſich nicht einlaſſen; aber auch das
Schwurgericht wollte ihm der König nicht bewilligen, denn nachdem die
Stadt Coblenz ſich ſoeben in einer recht anmaßenden Bittſchrift für ihren
Mitbürger verwendet hatte, ließ ſich unſchwer vorausſehen, daß die Rhein-
länder dieſen Proceß zu einer gehäſſigen Kundgebung gegen die preußiſche
Herrſchaft mißbrauchen würden. Nach den Anſchauungen des alten Abſolu-
tismus hielt ſich der König berechtigt, in Fällen politiſcher Gefahr ſelber
die Richter zu bezeichnen und ward auch nicht anderen Sinnes, als die
rheiniſchen Staatsprocuratoren erklärten, zu einer Criminalunterſuchung
liege kein Anlaß vor; er meinte ſeine Befugniſſe nicht zu überſchreiten, da
er den Flüchtigen durch Hardenberg bedeuten ließ: zuerſt habe Görres dem
Haftbefehle zu gehorchen und dann abzuwarten, vor welches Gericht der
Monarch ihn ſtellen werde. Görres aber ſah in dem Verfahren des
Königs einen Eingriff in die rheiniſche Freiheit und weigerte ſich Straßburg
zu verlaſſen.

Die ohnehin verſtimmte öffentliche Meinung brauſte in hellem Zorne
auf, als der Herausgeber des Rheiniſchen Merkurs dergeſtalt — zwar

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[579/0593] Das preußiſche Preßgeſetz. Görres. Das wohlgemeinte Werk blieb nunmehr unbeachtet liegen, ein redendes Zeugniß für den plötzlichen Umſchwung der Hardenbergiſchen Politik. Be- deutſamer noch war die Haltung Ancillons, der es über ſich gewann, gleich- zeitig dies liberale Preßgeſetz auszuarbeiten und der Diplomatie die ſtrenge Vollziehung der Karlsbader Beſchlüſſe einzuſchärfen. Auch über die Disciplin der Univerſitäten ergingen einige ſcharfe Verordnungen, denen Altenſteins Wohlwollen zum Glück durch milde Auslegung die Spitze abbrach. Seit den Verhaftungen des Juli hatten Kamptz’s Werkzeuge im ganzen Bereiche des Staates nur noch zwei namhafte Demagogen aufſpüren können. Jener unbegreifliche Brief von de Wette an Sands Mutter wurde bekannt und dem Könige vorgelegt. Sobald der Thatbeſtand erwieſen war, ver- fügte Friedrich Wilhelm, unbeirrt durch die Bitten der Berliner Univer- ſität, die Abſetzung des Theologen: „es würde, ließ er dem Entlaſſenen ſchreiben, Sr. Majeſtät Gewiſſen verletzen, wenn Sie einem Manne, der den Meuchelmord unter Bedingungen und Vorausſetzungen für gerecht- fertigt hält, den Unterricht der Jugend ferner anvertrauen wollten.“ De Wette ertrug die harte, aber gerechte Strafe mit einer chriſtlichen Ergebung, die nur von Neuem bewies, wie wenig revolutionäre Kraft in dem theore- tiſchen Radicalismus dieſer Gelehrtenkreiſe lag; in dem Augenblicke, da man ihn aus Preußen vertrieb, erflehte er noch Gottes Segen für dieſen König und dieſen Staat, denen er mit ſeiner beſten Kraft gedient habe. Trotziger trat Görres auf. Von ſeinem Freunde Willemer rechtzeitig gewarnt entzog er ſich, als ſein Buch über Deutſchland und die Revolution erſchienen war, der drohenden Verhaftung durch die Flucht und forderte dann von Straßburg aus freies Geleit: nur vor den Geſchworenen ſeiner rheiniſchen Heimath wolle er Rede ſtehen. Auf ſolche Verhandlungen mit einem Angeklagten durfte die Krone ſich nicht einlaſſen; aber auch das Schwurgericht wollte ihm der König nicht bewilligen, denn nachdem die Stadt Coblenz ſich ſoeben in einer recht anmaßenden Bittſchrift für ihren Mitbürger verwendet hatte, ließ ſich unſchwer vorausſehen, daß die Rhein- länder dieſen Proceß zu einer gehäſſigen Kundgebung gegen die preußiſche Herrſchaft mißbrauchen würden. Nach den Anſchauungen des alten Abſolu- tismus hielt ſich der König berechtigt, in Fällen politiſcher Gefahr ſelber die Richter zu bezeichnen und ward auch nicht anderen Sinnes, als die rheiniſchen Staatsprocuratoren erklärten, zu einer Criminalunterſuchung liege kein Anlaß vor; er meinte ſeine Befugniſſe nicht zu überſchreiten, da er den Flüchtigen durch Hardenberg bedeuten ließ: zuerſt habe Görres dem Haftbefehle zu gehorchen und dann abzuwarten, vor welches Gericht der Monarch ihn ſtellen werde. Görres aber ſah in dem Verfahren des Königs einen Eingriff in die rheiniſche Freiheit und weigerte ſich Straßburg zu verlaſſen. Die ohnehin verſtimmte öffentliche Meinung brauſte in hellem Zorne auf, als der Herausgeber des Rheiniſchen Merkurs dergeſtalt — zwar 37*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/593>, abgerufen am 25.11.2024.