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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Auflösung der Burschenschaft.
sammen, um den aufgelösten Bund von Neuem zu schließen. Diese neuen
geheimen Burschenschaften, die sich nunmehr fast auf allen Universitäten
zusammenthaten, trugen, da sie mit der Polizei in beständigem Kampfe
lebten, von Haus aus eine radikalere Färbung als der alte allgemeine
Burschenbund und waren doch im Grunde noch ungefährlicher. Denn die
ernsthaften Soldaten des Befreiungskriegs verließen jetzt allesammt die
Hochschulen; der junge Nachwuchs bestand wieder aus gewöhnlichen Schul-
füchsen, die sich die Freuden des Burschenlebens nicht verkümmern ließen
und die Raufhändel mit ihren Gegnern, den überall neu entstehenden Corps
und Landsmannschaften, zumeist weit eifriger betrieben als die politische Rede-
kunst. Aber die heilsame sittliche Wirkung der burschenschaftlichen Bewegung
blieb den Universitäten unverloren; die entsetzliche Roheit der guten alten
Zeit kehrte in solchem Maße niemals wieder. Die Jenenser Lehrer blieben
nach Okens Entlassung unbelästigt; nur Fries mußte, in Folge jenes
thörichten Briefes über die hochwohlgebornen französischen Affen, einige
Jahre lang seine Vorlesungen einstellen. Welch ein klägliches Ergebniß,
nachdem der österreichische Präsidialgesandte den gesammten deutschen Pro-
fessorenstand vor aller Welt mit Anklagen überschüttet hatte!

Die Ausführung der neuen Bundesgesetze erfolgte überall unter der
unmittelbaren Aufsicht der Gesandten Oesterreichs und Preußens. Dem
Bundestage wollten die beiden Großmächte diese Ueberwachung nicht über-
lassen. Er war durch Zank und Unthätigkeit und zuletzt noch durch die
erzwungene Abstimmung vom September gänzlich entwürdigt; in Wien
und an den befreundeten Höfen erwog man schon seit Monaten die Frage,
ob es nicht gerathen sei, alle wichtigen Bundesgeschäfte unmittelbar durch
die Regierungen zu erledigen und die Bundesversammlung als eine be-
scheidene Tagsatzung alljährlich nur auf drei Monate nach Mannheim ein-
zuberufen.*) Die k. k. Gesandten erhielten demnach gemessenen Befehl, die
Handhabung der Censur und der akademischen Disciplin in den kleinen
Staaten sorgsam zu beaufsichtigen. In seinen eigenen Bundeslanden konnte
Kaiser Franz freilich für die Vollziehung der Karlsbader Beschlüsse gar nichts
thun; in dieser friedsamen österreichischen Welt war weder ein Demagog noch
ein Burschenschafter noch eine liberale Zeitung aufzutreiben. Nur um ihren
guten Willen zu beweisen, veranstaltete die Wiener Polizei im Oktober ein
Treibjagen auf die zahlreichen Hauslehrer aus der Schweiz; doch da sich
bei den Verhafteten nur "einige Briefe mit schlechten Grundsätzen" vor-
fanden, so mußte sich der Kaiser begnügen, sie noch eine Weile gefangen
zu halten und dann über die Grenze abschieben zu lassen.**)

Fast noch eifriger zeigte sich der Berliner Hof. Der König war und
blieb von der Nothwendigkeit der Ausnahmegesetze tief durchdrungen, befahl
allen seinen Gesandten in Deutschland die Ausführung zu überwachen

*) Berkheims Berichte, Frankfurt 2. April 1819 ff.
**) Krusemarks Bericht, 30. Okt. 1819.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 37

Auflöſung der Burſchenſchaft.
ſammen, um den aufgelöſten Bund von Neuem zu ſchließen. Dieſe neuen
geheimen Burſchenſchaften, die ſich nunmehr faſt auf allen Univerſitäten
zuſammenthaten, trugen, da ſie mit der Polizei in beſtändigem Kampfe
lebten, von Haus aus eine radikalere Färbung als der alte allgemeine
Burſchenbund und waren doch im Grunde noch ungefährlicher. Denn die
ernſthaften Soldaten des Befreiungskriegs verließen jetzt alleſammt die
Hochſchulen; der junge Nachwuchs beſtand wieder aus gewöhnlichen Schul-
füchſen, die ſich die Freuden des Burſchenlebens nicht verkümmern ließen
und die Raufhändel mit ihren Gegnern, den überall neu entſtehenden Corps
und Landsmannſchaften, zumeiſt weit eifriger betrieben als die politiſche Rede-
kunſt. Aber die heilſame ſittliche Wirkung der burſchenſchaftlichen Bewegung
blieb den Univerſitäten unverloren; die entſetzliche Roheit der guten alten
Zeit kehrte in ſolchem Maße niemals wieder. Die Jenenſer Lehrer blieben
nach Okens Entlaſſung unbeläſtigt; nur Fries mußte, in Folge jenes
thörichten Briefes über die hochwohlgebornen franzöſiſchen Affen, einige
Jahre lang ſeine Vorleſungen einſtellen. Welch ein klägliches Ergebniß,
nachdem der öſterreichiſche Präſidialgeſandte den geſammten deutſchen Pro-
feſſorenſtand vor aller Welt mit Anklagen überſchüttet hatte!

Die Ausführung der neuen Bundesgeſetze erfolgte überall unter der
unmittelbaren Aufſicht der Geſandten Oeſterreichs und Preußens. Dem
Bundestage wollten die beiden Großmächte dieſe Ueberwachung nicht über-
laſſen. Er war durch Zank und Unthätigkeit und zuletzt noch durch die
erzwungene Abſtimmung vom September gänzlich entwürdigt; in Wien
und an den befreundeten Höfen erwog man ſchon ſeit Monaten die Frage,
ob es nicht gerathen ſei, alle wichtigen Bundesgeſchäfte unmittelbar durch
die Regierungen zu erledigen und die Bundesverſammlung als eine be-
ſcheidene Tagſatzung alljährlich nur auf drei Monate nach Mannheim ein-
zuberufen.*) Die k. k. Geſandten erhielten demnach gemeſſenen Befehl, die
Handhabung der Cenſur und der akademiſchen Disciplin in den kleinen
Staaten ſorgſam zu beaufſichtigen. In ſeinen eigenen Bundeslanden konnte
Kaiſer Franz freilich für die Vollziehung der Karlsbader Beſchlüſſe gar nichts
thun; in dieſer friedſamen öſterreichiſchen Welt war weder ein Demagog noch
ein Burſchenſchafter noch eine liberale Zeitung aufzutreiben. Nur um ihren
guten Willen zu beweiſen, veranſtaltete die Wiener Polizei im Oktober ein
Treibjagen auf die zahlreichen Hauslehrer aus der Schweiz; doch da ſich
bei den Verhafteten nur „einige Briefe mit ſchlechten Grundſätzen“ vor-
fanden, ſo mußte ſich der Kaiſer begnügen, ſie noch eine Weile gefangen
zu halten und dann über die Grenze abſchieben zu laſſen.**)

Faſt noch eifriger zeigte ſich der Berliner Hof. Der König war und
blieb von der Nothwendigkeit der Ausnahmegeſetze tief durchdrungen, befahl
allen ſeinen Geſandten in Deutſchland die Ausführung zu überwachen

*) Berkheims Berichte, Frankfurt 2. April 1819 ff.
**) Kruſemarks Bericht, 30. Okt. 1819.
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[577/0591] Auflöſung der Burſchenſchaft. ſammen, um den aufgelöſten Bund von Neuem zu ſchließen. Dieſe neuen geheimen Burſchenſchaften, die ſich nunmehr faſt auf allen Univerſitäten zuſammenthaten, trugen, da ſie mit der Polizei in beſtändigem Kampfe lebten, von Haus aus eine radikalere Färbung als der alte allgemeine Burſchenbund und waren doch im Grunde noch ungefährlicher. Denn die ernſthaften Soldaten des Befreiungskriegs verließen jetzt alleſammt die Hochſchulen; der junge Nachwuchs beſtand wieder aus gewöhnlichen Schul- füchſen, die ſich die Freuden des Burſchenlebens nicht verkümmern ließen und die Raufhändel mit ihren Gegnern, den überall neu entſtehenden Corps und Landsmannſchaften, zumeiſt weit eifriger betrieben als die politiſche Rede- kunſt. Aber die heilſame ſittliche Wirkung der burſchenſchaftlichen Bewegung blieb den Univerſitäten unverloren; die entſetzliche Roheit der guten alten Zeit kehrte in ſolchem Maße niemals wieder. Die Jenenſer Lehrer blieben nach Okens Entlaſſung unbeläſtigt; nur Fries mußte, in Folge jenes thörichten Briefes über die hochwohlgebornen franzöſiſchen Affen, einige Jahre lang ſeine Vorleſungen einſtellen. Welch ein klägliches Ergebniß, nachdem der öſterreichiſche Präſidialgeſandte den geſammten deutſchen Pro- feſſorenſtand vor aller Welt mit Anklagen überſchüttet hatte! Die Ausführung der neuen Bundesgeſetze erfolgte überall unter der unmittelbaren Aufſicht der Geſandten Oeſterreichs und Preußens. Dem Bundestage wollten die beiden Großmächte dieſe Ueberwachung nicht über- laſſen. Er war durch Zank und Unthätigkeit und zuletzt noch durch die erzwungene Abſtimmung vom September gänzlich entwürdigt; in Wien und an den befreundeten Höfen erwog man ſchon ſeit Monaten die Frage, ob es nicht gerathen ſei, alle wichtigen Bundesgeſchäfte unmittelbar durch die Regierungen zu erledigen und die Bundesverſammlung als eine be- ſcheidene Tagſatzung alljährlich nur auf drei Monate nach Mannheim ein- zuberufen. *) Die k. k. Geſandten erhielten demnach gemeſſenen Befehl, die Handhabung der Cenſur und der akademiſchen Disciplin in den kleinen Staaten ſorgſam zu beaufſichtigen. In ſeinen eigenen Bundeslanden konnte Kaiſer Franz freilich für die Vollziehung der Karlsbader Beſchlüſſe gar nichts thun; in dieſer friedſamen öſterreichiſchen Welt war weder ein Demagog noch ein Burſchenſchafter noch eine liberale Zeitung aufzutreiben. Nur um ihren guten Willen zu beweiſen, veranſtaltete die Wiener Polizei im Oktober ein Treibjagen auf die zahlreichen Hauslehrer aus der Schweiz; doch da ſich bei den Verhafteten nur „einige Briefe mit ſchlechten Grundſätzen“ vor- fanden, ſo mußte ſich der Kaiſer begnügen, ſie noch eine Weile gefangen zu halten und dann über die Grenze abſchieben zu laſſen. **) Faſt noch eifriger zeigte ſich der Berliner Hof. Der König war und blieb von der Nothwendigkeit der Ausnahmegeſetze tief durchdrungen, befahl allen ſeinen Geſandten in Deutſchland die Ausführung zu überwachen *) Berkheims Berichte, Frankfurt 2. April 1819 ff. **) Kruſemarks Bericht, 30. Okt. 1819. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 37

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/591>, abgerufen am 22.11.2024.