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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
eine schimpfliche Sklaverei "aus der Menschheit ausgestoßen", den Pro-
scriptionen des Sulla, der Tyrannei des Tiberius verfallen; überall sonst
suche die Willkür nach einer Verkleidung, nur in Deutschland schreite sie
schamlos, ohne Larve einher.

Der also angeschlagene Ton ward seitdem treulich eingehalten. Das
den Nachbarn so unbequeme Erstarken Mitteleuropas schien jetzt nicht
mehr gefährlich seit der deutsche Bund sich schweigend dem Hause Oesterreich
unterworfen hatte. Dreißig Jahre lang blieb Deutschland fortan für die
Presse des Westens das classische Land aller politischen Erbärmlichkeit, der
Beachtung freier Briten und Franzosen völlig unwerth, und die Nation,
welche zweimal binnen zwei Jahren ihre siegreichen Fahnen auf dem Mont-
martre aufgepflanzt hatte, ward von ihren besiegten Nachbarn mit gering-
schätzigem Wohlwollen als ein gutmüthiges Philistervolk behandelt, das bei
Bier, Tabak und Philosophie die Zeit verträume und in richtiger Selbst-
erkenntniß auf alle Pläne politischer Macht und Freiheit gemächlich ver-
zichtet habe. Die Deutschen aber hatten sich in das Bewußtsein des hoff-
nungslosen "deutschen Elends" bald so gründlich eingelebt, daß sie solche
Kundgebungen urtheilslosen Hochmuths als Beweise der Ueberlegenheit west-
europäischer Kultur willig hinnahmen und sich in ihrer weltbürgerlichen
Bruderliebe nicht mehr stören ließen.

Trotz dem Unwillen der Nation wurden die Karlsbader Beschlüsse
überall mit einer Pünktlichkeit vollzogen, wie seit unvordenklichen Zeiten
kein Reichs- oder Bundesgesetz. Die Central-Untersuchungscommission
trat sofort zusammen. Ihr bösartigstes Mitglied war der Baier Hör-
mann, jener fanatische Bonapartist, der seit Jahren in der Alemannia
die Borussomanen verfolgte und nun sie gänzlich auszurotten hoffte.
Der Badener Pfister und der Nassauer Musset gingen mit ihm Hand in
Hand. Preußen hatte anfangs den elenden Grano bevollmächtigt, aber
bald regte sich in Berlin die Scham über eine solche Vertretung; man
rief den Menschen zurück und ersetzte ihn durch den Präsidenten v. Kaisen-
berg, einen ausgezeichneten Juristen, der sein widerwärtiges Amt mit großer
Umsicht und Mäßigung führte, unter fortwährenden Kämpfen mit Hör-
mann viel Unheil und Willkür abwendete.

Unverzüglich begannen die Censoren und die Universitätsbevollmäch-
tigten überall ihre Thätigkeit. Die Jenenser Burschen sprachen dem Groß-
herzog in einem ruhig gehaltenen Briefe ihr Bedauern aus, daß man sie
öffentlich verkannt habe, und lösten am 26. November gehorsam ihre Ver-
bindung auf. Beim Scheiden erklangen die Verse von Binzer:

Das Band ist zerschnitten,
War schwarzrothundgold.
Und Gott hat es gelitten.
Wer weiß was er gewollt! --

sentimentale Klagen, die wahrhaftig nicht auf revolutionäre Entschlüsse
deuteten. Einige der Getreuesten traten noch in der nämlichen Nacht zu-

II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
eine ſchimpfliche Sklaverei „aus der Menſchheit ausgeſtoßen“, den Pro-
ſcriptionen des Sulla, der Tyrannei des Tiberius verfallen; überall ſonſt
ſuche die Willkür nach einer Verkleidung, nur in Deutſchland ſchreite ſie
ſchamlos, ohne Larve einher.

Der alſo angeſchlagene Ton ward ſeitdem treulich eingehalten. Das
den Nachbarn ſo unbequeme Erſtarken Mitteleuropas ſchien jetzt nicht
mehr gefährlich ſeit der deutſche Bund ſich ſchweigend dem Hauſe Oeſterreich
unterworfen hatte. Dreißig Jahre lang blieb Deutſchland fortan für die
Preſſe des Weſtens das claſſiſche Land aller politiſchen Erbärmlichkeit, der
Beachtung freier Briten und Franzoſen völlig unwerth, und die Nation,
welche zweimal binnen zwei Jahren ihre ſiegreichen Fahnen auf dem Mont-
martre aufgepflanzt hatte, ward von ihren beſiegten Nachbarn mit gering-
ſchätzigem Wohlwollen als ein gutmüthiges Philiſtervolk behandelt, das bei
Bier, Tabak und Philoſophie die Zeit verträume und in richtiger Selbſt-
erkenntniß auf alle Pläne politiſcher Macht und Freiheit gemächlich ver-
zichtet habe. Die Deutſchen aber hatten ſich in das Bewußtſein des hoff-
nungsloſen „deutſchen Elends“ bald ſo gründlich eingelebt, daß ſie ſolche
Kundgebungen urtheilsloſen Hochmuths als Beweiſe der Ueberlegenheit weſt-
europäiſcher Kultur willig hinnahmen und ſich in ihrer weltbürgerlichen
Bruderliebe nicht mehr ſtören ließen.

Trotz dem Unwillen der Nation wurden die Karlsbader Beſchlüſſe
überall mit einer Pünktlichkeit vollzogen, wie ſeit unvordenklichen Zeiten
kein Reichs- oder Bundesgeſetz. Die Central-Unterſuchungscommiſſion
trat ſofort zuſammen. Ihr bösartigſtes Mitglied war der Baier Hör-
mann, jener fanatiſche Bonapartiſt, der ſeit Jahren in der Alemannia
die Boruſſomanen verfolgte und nun ſie gänzlich auszurotten hoffte.
Der Badener Pfiſter und der Naſſauer Muſſet gingen mit ihm Hand in
Hand. Preußen hatte anfangs den elenden Grano bevollmächtigt, aber
bald regte ſich in Berlin die Scham über eine ſolche Vertretung; man
rief den Menſchen zurück und erſetzte ihn durch den Präſidenten v. Kaiſen-
berg, einen ausgezeichneten Juriſten, der ſein widerwärtiges Amt mit großer
Umſicht und Mäßigung führte, unter fortwährenden Kämpfen mit Hör-
mann viel Unheil und Willkür abwendete.

Unverzüglich begannen die Cenſoren und die Univerſitätsbevollmäch-
tigten überall ihre Thätigkeit. Die Jenenſer Burſchen ſprachen dem Groß-
herzog in einem ruhig gehaltenen Briefe ihr Bedauern aus, daß man ſie
öffentlich verkannt habe, und löſten am 26. November gehorſam ihre Ver-
bindung auf. Beim Scheiden erklangen die Verſe von Binzer:

Das Band iſt zerſchnitten,
War ſchwarzrothundgold.
Und Gott hat es gelitten.
Wer weiß was er gewollt! —

ſentimentale Klagen, die wahrhaftig nicht auf revolutionäre Entſchlüſſe
deuteten. Einige der Getreueſten traten noch in der nämlichen Nacht zu-

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[576/0590] II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe. eine ſchimpfliche Sklaverei „aus der Menſchheit ausgeſtoßen“, den Pro- ſcriptionen des Sulla, der Tyrannei des Tiberius verfallen; überall ſonſt ſuche die Willkür nach einer Verkleidung, nur in Deutſchland ſchreite ſie ſchamlos, ohne Larve einher. Der alſo angeſchlagene Ton ward ſeitdem treulich eingehalten. Das den Nachbarn ſo unbequeme Erſtarken Mitteleuropas ſchien jetzt nicht mehr gefährlich ſeit der deutſche Bund ſich ſchweigend dem Hauſe Oeſterreich unterworfen hatte. Dreißig Jahre lang blieb Deutſchland fortan für die Preſſe des Weſtens das claſſiſche Land aller politiſchen Erbärmlichkeit, der Beachtung freier Briten und Franzoſen völlig unwerth, und die Nation, welche zweimal binnen zwei Jahren ihre ſiegreichen Fahnen auf dem Mont- martre aufgepflanzt hatte, ward von ihren beſiegten Nachbarn mit gering- ſchätzigem Wohlwollen als ein gutmüthiges Philiſtervolk behandelt, das bei Bier, Tabak und Philoſophie die Zeit verträume und in richtiger Selbſt- erkenntniß auf alle Pläne politiſcher Macht und Freiheit gemächlich ver- zichtet habe. Die Deutſchen aber hatten ſich in das Bewußtſein des hoff- nungsloſen „deutſchen Elends“ bald ſo gründlich eingelebt, daß ſie ſolche Kundgebungen urtheilsloſen Hochmuths als Beweiſe der Ueberlegenheit weſt- europäiſcher Kultur willig hinnahmen und ſich in ihrer weltbürgerlichen Bruderliebe nicht mehr ſtören ließen. Trotz dem Unwillen der Nation wurden die Karlsbader Beſchlüſſe überall mit einer Pünktlichkeit vollzogen, wie ſeit unvordenklichen Zeiten kein Reichs- oder Bundesgeſetz. Die Central-Unterſuchungscommiſſion trat ſofort zuſammen. Ihr bösartigſtes Mitglied war der Baier Hör- mann, jener fanatiſche Bonapartiſt, der ſeit Jahren in der Alemannia die Boruſſomanen verfolgte und nun ſie gänzlich auszurotten hoffte. Der Badener Pfiſter und der Naſſauer Muſſet gingen mit ihm Hand in Hand. Preußen hatte anfangs den elenden Grano bevollmächtigt, aber bald regte ſich in Berlin die Scham über eine ſolche Vertretung; man rief den Menſchen zurück und erſetzte ihn durch den Präſidenten v. Kaiſen- berg, einen ausgezeichneten Juriſten, der ſein widerwärtiges Amt mit großer Umſicht und Mäßigung führte, unter fortwährenden Kämpfen mit Hör- mann viel Unheil und Willkür abwendete. Unverzüglich begannen die Cenſoren und die Univerſitätsbevollmäch- tigten überall ihre Thätigkeit. Die Jenenſer Burſchen ſprachen dem Groß- herzog in einem ruhig gehaltenen Briefe ihr Bedauern aus, daß man ſie öffentlich verkannt habe, und löſten am 26. November gehorſam ihre Ver- bindung auf. Beim Scheiden erklangen die Verſe von Binzer: Das Band iſt zerſchnitten, War ſchwarzrothundgold. Und Gott hat es gelitten. Wer weiß was er gewollt! — ſentimentale Klagen, die wahrhaftig nicht auf revolutionäre Entſchlüſſe deuteten. Einige der Getreueſten traten noch in der nämlichen Nacht zu-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/590>, abgerufen am 25.11.2024.