den weiten Abstand zwischen dem Kennen und dem Können. Wo ihm unter seinen Verehrern schöpferische Begabung begegnete, da thaute er auf; wie väterlich kam er dem Wunderkinde Felix Mendelssohn-Bartholdy entgegen und freute sich mit den glücklichen Eltern des schönen Vereines von feiner Bildung und echtem Talent. --
Als die Dichtung schon in den Herbst eintrat, begann für die bil- denden Künste erst die Zeit der Blüthe. So lange die Begeisterung der Kriegsjahre anhielt wurde die gothische Kunst allgemein als die wahr- haft deutsche gepriesen. Die Jugend schien sich für immer von den antiken Idealen abzuwenden, und Schenkendorf rief gebieterisch: "man soll an keiner deutschen Wand mehr Heidenbilder sehn!" Viele der Freiwilligen aus dem Osten lernten auf den Märschen am Rhein zuerst den Formen- reichthum unserer Vorzeit kennen; sie meinten in diesen alten Domen die allein giltigen Musterbilder für die vaterländische Kunst zu finden und bemerkten kaum, daß ihnen in den Kirchen des verhaßten Frankreichs überall der nämliche "altdeutsche" Stil begegnete. Wenn sie zu dem alten Krahn droben auf dem unvollendeten Thurme des Kölner Domes empor- schauten, dann dachten sie mit ihrem ritterlichen Sänger: "daß das Werk verschoben bis die rechten Meister nah'n!" Der Kronprinz fühlte sich ganz überwältigt von dem Anblick der majestätischen Ruine; auf seinen Betrieb wurde Schinkel nach Köln gesendet und erklärte in seinem Gut- achten: einen solchen Bau erhalten, das heiße ihn vollenden.
Von dieser Stimmung der Zeit ward auch König Friedrich Wilhelm berührt, als er nach dem ersten Pariser Frieden beschloß, das Gedächtniß der deutschen Siege durch die Erbauung eines prächtigen altdeutschen Do- mes in Berlin zu verherrlichen. In Altpreußen erklang bald nachher von allen Seiten der Ruf: das herrliche Hochmeisterschloß, die von der Roheit der Polen und dem prosaischen Kaltsinn des fridericianischen Beamtenthums so schändlich verstümmelte Marienburg müsse in ihrer alten Pracht wieder aufgerichtet werden, ein Siegesdenkmal für das alte Ordensland, das sich so gern rühmte die anderen Deutschen zum heiligen Kampfe erweckt zu haben. Schön, der eifrige Wortführer des altpreußischen Provinzial- stolzes, trat an die Spitze des Unternehmens; er dachte dies schönste welt- liche Bauwerk unseres Mittelalters zu einem preußischen Westminster zu erheben, woran Jeder aus dem Volke seinen Antheil nähme. Der König übernahm den Wiederaufbau; die dünnen Zwischenwände, die ein phili- sterhaftes Geschlecht mitten durch die ungeheuren Säle gezogen hatte, fielen zusammen; über den schlanken Pfeilern der Remter erhoben sich wieder leicht und frei gleich den Fächern der Palmen die alten gothischen Ge- wölbe. Die Ausschmückung des Ordensschlosses überließ man der Nation. Geld wurde nicht angenommen: wer mithelfen wollte mußte selber einen Theil des Bauwerks künstlerisch ausstatten. Der Adel, die Städte, die Corporationen der verarmten Provinz wetteiferten in Geschenken, Patrioten
Die Gothik.
den weiten Abſtand zwiſchen dem Kennen und dem Können. Wo ihm unter ſeinen Verehrern ſchöpferiſche Begabung begegnete, da thaute er auf; wie väterlich kam er dem Wunderkinde Felix Mendelsſohn-Bartholdy entgegen und freute ſich mit den glücklichen Eltern des ſchönen Vereines von feiner Bildung und echtem Talent. —
Als die Dichtung ſchon in den Herbſt eintrat, begann für die bil- denden Künſte erſt die Zeit der Blüthe. So lange die Begeiſterung der Kriegsjahre anhielt wurde die gothiſche Kunſt allgemein als die wahr- haft deutſche geprieſen. Die Jugend ſchien ſich für immer von den antiken Idealen abzuwenden, und Schenkendorf rief gebieteriſch: „man ſoll an keiner deutſchen Wand mehr Heidenbilder ſehn!“ Viele der Freiwilligen aus dem Oſten lernten auf den Märſchen am Rhein zuerſt den Formen- reichthum unſerer Vorzeit kennen; ſie meinten in dieſen alten Domen die allein giltigen Muſterbilder für die vaterländiſche Kunſt zu finden und bemerkten kaum, daß ihnen in den Kirchen des verhaßten Frankreichs überall der nämliche „altdeutſche“ Stil begegnete. Wenn ſie zu dem alten Krahn droben auf dem unvollendeten Thurme des Kölner Domes empor- ſchauten, dann dachten ſie mit ihrem ritterlichen Sänger: „daß das Werk verſchoben bis die rechten Meiſter nah’n!“ Der Kronprinz fühlte ſich ganz überwältigt von dem Anblick der majeſtätiſchen Ruine; auf ſeinen Betrieb wurde Schinkel nach Köln geſendet und erklärte in ſeinem Gut- achten: einen ſolchen Bau erhalten, das heiße ihn vollenden.
Von dieſer Stimmung der Zeit ward auch König Friedrich Wilhelm berührt, als er nach dem erſten Pariſer Frieden beſchloß, das Gedächtniß der deutſchen Siege durch die Erbauung eines prächtigen altdeutſchen Do- mes in Berlin zu verherrlichen. In Altpreußen erklang bald nachher von allen Seiten der Ruf: das herrliche Hochmeiſterſchloß, die von der Roheit der Polen und dem proſaiſchen Kaltſinn des fridericianiſchen Beamtenthums ſo ſchändlich verſtümmelte Marienburg müſſe in ihrer alten Pracht wieder aufgerichtet werden, ein Siegesdenkmal für das alte Ordensland, das ſich ſo gern rühmte die anderen Deutſchen zum heiligen Kampfe erweckt zu haben. Schön, der eifrige Wortführer des altpreußiſchen Provinzial- ſtolzes, trat an die Spitze des Unternehmens; er dachte dies ſchönſte welt- liche Bauwerk unſeres Mittelalters zu einem preußiſchen Weſtminſter zu erheben, woran Jeder aus dem Volke ſeinen Antheil nähme. Der König übernahm den Wiederaufbau; die dünnen Zwiſchenwände, die ein phili- ſterhaftes Geſchlecht mitten durch die ungeheuren Säle gezogen hatte, fielen zuſammen; über den ſchlanken Pfeilern der Remter erhoben ſich wieder leicht und frei gleich den Fächern der Palmen die alten gothiſchen Ge- wölbe. Die Ausſchmückung des Ordensſchloſſes überließ man der Nation. Geld wurde nicht angenommen: wer mithelfen wollte mußte ſelber einen Theil des Bauwerks künſtleriſch ausſtatten. Der Adel, die Städte, die Corporationen der verarmten Provinz wetteiferten in Geſchenken, Patrioten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0059"n="45"/><fwplace="top"type="header">Die Gothik.</fw><lb/>
den weiten Abſtand zwiſchen dem Kennen und dem Können. Wo ihm<lb/>
unter ſeinen Verehrern ſchöpferiſche Begabung begegnete, da thaute er<lb/>
auf; wie väterlich kam er dem Wunderkinde Felix Mendelsſohn-Bartholdy<lb/>
entgegen und freute ſich mit den glücklichen Eltern des ſchönen Vereines<lb/>
von feiner Bildung und echtem Talent. —</p><lb/><p>Als die Dichtung ſchon in den Herbſt eintrat, begann für die bil-<lb/>
denden Künſte erſt die Zeit der Blüthe. So lange die Begeiſterung der<lb/>
Kriegsjahre anhielt wurde die gothiſche Kunſt allgemein als die wahr-<lb/>
haft deutſche geprieſen. Die Jugend ſchien ſich für immer von den antiken<lb/>
Idealen abzuwenden, und Schenkendorf rief gebieteriſch: „man ſoll an<lb/>
keiner deutſchen Wand mehr Heidenbilder ſehn!“ Viele der Freiwilligen<lb/>
aus dem Oſten lernten auf den Märſchen am Rhein zuerſt den Formen-<lb/>
reichthum unſerer Vorzeit kennen; ſie meinten in dieſen alten Domen die<lb/>
allein giltigen Muſterbilder für die vaterländiſche Kunſt zu finden und<lb/>
bemerkten kaum, daß ihnen in den Kirchen des verhaßten Frankreichs<lb/>
überall der nämliche „altdeutſche“ Stil begegnete. Wenn ſie zu dem alten<lb/>
Krahn droben auf dem unvollendeten Thurme des Kölner Domes empor-<lb/>ſchauten, dann dachten ſie mit ihrem ritterlichen Sänger: „daß das Werk<lb/>
verſchoben bis die rechten Meiſter nah’n!“ Der Kronprinz fühlte ſich<lb/>
ganz überwältigt von dem Anblick der majeſtätiſchen Ruine; auf ſeinen<lb/>
Betrieb wurde Schinkel nach Köln geſendet und erklärte in ſeinem Gut-<lb/>
achten: einen ſolchen Bau erhalten, das heiße ihn vollenden.</p><lb/><p>Von dieſer Stimmung der Zeit ward auch König Friedrich Wilhelm<lb/>
berührt, als er nach dem erſten Pariſer Frieden beſchloß, das Gedächtniß<lb/>
der deutſchen Siege durch die Erbauung eines prächtigen altdeutſchen Do-<lb/>
mes in Berlin zu verherrlichen. In Altpreußen erklang bald nachher von<lb/>
allen Seiten der Ruf: das herrliche Hochmeiſterſchloß, die von der Roheit<lb/>
der Polen und dem proſaiſchen Kaltſinn des fridericianiſchen Beamtenthums<lb/>ſo ſchändlich verſtümmelte Marienburg müſſe in ihrer alten Pracht wieder<lb/>
aufgerichtet werden, ein Siegesdenkmal für das alte Ordensland, das<lb/>ſich ſo gern rühmte die anderen Deutſchen zum heiligen Kampfe erweckt<lb/>
zu haben. Schön, der eifrige Wortführer des altpreußiſchen Provinzial-<lb/>ſtolzes, trat an die Spitze des Unternehmens; er dachte dies ſchönſte welt-<lb/>
liche Bauwerk unſeres Mittelalters zu einem preußiſchen Weſtminſter zu<lb/>
erheben, woran Jeder aus dem Volke ſeinen Antheil nähme. Der König<lb/>
übernahm den Wiederaufbau; die dünnen Zwiſchenwände, die ein phili-<lb/>ſterhaftes Geſchlecht mitten durch die ungeheuren Säle gezogen hatte, fielen<lb/>
zuſammen; über den ſchlanken Pfeilern der Remter erhoben ſich wieder<lb/>
leicht und frei gleich den Fächern der Palmen die alten gothiſchen Ge-<lb/>
wölbe. Die Ausſchmückung des Ordensſchloſſes überließ man der Nation.<lb/>
Geld wurde nicht angenommen: wer mithelfen wollte mußte ſelber einen<lb/>
Theil des Bauwerks künſtleriſch ausſtatten. Der Adel, die Städte, die<lb/>
Corporationen der verarmten Provinz wetteiferten in Geſchenken, Patrioten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[45/0059]
Die Gothik.
den weiten Abſtand zwiſchen dem Kennen und dem Können. Wo ihm
unter ſeinen Verehrern ſchöpferiſche Begabung begegnete, da thaute er
auf; wie väterlich kam er dem Wunderkinde Felix Mendelsſohn-Bartholdy
entgegen und freute ſich mit den glücklichen Eltern des ſchönen Vereines
von feiner Bildung und echtem Talent. —
Als die Dichtung ſchon in den Herbſt eintrat, begann für die bil-
denden Künſte erſt die Zeit der Blüthe. So lange die Begeiſterung der
Kriegsjahre anhielt wurde die gothiſche Kunſt allgemein als die wahr-
haft deutſche geprieſen. Die Jugend ſchien ſich für immer von den antiken
Idealen abzuwenden, und Schenkendorf rief gebieteriſch: „man ſoll an
keiner deutſchen Wand mehr Heidenbilder ſehn!“ Viele der Freiwilligen
aus dem Oſten lernten auf den Märſchen am Rhein zuerſt den Formen-
reichthum unſerer Vorzeit kennen; ſie meinten in dieſen alten Domen die
allein giltigen Muſterbilder für die vaterländiſche Kunſt zu finden und
bemerkten kaum, daß ihnen in den Kirchen des verhaßten Frankreichs
überall der nämliche „altdeutſche“ Stil begegnete. Wenn ſie zu dem alten
Krahn droben auf dem unvollendeten Thurme des Kölner Domes empor-
ſchauten, dann dachten ſie mit ihrem ritterlichen Sänger: „daß das Werk
verſchoben bis die rechten Meiſter nah’n!“ Der Kronprinz fühlte ſich
ganz überwältigt von dem Anblick der majeſtätiſchen Ruine; auf ſeinen
Betrieb wurde Schinkel nach Köln geſendet und erklärte in ſeinem Gut-
achten: einen ſolchen Bau erhalten, das heiße ihn vollenden.
Von dieſer Stimmung der Zeit ward auch König Friedrich Wilhelm
berührt, als er nach dem erſten Pariſer Frieden beſchloß, das Gedächtniß
der deutſchen Siege durch die Erbauung eines prächtigen altdeutſchen Do-
mes in Berlin zu verherrlichen. In Altpreußen erklang bald nachher von
allen Seiten der Ruf: das herrliche Hochmeiſterſchloß, die von der Roheit
der Polen und dem proſaiſchen Kaltſinn des fridericianiſchen Beamtenthums
ſo ſchändlich verſtümmelte Marienburg müſſe in ihrer alten Pracht wieder
aufgerichtet werden, ein Siegesdenkmal für das alte Ordensland, das
ſich ſo gern rühmte die anderen Deutſchen zum heiligen Kampfe erweckt
zu haben. Schön, der eifrige Wortführer des altpreußiſchen Provinzial-
ſtolzes, trat an die Spitze des Unternehmens; er dachte dies ſchönſte welt-
liche Bauwerk unſeres Mittelalters zu einem preußiſchen Weſtminſter zu
erheben, woran Jeder aus dem Volke ſeinen Antheil nähme. Der König
übernahm den Wiederaufbau; die dünnen Zwiſchenwände, die ein phili-
ſterhaftes Geſchlecht mitten durch die ungeheuren Säle gezogen hatte, fielen
zuſammen; über den ſchlanken Pfeilern der Remter erhoben ſich wieder
leicht und frei gleich den Fächern der Palmen die alten gothiſchen Ge-
wölbe. Die Ausſchmückung des Ordensſchloſſes überließ man der Nation.
Geld wurde nicht angenommen: wer mithelfen wollte mußte ſelber einen
Theil des Bauwerks künſtleriſch ausſtatten. Der Adel, die Städte, die
Corporationen der verarmten Provinz wetteiferten in Geſchenken, Patrioten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/59>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.