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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die öffentliche Meinung und die Karlsbader Beschlüsse.

Selbst in den höchsten Kreisen der Gesellschaft fehlte es nicht an scharfem
Tadel. Hans von Gagern richtete an seinen Freund Plessen einen warnen-
den Brief, der neben vielen Wunderlichkeiten auch manche beherzigenswerthe
Mahnung aussprach: "Hintergehen Sie Ihre Herren nicht, bringen Sie
ihnen nicht den Glauben bei, als ob Alles das, was jetzt vorgeht, Neue-
rung und Neuerungssucht, von ihrer Seite nur Langmuth und Gnade
sei!" Sogar Stein, der über die Thorheiten der Jenenser Professoren
und der Karlsruher Adelsfeinde sehr streng urtheilte, verdammte die Ein-
setzung der neuen Regierungsbevollmächtigten als eine Beleidigung der
Universitäten; und als die Spürer der Demagogenjagd nun gar den Frei-
herrn selber der Theilnahme an der großen Verschwörung bezichtigten, da
brach sein Zorn furchtbar los. "Vox faucibus haeret, rief er aus, über
eine solche viehische Dummheit oder eine solche teuflische Bosheit oder einen
solchen nichtswürdigen und aus einem durchaus verfaulten Herzen ent-
stehenden Leichtsinn." Auch den Fürsten, die ihr Haupt unter das Joch ge-
beugt, fiel es nachher schwer auf die Seele, daß niemals ein deutscher Kaiser
den geringsten seiner Reichsfürsten so schmählich behandelt hatte, wie jetzt
der Wiener Hof den gesammten Bundestag. "Dieser Eingriff in die noch
junge Constitution Deutschlands, schrieb der Herzog von Oldenburg, hat
nur die Unbefangenen erschreckt, die öffentliche Meinung beleidigt und den
Tadel gereizt." Die Verstimmung der kleinen Höfe begann recht bedenklich
zu werden; nach alledem hielt es Metternich doch für gerathen, die War-
nung des preußischen Bundesgesandten zu beherzigen und verabredete mit
dem Berliner Kabinet, daß von den Ministerconferenzen des Winters kein
deutscher Hof ausgeschlossen werden solle.*)

In der Presse des Auslands fand der allgemeine Groll lauten Wider-
hall. Nur die französischen Ultras frohlockten und deuteten vernehm-
lich an, daß auch für Frankreich ein Karlsbader Staatsstreich heilsam
werden könne. Aber schon der Moniteur wagte die Thaten Oesterreichs
nicht offen zu billigen: in Frankreich, so ließ er sich vernehmen, seien solche
Gesetze unanwendbar, für den Despotismus biete Europa keinen Raum
mehr. Die liberalen Publicisten vollends überboten einander in stürmischer
Entrüstung. Zuerst natürlich war der unvermeidliche Erzbischof de Pradt
wieder zur Stelle mit einer jener umfänglichen Schriften, die man,
nach Gentz's Urtheil, beliebig von vorn, von hinten oder aus der Mitte
heraus lesen konnte; schon im August, noch bevor er von den Verhand-
lungen in Böhmen ein Wort kannte, ließ er das erste Heft seiner Schrift
über "den Karlsbader Congreß" erscheinen und verkündete, die Zeiten von
Pillnitz und Brunswic kehrten wieder. Noch lauter tobte Etienne in der
Minerva, desgleichen der Censeur, der Independant, fast alle liberalen
Blätter Frankreichs und Englands. Die Deutschen, hieß es da, seien durch

*) Krusemarks Bericht, Wien 16. Okt. 1819.
Die öffentliche Meinung und die Karlsbader Beſchlüſſe.

Selbſt in den höchſten Kreiſen der Geſellſchaft fehlte es nicht an ſcharfem
Tadel. Hans von Gagern richtete an ſeinen Freund Pleſſen einen warnen-
den Brief, der neben vielen Wunderlichkeiten auch manche beherzigenswerthe
Mahnung ausſprach: „Hintergehen Sie Ihre Herren nicht, bringen Sie
ihnen nicht den Glauben bei, als ob Alles das, was jetzt vorgeht, Neue-
rung und Neuerungsſucht, von ihrer Seite nur Langmuth und Gnade
ſei!“ Sogar Stein, der über die Thorheiten der Jenenſer Profeſſoren
und der Karlsruher Adelsfeinde ſehr ſtreng urtheilte, verdammte die Ein-
ſetzung der neuen Regierungsbevollmächtigten als eine Beleidigung der
Univerſitäten; und als die Spürer der Demagogenjagd nun gar den Frei-
herrn ſelber der Theilnahme an der großen Verſchwörung bezichtigten, da
brach ſein Zorn furchtbar los. „Vox faucibus haeret, rief er aus, über
eine ſolche viehiſche Dummheit oder eine ſolche teufliſche Bosheit oder einen
ſolchen nichtswürdigen und aus einem durchaus verfaulten Herzen ent-
ſtehenden Leichtſinn.“ Auch den Fürſten, die ihr Haupt unter das Joch ge-
beugt, fiel es nachher ſchwer auf die Seele, daß niemals ein deutſcher Kaiſer
den geringſten ſeiner Reichsfürſten ſo ſchmählich behandelt hatte, wie jetzt
der Wiener Hof den geſammten Bundestag. „Dieſer Eingriff in die noch
junge Conſtitution Deutſchlands, ſchrieb der Herzog von Oldenburg, hat
nur die Unbefangenen erſchreckt, die öffentliche Meinung beleidigt und den
Tadel gereizt.“ Die Verſtimmung der kleinen Höfe begann recht bedenklich
zu werden; nach alledem hielt es Metternich doch für gerathen, die War-
nung des preußiſchen Bundesgeſandten zu beherzigen und verabredete mit
dem Berliner Kabinet, daß von den Miniſterconferenzen des Winters kein
deutſcher Hof ausgeſchloſſen werden ſolle.*)

In der Preſſe des Auslands fand der allgemeine Groll lauten Wider-
hall. Nur die franzöſiſchen Ultras frohlockten und deuteten vernehm-
lich an, daß auch für Frankreich ein Karlsbader Staatsſtreich heilſam
werden könne. Aber ſchon der Moniteur wagte die Thaten Oeſterreichs
nicht offen zu billigen: in Frankreich, ſo ließ er ſich vernehmen, ſeien ſolche
Geſetze unanwendbar, für den Despotismus biete Europa keinen Raum
mehr. Die liberalen Publiciſten vollends überboten einander in ſtürmiſcher
Entrüſtung. Zuerſt natürlich war der unvermeidliche Erzbiſchof de Pradt
wieder zur Stelle mit einer jener umfänglichen Schriften, die man,
nach Gentz’s Urtheil, beliebig von vorn, von hinten oder aus der Mitte
heraus leſen konnte; ſchon im Auguſt, noch bevor er von den Verhand-
lungen in Böhmen ein Wort kannte, ließ er das erſte Heft ſeiner Schrift
über „den Karlsbader Congreß“ erſcheinen und verkündete, die Zeiten von
Pillnitz und Brunswic kehrten wieder. Noch lauter tobte Etienne in der
Minerva, desgleichen der Cenſeur, der Independant, faſt alle liberalen
Blätter Frankreichs und Englands. Die Deutſchen, hieß es da, ſeien durch

*) Kruſemarks Bericht, Wien 16. Okt. 1819.
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[575/0589] Die öffentliche Meinung und die Karlsbader Beſchlüſſe. Selbſt in den höchſten Kreiſen der Geſellſchaft fehlte es nicht an ſcharfem Tadel. Hans von Gagern richtete an ſeinen Freund Pleſſen einen warnen- den Brief, der neben vielen Wunderlichkeiten auch manche beherzigenswerthe Mahnung ausſprach: „Hintergehen Sie Ihre Herren nicht, bringen Sie ihnen nicht den Glauben bei, als ob Alles das, was jetzt vorgeht, Neue- rung und Neuerungsſucht, von ihrer Seite nur Langmuth und Gnade ſei!“ Sogar Stein, der über die Thorheiten der Jenenſer Profeſſoren und der Karlsruher Adelsfeinde ſehr ſtreng urtheilte, verdammte die Ein- ſetzung der neuen Regierungsbevollmächtigten als eine Beleidigung der Univerſitäten; und als die Spürer der Demagogenjagd nun gar den Frei- herrn ſelber der Theilnahme an der großen Verſchwörung bezichtigten, da brach ſein Zorn furchtbar los. „Vox faucibus haeret, rief er aus, über eine ſolche viehiſche Dummheit oder eine ſolche teufliſche Bosheit oder einen ſolchen nichtswürdigen und aus einem durchaus verfaulten Herzen ent- ſtehenden Leichtſinn.“ Auch den Fürſten, die ihr Haupt unter das Joch ge- beugt, fiel es nachher ſchwer auf die Seele, daß niemals ein deutſcher Kaiſer den geringſten ſeiner Reichsfürſten ſo ſchmählich behandelt hatte, wie jetzt der Wiener Hof den geſammten Bundestag. „Dieſer Eingriff in die noch junge Conſtitution Deutſchlands, ſchrieb der Herzog von Oldenburg, hat nur die Unbefangenen erſchreckt, die öffentliche Meinung beleidigt und den Tadel gereizt.“ Die Verſtimmung der kleinen Höfe begann recht bedenklich zu werden; nach alledem hielt es Metternich doch für gerathen, die War- nung des preußiſchen Bundesgeſandten zu beherzigen und verabredete mit dem Berliner Kabinet, daß von den Miniſterconferenzen des Winters kein deutſcher Hof ausgeſchloſſen werden ſolle. *) In der Preſſe des Auslands fand der allgemeine Groll lauten Wider- hall. Nur die franzöſiſchen Ultras frohlockten und deuteten vernehm- lich an, daß auch für Frankreich ein Karlsbader Staatsſtreich heilſam werden könne. Aber ſchon der Moniteur wagte die Thaten Oeſterreichs nicht offen zu billigen: in Frankreich, ſo ließ er ſich vernehmen, ſeien ſolche Geſetze unanwendbar, für den Despotismus biete Europa keinen Raum mehr. Die liberalen Publiciſten vollends überboten einander in ſtürmiſcher Entrüſtung. Zuerſt natürlich war der unvermeidliche Erzbiſchof de Pradt wieder zur Stelle mit einer jener umfänglichen Schriften, die man, nach Gentz’s Urtheil, beliebig von vorn, von hinten oder aus der Mitte heraus leſen konnte; ſchon im Auguſt, noch bevor er von den Verhand- lungen in Böhmen ein Wort kannte, ließ er das erſte Heft ſeiner Schrift über „den Karlsbader Congreß“ erſcheinen und verkündete, die Zeiten von Pillnitz und Brunswic kehrten wieder. Noch lauter tobte Etienne in der Minerva, desgleichen der Cenſeur, der Independant, faſt alle liberalen Blätter Frankreichs und Englands. Die Deutſchen, hieß es da, ſeien durch *) Kruſemarks Bericht, Wien 16. Okt. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/589>, abgerufen am 22.11.2024.