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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Genehmigung der Karlsbader Beschlüsse.

Mit der höchsten Spannung sah die Versammlung darauf der Ab-
stimmung des luxemburgischen Gesandten entgegen. Jedermann wußte, daß
sein königlicher Herr, der alle deutschen Dinge mit geflissentlicher Gering-
schätzung behandelte, ihn ohne Instruktion gelassen. Aber Buol und Goltz
hatten ihm zugeredet, und Graf Grünne erklärte unbefangen: obwohl ohne
Vollmacht "wolle er sich von einem förmlich verfaßten Beschluß nicht länger
ausschließen" -- worauf dann einige nichtssagende Vorbehalte zu Gunsten
der luxemburgischen National-Eigenthümlichkeiten folgten. Jetzt erst war,
wie Goltz seinem Könige meldete, das Spiel gewonnen, "weil nur dadurch
scheinbare Einstimmigkeit erlangt und der fünfzehnten und sechzehnten
Curie sowie den freien Städten der Vorwand zu abweichenden Aeuße-
rungen benommen werden konnte."*) Wenn der Vertreter des Königs
der Niederlande sich so sanftmüthig fügte, wie sollten die Kleinen wider-
stehen? Die Gesandten der ernestinischen Häuser und der sechzehnten
Curie sprachen ihr Ja, obgleich sie gestehen mußten, daß sie erst von einigen
ihrer Committenten Weisungen erhalten hätten. Unter den ausdrück-
lich Zustimmenden war auch Weimar. Der Stimmführer der fünfzehnten
Curie scheute sogar eine Lüge nicht und versicherte von Ihren Hochfürst-
lichen Durchlauchten zur Beistimmung angewiesen zu sein, obwohl er
nachweislich von den beiden Schwarzburg keine Instruktion empfangen
hatte. Nach Alledem blieb auch den Gesandten der freien Städte nichts
übrig als "sich in Ermangelung einer besonderen Instruktion der bereits
ausgesprochenen Einstimmigkeit anzuschließen".

Die Stimmeneinheit war erzielt, der Bundestag hatte sich den Be-
schlüssen der Neun unterworfen. Aber konnte man es wagen, diese selt-
same Abstimmung, wie sie vorlag, mit allen ihren Clauseln und Vorbe-
halten, der Ordnung gemäß in den Protokollen zu veröffentlichen? Sie
bewies doch nur zu deutlich -- Goltz selbst gestand es seinen Monarchen --
"daß die Bereitwilligkeit sich nicht überall auf Ueberzeugung, sondern mehr
auf Ergebung in die Umstände gründete." Sollte die öffentliche Meinung,
auf deren Unwillen man allerseits gefaßt war, durch eine großartige Kund-
gebung des Einmuths der deutschen Kronen zum Schweigen gebracht
werden, dann durfte Oesterreich nach allen den Schlichen und Lügen dieses
unsauberen Handels auch vor einer letzten Fälschung nicht mehr zurück-
schrecken. Von Goltz und Plessen lebhaft unterstützt, stellte Buol den
Genossen vor, daß es "zur Erhöhung des zu machenden Eindrucks" unum-
gänglich sei, das öffentliche Protokoll von allen Bemerkungen frei zu
halten.**) Alle fügten sich ohne Zaudern. So ward denn die wirk-
liche Abstimmung in einer tiefgeheimen Registrande vergraben, die "nur
als ein Beleg der Akten" dienen und vielleicht bei späteren Berathungen

*) Goltz's Bericht an den König, 28. Sept. 1819.
**) Goltz's Berichte an den König und an Bernstorff, 18., 22., 28. Sept. 1819.
Genehmigung der Karlsbader Beſchlüſſe.

Mit der höchſten Spannung ſah die Verſammlung darauf der Ab-
ſtimmung des luxemburgiſchen Geſandten entgegen. Jedermann wußte, daß
ſein königlicher Herr, der alle deutſchen Dinge mit gefliſſentlicher Gering-
ſchätzung behandelte, ihn ohne Inſtruktion gelaſſen. Aber Buol und Goltz
hatten ihm zugeredet, und Graf Grünne erklärte unbefangen: obwohl ohne
Vollmacht „wolle er ſich von einem förmlich verfaßten Beſchluß nicht länger
ausſchließen“ — worauf dann einige nichtsſagende Vorbehalte zu Gunſten
der luxemburgiſchen National-Eigenthümlichkeiten folgten. Jetzt erſt war,
wie Goltz ſeinem Könige meldete, das Spiel gewonnen, „weil nur dadurch
ſcheinbare Einſtimmigkeit erlangt und der fünfzehnten und ſechzehnten
Curie ſowie den freien Städten der Vorwand zu abweichenden Aeuße-
rungen benommen werden konnte.“*) Wenn der Vertreter des Königs
der Niederlande ſich ſo ſanftmüthig fügte, wie ſollten die Kleinen wider-
ſtehen? Die Geſandten der erneſtiniſchen Häuſer und der ſechzehnten
Curie ſprachen ihr Ja, obgleich ſie geſtehen mußten, daß ſie erſt von einigen
ihrer Committenten Weiſungen erhalten hätten. Unter den ausdrück-
lich Zuſtimmenden war auch Weimar. Der Stimmführer der fünfzehnten
Curie ſcheute ſogar eine Lüge nicht und verſicherte von Ihren Hochfürſt-
lichen Durchlauchten zur Beiſtimmung angewieſen zu ſein, obwohl er
nachweislich von den beiden Schwarzburg keine Inſtruktion empfangen
hatte. Nach Alledem blieb auch den Geſandten der freien Städte nichts
übrig als „ſich in Ermangelung einer beſonderen Inſtruktion der bereits
ausgeſprochenen Einſtimmigkeit anzuſchließen“.

Die Stimmeneinheit war erzielt, der Bundestag hatte ſich den Be-
ſchlüſſen der Neun unterworfen. Aber konnte man es wagen, dieſe ſelt-
ſame Abſtimmung, wie ſie vorlag, mit allen ihren Clauſeln und Vorbe-
halten, der Ordnung gemäß in den Protokollen zu veröffentlichen? Sie
bewies doch nur zu deutlich — Goltz ſelbſt geſtand es ſeinen Monarchen —
„daß die Bereitwilligkeit ſich nicht überall auf Ueberzeugung, ſondern mehr
auf Ergebung in die Umſtände gründete.“ Sollte die öffentliche Meinung,
auf deren Unwillen man allerſeits gefaßt war, durch eine großartige Kund-
gebung des Einmuths der deutſchen Kronen zum Schweigen gebracht
werden, dann durfte Oeſterreich nach allen den Schlichen und Lügen dieſes
unſauberen Handels auch vor einer letzten Fälſchung nicht mehr zurück-
ſchrecken. Von Goltz und Pleſſen lebhaft unterſtützt, ſtellte Buol den
Genoſſen vor, daß es „zur Erhöhung des zu machenden Eindrucks“ unum-
gänglich ſei, das öffentliche Protokoll von allen Bemerkungen frei zu
halten.**) Alle fügten ſich ohne Zaudern. So ward denn die wirk-
liche Abſtimmung in einer tiefgeheimen Regiſtrande vergraben, die „nur
als ein Beleg der Akten“ dienen und vielleicht bei ſpäteren Berathungen

*) Goltz’s Bericht an den König, 28. Sept. 1819.
**) Goltz’s Berichte an den König und an Bernſtorff, 18., 22., 28. Sept. 1819.
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[571/0585] Genehmigung der Karlsbader Beſchlüſſe. Mit der höchſten Spannung ſah die Verſammlung darauf der Ab- ſtimmung des luxemburgiſchen Geſandten entgegen. Jedermann wußte, daß ſein königlicher Herr, der alle deutſchen Dinge mit gefliſſentlicher Gering- ſchätzung behandelte, ihn ohne Inſtruktion gelaſſen. Aber Buol und Goltz hatten ihm zugeredet, und Graf Grünne erklärte unbefangen: obwohl ohne Vollmacht „wolle er ſich von einem förmlich verfaßten Beſchluß nicht länger ausſchließen“ — worauf dann einige nichtsſagende Vorbehalte zu Gunſten der luxemburgiſchen National-Eigenthümlichkeiten folgten. Jetzt erſt war, wie Goltz ſeinem Könige meldete, das Spiel gewonnen, „weil nur dadurch ſcheinbare Einſtimmigkeit erlangt und der fünfzehnten und ſechzehnten Curie ſowie den freien Städten der Vorwand zu abweichenden Aeuße- rungen benommen werden konnte.“ *) Wenn der Vertreter des Königs der Niederlande ſich ſo ſanftmüthig fügte, wie ſollten die Kleinen wider- ſtehen? Die Geſandten der erneſtiniſchen Häuſer und der ſechzehnten Curie ſprachen ihr Ja, obgleich ſie geſtehen mußten, daß ſie erſt von einigen ihrer Committenten Weiſungen erhalten hätten. Unter den ausdrück- lich Zuſtimmenden war auch Weimar. Der Stimmführer der fünfzehnten Curie ſcheute ſogar eine Lüge nicht und verſicherte von Ihren Hochfürſt- lichen Durchlauchten zur Beiſtimmung angewieſen zu ſein, obwohl er nachweislich von den beiden Schwarzburg keine Inſtruktion empfangen hatte. Nach Alledem blieb auch den Geſandten der freien Städte nichts übrig als „ſich in Ermangelung einer beſonderen Inſtruktion der bereits ausgeſprochenen Einſtimmigkeit anzuſchließen“. Die Stimmeneinheit war erzielt, der Bundestag hatte ſich den Be- ſchlüſſen der Neun unterworfen. Aber konnte man es wagen, dieſe ſelt- ſame Abſtimmung, wie ſie vorlag, mit allen ihren Clauſeln und Vorbe- halten, der Ordnung gemäß in den Protokollen zu veröffentlichen? Sie bewies doch nur zu deutlich — Goltz ſelbſt geſtand es ſeinen Monarchen — „daß die Bereitwilligkeit ſich nicht überall auf Ueberzeugung, ſondern mehr auf Ergebung in die Umſtände gründete.“ Sollte die öffentliche Meinung, auf deren Unwillen man allerſeits gefaßt war, durch eine großartige Kund- gebung des Einmuths der deutſchen Kronen zum Schweigen gebracht werden, dann durfte Oeſterreich nach allen den Schlichen und Lügen dieſes unſauberen Handels auch vor einer letzten Fälſchung nicht mehr zurück- ſchrecken. Von Goltz und Pleſſen lebhaft unterſtützt, ſtellte Buol den Genoſſen vor, daß es „zur Erhöhung des zu machenden Eindrucks“ unum- gänglich ſei, das öffentliche Protokoll von allen Bemerkungen frei zu halten. **) Alle fügten ſich ohne Zaudern. So ward denn die wirk- liche Abſtimmung in einer tiefgeheimen Regiſtrande vergraben, die „nur als ein Beleg der Akten“ dienen und vielleicht bei ſpäteren Berathungen *) Goltz’s Bericht an den König, 28. Sept. 1819. **) Goltz’s Berichte an den König und an Bernſtorff, 18., 22., 28. Sept. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/585>, abgerufen am 25.11.2024.