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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
die Preßfreiheit seiner deutschen Nachbarlande gefährdet sei, und wie diese
Gefahr neuerdings durch die Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen
noch gesteigert werde. Noch unzweideutiger sprach sich Metternich in den
Sitzungen aus: es liege im Wesen des Bundes, daß seine Glieder ein-
ander ihre moralische und politische Unverletzlichkeit, auch gegen Angriffe
von Seiten der Presse, verbürgten; die Preßfreiheit sei aber unzweifelhaft
schädlicher für die großen Staaten, die in Deutschland von dreißig Mittel-
punkten zugleich angegriffen werden könnten, als für die kleinen, deren
Schriftsteller stets bereit sein würden die heimische Regierung zu schonen,
wenn sie nur gegen die mächtigen Nachbarn freies Spiel behielten. Also
um sich selber vor den Angriffen der deutschen Presse zu schützen, bean-
tragte Oesterreich, daß "die Nothwendigkeit vorbeugender Maßregeln", die
Censur, als Regel anerkannt würde -- der Sache nach eine offenbare
Verletzung des Art. 18 der Bundesakte, der zwar die Censur nicht aus-
drücklich verbot, aber die Preßfreiheit als Grundsatz aufstellte. Alle Zeit-
schriften und alle Bücher unter zwanzig Bogen sollten während der
nächsten fünf Jahre der Censur unterliegen, doch stand es jedem Bundes-
staate frei, auch größere Werke der Censur zu unterwerfen; auch hier
wollte man nicht ein mindestes Maß der Freiheit, sondern eine unüber-
schreitbare letzte Grenze vorschreiben.

Da mithin die Zeitungen fortan nichts ohne Genehmigung der
Staatsgewalt veröffentlichen durften, so zog das Preßgesetz sofort den
Schluß, daß jede deutsche Regierung dem Bunde wie den einzelnen
Bundesstaaten für das Wohlverhalten ihrer Presse verantwortlich sei:
auf Anrufen einer beleidigten Regierung oder nach freiem eigenen Er-
messen sollte der Bundestag auch seinerseits Zeitschriften und Bücher ver-
bieten; der Herausgeber einer also unterdrückten Zeitung aber durfte --
gemäß der Teplitzer Abrede -- binnen fünf Jahren nicht wieder zu einer
Redaktion zugelassen werden. Diese Verantwortlichkeit der souveränen
deutschen Fürsten vor einer Gesandtenconferenz war allerdings eine staats-
rechtliche Ungeheuerlichkeit; aber da die Karlsbader Staatsmänner alle-
sammt die Presse als ihren gemeinsamen Feind betrachteten, so nahmen
sie selbst diesen Eingriff in das Heiligthum der Souveränität ohne Wider-
spruch hin, sie hielten für selbstverständlich, daß jede wohlgesinnte Re-
gierung unter allen Umständen die Unterdrückung einer Zeitung freudig
begrüßen würde. Hardenberg zeigte auch diesmal, wie vollständig ihn die
Partei Wittgensteins jetzt beherrschte. Auf seinen ausdrücklichen Befehl
mußte Bernstorff durchsetzen, daß die Censurfreiheit erst für Schriften von
mehr als zwanzig Bogen erlaubt wurde; Oesterreich hatte schon die
Schriften von mehr als fünfzehn Bogen frei geben wollen.*)

Auch für ein anderes Gebiet unseres politischen Lebens wurden diese

*) Hardenberg an Bernstorff, 25. Aug. 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
die Preßfreiheit ſeiner deutſchen Nachbarlande gefährdet ſei, und wie dieſe
Gefahr neuerdings durch die Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen
noch geſteigert werde. Noch unzweideutiger ſprach ſich Metternich in den
Sitzungen aus: es liege im Weſen des Bundes, daß ſeine Glieder ein-
ander ihre moraliſche und politiſche Unverletzlichkeit, auch gegen Angriffe
von Seiten der Preſſe, verbürgten; die Preßfreiheit ſei aber unzweifelhaft
ſchädlicher für die großen Staaten, die in Deutſchland von dreißig Mittel-
punkten zugleich angegriffen werden könnten, als für die kleinen, deren
Schriftſteller ſtets bereit ſein würden die heimiſche Regierung zu ſchonen,
wenn ſie nur gegen die mächtigen Nachbarn freies Spiel behielten. Alſo
um ſich ſelber vor den Angriffen der deutſchen Preſſe zu ſchützen, bean-
tragte Oeſterreich, daß „die Nothwendigkeit vorbeugender Maßregeln“, die
Cenſur, als Regel anerkannt würde — der Sache nach eine offenbare
Verletzung des Art. 18 der Bundesakte, der zwar die Cenſur nicht aus-
drücklich verbot, aber die Preßfreiheit als Grundſatz aufſtellte. Alle Zeit-
ſchriften und alle Bücher unter zwanzig Bogen ſollten während der
nächſten fünf Jahre der Cenſur unterliegen, doch ſtand es jedem Bundes-
ſtaate frei, auch größere Werke der Cenſur zu unterwerfen; auch hier
wollte man nicht ein mindeſtes Maß der Freiheit, ſondern eine unüber-
ſchreitbare letzte Grenze vorſchreiben.

Da mithin die Zeitungen fortan nichts ohne Genehmigung der
Staatsgewalt veröffentlichen durften, ſo zog das Preßgeſetz ſofort den
Schluß, daß jede deutſche Regierung dem Bunde wie den einzelnen
Bundesſtaaten für das Wohlverhalten ihrer Preſſe verantwortlich ſei:
auf Anrufen einer beleidigten Regierung oder nach freiem eigenen Er-
meſſen ſollte der Bundestag auch ſeinerſeits Zeitſchriften und Bücher ver-
bieten; der Herausgeber einer alſo unterdrückten Zeitung aber durfte —
gemäß der Teplitzer Abrede — binnen fünf Jahren nicht wieder zu einer
Redaktion zugelaſſen werden. Dieſe Verantwortlichkeit der ſouveränen
deutſchen Fürſten vor einer Geſandtenconferenz war allerdings eine ſtaats-
rechtliche Ungeheuerlichkeit; aber da die Karlsbader Staatsmänner alle-
ſammt die Preſſe als ihren gemeinſamen Feind betrachteten, ſo nahmen
ſie ſelbſt dieſen Eingriff in das Heiligthum der Souveränität ohne Wider-
ſpruch hin, ſie hielten für ſelbſtverſtändlich, daß jede wohlgeſinnte Re-
gierung unter allen Umſtänden die Unterdrückung einer Zeitung freudig
begrüßen würde. Hardenberg zeigte auch diesmal, wie vollſtändig ihn die
Partei Wittgenſteins jetzt beherrſchte. Auf ſeinen ausdrücklichen Befehl
mußte Bernſtorff durchſetzen, daß die Cenſurfreiheit erſt für Schriften von
mehr als zwanzig Bogen erlaubt wurde; Oeſterreich hatte ſchon die
Schriften von mehr als fünfzehn Bogen frei geben wollen.*)

Auch für ein anderes Gebiet unſeres politiſchen Lebens wurden dieſe

*) Hardenberg an Bernſtorff, 25. Aug. 1819.
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[562/0576] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. die Preßfreiheit ſeiner deutſchen Nachbarlande gefährdet ſei, und wie dieſe Gefahr neuerdings durch die Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen noch geſteigert werde. Noch unzweideutiger ſprach ſich Metternich in den Sitzungen aus: es liege im Weſen des Bundes, daß ſeine Glieder ein- ander ihre moraliſche und politiſche Unverletzlichkeit, auch gegen Angriffe von Seiten der Preſſe, verbürgten; die Preßfreiheit ſei aber unzweifelhaft ſchädlicher für die großen Staaten, die in Deutſchland von dreißig Mittel- punkten zugleich angegriffen werden könnten, als für die kleinen, deren Schriftſteller ſtets bereit ſein würden die heimiſche Regierung zu ſchonen, wenn ſie nur gegen die mächtigen Nachbarn freies Spiel behielten. Alſo um ſich ſelber vor den Angriffen der deutſchen Preſſe zu ſchützen, bean- tragte Oeſterreich, daß „die Nothwendigkeit vorbeugender Maßregeln“, die Cenſur, als Regel anerkannt würde — der Sache nach eine offenbare Verletzung des Art. 18 der Bundesakte, der zwar die Cenſur nicht aus- drücklich verbot, aber die Preßfreiheit als Grundſatz aufſtellte. Alle Zeit- ſchriften und alle Bücher unter zwanzig Bogen ſollten während der nächſten fünf Jahre der Cenſur unterliegen, doch ſtand es jedem Bundes- ſtaate frei, auch größere Werke der Cenſur zu unterwerfen; auch hier wollte man nicht ein mindeſtes Maß der Freiheit, ſondern eine unüber- ſchreitbare letzte Grenze vorſchreiben. Da mithin die Zeitungen fortan nichts ohne Genehmigung der Staatsgewalt veröffentlichen durften, ſo zog das Preßgeſetz ſofort den Schluß, daß jede deutſche Regierung dem Bunde wie den einzelnen Bundesſtaaten für das Wohlverhalten ihrer Preſſe verantwortlich ſei: auf Anrufen einer beleidigten Regierung oder nach freiem eigenen Er- meſſen ſollte der Bundestag auch ſeinerſeits Zeitſchriften und Bücher ver- bieten; der Herausgeber einer alſo unterdrückten Zeitung aber durfte — gemäß der Teplitzer Abrede — binnen fünf Jahren nicht wieder zu einer Redaktion zugelaſſen werden. Dieſe Verantwortlichkeit der ſouveränen deutſchen Fürſten vor einer Geſandtenconferenz war allerdings eine ſtaats- rechtliche Ungeheuerlichkeit; aber da die Karlsbader Staatsmänner alle- ſammt die Preſſe als ihren gemeinſamen Feind betrachteten, ſo nahmen ſie ſelbſt dieſen Eingriff in das Heiligthum der Souveränität ohne Wider- ſpruch hin, ſie hielten für ſelbſtverſtändlich, daß jede wohlgeſinnte Re- gierung unter allen Umſtänden die Unterdrückung einer Zeitung freudig begrüßen würde. Hardenberg zeigte auch diesmal, wie vollſtändig ihn die Partei Wittgenſteins jetzt beherrſchte. Auf ſeinen ausdrücklichen Befehl mußte Bernſtorff durchſetzen, daß die Cenſurfreiheit erſt für Schriften von mehr als zwanzig Bogen erlaubt wurde; Oeſterreich hatte ſchon die Schriften von mehr als fünfzehn Bogen frei geben wollen. *) Auch für ein anderes Gebiet unſeres politiſchen Lebens wurden dieſe *) Hardenberg an Bernſtorff, 25. Aug. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/576>, abgerufen am 22.11.2024.