abzuändern. Die große Mehrzahl stimmte eifrig zu; selbst Baiern und Baden schienen anfangs geneigt, sich die Wiener Auslegungskünste gefallen zu lassen;*) und im Rausche des Sieges, "in einer Art von Inspiration", wie er selbst bekennt, verfaßte Gentz am 19. August eine große Denkschrift "über den Unterschied zwischen den landständischen und Repräsentativ- Verfassungen" -- das Aeußerste vielleicht, was die federgewandte Ge- wissenlosigkeit politischer Sophistik je geleistet hat.
Mit geschickter Benutzung einiger Sätze Hallers und Adam Müllers führte er darin aus, wie die alten deutschen Landstände auf den von Gott selbst gestifteten Standes- und Rechtsunterschieden beruhten, das fremd- ländische Repräsentativsystem auf dem revolutionären Wahne der Volks- souveränität und der allgemeinen Rechtsgleichheit; dort eine starke, nur in der Ausübung einzelner Rechte beschränkte monarchische Gewalt, hier die Unterwerfung der Krone unter die Willkür der Volksvertreter, eine Anarchie, die mit den Rechten des Bundes völlig unvereinbar, schließlich zur Bildung einer Volksdeputirten-Kammer neben dem Bundestage, mit- hin zur allgemeinen Revolution führen müsse. Wird den deutschen Fürsten, die bei der Bildung ihrer Verfassungen den einzig zulässigen Sinn des Art. 13 verfehlten, nicht zu einer anständigen Rückkehr die Hand geboten, "so bleibt uns allen nichts übrig als dem Bunde zu entsagen." Kein Satz in dieser Arbeit, der nicht allbekannten historischen Thatsachen dreist ins Gesicht schlug; denn unzweifelhaft hatte sich die moderne deutsche Monarchie nur in beständigem Kampfe mit den alten Ständen ihre Stärke erworben, die Macht der Krone stand in den neuen constitutionellen Staaten ungleich höher als in den altständischen Territorien Sachsen, Hannover, Mecklenburg, wo das ganze Staatswesen einen oligarchischen Charakter trug; und ebenso gewiß waren die Landtage der süddeutschen Staaten nicht allgemeine Volksvertretungen, sondern halbständische Körper- schaften, höchstens die badische zweite Kammer konnte als eine Repräsen- tation im neufranzösischen Sinne gelten. Gleichwohl verbarg sich hinter der scheinbar so willkürlich ausgeklügelten Doctrin eine sehr bestimmte politische Absicht. Wenn Gentz wider das revolutionäre Repräsentativ- system eiferte, so hatte er die Theorie Rottecks im Auge, der allerdings die Rechte der Volksvertretung aus dem Grundsatze der Volkssouveränität ableitete; und wenn er die alten deutschen Landstände feierte, so dachte er dabei nicht an die stürmischen Zeiten der ständischen Libertät, sondern an die wohlgezähmten Postulatenlandtage des neuen Oesterreichs; dies Stillleben der k. k. Kronlande sollte für ganz Deutschland das Muster werden.
Gentz's Denkschrift wirkte in der Geschichte der deutschen Parteikämpfe lange nach; sie bezauberte damals schon den erregbaren Geist des Kron-
*) Bernstorff an Hardenberg, 8., 13. August 1819.
Gentz über die deutſchen Landſtände.
abzuändern. Die große Mehrzahl ſtimmte eifrig zu; ſelbſt Baiern und Baden ſchienen anfangs geneigt, ſich die Wiener Auslegungskünſte gefallen zu laſſen;*) und im Rauſche des Sieges, „in einer Art von Inſpiration“, wie er ſelbſt bekennt, verfaßte Gentz am 19. Auguſt eine große Denkſchrift „über den Unterſchied zwiſchen den landſtändiſchen und Repräſentativ- Verfaſſungen“ — das Aeußerſte vielleicht, was die federgewandte Ge- wiſſenloſigkeit politiſcher Sophiſtik je geleiſtet hat.
Mit geſchickter Benutzung einiger Sätze Hallers und Adam Müllers führte er darin aus, wie die alten deutſchen Landſtände auf den von Gott ſelbſt geſtifteten Standes- und Rechtsunterſchieden beruhten, das fremd- ländiſche Repräſentativſyſtem auf dem revolutionären Wahne der Volks- ſouveränität und der allgemeinen Rechtsgleichheit; dort eine ſtarke, nur in der Ausübung einzelner Rechte beſchränkte monarchiſche Gewalt, hier die Unterwerfung der Krone unter die Willkür der Volksvertreter, eine Anarchie, die mit den Rechten des Bundes völlig unvereinbar, ſchließlich zur Bildung einer Volksdeputirten-Kammer neben dem Bundestage, mit- hin zur allgemeinen Revolution führen müſſe. Wird den deutſchen Fürſten, die bei der Bildung ihrer Verfaſſungen den einzig zuläſſigen Sinn des Art. 13 verfehlten, nicht zu einer anſtändigen Rückkehr die Hand geboten, „ſo bleibt uns allen nichts übrig als dem Bunde zu entſagen.“ Kein Satz in dieſer Arbeit, der nicht allbekannten hiſtoriſchen Thatſachen dreiſt ins Geſicht ſchlug; denn unzweifelhaft hatte ſich die moderne deutſche Monarchie nur in beſtändigem Kampfe mit den alten Ständen ihre Stärke erworben, die Macht der Krone ſtand in den neuen conſtitutionellen Staaten ungleich höher als in den altſtändiſchen Territorien Sachſen, Hannover, Mecklenburg, wo das ganze Staatsweſen einen oligarchiſchen Charakter trug; und ebenſo gewiß waren die Landtage der ſüddeutſchen Staaten nicht allgemeine Volksvertretungen, ſondern halbſtändiſche Körper- ſchaften, höchſtens die badiſche zweite Kammer konnte als eine Repräſen- tation im neufranzöſiſchen Sinne gelten. Gleichwohl verbarg ſich hinter der ſcheinbar ſo willkürlich ausgeklügelten Doctrin eine ſehr beſtimmte politiſche Abſicht. Wenn Gentz wider das revolutionäre Repräſentativ- ſyſtem eiferte, ſo hatte er die Theorie Rottecks im Auge, der allerdings die Rechte der Volksvertretung aus dem Grundſatze der Volksſouveränität ableitete; und wenn er die alten deutſchen Landſtände feierte, ſo dachte er dabei nicht an die ſtürmiſchen Zeiten der ſtändiſchen Libertät, ſondern an die wohlgezähmten Poſtulatenlandtage des neuen Oeſterreichs; dies Stillleben der k. k. Kronlande ſollte für ganz Deutſchland das Muſter werden.
Gentz’s Denkſchrift wirkte in der Geſchichte der deutſchen Parteikämpfe lange nach; ſie bezauberte damals ſchon den erregbaren Geiſt des Kron-
*) Bernſtorff an Hardenberg, 8., 13. Auguſt 1819.
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Gentz über die deutſchen Landſtände.
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Baden ſchienen anfangs geneigt, ſich die Wiener Auslegungskünſte gefallen
zu laſſen; *) und im Rauſche des Sieges, „in einer Art von Inſpiration“,
wie er ſelbſt bekennt, verfaßte Gentz am 19. Auguſt eine große Denkſchrift
„über den Unterſchied zwiſchen den landſtändiſchen und Repräſentativ-
Verfaſſungen“ — das Aeußerſte vielleicht, was die federgewandte Ge-
wiſſenloſigkeit politiſcher Sophiſtik je geleiſtet hat.
Mit geſchickter Benutzung einiger Sätze Hallers und Adam Müllers
führte er darin aus, wie die alten deutſchen Landſtände auf den von Gott
ſelbſt geſtifteten Standes- und Rechtsunterſchieden beruhten, das fremd-
ländiſche Repräſentativſyſtem auf dem revolutionären Wahne der Volks-
ſouveränität und der allgemeinen Rechtsgleichheit; dort eine ſtarke, nur
in der Ausübung einzelner Rechte beſchränkte monarchiſche Gewalt, hier
die Unterwerfung der Krone unter die Willkür der Volksvertreter, eine
Anarchie, die mit den Rechten des Bundes völlig unvereinbar, ſchließlich
zur Bildung einer Volksdeputirten-Kammer neben dem Bundestage, mit-
hin zur allgemeinen Revolution führen müſſe. Wird den deutſchen Fürſten,
die bei der Bildung ihrer Verfaſſungen den einzig zuläſſigen Sinn des
Art. 13 verfehlten, nicht zu einer anſtändigen Rückkehr die Hand geboten,
„ſo bleibt uns allen nichts übrig als dem Bunde zu entſagen.“ Kein
Satz in dieſer Arbeit, der nicht allbekannten hiſtoriſchen Thatſachen dreiſt
ins Geſicht ſchlug; denn unzweifelhaft hatte ſich die moderne deutſche
Monarchie nur in beſtändigem Kampfe mit den alten Ständen ihre Stärke
erworben, die Macht der Krone ſtand in den neuen conſtitutionellen
Staaten ungleich höher als in den altſtändiſchen Territorien Sachſen,
Hannover, Mecklenburg, wo das ganze Staatsweſen einen oligarchiſchen
Charakter trug; und ebenſo gewiß waren die Landtage der ſüddeutſchen
Staaten nicht allgemeine Volksvertretungen, ſondern halbſtändiſche Körper-
ſchaften, höchſtens die badiſche zweite Kammer konnte als eine Repräſen-
tation im neufranzöſiſchen Sinne gelten. Gleichwohl verbarg ſich hinter
der ſcheinbar ſo willkürlich ausgeklügelten Doctrin eine ſehr beſtimmte
politiſche Abſicht. Wenn Gentz wider das revolutionäre Repräſentativ-
ſyſtem eiferte, ſo hatte er die Theorie Rottecks im Auge, der allerdings
die Rechte der Volksvertretung aus dem Grundſatze der Volksſouveränität
ableitete; und wenn er die alten deutſchen Landſtände feierte, ſo dachte
er dabei nicht an die ſtürmiſchen Zeiten der ſtändiſchen Libertät, ſondern
an die wohlgezähmten Poſtulatenlandtage des neuen Oeſterreichs; dies
Stillleben der k. k. Kronlande ſollte für ganz Deutſchland das Muſter
werden.
Gentz’s Denkſchrift wirkte in der Geſchichte der deutſchen Parteikämpfe
lange nach; ſie bezauberte damals ſchon den erregbaren Geiſt des Kron-
*) Bernſtorff an Hardenberg, 8., 13. Auguſt 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/571>, abgerufen am 25.11.2024.
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