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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Beginn der Karlsbader Verhandlungen.
und es hieß den patriotischen Geist der jungen Leute muthwillig auf Ab-
wege treiben, wenn man jetzt amtlich die Hochschulen als die Pflanzstätten
des Hochverraths bezeichnete.

Das Entsetzlichste blieb doch, daß der Staat, der den Deutschen ihre
Freiheit wiedergewonnen, der von der nationalen Einheit Alles zu hoffen,
nichts zu fürchten hatte, jetzt zuerst und freiwillig das Joch der öster-
reichischen Fremdherrschaft auf seinen Nacken nahm und also dem Theile
der Nation, der nicht über den nächsten Tag hinaus sah, als ein ge-
schworener Feind erschien. Das lichte Gestirn des fridericianischen Staates
war verdunkelt durch das Gewölk des Argwohns; die Besorgniß eines
edlen, durch verblendete Rathgeber belogenen Monarchen und die alters-
schwache Rathlosigkeit Hardenbergs lenkten ihn ab von den Bahnen,
auf denen er zur Größe aufgestiegen war; und zufrieden erklärte Metter-
nich dem russischen Gesandten, nachdem Oesterreich die Teplitzer Ernte
eingeheimst: "Preußen hat uns einen Platz überlassen, welchen ein Theil
der Deutschen dem preußischen Staate zudachte!" --

Sobald die beiden Großmächte sich ohne Vorbehalt geeinigt hatten, war
der Sieg der österreichischen Politik entschieden. In der Karlsbader Ver-
sammlung fand sie keinen einzigen grundsätzlichen Gegner. Zu den beiden
Hannoveranern war inzwischen noch der Sachse Graf Schulenburg hin-
zugekommen, gleich ihnen ein strenger Anhänger des altständischen Staats-
wesens; der Mecklenburger Frhr. v. Plessen, ein ungleich freierer, be-
weglicherer Kopf mußte sich, nach den Traditionen seiner Heimath, dieser
Richtung im Wesentlichen anschließen. Auch die Vertreter der sogenannten
constitutionellen Staaten zeigten eine tadellose Gefügigkeit. Graf Rech-
berg, der eigentliche Urheber der bairischen Staatsstreichspläne, hegte zwar
nach Münchener Brauch einiges Mißtrauen gegen Oesterreich, aber noch
weit mehr Furcht vor der Revolution. Frhr. v. Berstett erging sich in
so gräßlichen Schilderungen von der Verworfenheit der Karlsruher Land-
stände, daß Gentz meinte: ihn zu hören sei zugleich ein Gräuel und ein Fest.
Der Nassauer Marschall überbot noch den reaktionären Fanatismus des
Badeners, und selbst Graf Wintzingerode ließ mindestens an Feindselig-
keit gegen die Demagogen nichts zu wünschen übrig, wenngleich ihm die
dornige Aufgabe zufiel, den Ruhm des constitutionellen Musterkönigs
nicht ganz bloßzustellen.

Die Versammelten bestärkten einander wechselseitig in ihrer Angst
vor der großen Verschwörung, und Metternich verstand sie so geschickt
zu behandeln, daß Bernstorff dem Staatskanzler schreiben konnte: "Hier
ist Alles durchzusetzen, später nichts mehr!" Sie lebten sich in die
österreichische Anschauung der deutschen Dinge so gänzlich ein, daß sie zu-
letzt fast allesammt ein großes und gutes Werk zu verrichten glaubten
und sich der schönen patriotischen Einigkeit der deutschen Kronen aufrichtig
freuten. "Der Erfolg steht in Gottes Hand, schrieb Bernstorff nach voll-

Beginn der Karlsbader Verhandlungen.
und es hieß den patriotiſchen Geiſt der jungen Leute muthwillig auf Ab-
wege treiben, wenn man jetzt amtlich die Hochſchulen als die Pflanzſtätten
des Hochverraths bezeichnete.

Das Entſetzlichſte blieb doch, daß der Staat, der den Deutſchen ihre
Freiheit wiedergewonnen, der von der nationalen Einheit Alles zu hoffen,
nichts zu fürchten hatte, jetzt zuerſt und freiwillig das Joch der öſter-
reichiſchen Fremdherrſchaft auf ſeinen Nacken nahm und alſo dem Theile
der Nation, der nicht über den nächſten Tag hinaus ſah, als ein ge-
ſchworener Feind erſchien. Das lichte Geſtirn des fridericianiſchen Staates
war verdunkelt durch das Gewölk des Argwohns; die Beſorgniß eines
edlen, durch verblendete Rathgeber belogenen Monarchen und die alters-
ſchwache Rathloſigkeit Hardenbergs lenkten ihn ab von den Bahnen,
auf denen er zur Größe aufgeſtiegen war; und zufrieden erklärte Metter-
nich dem ruſſiſchen Geſandten, nachdem Oeſterreich die Teplitzer Ernte
eingeheimſt: „Preußen hat uns einen Platz überlaſſen, welchen ein Theil
der Deutſchen dem preußiſchen Staate zudachte!“ —

Sobald die beiden Großmächte ſich ohne Vorbehalt geeinigt hatten, war
der Sieg der öſterreichiſchen Politik entſchieden. In der Karlsbader Ver-
ſammlung fand ſie keinen einzigen grundſätzlichen Gegner. Zu den beiden
Hannoveranern war inzwiſchen noch der Sachſe Graf Schulenburg hin-
zugekommen, gleich ihnen ein ſtrenger Anhänger des altſtändiſchen Staats-
weſens; der Mecklenburger Frhr. v. Pleſſen, ein ungleich freierer, be-
weglicherer Kopf mußte ſich, nach den Traditionen ſeiner Heimath, dieſer
Richtung im Weſentlichen anſchließen. Auch die Vertreter der ſogenannten
conſtitutionellen Staaten zeigten eine tadelloſe Gefügigkeit. Graf Rech-
berg, der eigentliche Urheber der bairiſchen Staatsſtreichspläne, hegte zwar
nach Münchener Brauch einiges Mißtrauen gegen Oeſterreich, aber noch
weit mehr Furcht vor der Revolution. Frhr. v. Berſtett erging ſich in
ſo gräßlichen Schilderungen von der Verworfenheit der Karlsruher Land-
ſtände, daß Gentz meinte: ihn zu hören ſei zugleich ein Gräuel und ein Feſt.
Der Naſſauer Marſchall überbot noch den reaktionären Fanatismus des
Badeners, und ſelbſt Graf Wintzingerode ließ mindeſtens an Feindſelig-
keit gegen die Demagogen nichts zu wünſchen übrig, wenngleich ihm die
dornige Aufgabe zufiel, den Ruhm des conſtitutionellen Muſterkönigs
nicht ganz bloßzuſtellen.

Die Verſammelten beſtärkten einander wechſelſeitig in ihrer Angſt
vor der großen Verſchwörung, und Metternich verſtand ſie ſo geſchickt
zu behandeln, daß Bernſtorff dem Staatskanzler ſchreiben konnte: „Hier
iſt Alles durchzuſetzen, ſpäter nichts mehr!“ Sie lebten ſich in die
öſterreichiſche Anſchauung der deutſchen Dinge ſo gänzlich ein, daß ſie zu-
letzt faſt alleſammt ein großes und gutes Werk zu verrichten glaubten
und ſich der ſchönen patriotiſchen Einigkeit der deutſchen Kronen aufrichtig
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[555/0569] Beginn der Karlsbader Verhandlungen. und es hieß den patriotiſchen Geiſt der jungen Leute muthwillig auf Ab- wege treiben, wenn man jetzt amtlich die Hochſchulen als die Pflanzſtätten des Hochverraths bezeichnete. Das Entſetzlichſte blieb doch, daß der Staat, der den Deutſchen ihre Freiheit wiedergewonnen, der von der nationalen Einheit Alles zu hoffen, nichts zu fürchten hatte, jetzt zuerſt und freiwillig das Joch der öſter- reichiſchen Fremdherrſchaft auf ſeinen Nacken nahm und alſo dem Theile der Nation, der nicht über den nächſten Tag hinaus ſah, als ein ge- ſchworener Feind erſchien. Das lichte Geſtirn des fridericianiſchen Staates war verdunkelt durch das Gewölk des Argwohns; die Beſorgniß eines edlen, durch verblendete Rathgeber belogenen Monarchen und die alters- ſchwache Rathloſigkeit Hardenbergs lenkten ihn ab von den Bahnen, auf denen er zur Größe aufgeſtiegen war; und zufrieden erklärte Metter- nich dem ruſſiſchen Geſandten, nachdem Oeſterreich die Teplitzer Ernte eingeheimſt: „Preußen hat uns einen Platz überlaſſen, welchen ein Theil der Deutſchen dem preußiſchen Staate zudachte!“ — Sobald die beiden Großmächte ſich ohne Vorbehalt geeinigt hatten, war der Sieg der öſterreichiſchen Politik entſchieden. In der Karlsbader Ver- ſammlung fand ſie keinen einzigen grundſätzlichen Gegner. Zu den beiden Hannoveranern war inzwiſchen noch der Sachſe Graf Schulenburg hin- zugekommen, gleich ihnen ein ſtrenger Anhänger des altſtändiſchen Staats- weſens; der Mecklenburger Frhr. v. Pleſſen, ein ungleich freierer, be- weglicherer Kopf mußte ſich, nach den Traditionen ſeiner Heimath, dieſer Richtung im Weſentlichen anſchließen. Auch die Vertreter der ſogenannten conſtitutionellen Staaten zeigten eine tadelloſe Gefügigkeit. Graf Rech- berg, der eigentliche Urheber der bairiſchen Staatsſtreichspläne, hegte zwar nach Münchener Brauch einiges Mißtrauen gegen Oeſterreich, aber noch weit mehr Furcht vor der Revolution. Frhr. v. Berſtett erging ſich in ſo gräßlichen Schilderungen von der Verworfenheit der Karlsruher Land- ſtände, daß Gentz meinte: ihn zu hören ſei zugleich ein Gräuel und ein Feſt. Der Naſſauer Marſchall überbot noch den reaktionären Fanatismus des Badeners, und ſelbſt Graf Wintzingerode ließ mindeſtens an Feindſelig- keit gegen die Demagogen nichts zu wünſchen übrig, wenngleich ihm die dornige Aufgabe zufiel, den Ruhm des conſtitutionellen Muſterkönigs nicht ganz bloßzuſtellen. Die Verſammelten beſtärkten einander wechſelſeitig in ihrer Angſt vor der großen Verſchwörung, und Metternich verſtand ſie ſo geſchickt zu behandeln, daß Bernſtorff dem Staatskanzler ſchreiben konnte: „Hier iſt Alles durchzuſetzen, ſpäter nichts mehr!“ Sie lebten ſich in die öſterreichiſche Anſchauung der deutſchen Dinge ſo gänzlich ein, daß ſie zu- letzt faſt alleſammt ein großes und gutes Werk zu verrichten glaubten und ſich der ſchönen patriotiſchen Einigkeit der deutſchen Kronen aufrichtig freuten. „Der Erfolg ſteht in Gottes Hand, ſchrieb Bernſtorff nach voll-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/569>, abgerufen am 22.11.2024.