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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Teplitzer Punktation.
entfernt werden, und daß kein ähnliches von einer deutschen Universität
entferntes Individuum auf den Universitäten in anderen deutschen Staaten
Anstellung erhalte". Zum Schluß ward noch ausbedungen, daß diese
Maßregeln auch auf das Schulwesen erstreckt werden sollten.

So der Inhalt des unseligen Vertrags. Es war, als ob ein finsteres
Verhängniß diesem unglücklichen, so mühsam aus der Zersplitterung empor-
steigenden Volke jede Möglichkeit der Selbsterkenntniß, jeden Weg zur poli-
tischen Macht gewaltsam abschneiden wollte. Manche traurige Verirrungen
der deutschen Patrioten in späteren Jahren lassen sich nur erklären aus
der vollkommenen Verwirrung aller politischen Begriffe, welche der un-
natürliche Bund der beiden Großmächte nothwendig hervorrufen mußte.
Die beiden Mächte beabsichtigten der Gewalt des Deutschen Bundes die
unzweifelhaft dringend nöthige Verstärkung zu bringen; sie erweiterten
seine Befugnisse weit über die Vorschriften der Bundesakte hinaus; sie
gestatteten ihm Eingriffe in das innere Leben der Einzelstaaten, welche
sich mit dem Wesen eines völkerrechtlichen Staatenbundes nicht mehr
vertrugen; sie sprachen sogar von einer Felonie deutscher Fürsten gegen
den Bund, als ob die Souveränität von Napoleons Gnaden bereits ver-
nichtet und die Majestät des alten Reichs wieder hergestellt wäre. Aber
diese unitarische Politik entsprang nicht der nationalen Gesinnung, sondern
dem österreichischen Partikularismus: nur darum sollte der Deutsche Bund
die Machtbefugnisse einer Staatsgewalt erhalten, damit den Deutschen
die Lust "sich in ein Deutschland zu vereinigen" für immer verginge,
damit der Seelenschlummer der Völker Oesterreichs von der höheren
Cultur, den regeren geistigen Kräften ihrer deutschen Nachbarn ungestört
bliebe. Auf das Bestimmteste, auf wiederholten Befehl seines Monarchen,
sprach Metternich aus, er wolle den Deutschen Bund durch Oesterreichs
Mitwirkung retten oder die k. k. Staaten von Deutschland trennen, um
Oesterreich allein zu retten; und noch fand sich Niemand in der Nation,
der das namenlose Glück dieser Trennung begriffen und den befreienden
Ruf erhoben hätte: los von Oesterreich!

Verderblich, undeutsch wie die Ziele dieser Politik waren auch ihre
Mittel. Der deutsche Bund besaß noch weder ein Bundesheer, noch ein
Bundesgericht, überhaupt keine gemeinsame nationale Institution außer
dem Bundestage; und ein solcher Bund, der die Deutschen nicht einmal
gegen das Ausland zu schützen verstand, sollte jetzt -- nach den Worten
der Teplitzer Verabredung -- "im reinen Begriffe der Foederation" be-
fugt sein, das Allerheiligste der Nation Martin Luthers, die freie Be-
wegung der Gedanken durch Verbote und Verfolgungen zu stören. So
sank die deutsche Politik, wie ein treffendes Wort sagt, zur deutschen
Polizei herab; Jahrzehntelang ging fast das gesammte Leben des Bundes-
tags in polizeilichen Nothmaßregeln auf. Der natürliche Gegensatz zwischen
der absolutistischen Centralgewalt und den constitutionellen Gliederstaaten

Die Teplitzer Punktation.
entfernt werden, und daß kein ähnliches von einer deutſchen Univerſität
entferntes Individuum auf den Univerſitäten in anderen deutſchen Staaten
Anſtellung erhalte“. Zum Schluß ward noch ausbedungen, daß dieſe
Maßregeln auch auf das Schulweſen erſtreckt werden ſollten.

So der Inhalt des unſeligen Vertrags. Es war, als ob ein finſteres
Verhängniß dieſem unglücklichen, ſo mühſam aus der Zerſplitterung empor-
ſteigenden Volke jede Möglichkeit der Selbſterkenntniß, jeden Weg zur poli-
tiſchen Macht gewaltſam abſchneiden wollte. Manche traurige Verirrungen
der deutſchen Patrioten in ſpäteren Jahren laſſen ſich nur erklären aus
der vollkommenen Verwirrung aller politiſchen Begriffe, welche der un-
natürliche Bund der beiden Großmächte nothwendig hervorrufen mußte.
Die beiden Mächte beabſichtigten der Gewalt des Deutſchen Bundes die
unzweifelhaft dringend nöthige Verſtärkung zu bringen; ſie erweiterten
ſeine Befugniſſe weit über die Vorſchriften der Bundesakte hinaus; ſie
geſtatteten ihm Eingriffe in das innere Leben der Einzelſtaaten, welche
ſich mit dem Weſen eines völkerrechtlichen Staatenbundes nicht mehr
vertrugen; ſie ſprachen ſogar von einer Felonie deutſcher Fürſten gegen
den Bund, als ob die Souveränität von Napoleons Gnaden bereits ver-
nichtet und die Majeſtät des alten Reichs wieder hergeſtellt wäre. Aber
dieſe unitariſche Politik entſprang nicht der nationalen Geſinnung, ſondern
dem öſterreichiſchen Partikularismus: nur darum ſollte der Deutſche Bund
die Machtbefugniſſe einer Staatsgewalt erhalten, damit den Deutſchen
die Luſt „ſich in ein Deutſchland zu vereinigen“ für immer verginge,
damit der Seelenſchlummer der Völker Oeſterreichs von der höheren
Cultur, den regeren geiſtigen Kräften ihrer deutſchen Nachbarn ungeſtört
bliebe. Auf das Beſtimmteſte, auf wiederholten Befehl ſeines Monarchen,
ſprach Metternich aus, er wolle den Deutſchen Bund durch Oeſterreichs
Mitwirkung retten oder die k. k. Staaten von Deutſchland trennen, um
Oeſterreich allein zu retten; und noch fand ſich Niemand in der Nation,
der das namenloſe Glück dieſer Trennung begriffen und den befreienden
Ruf erhoben hätte: los von Oeſterreich!

Verderblich, undeutſch wie die Ziele dieſer Politik waren auch ihre
Mittel. Der deutſche Bund beſaß noch weder ein Bundesheer, noch ein
Bundesgericht, überhaupt keine gemeinſame nationale Inſtitution außer
dem Bundestage; und ein ſolcher Bund, der die Deutſchen nicht einmal
gegen das Ausland zu ſchützen verſtand, ſollte jetzt — nach den Worten
der Teplitzer Verabredung — „im reinen Begriffe der Foederation“ be-
fugt ſein, das Allerheiligſte der Nation Martin Luthers, die freie Be-
wegung der Gedanken durch Verbote und Verfolgungen zu ſtören. So
ſank die deutſche Politik, wie ein treffendes Wort ſagt, zur deutſchen
Polizei herab; Jahrzehntelang ging faſt das geſammte Leben des Bundes-
tags in polizeilichen Nothmaßregeln auf. Der natürliche Gegenſatz zwiſchen
der abſolutiſtiſchen Centralgewalt und den conſtitutionellen Gliederſtaaten

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[553/0567] Die Teplitzer Punktation. entfernt werden, und daß kein ähnliches von einer deutſchen Univerſität entferntes Individuum auf den Univerſitäten in anderen deutſchen Staaten Anſtellung erhalte“. Zum Schluß ward noch ausbedungen, daß dieſe Maßregeln auch auf das Schulweſen erſtreckt werden ſollten. So der Inhalt des unſeligen Vertrags. Es war, als ob ein finſteres Verhängniß dieſem unglücklichen, ſo mühſam aus der Zerſplitterung empor- ſteigenden Volke jede Möglichkeit der Selbſterkenntniß, jeden Weg zur poli- tiſchen Macht gewaltſam abſchneiden wollte. Manche traurige Verirrungen der deutſchen Patrioten in ſpäteren Jahren laſſen ſich nur erklären aus der vollkommenen Verwirrung aller politiſchen Begriffe, welche der un- natürliche Bund der beiden Großmächte nothwendig hervorrufen mußte. Die beiden Mächte beabſichtigten der Gewalt des Deutſchen Bundes die unzweifelhaft dringend nöthige Verſtärkung zu bringen; ſie erweiterten ſeine Befugniſſe weit über die Vorſchriften der Bundesakte hinaus; ſie geſtatteten ihm Eingriffe in das innere Leben der Einzelſtaaten, welche ſich mit dem Weſen eines völkerrechtlichen Staatenbundes nicht mehr vertrugen; ſie ſprachen ſogar von einer Felonie deutſcher Fürſten gegen den Bund, als ob die Souveränität von Napoleons Gnaden bereits ver- nichtet und die Majeſtät des alten Reichs wieder hergeſtellt wäre. Aber dieſe unitariſche Politik entſprang nicht der nationalen Geſinnung, ſondern dem öſterreichiſchen Partikularismus: nur darum ſollte der Deutſche Bund die Machtbefugniſſe einer Staatsgewalt erhalten, damit den Deutſchen die Luſt „ſich in ein Deutſchland zu vereinigen“ für immer verginge, damit der Seelenſchlummer der Völker Oeſterreichs von der höheren Cultur, den regeren geiſtigen Kräften ihrer deutſchen Nachbarn ungeſtört bliebe. Auf das Beſtimmteſte, auf wiederholten Befehl ſeines Monarchen, ſprach Metternich aus, er wolle den Deutſchen Bund durch Oeſterreichs Mitwirkung retten oder die k. k. Staaten von Deutſchland trennen, um Oeſterreich allein zu retten; und noch fand ſich Niemand in der Nation, der das namenloſe Glück dieſer Trennung begriffen und den befreienden Ruf erhoben hätte: los von Oeſterreich! Verderblich, undeutſch wie die Ziele dieſer Politik waren auch ihre Mittel. Der deutſche Bund beſaß noch weder ein Bundesheer, noch ein Bundesgericht, überhaupt keine gemeinſame nationale Inſtitution außer dem Bundestage; und ein ſolcher Bund, der die Deutſchen nicht einmal gegen das Ausland zu ſchützen verſtand, ſollte jetzt — nach den Worten der Teplitzer Verabredung — „im reinen Begriffe der Foederation“ be- fugt ſein, das Allerheiligſte der Nation Martin Luthers, die freie Be- wegung der Gedanken durch Verbote und Verfolgungen zu ſtören. So ſank die deutſche Politik, wie ein treffendes Wort ſagt, zur deutſchen Polizei herab; Jahrzehntelang ging faſt das geſammte Leben des Bundes- tags in polizeilichen Nothmaßregeln auf. Der natürliche Gegenſatz zwiſchen der abſolutiſtiſchen Centralgewalt und den conſtitutionellen Gliederſtaaten

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/567>, abgerufen am 22.11.2024.