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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Verfassungskampf in Detmold.
Friedrich von Württemberg, durch den Untergang des heiligen Reichs mit
einem mächtigen Souveränitätsgefühle erfüllt worden und meinte, seit sie
die kaiserliche Majestät nicht mehr zu fürchten hatte, auch an die Landes-
verträge nicht länger gebunden zu sein. Die alten Stände widerstanden
hier ebenso zäh wie in Württemberg und wendeten sich klagend an den
Bund; Rath Schlosser, derselbe, der die Rechtsverwahrungen der jülich-
clevischen Stände verfaßt hatte, führte ihnen die Feder. Als die Karls-
bader Conferenzen herannahten, ahnte die Fürstin sogleich, daß die dor-
tigen Beschlüsse ihren liberalen Ansichten wenig entsprechen würden, und
rasch entschlossen verkündete sie am 6. Juni ihrem Lande eine neue Ver-
fassung. Aber der liberale Staatsstreich mißlang. Unterstützt von dem
Bückeburger Fürsten, der eine Mit-Landesherrschaft behauptete, erschienen
die alten Stände alsbald wieder beim Bunde. Nach einer tiefgeheimen
Berathung, wobei Wangenheim die ganze Fülle seiner constitutionellen
Gelehrsamkeit entfaltete, beschloß der Bundestag den Streitenden seine
Vermittlung anzubieten und forderte die Fürstin auf, die Ausführung
ihres neuen Grundgesetzes einstweilen einzustellen. Dies "Einstweilen"
währte bis zum Jahre 1836; da kam endlich, aber ohne Mitwirkung
des Bundestags, ein Vergleich zu Stande.

Glücklicher fuhr der König von Württemberg. Wer hätte auch die
krummen Wege dieses Meisters der Falschheit berechnen und durchkreuzen
können? König Wilhelm hatte einst zuerst den Gedanken aufgebracht,
daß der Bund den Ansprüchen der Landstände eine feste Schranke setzen
solle; er hatte, als er die Verhandlungen mit seinem Landtage abbrach,
ausdrücklich erklärt, zunächst wolle er die Beschlüsse des Bundestags über
die Rechte der deutschen Kammern abwarten, und seitdem war er von
diesem Herzenswunsche nicht zurückgekommen. Sein neuer Premierminister
v. Maucler schulte das Beamtenthum, ähnlich wie Zentner in Baiern,
zu einer streng gehorsamen, unbedingt abhängigen "Garde", wie die Libe-
ralen höhnten; auch der einflußreiche Geh.-Rath v. Gros, der sich früher
als Erlanger Professor der besonderen Gunst Hardenbergs erfreut hatte,
war ein gescheidter Bureaukrat von der aufgeklärten rheinbündischen Art.
Graf Wintzingerode endlich, der Sohn des Ministers Friedrichs I., der
soeben in das Auswärtige Amt berufen wurde, hatte sich als Gesandter
in Wien durch seine Gradheit und streng monarchische Gesinnung das
volle Vertrauen Metternichs erworben.*) Alles an dieser Regierung trug
das Gepräge eines strengen und verständigen Absolutismus. Die lärmende
Freiheit der Studenten schien dem soldatischen Monarchen entsetzlich, und
Wintzingerode erwog bereits mit ihm die Frage, ob man nicht der Tübinger
Universität eine neue Karlsschule mit halbmilitärischer Zucht an die Seite
setzen solle. Daher war ihm die Einladung zu den Karlsbader Conferenzen

*) Krusemarks Bericht, 4. Juni 1819.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 35

Verfaſſungskampf in Detmold.
Friedrich von Württemberg, durch den Untergang des heiligen Reichs mit
einem mächtigen Souveränitätsgefühle erfüllt worden und meinte, ſeit ſie
die kaiſerliche Majeſtät nicht mehr zu fürchten hatte, auch an die Landes-
verträge nicht länger gebunden zu ſein. Die alten Stände widerſtanden
hier ebenſo zäh wie in Württemberg und wendeten ſich klagend an den
Bund; Rath Schloſſer, derſelbe, der die Rechtsverwahrungen der jülich-
cleviſchen Stände verfaßt hatte, führte ihnen die Feder. Als die Karls-
bader Conferenzen herannahten, ahnte die Fürſtin ſogleich, daß die dor-
tigen Beſchlüſſe ihren liberalen Anſichten wenig entſprechen würden, und
raſch entſchloſſen verkündete ſie am 6. Juni ihrem Lande eine neue Ver-
faſſung. Aber der liberale Staatsſtreich mißlang. Unterſtützt von dem
Bückeburger Fürſten, der eine Mit-Landesherrſchaft behauptete, erſchienen
die alten Stände alsbald wieder beim Bunde. Nach einer tiefgeheimen
Berathung, wobei Wangenheim die ganze Fülle ſeiner conſtitutionellen
Gelehrſamkeit entfaltete, beſchloß der Bundestag den Streitenden ſeine
Vermittlung anzubieten und forderte die Fürſtin auf, die Ausführung
ihres neuen Grundgeſetzes einſtweilen einzuſtellen. Dies „Einſtweilen“
währte bis zum Jahre 1836; da kam endlich, aber ohne Mitwirkung
des Bundestags, ein Vergleich zu Stande.

Glücklicher fuhr der König von Württemberg. Wer hätte auch die
krummen Wege dieſes Meiſters der Falſchheit berechnen und durchkreuzen
können? König Wilhelm hatte einſt zuerſt den Gedanken aufgebracht,
daß der Bund den Anſprüchen der Landſtände eine feſte Schranke ſetzen
ſolle; er hatte, als er die Verhandlungen mit ſeinem Landtage abbrach,
ausdrücklich erklärt, zunächſt wolle er die Beſchlüſſe des Bundestags über
die Rechte der deutſchen Kammern abwarten, und ſeitdem war er von
dieſem Herzenswunſche nicht zurückgekommen. Sein neuer Premierminiſter
v. Maucler ſchulte das Beamtenthum, ähnlich wie Zentner in Baiern,
zu einer ſtreng gehorſamen, unbedingt abhängigen „Garde“, wie die Libe-
ralen höhnten; auch der einflußreiche Geh.-Rath v. Gros, der ſich früher
als Erlanger Profeſſor der beſonderen Gunſt Hardenbergs erfreut hatte,
war ein geſcheidter Bureaukrat von der aufgeklärten rheinbündiſchen Art.
Graf Wintzingerode endlich, der Sohn des Miniſters Friedrichs I., der
ſoeben in das Auswärtige Amt berufen wurde, hatte ſich als Geſandter
in Wien durch ſeine Gradheit und ſtreng monarchiſche Geſinnung das
volle Vertrauen Metternichs erworben.*) Alles an dieſer Regierung trug
das Gepräge eines ſtrengen und verſtändigen Abſolutismus. Die lärmende
Freiheit der Studenten ſchien dem ſoldatiſchen Monarchen entſetzlich, und
Wintzingerode erwog bereits mit ihm die Frage, ob man nicht der Tübinger
Univerſität eine neue Karlsſchule mit halbmilitäriſcher Zucht an die Seite
ſetzen ſolle. Daher war ihm die Einladung zu den Karlsbader Conferenzen

*) Kruſemarks Bericht, 4. Juni 1819.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 35
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[545/0559] Verfaſſungskampf in Detmold. Friedrich von Württemberg, durch den Untergang des heiligen Reichs mit einem mächtigen Souveränitätsgefühle erfüllt worden und meinte, ſeit ſie die kaiſerliche Majeſtät nicht mehr zu fürchten hatte, auch an die Landes- verträge nicht länger gebunden zu ſein. Die alten Stände widerſtanden hier ebenſo zäh wie in Württemberg und wendeten ſich klagend an den Bund; Rath Schloſſer, derſelbe, der die Rechtsverwahrungen der jülich- cleviſchen Stände verfaßt hatte, führte ihnen die Feder. Als die Karls- bader Conferenzen herannahten, ahnte die Fürſtin ſogleich, daß die dor- tigen Beſchlüſſe ihren liberalen Anſichten wenig entſprechen würden, und raſch entſchloſſen verkündete ſie am 6. Juni ihrem Lande eine neue Ver- faſſung. Aber der liberale Staatsſtreich mißlang. Unterſtützt von dem Bückeburger Fürſten, der eine Mit-Landesherrſchaft behauptete, erſchienen die alten Stände alsbald wieder beim Bunde. Nach einer tiefgeheimen Berathung, wobei Wangenheim die ganze Fülle ſeiner conſtitutionellen Gelehrſamkeit entfaltete, beſchloß der Bundestag den Streitenden ſeine Vermittlung anzubieten und forderte die Fürſtin auf, die Ausführung ihres neuen Grundgeſetzes einſtweilen einzuſtellen. Dies „Einſtweilen“ währte bis zum Jahre 1836; da kam endlich, aber ohne Mitwirkung des Bundestags, ein Vergleich zu Stande. Glücklicher fuhr der König von Württemberg. Wer hätte auch die krummen Wege dieſes Meiſters der Falſchheit berechnen und durchkreuzen können? König Wilhelm hatte einſt zuerſt den Gedanken aufgebracht, daß der Bund den Anſprüchen der Landſtände eine feſte Schranke ſetzen ſolle; er hatte, als er die Verhandlungen mit ſeinem Landtage abbrach, ausdrücklich erklärt, zunächſt wolle er die Beſchlüſſe des Bundestags über die Rechte der deutſchen Kammern abwarten, und ſeitdem war er von dieſem Herzenswunſche nicht zurückgekommen. Sein neuer Premierminiſter v. Maucler ſchulte das Beamtenthum, ähnlich wie Zentner in Baiern, zu einer ſtreng gehorſamen, unbedingt abhängigen „Garde“, wie die Libe- ralen höhnten; auch der einflußreiche Geh.-Rath v. Gros, der ſich früher als Erlanger Profeſſor der beſonderen Gunſt Hardenbergs erfreut hatte, war ein geſcheidter Bureaukrat von der aufgeklärten rheinbündiſchen Art. Graf Wintzingerode endlich, der Sohn des Miniſters Friedrichs I., der ſoeben in das Auswärtige Amt berufen wurde, hatte ſich als Geſandter in Wien durch ſeine Gradheit und ſtreng monarchiſche Geſinnung das volle Vertrauen Metternichs erworben. *) Alles an dieſer Regierung trug das Gepräge eines ſtrengen und verſtändigen Abſolutismus. Die lärmende Freiheit der Studenten ſchien dem ſoldatiſchen Monarchen entſetzlich, und Wintzingerode erwog bereits mit ihm die Frage, ob man nicht der Tübinger Univerſität eine neue Karlsſchule mit halbmilitäriſcher Zucht an die Seite ſetzen ſolle. Daher war ihm die Einladung zu den Karlsbader Conferenzen *) Kruſemarks Bericht, 4. Juni 1819. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 35

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/559>, abgerufen am 22.11.2024.