einen Schelm und Verräther, als einen feigen Knecht, der das Unrecht Recht nennt, sollen sie mich wahrlich nicht finden." Noch zwei Jahr- zehnte hindurch sollte er unter einer Ungerechtigkeit leiden, die von allen Sünden dieser Demagogenjagd die häßlichste bleibt. Bald wagte sich der Spüreifer der Werkzeuge Kamptz's selbst an die Vertrauten des Staats- kanzlers. Der unaufhaltsame Grano erschien selber am Rhein um Dorows Papiere zu durchsuchen. Auch Justus Gruner, der tödlich er- krankt in Wiesbaden Heilung suchte, empfing den Besuch des Spürers und sah die letzten Tage seines kurzen Lebens durch eine Kränkung ge- trübt, die den leidenschaftlichen Mann aufs Tiefste empörte.
Daß Hardenberg an alle Märchen der Demagogenjäger geglaubt haben sollte, scheint undenkbar. Der alte Herr zeigte auch jetzt noch zu- weilen sein dankbares Herz, unterstützte die Frau des unglücklichen Jahn, dem während seiner langen Haft zwei Kinder starben, und schrieb freund- schaftlich an Dorow: er möge nur getrost seine Geheimnisse aufdecken, dann werde seine Unschuld schon an den Tag kommen. Doch findet sich selbst in Hardenbergs vertrauten Briefen kein Wort des Bedauerns oder des Zweifels, vielmehr eine Menge scharfer Aeußerungen gegen die Ruch- losigkeit der Demagogen. Auch er war durch Wittgenstein, den er ja für seinen treuen Freund ansah, überzeugt worden, er glaubte an eine schwere Staatsgefahr, wenngleich er nicht jeden Schritt der Verfolger billigen mochte; und es ist nicht richtig was seine Panegyriker Benzenberg und B. Constant späterhin behaupteten, daß er sich nur zum Scheine an die Spitze der reaktionären Partei gestellt habe. Seine Verfassungspläne hielt er noch immer fest, aber sie konnten nur verwirklicht werden, wenn der König über die Sicherheit des Staates vollständig beruhigt war.
Die älteren Männer unter den Verfolgten ertrugen ihr Geschick mit einer ruhigen Würde, welche allein schon den Ungrund der Verdächtigung hätte darthun können. Weder Arndt noch F. G. Welcker und Mühlen- fels ließen sich durch die erlittene Unbill jemals in ihrer monarchischen Gesinnung, ihrer preußischen Treue beirren; mit unverwüstlicher Tapferkeit predigte Reimer, aller Kränkungen ungeachtet, seinem krankhaft verstimmten Freunde Niebuhr Muth und Vertrauen.*) Nur der heißblütige Karl Theodor Welcker, ein unbedingter Bewunderer des Repräsentativsystems, der schon beim Zusammentritt des Wiener Congresses in einer Rede über "Deutschlands Freiheit" ein deutsches Parlament gefordert hatte, bildete sich nach solchen Erfahrungen, menschlich genug, ein gehässiges Urtheil über den preußischen Staat, das bei den Liberalen des Südwestens nur zu williges Gehör fand. Von den Jüngeren dagegen wurden viele erst durch die Verfolgung dem Radikalismus zugetrieben, manche in der Blüthe
*) Den Briefwechsel von G. A. Reimer und Niebuhr habe ich mitgetheilt in den Preuß. Jahrbüchern, August 1876.
Arndt und die Brüder Welcker.
einen Schelm und Verräther, als einen feigen Knecht, der das Unrecht Recht nennt, ſollen ſie mich wahrlich nicht finden.“ Noch zwei Jahr- zehnte hindurch ſollte er unter einer Ungerechtigkeit leiden, die von allen Sünden dieſer Demagogenjagd die häßlichſte bleibt. Bald wagte ſich der Spüreifer der Werkzeuge Kamptz’s ſelbſt an die Vertrauten des Staats- kanzlers. Der unaufhaltſame Grano erſchien ſelber am Rhein um Dorows Papiere zu durchſuchen. Auch Juſtus Gruner, der tödlich er- krankt in Wiesbaden Heilung ſuchte, empfing den Beſuch des Spürers und ſah die letzten Tage ſeines kurzen Lebens durch eine Kränkung ge- trübt, die den leidenſchaftlichen Mann aufs Tiefſte empörte.
Daß Hardenberg an alle Märchen der Demagogenjäger geglaubt haben ſollte, ſcheint undenkbar. Der alte Herr zeigte auch jetzt noch zu- weilen ſein dankbares Herz, unterſtützte die Frau des unglücklichen Jahn, dem während ſeiner langen Haft zwei Kinder ſtarben, und ſchrieb freund- ſchaftlich an Dorow: er möge nur getroſt ſeine Geheimniſſe aufdecken, dann werde ſeine Unſchuld ſchon an den Tag kommen. Doch findet ſich ſelbſt in Hardenbergs vertrauten Briefen kein Wort des Bedauerns oder des Zweifels, vielmehr eine Menge ſcharfer Aeußerungen gegen die Ruch- loſigkeit der Demagogen. Auch er war durch Wittgenſtein, den er ja für ſeinen treuen Freund anſah, überzeugt worden, er glaubte an eine ſchwere Staatsgefahr, wenngleich er nicht jeden Schritt der Verfolger billigen mochte; und es iſt nicht richtig was ſeine Panegyriker Benzenberg und B. Conſtant ſpäterhin behaupteten, daß er ſich nur zum Scheine an die Spitze der reaktionären Partei geſtellt habe. Seine Verfaſſungspläne hielt er noch immer feſt, aber ſie konnten nur verwirklicht werden, wenn der König über die Sicherheit des Staates vollſtändig beruhigt war.
Die älteren Männer unter den Verfolgten ertrugen ihr Geſchick mit einer ruhigen Würde, welche allein ſchon den Ungrund der Verdächtigung hätte darthun können. Weder Arndt noch F. G. Welcker und Mühlen- fels ließen ſich durch die erlittene Unbill jemals in ihrer monarchiſchen Geſinnung, ihrer preußiſchen Treue beirren; mit unverwüſtlicher Tapferkeit predigte Reimer, aller Kränkungen ungeachtet, ſeinem krankhaft verſtimmten Freunde Niebuhr Muth und Vertrauen.*) Nur der heißblütige Karl Theodor Welcker, ein unbedingter Bewunderer des Repräſentativſyſtems, der ſchon beim Zuſammentritt des Wiener Congreſſes in einer Rede über „Deutſchlands Freiheit“ ein deutſches Parlament gefordert hatte, bildete ſich nach ſolchen Erfahrungen, menſchlich genug, ein gehäſſiges Urtheil über den preußiſchen Staat, das bei den Liberalen des Südweſtens nur zu williges Gehör fand. Von den Jüngeren dagegen wurden viele erſt durch die Verfolgung dem Radikalismus zugetrieben, manche in der Blüthe
*) Den Briefwechſel von G. A. Reimer und Niebuhr habe ich mitgetheilt in den Preuß. Jahrbüchern, Auguſt 1876.
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Arndt und die Brüder Welcker.
einen Schelm und Verräther, als einen feigen Knecht, der das Unrecht
Recht nennt, ſollen ſie mich wahrlich nicht finden.“ Noch zwei Jahr-
zehnte hindurch ſollte er unter einer Ungerechtigkeit leiden, die von allen
Sünden dieſer Demagogenjagd die häßlichſte bleibt. Bald wagte ſich der
Spüreifer der Werkzeuge Kamptz’s ſelbſt an die Vertrauten des Staats-
kanzlers. Der unaufhaltſame Grano erſchien ſelber am Rhein um
Dorows Papiere zu durchſuchen. Auch Juſtus Gruner, der tödlich er-
krankt in Wiesbaden Heilung ſuchte, empfing den Beſuch des Spürers
und ſah die letzten Tage ſeines kurzen Lebens durch eine Kränkung ge-
trübt, die den leidenſchaftlichen Mann aufs Tiefſte empörte.
Daß Hardenberg an alle Märchen der Demagogenjäger geglaubt
haben ſollte, ſcheint undenkbar. Der alte Herr zeigte auch jetzt noch zu-
weilen ſein dankbares Herz, unterſtützte die Frau des unglücklichen Jahn,
dem während ſeiner langen Haft zwei Kinder ſtarben, und ſchrieb freund-
ſchaftlich an Dorow: er möge nur getroſt ſeine Geheimniſſe aufdecken,
dann werde ſeine Unſchuld ſchon an den Tag kommen. Doch findet ſich
ſelbſt in Hardenbergs vertrauten Briefen kein Wort des Bedauerns oder
des Zweifels, vielmehr eine Menge ſcharfer Aeußerungen gegen die Ruch-
loſigkeit der Demagogen. Auch er war durch Wittgenſtein, den er ja für
ſeinen treuen Freund anſah, überzeugt worden, er glaubte an eine ſchwere
Staatsgefahr, wenngleich er nicht jeden Schritt der Verfolger billigen
mochte; und es iſt nicht richtig was ſeine Panegyriker Benzenberg und
B. Conſtant ſpäterhin behaupteten, daß er ſich nur zum Scheine an die
Spitze der reaktionären Partei geſtellt habe. Seine Verfaſſungspläne hielt
er noch immer feſt, aber ſie konnten nur verwirklicht werden, wenn der
König über die Sicherheit des Staates vollſtändig beruhigt war.
Die älteren Männer unter den Verfolgten ertrugen ihr Geſchick mit
einer ruhigen Würde, welche allein ſchon den Ungrund der Verdächtigung
hätte darthun können. Weder Arndt noch F. G. Welcker und Mühlen-
fels ließen ſich durch die erlittene Unbill jemals in ihrer monarchiſchen
Geſinnung, ihrer preußiſchen Treue beirren; mit unverwüſtlicher Tapferkeit
predigte Reimer, aller Kränkungen ungeachtet, ſeinem krankhaft verſtimmten
Freunde Niebuhr Muth und Vertrauen. *) Nur der heißblütige Karl
Theodor Welcker, ein unbedingter Bewunderer des Repräſentativſyſtems,
der ſchon beim Zuſammentritt des Wiener Congreſſes in einer Rede über
„Deutſchlands Freiheit“ ein deutſches Parlament gefordert hatte, bildete
ſich nach ſolchen Erfahrungen, menſchlich genug, ein gehäſſiges Urtheil
über den preußiſchen Staat, das bei den Liberalen des Südweſtens nur
zu williges Gehör fand. Von den Jüngeren dagegen wurden viele erſt
durch die Verfolgung dem Radikalismus zugetrieben, manche in der Blüthe
*) Den Briefwechſel von G. A. Reimer und Niebuhr habe ich mitgetheilt in den
Preuß. Jahrbüchern, Auguſt 1876.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/557>, abgerufen am 16.07.2024.
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