trotz der so brünstig betheuerten Unterwürfigkeit gegen das Haus Oester- reich, als ein neuer Beweis demagogischer Gesinnung übel vermerkt wurde. Vor diesen kleinen Genossen hatten die neun verschworenen Höfe sich nicht zu scheuen, und triumphirend verkündete Gentz seinem Freunde Pilat, als Metternich in Karlsbad anlangte: ein ungeheurer Moment in der deut- schen Geschichte sei eingetreten! --
Mittlerweile, im Laufe des Juli, erfolgten in Berlin und Bonn die ersten Verhaftungen und Haussuchungen; am 13. erstattete Geh. Rath Kamptz dem Staatskanzler Bericht über das Ergebniß.*) Plump und roh, mit frevelhafter Leichtfertigkeit hatte er seine Meute gegen Alle losge- lassen, die nur möglicherweise in einer entfernten Beziehung zu der Burschen- schaft stehen konnten. Und doch blieb die Zahl der verhafteten namhaften Männer sehr gering; denn Metternich log mit Bewußtsein, wenn er Preußen als die Brutstätte der revolutionären Pläne bezeichnete. Gerade die preußischen Universitäten waren an der teutonischen Bewegung nur wenig betheiligt. Was der Oesterreicher mit seinem preußischen Anhang verfolgte, war nicht die revolutionäre Gesinnung, sondern der deutsche Nationalstolz, und dieser fand allerdings an Preußens Volk, Heer und Beamtenthum den stärksten Rückhalt. In Berlin war Jahn das erste Opfer; er wurde nach Spandau, dann nach Küstrin auf die Festung ge- bracht und hatte einen schweren Stand, weil sich in den Papieren der verhafteten Studenten und Schüler die "Goldsprüchlein" sowie andere närrische, für ängstliche Subalternbeamte hochbedenkliche Herzensergüsse des Turnvaters vorfanden.
Da der Staat in Gefahr sein sollte, so galt das Erbrechen, das Perlustriren der Briefe, wie der amtliche Ausdruck lautete, für erlaubt. Eine ganze Schaar junger Leute ward monatelang wegen einzelner thö- richten oder auch ganz harmlosen brieflichen Aeußerungen von einem Verhör in das andere geschleppt. So mußten die beiden Schweizer Studenten Ulrich und v. Wyß eine lange Untersuchung aushalten, weil sich in einem ihrer Briefe die Bemerkung fand, Sands That werde der guten Sache schaden. Unter der guten Sache konnte ja nur eine de- magogische Verschwörung gemeint sein; auf die Frage der Angeklagten, was man denn eigentlich unter "demagogisch" verstehe, gab der Untersuchungs- richter, ein blutjunger Referendar, die Antwort: demagogisch heißt jedes gewaltsame Hervorrufen einer Verfassung. Auch einer der angesehensten Bürger Berlins, der Buchhändler G. A. Reimer, ein Geschäftsmann großen Stils, kühn im Wagen und klug im Rechnen, einer der ersten Vertreter der wiedererwachenden wirthschaftlichen Thatkraft des deutschen Bürgerthums, mußte eine Haussuchung über sich ergehen lassen, weil er mit Niebuhr, Eichhorn, Schleiermacher nahe befreundet war und die
*) Hardenbergs Tagebuch, 13. Juli 1819.
II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
trotz der ſo brünſtig betheuerten Unterwürfigkeit gegen das Haus Oeſter- reich, als ein neuer Beweis demagogiſcher Geſinnung übel vermerkt wurde. Vor dieſen kleinen Genoſſen hatten die neun verſchworenen Höfe ſich nicht zu ſcheuen, und triumphirend verkündete Gentz ſeinem Freunde Pilat, als Metternich in Karlsbad anlangte: ein ungeheurer Moment in der deut- ſchen Geſchichte ſei eingetreten! —
Mittlerweile, im Laufe des Juli, erfolgten in Berlin und Bonn die erſten Verhaftungen und Hausſuchungen; am 13. erſtattete Geh. Rath Kamptz dem Staatskanzler Bericht über das Ergebniß.*) Plump und roh, mit frevelhafter Leichtfertigkeit hatte er ſeine Meute gegen Alle losge- laſſen, die nur möglicherweiſe in einer entfernten Beziehung zu der Burſchen- ſchaft ſtehen konnten. Und doch blieb die Zahl der verhafteten namhaften Männer ſehr gering; denn Metternich log mit Bewußtſein, wenn er Preußen als die Brutſtätte der revolutionären Pläne bezeichnete. Gerade die preußiſchen Univerſitäten waren an der teutoniſchen Bewegung nur wenig betheiligt. Was der Oeſterreicher mit ſeinem preußiſchen Anhang verfolgte, war nicht die revolutionäre Geſinnung, ſondern der deutſche Nationalſtolz, und dieſer fand allerdings an Preußens Volk, Heer und Beamtenthum den ſtärkſten Rückhalt. In Berlin war Jahn das erſte Opfer; er wurde nach Spandau, dann nach Küſtrin auf die Feſtung ge- bracht und hatte einen ſchweren Stand, weil ſich in den Papieren der verhafteten Studenten und Schüler die „Goldſprüchlein“ ſowie andere närriſche, für ängſtliche Subalternbeamte hochbedenkliche Herzensergüſſe des Turnvaters vorfanden.
Da der Staat in Gefahr ſein ſollte, ſo galt das Erbrechen, das Perluſtriren der Briefe, wie der amtliche Ausdruck lautete, für erlaubt. Eine ganze Schaar junger Leute ward monatelang wegen einzelner thö- richten oder auch ganz harmloſen brieflichen Aeußerungen von einem Verhör in das andere geſchleppt. So mußten die beiden Schweizer Studenten Ulrich und v. Wyß eine lange Unterſuchung aushalten, weil ſich in einem ihrer Briefe die Bemerkung fand, Sands That werde der guten Sache ſchaden. Unter der guten Sache konnte ja nur eine de- magogiſche Verſchwörung gemeint ſein; auf die Frage der Angeklagten, was man denn eigentlich unter „demagogiſch“ verſtehe, gab der Unterſuchungs- richter, ein blutjunger Referendar, die Antwort: demagogiſch heißt jedes gewaltſame Hervorrufen einer Verfaſſung. Auch einer der angeſehenſten Bürger Berlins, der Buchhändler G. A. Reimer, ein Geſchäftsmann großen Stils, kühn im Wagen und klug im Rechnen, einer der erſten Vertreter der wiedererwachenden wirthſchaftlichen Thatkraft des deutſchen Bürgerthums, mußte eine Hausſuchung über ſich ergehen laſſen, weil er mit Niebuhr, Eichhorn, Schleiermacher nahe befreundet war und die
*) Hardenbergs Tagebuch, 13. Juli 1819.
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reich, als ein neuer Beweis demagogiſcher Geſinnung übel vermerkt wurde.
Vor dieſen kleinen Genoſſen hatten die neun verſchworenen Höfe ſich nicht
zu ſcheuen, und triumphirend verkündete Gentz ſeinem Freunde Pilat, als
Metternich in Karlsbad anlangte: ein ungeheurer Moment in der deut-
ſchen Geſchichte ſei eingetreten! —
Mittlerweile, im Laufe des Juli, erfolgten in Berlin und Bonn die
erſten Verhaftungen und Hausſuchungen; am 13. erſtattete Geh. Rath
Kamptz dem Staatskanzler Bericht über das Ergebniß. *) Plump und roh,
mit frevelhafter Leichtfertigkeit hatte er ſeine Meute gegen Alle losge-
laſſen, die nur möglicherweiſe in einer entfernten Beziehung zu der Burſchen-
ſchaft ſtehen konnten. Und doch blieb die Zahl der verhafteten namhaften
Männer ſehr gering; denn Metternich log mit Bewußtſein, wenn er
Preußen als die Brutſtätte der revolutionären Pläne bezeichnete. Gerade
die preußiſchen Univerſitäten waren an der teutoniſchen Bewegung nur
wenig betheiligt. Was der Oeſterreicher mit ſeinem preußiſchen Anhang
verfolgte, war nicht die revolutionäre Geſinnung, ſondern der deutſche
Nationalſtolz, und dieſer fand allerdings an Preußens Volk, Heer und
Beamtenthum den ſtärkſten Rückhalt. In Berlin war Jahn das erſte
Opfer; er wurde nach Spandau, dann nach Küſtrin auf die Feſtung ge-
bracht und hatte einen ſchweren Stand, weil ſich in den Papieren der
verhafteten Studenten und Schüler die „Goldſprüchlein“ ſowie andere
närriſche, für ängſtliche Subalternbeamte hochbedenkliche Herzensergüſſe
des Turnvaters vorfanden.
Da der Staat in Gefahr ſein ſollte, ſo galt das Erbrechen, das
Perluſtriren der Briefe, wie der amtliche Ausdruck lautete, für erlaubt.
Eine ganze Schaar junger Leute ward monatelang wegen einzelner thö-
richten oder auch ganz harmloſen brieflichen Aeußerungen von einem
Verhör in das andere geſchleppt. So mußten die beiden Schweizer
Studenten Ulrich und v. Wyß eine lange Unterſuchung aushalten, weil
ſich in einem ihrer Briefe die Bemerkung fand, Sands That werde
der guten Sache ſchaden. Unter der guten Sache konnte ja nur eine de-
magogiſche Verſchwörung gemeint ſein; auf die Frage der Angeklagten, was
man denn eigentlich unter „demagogiſch“ verſtehe, gab der Unterſuchungs-
richter, ein blutjunger Referendar, die Antwort: demagogiſch heißt jedes
gewaltſame Hervorrufen einer Verfaſſung. Auch einer der angeſehenſten
Bürger Berlins, der Buchhändler G. A. Reimer, ein Geſchäftsmann
großen Stils, kühn im Wagen und klug im Rechnen, einer der erſten
Vertreter der wiedererwachenden wirthſchaftlichen Thatkraft des deutſchen
Bürgerthums, mußte eine Hausſuchung über ſich ergehen laſſen, weil er
mit Niebuhr, Eichhorn, Schleiermacher nahe befreundet war und die
*) Hardenbergs Tagebuch, 13. Juli 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/554>, abgerufen am 25.11.2024.
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