Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
trotz der so brünstig betheuerten Unterwürfigkeit gegen das Haus Oester-
reich, als ein neuer Beweis demagogischer Gesinnung übel vermerkt wurde.
Vor diesen kleinen Genossen hatten die neun verschworenen Höfe sich nicht
zu scheuen, und triumphirend verkündete Gentz seinem Freunde Pilat, als
Metternich in Karlsbad anlangte: ein ungeheurer Moment in der deut-
schen Geschichte sei eingetreten! --

Mittlerweile, im Laufe des Juli, erfolgten in Berlin und Bonn die
ersten Verhaftungen und Haussuchungen; am 13. erstattete Geh. Rath
Kamptz dem Staatskanzler Bericht über das Ergebniß.*) Plump und roh,
mit frevelhafter Leichtfertigkeit hatte er seine Meute gegen Alle losge-
lassen, die nur möglicherweise in einer entfernten Beziehung zu der Burschen-
schaft stehen konnten. Und doch blieb die Zahl der verhafteten namhaften
Männer sehr gering; denn Metternich log mit Bewußtsein, wenn er
Preußen als die Brutstätte der revolutionären Pläne bezeichnete. Gerade
die preußischen Universitäten waren an der teutonischen Bewegung nur
wenig betheiligt. Was der Oesterreicher mit seinem preußischen Anhang
verfolgte, war nicht die revolutionäre Gesinnung, sondern der deutsche
Nationalstolz, und dieser fand allerdings an Preußens Volk, Heer und
Beamtenthum den stärksten Rückhalt. In Berlin war Jahn das erste
Opfer; er wurde nach Spandau, dann nach Küstrin auf die Festung ge-
bracht und hatte einen schweren Stand, weil sich in den Papieren der
verhafteten Studenten und Schüler die "Goldsprüchlein" sowie andere
närrische, für ängstliche Subalternbeamte hochbedenkliche Herzensergüsse
des Turnvaters vorfanden.

Da der Staat in Gefahr sein sollte, so galt das Erbrechen, das
Perlustriren der Briefe, wie der amtliche Ausdruck lautete, für erlaubt.
Eine ganze Schaar junger Leute ward monatelang wegen einzelner thö-
richten oder auch ganz harmlosen brieflichen Aeußerungen von einem
Verhör in das andere geschleppt. So mußten die beiden Schweizer
Studenten Ulrich und v. Wyß eine lange Untersuchung aushalten, weil
sich in einem ihrer Briefe die Bemerkung fand, Sands That werde
der guten Sache schaden. Unter der guten Sache konnte ja nur eine de-
magogische Verschwörung gemeint sein; auf die Frage der Angeklagten, was
man denn eigentlich unter "demagogisch" verstehe, gab der Untersuchungs-
richter, ein blutjunger Referendar, die Antwort: demagogisch heißt jedes
gewaltsame Hervorrufen einer Verfassung. Auch einer der angesehensten
Bürger Berlins, der Buchhändler G. A. Reimer, ein Geschäftsmann
großen Stils, kühn im Wagen und klug im Rechnen, einer der ersten
Vertreter der wiedererwachenden wirthschaftlichen Thatkraft des deutschen
Bürgerthums, mußte eine Haussuchung über sich ergehen lassen, weil er
mit Niebuhr, Eichhorn, Schleiermacher nahe befreundet war und die

*) Hardenbergs Tagebuch, 13. Juli 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
trotz der ſo brünſtig betheuerten Unterwürfigkeit gegen das Haus Oeſter-
reich, als ein neuer Beweis demagogiſcher Geſinnung übel vermerkt wurde.
Vor dieſen kleinen Genoſſen hatten die neun verſchworenen Höfe ſich nicht
zu ſcheuen, und triumphirend verkündete Gentz ſeinem Freunde Pilat, als
Metternich in Karlsbad anlangte: ein ungeheurer Moment in der deut-
ſchen Geſchichte ſei eingetreten! —

Mittlerweile, im Laufe des Juli, erfolgten in Berlin und Bonn die
erſten Verhaftungen und Hausſuchungen; am 13. erſtattete Geh. Rath
Kamptz dem Staatskanzler Bericht über das Ergebniß.*) Plump und roh,
mit frevelhafter Leichtfertigkeit hatte er ſeine Meute gegen Alle losge-
laſſen, die nur möglicherweiſe in einer entfernten Beziehung zu der Burſchen-
ſchaft ſtehen konnten. Und doch blieb die Zahl der verhafteten namhaften
Männer ſehr gering; denn Metternich log mit Bewußtſein, wenn er
Preußen als die Brutſtätte der revolutionären Pläne bezeichnete. Gerade
die preußiſchen Univerſitäten waren an der teutoniſchen Bewegung nur
wenig betheiligt. Was der Oeſterreicher mit ſeinem preußiſchen Anhang
verfolgte, war nicht die revolutionäre Geſinnung, ſondern der deutſche
Nationalſtolz, und dieſer fand allerdings an Preußens Volk, Heer und
Beamtenthum den ſtärkſten Rückhalt. In Berlin war Jahn das erſte
Opfer; er wurde nach Spandau, dann nach Küſtrin auf die Feſtung ge-
bracht und hatte einen ſchweren Stand, weil ſich in den Papieren der
verhafteten Studenten und Schüler die „Goldſprüchlein“ ſowie andere
närriſche, für ängſtliche Subalternbeamte hochbedenkliche Herzensergüſſe
des Turnvaters vorfanden.

Da der Staat in Gefahr ſein ſollte, ſo galt das Erbrechen, das
Perluſtriren der Briefe, wie der amtliche Ausdruck lautete, für erlaubt.
Eine ganze Schaar junger Leute ward monatelang wegen einzelner thö-
richten oder auch ganz harmloſen brieflichen Aeußerungen von einem
Verhör in das andere geſchleppt. So mußten die beiden Schweizer
Studenten Ulrich und v. Wyß eine lange Unterſuchung aushalten, weil
ſich in einem ihrer Briefe die Bemerkung fand, Sands That werde
der guten Sache ſchaden. Unter der guten Sache konnte ja nur eine de-
magogiſche Verſchwörung gemeint ſein; auf die Frage der Angeklagten, was
man denn eigentlich unter „demagogiſch“ verſtehe, gab der Unterſuchungs-
richter, ein blutjunger Referendar, die Antwort: demagogiſch heißt jedes
gewaltſame Hervorrufen einer Verfaſſung. Auch einer der angeſehenſten
Bürger Berlins, der Buchhändler G. A. Reimer, ein Geſchäftsmann
großen Stils, kühn im Wagen und klug im Rechnen, einer der erſten
Vertreter der wiedererwachenden wirthſchaftlichen Thatkraft des deutſchen
Bürgerthums, mußte eine Hausſuchung über ſich ergehen laſſen, weil er
mit Niebuhr, Eichhorn, Schleiermacher nahe befreundet war und die

*) Hardenbergs Tagebuch, 13. Juli 1819.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0554" n="540"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 9. Die Karlsbader Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e.</fw><lb/>
trotz der &#x017F;o brün&#x017F;tig betheuerten Unterwürfigkeit gegen das Haus Oe&#x017F;ter-<lb/>
reich, als ein neuer Beweis demagogi&#x017F;cher Ge&#x017F;innung übel vermerkt wurde.<lb/>
Vor die&#x017F;en kleinen Geno&#x017F;&#x017F;en hatten die neun ver&#x017F;chworenen Höfe &#x017F;ich nicht<lb/>
zu &#x017F;cheuen, und triumphirend verkündete Gentz &#x017F;einem Freunde Pilat, als<lb/>
Metternich in Karlsbad anlangte: ein ungeheurer Moment in der deut-<lb/>
&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte &#x017F;ei eingetreten! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Mittlerweile, im Laufe des Juli, erfolgten in Berlin und Bonn die<lb/>
er&#x017F;ten Verhaftungen und Haus&#x017F;uchungen; am 13. er&#x017F;tattete Geh. Rath<lb/>
Kamptz dem Staatskanzler Bericht über das Ergebniß.<note place="foot" n="*)">Hardenbergs Tagebuch, 13. Juli 1819.</note> Plump und roh,<lb/>
mit frevelhafter Leichtfertigkeit hatte er &#x017F;eine Meute gegen Alle losge-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, die nur möglicherwei&#x017F;e in einer entfernten Beziehung zu der Bur&#x017F;chen-<lb/>
&#x017F;chaft &#x017F;tehen konnten. Und doch blieb die Zahl der verhafteten namhaften<lb/>
Männer &#x017F;ehr gering; denn Metternich log mit Bewußt&#x017F;ein, wenn er<lb/>
Preußen als die Brut&#x017F;tätte der revolutionären Pläne bezeichnete. Gerade<lb/>
die preußi&#x017F;chen Univer&#x017F;itäten waren an der teutoni&#x017F;chen Bewegung nur<lb/>
wenig betheiligt. Was der Oe&#x017F;terreicher mit &#x017F;einem preußi&#x017F;chen Anhang<lb/>
verfolgte, war nicht die revolutionäre Ge&#x017F;innung, &#x017F;ondern der deut&#x017F;che<lb/>
National&#x017F;tolz, und die&#x017F;er fand allerdings an Preußens Volk, Heer und<lb/>
Beamtenthum den &#x017F;tärk&#x017F;ten Rückhalt. In Berlin war Jahn das er&#x017F;te<lb/>
Opfer; er wurde nach Spandau, dann nach Kü&#x017F;trin auf die Fe&#x017F;tung ge-<lb/>
bracht und hatte einen &#x017F;chweren Stand, weil &#x017F;ich in den Papieren der<lb/>
verhafteten Studenten und Schüler die &#x201E;Gold&#x017F;prüchlein&#x201C; &#x017F;owie andere<lb/>
närri&#x017F;che, für äng&#x017F;tliche Subalternbeamte hochbedenkliche Herzensergü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
des Turnvaters vorfanden.</p><lb/>
          <p>Da der Staat in Gefahr &#x017F;ein &#x017F;ollte, &#x017F;o galt das Erbrechen, das<lb/>
Perlu&#x017F;triren der Briefe, wie der amtliche Ausdruck lautete, für erlaubt.<lb/>
Eine ganze Schaar junger Leute ward monatelang wegen einzelner thö-<lb/>
richten oder auch ganz harmlo&#x017F;en brieflichen Aeußerungen von einem<lb/>
Verhör in das andere ge&#x017F;chleppt. So mußten die beiden Schweizer<lb/>
Studenten Ulrich und v. Wyß eine lange Unter&#x017F;uchung aushalten, weil<lb/>
&#x017F;ich in einem ihrer Briefe die Bemerkung fand, Sands That werde<lb/>
der guten Sache &#x017F;chaden. Unter der guten Sache konnte ja nur eine de-<lb/>
magogi&#x017F;che Ver&#x017F;chwörung gemeint &#x017F;ein; auf die Frage der Angeklagten, was<lb/>
man denn eigentlich unter &#x201E;demagogi&#x017F;ch&#x201C; ver&#x017F;tehe, gab der Unter&#x017F;uchungs-<lb/>
richter, ein blutjunger Referendar, die Antwort: demagogi&#x017F;ch heißt jedes<lb/>
gewalt&#x017F;ame Hervorrufen einer Verfa&#x017F;&#x017F;ung. Auch einer der ange&#x017F;ehen&#x017F;ten<lb/>
Bürger Berlins, der Buchhändler G. A. Reimer, ein Ge&#x017F;chäftsmann<lb/>
großen Stils, kühn im Wagen und klug im Rechnen, einer der er&#x017F;ten<lb/>
Vertreter der wiedererwachenden wirth&#x017F;chaftlichen Thatkraft des deut&#x017F;chen<lb/>
Bürgerthums, mußte eine Haus&#x017F;uchung über &#x017F;ich ergehen la&#x017F;&#x017F;en, weil er<lb/>
mit Niebuhr, Eichhorn, Schleiermacher nahe befreundet war und die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[540/0554] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. trotz der ſo brünſtig betheuerten Unterwürfigkeit gegen das Haus Oeſter- reich, als ein neuer Beweis demagogiſcher Geſinnung übel vermerkt wurde. Vor dieſen kleinen Genoſſen hatten die neun verſchworenen Höfe ſich nicht zu ſcheuen, und triumphirend verkündete Gentz ſeinem Freunde Pilat, als Metternich in Karlsbad anlangte: ein ungeheurer Moment in der deut- ſchen Geſchichte ſei eingetreten! — Mittlerweile, im Laufe des Juli, erfolgten in Berlin und Bonn die erſten Verhaftungen und Hausſuchungen; am 13. erſtattete Geh. Rath Kamptz dem Staatskanzler Bericht über das Ergebniß. *) Plump und roh, mit frevelhafter Leichtfertigkeit hatte er ſeine Meute gegen Alle losge- laſſen, die nur möglicherweiſe in einer entfernten Beziehung zu der Burſchen- ſchaft ſtehen konnten. Und doch blieb die Zahl der verhafteten namhaften Männer ſehr gering; denn Metternich log mit Bewußtſein, wenn er Preußen als die Brutſtätte der revolutionären Pläne bezeichnete. Gerade die preußiſchen Univerſitäten waren an der teutoniſchen Bewegung nur wenig betheiligt. Was der Oeſterreicher mit ſeinem preußiſchen Anhang verfolgte, war nicht die revolutionäre Geſinnung, ſondern der deutſche Nationalſtolz, und dieſer fand allerdings an Preußens Volk, Heer und Beamtenthum den ſtärkſten Rückhalt. In Berlin war Jahn das erſte Opfer; er wurde nach Spandau, dann nach Küſtrin auf die Feſtung ge- bracht und hatte einen ſchweren Stand, weil ſich in den Papieren der verhafteten Studenten und Schüler die „Goldſprüchlein“ ſowie andere närriſche, für ängſtliche Subalternbeamte hochbedenkliche Herzensergüſſe des Turnvaters vorfanden. Da der Staat in Gefahr ſein ſollte, ſo galt das Erbrechen, das Perluſtriren der Briefe, wie der amtliche Ausdruck lautete, für erlaubt. Eine ganze Schaar junger Leute ward monatelang wegen einzelner thö- richten oder auch ganz harmloſen brieflichen Aeußerungen von einem Verhör in das andere geſchleppt. So mußten die beiden Schweizer Studenten Ulrich und v. Wyß eine lange Unterſuchung aushalten, weil ſich in einem ihrer Briefe die Bemerkung fand, Sands That werde der guten Sache ſchaden. Unter der guten Sache konnte ja nur eine de- magogiſche Verſchwörung gemeint ſein; auf die Frage der Angeklagten, was man denn eigentlich unter „demagogiſch“ verſtehe, gab der Unterſuchungs- richter, ein blutjunger Referendar, die Antwort: demagogiſch heißt jedes gewaltſame Hervorrufen einer Verfaſſung. Auch einer der angeſehenſten Bürger Berlins, der Buchhändler G. A. Reimer, ein Geſchäftsmann großen Stils, kühn im Wagen und klug im Rechnen, einer der erſten Vertreter der wiedererwachenden wirthſchaftlichen Thatkraft des deutſchen Bürgerthums, mußte eine Hausſuchung über ſich ergehen laſſen, weil er mit Niebuhr, Eichhorn, Schleiermacher nahe befreundet war und die *) Hardenbergs Tagebuch, 13. Juli 1819.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/554
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/554>, abgerufen am 25.11.2024.