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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
hochwillkommenen Anlaß boten. Hatten die Liberalen den Art. 13 ge-
wissenlos als eine Verheißung des Repräsentativsystems mißdeutet, so war
Gentz rasch bei der Hand mit der entgegengesetzten Sophisterei, die min-
destens ebenso wohlbegründet schien. Die landständischen Verfassungen
des Art. 13 bedeuteten eben Stände, nichts Anderes; wollten die deutschen
Staaten, so schrieb er dem Hospodar Soutzo, sich dem demokratischen Re-
präsentativsystem ergeben, dann gehe jede foederative Einheit in die Brüche,
und Oesterreich würde es unter seiner Würde finden, an einem solchen
Bunde noch länger theilzunehmen. Im tiefsten Geheimniß wurden unterdeß,
außer Preußen, die kleinen Königreiche, sowie die für besonders zuverlässig
geltenden Höfe von Baden, Mecklenburg und Nassau eingeladen, ihre
leitenden Minister im Juli nach Karlsbad zu senden; alle erklärten sich
mit Freuden bereit. Die übrigen Regierungen würdigte man keiner Mit-
theilung, die einen weil Eile noth that und nur ein kleiner Kreis rasche
Beschlüsse fassen konnte, die anderen weil Kaiser Franz ihnen mißtraute.

Für den Großherzog von Weimar war am Wiener Hofe kein Wort
mehr schlecht genug. Der Mäcenas der deutschen Schöngeister, höhnte man
dort, sei jetzt zum Protector der deutschen Meuchelmörder geworden; ein-
zelne Heißsporne erinnerten bereits an das Schicksal Johann Friedrichs.
Der tapfere Fürst hielt aus so lange es anging; er dachte in diesem Frühe
jahr sogar daran, den gefürchteten Gagern zu seinem Bundesgesandten
zu ernennen, was ihm General Wolzogen noch glücklich ausredete.*)
Mittlerweile kamen ernste Mahnungen aus Rußland, offenbare Drohungen
aus Oesterreich. Auf der Reise nach Karlsbad erklärte Metternich einem
Staatsmanne der kleinen Höfe rund heraus: der einzige Rechtsgrund für
den Bestand der kleinen Bundesstaaten sei die Bundesakte, nur als
Bundesglieder hätten sie die Anerkennung der europäischen Mächte erhalten,
durch Felonie gegen den Bund würden sie ihr Dasein verwirken. So
gewiß diese frivole Rechtsansicht dem völkerrechtlichen Charakter des deutschen
Staatenbundes, der so oft und feierlich anerkannten Souveränität aller
deutschen Fürsten ins Gesicht schlug: Karl August wußte wohl, was er
von seiner Souveränität zu halten hatte, er war der Thor nicht, mit dem
papierenen Schwerte eines Bundesverfassungsparagraphen den Macht-
kampf gegen den erklärten Willen aller größeren Bundesstaaten aufzu-
nehmen. Noch einmal, am Abend seines Lebens bekam er die Lüge der
Kleinstaaterei, die ihn sein Tagelang gepeinigt, schwer zu empfinden; er
mußte schweigend hinnehmen, was er nicht hindern konnte und behielt sich
nur im Stillen vor, die Karlsbader Beschlüsse so mild als möglich aus-
zuführen. Nächst Weimar war die Curie der freien Städte dem Wiener
Hofe hochverdächtig; die ehrenfesten altväterischen Senate der vier Com-
munen verdankten diesen unverdienten Ruf dem wackeren bremischen

*) Goltz's Bericht, 25. Mai 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
hochwillkommenen Anlaß boten. Hatten die Liberalen den Art. 13 ge-
wiſſenlos als eine Verheißung des Repräſentativſyſtems mißdeutet, ſo war
Gentz raſch bei der Hand mit der entgegengeſetzten Sophiſterei, die min-
deſtens ebenſo wohlbegründet ſchien. Die landſtändiſchen Verfaſſungen
des Art. 13 bedeuteten eben Stände, nichts Anderes; wollten die deutſchen
Staaten, ſo ſchrieb er dem Hospodar Soutzo, ſich dem demokratiſchen Re-
präſentativſyſtem ergeben, dann gehe jede foederative Einheit in die Brüche,
und Oeſterreich würde es unter ſeiner Würde finden, an einem ſolchen
Bunde noch länger theilzunehmen. Im tiefſten Geheimniß wurden unterdeß,
außer Preußen, die kleinen Königreiche, ſowie die für beſonders zuverläſſig
geltenden Höfe von Baden, Mecklenburg und Naſſau eingeladen, ihre
leitenden Miniſter im Juli nach Karlsbad zu ſenden; alle erklärten ſich
mit Freuden bereit. Die übrigen Regierungen würdigte man keiner Mit-
theilung, die einen weil Eile noth that und nur ein kleiner Kreis raſche
Beſchlüſſe faſſen konnte, die anderen weil Kaiſer Franz ihnen mißtraute.

Für den Großherzog von Weimar war am Wiener Hofe kein Wort
mehr ſchlecht genug. Der Mäcenas der deutſchen Schöngeiſter, höhnte man
dort, ſei jetzt zum Protector der deutſchen Meuchelmörder geworden; ein-
zelne Heißſporne erinnerten bereits an das Schickſal Johann Friedrichs.
Der tapfere Fürſt hielt aus ſo lange es anging; er dachte in dieſem Frühe
jahr ſogar daran, den gefürchteten Gagern zu ſeinem Bundesgeſandten
zu ernennen, was ihm General Wolzogen noch glücklich ausredete.*)
Mittlerweile kamen ernſte Mahnungen aus Rußland, offenbare Drohungen
aus Oeſterreich. Auf der Reiſe nach Karlsbad erklärte Metternich einem
Staatsmanne der kleinen Höfe rund heraus: der einzige Rechtsgrund für
den Beſtand der kleinen Bundesſtaaten ſei die Bundesakte, nur als
Bundesglieder hätten ſie die Anerkennung der europäiſchen Mächte erhalten,
durch Felonie gegen den Bund würden ſie ihr Daſein verwirken. So
gewiß dieſe frivole Rechtsanſicht dem völkerrechtlichen Charakter des deutſchen
Staatenbundes, der ſo oft und feierlich anerkannten Souveränität aller
deutſchen Fürſten ins Geſicht ſchlug: Karl Auguſt wußte wohl, was er
von ſeiner Souveränität zu halten hatte, er war der Thor nicht, mit dem
papierenen Schwerte eines Bundesverfaſſungsparagraphen den Macht-
kampf gegen den erklärten Willen aller größeren Bundesſtaaten aufzu-
nehmen. Noch einmal, am Abend ſeines Lebens bekam er die Lüge der
Kleinſtaaterei, die ihn ſein Tagelang gepeinigt, ſchwer zu empfinden; er
mußte ſchweigend hinnehmen, was er nicht hindern konnte und behielt ſich
nur im Stillen vor, die Karlsbader Beſchlüſſe ſo mild als möglich aus-
zuführen. Nächſt Weimar war die Curie der freien Städte dem Wiener
Hofe hochverdächtig; die ehrenfeſten altväteriſchen Senate der vier Com-
munen verdankten dieſen unverdienten Ruf dem wackeren bremiſchen

*) Goltz’s Bericht, 25. Mai 1819.
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[538/0552] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. hochwillkommenen Anlaß boten. Hatten die Liberalen den Art. 13 ge- wiſſenlos als eine Verheißung des Repräſentativſyſtems mißdeutet, ſo war Gentz raſch bei der Hand mit der entgegengeſetzten Sophiſterei, die min- deſtens ebenſo wohlbegründet ſchien. Die landſtändiſchen Verfaſſungen des Art. 13 bedeuteten eben Stände, nichts Anderes; wollten die deutſchen Staaten, ſo ſchrieb er dem Hospodar Soutzo, ſich dem demokratiſchen Re- präſentativſyſtem ergeben, dann gehe jede foederative Einheit in die Brüche, und Oeſterreich würde es unter ſeiner Würde finden, an einem ſolchen Bunde noch länger theilzunehmen. Im tiefſten Geheimniß wurden unterdeß, außer Preußen, die kleinen Königreiche, ſowie die für beſonders zuverläſſig geltenden Höfe von Baden, Mecklenburg und Naſſau eingeladen, ihre leitenden Miniſter im Juli nach Karlsbad zu ſenden; alle erklärten ſich mit Freuden bereit. Die übrigen Regierungen würdigte man keiner Mit- theilung, die einen weil Eile noth that und nur ein kleiner Kreis raſche Beſchlüſſe faſſen konnte, die anderen weil Kaiſer Franz ihnen mißtraute. Für den Großherzog von Weimar war am Wiener Hofe kein Wort mehr ſchlecht genug. Der Mäcenas der deutſchen Schöngeiſter, höhnte man dort, ſei jetzt zum Protector der deutſchen Meuchelmörder geworden; ein- zelne Heißſporne erinnerten bereits an das Schickſal Johann Friedrichs. Der tapfere Fürſt hielt aus ſo lange es anging; er dachte in dieſem Frühe jahr ſogar daran, den gefürchteten Gagern zu ſeinem Bundesgeſandten zu ernennen, was ihm General Wolzogen noch glücklich ausredete. *) Mittlerweile kamen ernſte Mahnungen aus Rußland, offenbare Drohungen aus Oeſterreich. Auf der Reiſe nach Karlsbad erklärte Metternich einem Staatsmanne der kleinen Höfe rund heraus: der einzige Rechtsgrund für den Beſtand der kleinen Bundesſtaaten ſei die Bundesakte, nur als Bundesglieder hätten ſie die Anerkennung der europäiſchen Mächte erhalten, durch Felonie gegen den Bund würden ſie ihr Daſein verwirken. So gewiß dieſe frivole Rechtsanſicht dem völkerrechtlichen Charakter des deutſchen Staatenbundes, der ſo oft und feierlich anerkannten Souveränität aller deutſchen Fürſten ins Geſicht ſchlug: Karl Auguſt wußte wohl, was er von ſeiner Souveränität zu halten hatte, er war der Thor nicht, mit dem papierenen Schwerte eines Bundesverfaſſungsparagraphen den Macht- kampf gegen den erklärten Willen aller größeren Bundesſtaaten aufzu- nehmen. Noch einmal, am Abend ſeines Lebens bekam er die Lüge der Kleinſtaaterei, die ihn ſein Tagelang gepeinigt, ſchwer zu empfinden; er mußte ſchweigend hinnehmen, was er nicht hindern konnte und behielt ſich nur im Stillen vor, die Karlsbader Beſchlüſſe ſo mild als möglich aus- zuführen. Nächſt Weimar war die Curie der freien Städte dem Wiener Hofe hochverdächtig; die ehrenfeſten altväteriſchen Senate der vier Com- munen verdankten dieſen unverdienten Ruf dem wackeren bremiſchen *) Goltz’s Bericht, 25. Mai 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/552>, abgerufen am 22.11.2024.