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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Antrag Weimars wegen der Universitäten.
des Fürsten, der in solchem Augenblicke noch wagte, den freien Kampf der
Meinungen, die Einheitsträume der deutschen Burschen zu vertheidigen.
Metternich aber meinte: "Mit Verachtung straft man den Altburschen
nicht, er ist sie gewöhnt." In solchem Tone wagte jetzt ein österreichischer
Staatsmann von dem berühmtesten Manne des deutschen Fürstenstandes
zu reden; die Zeiten des Friedländers drohten sich zu erneuern. Graf
Buol erhielt demnach Befehl, sich auf die Berathung des Weimarischen
Antrags einzulassen, um dann einen Gegenantrag durchzusetzen, welchen
Gentz nach Adam Müllers Ideen ausgearbeitet hatte, ein Meisterstück poli-
zeilicher Seelenangst. Die Reformpläne des Hauses Oesterreich für Deutsch-
lands Hochschulen liefen wesentlich auf zwei Vorschläge hinaus: es sollten
die Studenten jeder Ausnahmestellung verlustig gehen und auch in Dis-
ciplinarsachen ausschließlich der bürgerlichen Polizei unterworfen werden,
da diese durch die Stiefelputzer und ähnliche Leute die Vergehen des jungen
Volks am leichtesten erfahren könne; ferner sollten alle deutschen Regie-
rungen sich verpflichten, keinen akademischen Lehrer, der wegen gefähr-
licher Lehren abgesetzt worden sei, jemals wieder anzustellen. Auf diesen
letzteren Punkt kam es der Hofburg vornehmlich an. Gentz leitete alle
Sünden der Jugend kurzweg von den ruchlosen Lehren ihrer Professoren
her und versicherte mit eiserner Stirn, ganz unzweifelhaft seien Oken,
Fries, Luden und Kieser die eigentlichen Mörder Kotzebues. Kaiser Franz,
mißtrauisch gegen Alles was über seinen Gesichtskreis hinauslag, war der-
selben Ansicht; er ließ an allen Höfen die Annahme des k. k. Antrags
dringend empfehlen und den König von Preußen persönlich um seine
freundschaftliche Unterstützung bitten. *)

Aber die Langsamkeit der regelmäßigen Bundesverhandlungen bot doch
einige Gewähr gegen Ueberraschungen. Als die übliche Instruktionseinho-
lung begann und die Regierungen die schwierige Frage reiflich erwogen, da
zeigte sich wieder, wie wenig das Oesterreich Metternichs mit der deutschen
Cultur gemein hatte. Nur die medicinischen Facultäten Oesterreichs ge-
nossen der vollen Lehr- und Lernfreiheit deutscher Hochschulen. In Berlin
dagegen empfand man lebhaft, wie leicht ein Gewaltschritt gegen die aka-
demische Freiheit alle Grundlagen der deutschen Bildung zerstören könne.
Selbst der furchtsame Ancillon mochte den deutschen Gelehrten doch nicht
ganz verleugnen und gab der Hofburg zu bedenken: dies Alles ist für
uns schwerer als für Oesterreich, da wir große Universitäten besitzen, die
nur Lehr- nicht Erziehungs-Anstalten sind und nur in Freiheit gedeihen
können. **) Eichhorn, der seit einem Jahre den Vortrag über die deutschen
Angelegenheiten im Auswärtigen Amte erhalten hatte, verfaßte für den
Bundestag eine geistvolle Denkschrift (10. Juli), die sich zwar über den

*) Krusemarks Bericht, 21. Mai 1819.
**) Ancillon, Weisung an Krusemark, 15. Juni 1819.

Antrag Weimars wegen der Univerſitäten.
des Fürſten, der in ſolchem Augenblicke noch wagte, den freien Kampf der
Meinungen, die Einheitsträume der deutſchen Burſchen zu vertheidigen.
Metternich aber meinte: „Mit Verachtung ſtraft man den Altburſchen
nicht, er iſt ſie gewöhnt.“ In ſolchem Tone wagte jetzt ein öſterreichiſcher
Staatsmann von dem berühmteſten Manne des deutſchen Fürſtenſtandes
zu reden; die Zeiten des Friedländers drohten ſich zu erneuern. Graf
Buol erhielt demnach Befehl, ſich auf die Berathung des Weimariſchen
Antrags einzulaſſen, um dann einen Gegenantrag durchzuſetzen, welchen
Gentz nach Adam Müllers Ideen ausgearbeitet hatte, ein Meiſterſtück poli-
zeilicher Seelenangſt. Die Reformpläne des Hauſes Oeſterreich für Deutſch-
lands Hochſchulen liefen weſentlich auf zwei Vorſchläge hinaus: es ſollten
die Studenten jeder Ausnahmeſtellung verluſtig gehen und auch in Dis-
ciplinarſachen ausſchließlich der bürgerlichen Polizei unterworfen werden,
da dieſe durch die Stiefelputzer und ähnliche Leute die Vergehen des jungen
Volks am leichteſten erfahren könne; ferner ſollten alle deutſchen Regie-
rungen ſich verpflichten, keinen akademiſchen Lehrer, der wegen gefähr-
licher Lehren abgeſetzt worden ſei, jemals wieder anzuſtellen. Auf dieſen
letzteren Punkt kam es der Hofburg vornehmlich an. Gentz leitete alle
Sünden der Jugend kurzweg von den ruchloſen Lehren ihrer Profeſſoren
her und verſicherte mit eiſerner Stirn, ganz unzweifelhaft ſeien Oken,
Fries, Luden und Kieſer die eigentlichen Mörder Kotzebues. Kaiſer Franz,
mißtrauiſch gegen Alles was über ſeinen Geſichtskreis hinauslag, war der-
ſelben Anſicht; er ließ an allen Höfen die Annahme des k. k. Antrags
dringend empfehlen und den König von Preußen perſönlich um ſeine
freundſchaftliche Unterſtützung bitten. *)

Aber die Langſamkeit der regelmäßigen Bundesverhandlungen bot doch
einige Gewähr gegen Ueberraſchungen. Als die übliche Inſtruktionseinho-
lung begann und die Regierungen die ſchwierige Frage reiflich erwogen, da
zeigte ſich wieder, wie wenig das Oeſterreich Metternichs mit der deutſchen
Cultur gemein hatte. Nur die mediciniſchen Facultäten Oeſterreichs ge-
noſſen der vollen Lehr- und Lernfreiheit deutſcher Hochſchulen. In Berlin
dagegen empfand man lebhaft, wie leicht ein Gewaltſchritt gegen die aka-
demiſche Freiheit alle Grundlagen der deutſchen Bildung zerſtören könne.
Selbſt der furchtſame Ancillon mochte den deutſchen Gelehrten doch nicht
ganz verleugnen und gab der Hofburg zu bedenken: dies Alles iſt für
uns ſchwerer als für Oeſterreich, da wir große Univerſitäten beſitzen, die
nur Lehr- nicht Erziehungs-Anſtalten ſind und nur in Freiheit gedeihen
können. **) Eichhorn, der ſeit einem Jahre den Vortrag über die deutſchen
Angelegenheiten im Auswärtigen Amte erhalten hatte, verfaßte für den
Bundestag eine geiſtvolle Denkſchrift (10. Juli), die ſich zwar über den

*) Kruſemarks Bericht, 21. Mai 1819.
**) Ancillon, Weiſung an Kruſemark, 15. Juni 1819.
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[535/0549] Antrag Weimars wegen der Univerſitäten. des Fürſten, der in ſolchem Augenblicke noch wagte, den freien Kampf der Meinungen, die Einheitsträume der deutſchen Burſchen zu vertheidigen. Metternich aber meinte: „Mit Verachtung ſtraft man den Altburſchen nicht, er iſt ſie gewöhnt.“ In ſolchem Tone wagte jetzt ein öſterreichiſcher Staatsmann von dem berühmteſten Manne des deutſchen Fürſtenſtandes zu reden; die Zeiten des Friedländers drohten ſich zu erneuern. Graf Buol erhielt demnach Befehl, ſich auf die Berathung des Weimariſchen Antrags einzulaſſen, um dann einen Gegenantrag durchzuſetzen, welchen Gentz nach Adam Müllers Ideen ausgearbeitet hatte, ein Meiſterſtück poli- zeilicher Seelenangſt. Die Reformpläne des Hauſes Oeſterreich für Deutſch- lands Hochſchulen liefen weſentlich auf zwei Vorſchläge hinaus: es ſollten die Studenten jeder Ausnahmeſtellung verluſtig gehen und auch in Dis- ciplinarſachen ausſchließlich der bürgerlichen Polizei unterworfen werden, da dieſe durch die Stiefelputzer und ähnliche Leute die Vergehen des jungen Volks am leichteſten erfahren könne; ferner ſollten alle deutſchen Regie- rungen ſich verpflichten, keinen akademiſchen Lehrer, der wegen gefähr- licher Lehren abgeſetzt worden ſei, jemals wieder anzuſtellen. Auf dieſen letzteren Punkt kam es der Hofburg vornehmlich an. Gentz leitete alle Sünden der Jugend kurzweg von den ruchloſen Lehren ihrer Profeſſoren her und verſicherte mit eiſerner Stirn, ganz unzweifelhaft ſeien Oken, Fries, Luden und Kieſer die eigentlichen Mörder Kotzebues. Kaiſer Franz, mißtrauiſch gegen Alles was über ſeinen Geſichtskreis hinauslag, war der- ſelben Anſicht; er ließ an allen Höfen die Annahme des k. k. Antrags dringend empfehlen und den König von Preußen perſönlich um ſeine freundſchaftliche Unterſtützung bitten. *) Aber die Langſamkeit der regelmäßigen Bundesverhandlungen bot doch einige Gewähr gegen Ueberraſchungen. Als die übliche Inſtruktionseinho- lung begann und die Regierungen die ſchwierige Frage reiflich erwogen, da zeigte ſich wieder, wie wenig das Oeſterreich Metternichs mit der deutſchen Cultur gemein hatte. Nur die mediciniſchen Facultäten Oeſterreichs ge- noſſen der vollen Lehr- und Lernfreiheit deutſcher Hochſchulen. In Berlin dagegen empfand man lebhaft, wie leicht ein Gewaltſchritt gegen die aka- demiſche Freiheit alle Grundlagen der deutſchen Bildung zerſtören könne. Selbſt der furchtſame Ancillon mochte den deutſchen Gelehrten doch nicht ganz verleugnen und gab der Hofburg zu bedenken: dies Alles iſt für uns ſchwerer als für Oeſterreich, da wir große Univerſitäten beſitzen, die nur Lehr- nicht Erziehungs-Anſtalten ſind und nur in Freiheit gedeihen können. **) Eichhorn, der ſeit einem Jahre den Vortrag über die deutſchen Angelegenheiten im Auswärtigen Amte erhalten hatte, verfaßte für den Bundestag eine geiſtvolle Denkſchrift (10. Juli), die ſich zwar über den *) Kruſemarks Bericht, 21. Mai 1819. **) Ancillon, Weiſung an Kruſemark, 15. Juni 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/549>, abgerufen am 25.11.2024.