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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Angst der Regierungen.
einem heroischen Widerstande gegen den tyrannischen Befehl redeten, so
gehorchten doch als die Frist ablief alle bis auf den letzten Mann.

Selbst diese Erfahrung brachte den König nicht auf die Frage, ob der
Geist der Widersetzlichkeit in der akademischen Welt wirklich so mächtig sei.
Er meinte jetzt Alles durch den Erfolg bestätigt zu sehen, was ihm Metter-
nich über die Umtriebe der im Dunkeln schleichenden Partei gesagt hatte;
er verweigerte der neuen Turnordnung, die ihm zur Vollziehung vorlag,
seine Unterschrift, ließ in Weimar wie in Karlsruhe dringend zur Strenge
rathen, da "die unseligen Verirrungen der Universitäts-Jugend einen
wahrhaft furchtbaren Grad erreicht haben", und befahl dem Grafen
Bernstorff, mit dem österreichischen Gesandten Zichy, der sofort durch
Kurier Weisung erhalten hatte, wegen außerordentlicher Bundesbeschlüsse
zu verhandeln. *) Mit flammendem Eifer stürzte sich, von Wittgenstein
unterstützt, der neue Direktor des Polizeidepartements, Geh. Rath Kamptz,
in die Untersuchungen; als geborner Mecklenburger an ein todtenstilles
öffentliches Leben gewöhnt, scheint er in der That an die große Verschwörung
geglaubt zu haben, obschon er zugleich seine Rachgier an seinen literarischen
Gegnern kühlen wollte. An ihn drängte sich sogleich eine Rotte verwor-
fener Menschen, wie sie in der Sumpflust des Mißtrauens und des Ver-
dachtes zu gedeihen pflegen: die Räthe Tzschoppe, Grano, Dambach, ge-
meine Ehrgeizige, die das Handwerk der Verfolgung mit dem Eifer eines
Schweißhundes trieben.

Derweil die deutschen Höfe also von blindem Schrecken überwältigt
wurden, schwelgte Metternich im Gefühle befriedigter Eitelkeit: wieder
einmal hatte er Alles vorausgewußt, die teuflischen Pläne der Verwor-
fenen, die von deutscher Einheit träumten, waren aufgedeckt; nun galt es
die Angst der deutschen Kronen auszubeuten, "der Sache die beste Folge
zu geben, die möglichste Partie aus ihr zu ziehen." Kaiser Franz bereiste
in diesem Frühjahr die italienischen Höfe. Metternich, der sich nebst dem
preußischen Gesandten Krusemark im Gefolge des Monarchen befand,
sendete seiner Gemahlin aus Rom und Neapel Reiseberichte, welche auf
unbefangene Leser etwa den Eindruck machen, als ob ein wißbegieriger
Kaufmannsdiener sie geschrieben und der selige Baron Münchhausen
einige historisch-statistische Berichtigungen hinzugefügt hätte. Seinen Kunst-
sinn bethätigte er durch Begönnerung einiger französischer und englischer
Modemaler. Dagegen ward die Ausstellung, welche die deutschen Maler
zu Ehren des Kaisers im Palazzo Caffarelli veranstaltet hatten, kaum
eines Blickes gewürdigt; mit dem hochfliegenden Idealismus dieser Naza-
rener wußten die Wiener nichts anzufangen, auch trugen die Künstler
von S. Isidoro lange Haare und altdeutsche Röcke; was sie ungeachtet ihrer

*) Bernstorff an Varnhagen, 23. April; Krusemarks Bericht, 16. April; Weisungen
an Krusemark, 17. Mai, 15. Juni 1819.
34*

Angſt der Regierungen.
einem heroiſchen Widerſtande gegen den tyranniſchen Befehl redeten, ſo
gehorchten doch als die Friſt ablief alle bis auf den letzten Mann.

Selbſt dieſe Erfahrung brachte den König nicht auf die Frage, ob der
Geiſt der Widerſetzlichkeit in der akademiſchen Welt wirklich ſo mächtig ſei.
Er meinte jetzt Alles durch den Erfolg beſtätigt zu ſehen, was ihm Metter-
nich über die Umtriebe der im Dunkeln ſchleichenden Partei geſagt hatte;
er verweigerte der neuen Turnordnung, die ihm zur Vollziehung vorlag,
ſeine Unterſchrift, ließ in Weimar wie in Karlsruhe dringend zur Strenge
rathen, da „die unſeligen Verirrungen der Univerſitäts-Jugend einen
wahrhaft furchtbaren Grad erreicht haben“, und befahl dem Grafen
Bernſtorff, mit dem öſterreichiſchen Geſandten Zichy, der ſofort durch
Kurier Weiſung erhalten hatte, wegen außerordentlicher Bundesbeſchlüſſe
zu verhandeln. *) Mit flammendem Eifer ſtürzte ſich, von Wittgenſtein
unterſtützt, der neue Direktor des Polizeidepartements, Geh. Rath Kamptz,
in die Unterſuchungen; als geborner Mecklenburger an ein todtenſtilles
öffentliches Leben gewöhnt, ſcheint er in der That an die große Verſchwörung
geglaubt zu haben, obſchon er zugleich ſeine Rachgier an ſeinen literariſchen
Gegnern kühlen wollte. An ihn drängte ſich ſogleich eine Rotte verwor-
fener Menſchen, wie ſie in der Sumpfluſt des Mißtrauens und des Ver-
dachtes zu gedeihen pflegen: die Räthe Tzſchoppe, Grano, Dambach, ge-
meine Ehrgeizige, die das Handwerk der Verfolgung mit dem Eifer eines
Schweißhundes trieben.

Derweil die deutſchen Höfe alſo von blindem Schrecken überwältigt
wurden, ſchwelgte Metternich im Gefühle befriedigter Eitelkeit: wieder
einmal hatte er Alles vorausgewußt, die teufliſchen Pläne der Verwor-
fenen, die von deutſcher Einheit träumten, waren aufgedeckt; nun galt es
die Angſt der deutſchen Kronen auszubeuten, „der Sache die beſte Folge
zu geben, die möglichſte Partie aus ihr zu ziehen.“ Kaiſer Franz bereiſte
in dieſem Frühjahr die italieniſchen Höfe. Metternich, der ſich nebſt dem
preußiſchen Geſandten Kruſemark im Gefolge des Monarchen befand,
ſendete ſeiner Gemahlin aus Rom und Neapel Reiſeberichte, welche auf
unbefangene Leſer etwa den Eindruck machen, als ob ein wißbegieriger
Kaufmannsdiener ſie geſchrieben und der ſelige Baron Münchhauſen
einige hiſtoriſch-ſtatiſtiſche Berichtigungen hinzugefügt hätte. Seinen Kunſt-
ſinn bethätigte er durch Begönnerung einiger franzöſiſcher und engliſcher
Modemaler. Dagegen ward die Ausſtellung, welche die deutſchen Maler
zu Ehren des Kaiſers im Palazzo Caffarelli veranſtaltet hatten, kaum
eines Blickes gewürdigt; mit dem hochfliegenden Idealismus dieſer Naza-
rener wußten die Wiener nichts anzufangen, auch trugen die Künſtler
von S. Iſidoro lange Haare und altdeutſche Röcke; was ſie ungeachtet ihrer

*) Bernſtorff an Varnhagen, 23. April; Kruſemarks Bericht, 16. April; Weiſungen
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[531/0545] Angſt der Regierungen. einem heroiſchen Widerſtande gegen den tyranniſchen Befehl redeten, ſo gehorchten doch als die Friſt ablief alle bis auf den letzten Mann. Selbſt dieſe Erfahrung brachte den König nicht auf die Frage, ob der Geiſt der Widerſetzlichkeit in der akademiſchen Welt wirklich ſo mächtig ſei. Er meinte jetzt Alles durch den Erfolg beſtätigt zu ſehen, was ihm Metter- nich über die Umtriebe der im Dunkeln ſchleichenden Partei geſagt hatte; er verweigerte der neuen Turnordnung, die ihm zur Vollziehung vorlag, ſeine Unterſchrift, ließ in Weimar wie in Karlsruhe dringend zur Strenge rathen, da „die unſeligen Verirrungen der Univerſitäts-Jugend einen wahrhaft furchtbaren Grad erreicht haben“, und befahl dem Grafen Bernſtorff, mit dem öſterreichiſchen Geſandten Zichy, der ſofort durch Kurier Weiſung erhalten hatte, wegen außerordentlicher Bundesbeſchlüſſe zu verhandeln. *) Mit flammendem Eifer ſtürzte ſich, von Wittgenſtein unterſtützt, der neue Direktor des Polizeidepartements, Geh. Rath Kamptz, in die Unterſuchungen; als geborner Mecklenburger an ein todtenſtilles öffentliches Leben gewöhnt, ſcheint er in der That an die große Verſchwörung geglaubt zu haben, obſchon er zugleich ſeine Rachgier an ſeinen literariſchen Gegnern kühlen wollte. An ihn drängte ſich ſogleich eine Rotte verwor- fener Menſchen, wie ſie in der Sumpfluſt des Mißtrauens und des Ver- dachtes zu gedeihen pflegen: die Räthe Tzſchoppe, Grano, Dambach, ge- meine Ehrgeizige, die das Handwerk der Verfolgung mit dem Eifer eines Schweißhundes trieben. Derweil die deutſchen Höfe alſo von blindem Schrecken überwältigt wurden, ſchwelgte Metternich im Gefühle befriedigter Eitelkeit: wieder einmal hatte er Alles vorausgewußt, die teufliſchen Pläne der Verwor- fenen, die von deutſcher Einheit träumten, waren aufgedeckt; nun galt es die Angſt der deutſchen Kronen auszubeuten, „der Sache die beſte Folge zu geben, die möglichſte Partie aus ihr zu ziehen.“ Kaiſer Franz bereiſte in dieſem Frühjahr die italieniſchen Höfe. Metternich, der ſich nebſt dem preußiſchen Geſandten Kruſemark im Gefolge des Monarchen befand, ſendete ſeiner Gemahlin aus Rom und Neapel Reiſeberichte, welche auf unbefangene Leſer etwa den Eindruck machen, als ob ein wißbegieriger Kaufmannsdiener ſie geſchrieben und der ſelige Baron Münchhauſen einige hiſtoriſch-ſtatiſtiſche Berichtigungen hinzugefügt hätte. Seinen Kunſt- ſinn bethätigte er durch Begönnerung einiger franzöſiſcher und engliſcher Modemaler. Dagegen ward die Ausſtellung, welche die deutſchen Maler zu Ehren des Kaiſers im Palazzo Caffarelli veranſtaltet hatten, kaum eines Blickes gewürdigt; mit dem hochfliegenden Idealismus dieſer Naza- rener wußten die Wiener nichts anzufangen, auch trugen die Künſtler von S. Iſidoro lange Haare und altdeutſche Röcke; was ſie ungeachtet ihrer *) Bernſtorff an Varnhagen, 23. April; Kruſemarks Bericht, 16. April; Weiſungen an Kruſemark, 17. Mai, 15. Juni 1819. 34*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/545>, abgerufen am 25.11.2024.