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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Judenverfolgung.
Grafen Buol, nach Verabredung mit den zu Karlsbad versammelten
Staatsmännern: nöthigenfalls müsse der Bundestag selbst aus den be-
nachbarten Garnisonen Truppen herbeirufen, da der Frankfurter Senat
sich gegen die Unruhstifter allzu schwach zeige. *) --

Wer die ansteckende Kraft des politischen Verbrechens kennt, wird
nicht bestreiten, daß die Kronen, nach Allem was geschehen, so berechtigt
wie verpflichtet waren, durch eine strenge Untersuchung die letzten Gründe
der beiden Gewaltthaten zu erforschen und gegen einige Schriftsteller,
welche den Meuchelmord offen vertheidigten, scharf einzuschreiten. Da
beide Mörder den Unbedingten angehörten, so war auch die Schließung
der Burschenschaft mindestens für einige Zeit unvermeidlich. Aber nur
ein muthiges, festes, ruhiges Auftreten der Regierungen konnte die halt-
lose öffentliche Meinung wieder zur Besinnung bringen, und von solcher
staatsmännischen Sicherheit zeigte sich an den deutschen Höfen keine Spur.
Es giebt finstere Zeiten, in denen selbst edle Völker wie von einer epide-
mischen Geisteskrankheit ergriffen scheinen. So glaubte einst unter Karl II.
ganz England steif und fest an die eingebildete papistische Verschwörung;
so unterlagen jetzt fast sämmtliche deutsche Regierungen einem finsteren
Verfolgungswahne. Die beiden räthselhaften Verbrechen, die aufgeregte
Sprache der Zeitungen, unter denen namentlich die Isis und die Neue
Stuttgarter Zeitung sich sehr thöricht äußerten, die stürmischen Verhand-
lungen der beiden ersten Landtage, dies Alles im Verein stimmte die kleinen
Höfe ängstlich, und dazu das dunkle Gefühl, daß die Nation wahrlich
keinen Grund hatte, sich der Wiener Verträge zu freuen.

Am Besorgtesten äußerten sich grade die süddeutschen Höfe, die in
der Presse als Träger des constitutionellen Gedankens gefeiert wurden.
König Wilhelm von Württemberg sendete dem Petersburger Hofe eine
so finstere Schilderung von der revolutionären Gesinnung der deutschen
Jugend, daß Stourdza laut triumphirte und selbst der hochconservative
Blittersdorff diesen Hilferuf eines deutschen Fürsten an das Ausland ver-
ächtlich fand. **) Der Münchener Hof wendete sich sofort an Oesterreich
und Preußen, bat dringend um gemeinsame Maßregeln gegen die Uni-
versitäten, ließ einige Lehrer, welche ihre Freude über Kotzebues Tod aus-
gesprochen haben sollten, ohne Weiteres suspendiren, und da Sand seinem
Könige aus dem Kerker sagen ließ, er habe für sich nichts zu fürchten,
so zog der furchtsame Max Joseph daraus den Schluß, daß offenbar
gegen andere deutsche Fürsten gottlose Absichten gehegt würden. ***) Vollends
die badische Regierung, in deren Lande das Verbrechen geschehen war,

*) Metternich an Buol, 14. Aug.; Bernstorff an Goltz, 15. Aug. 1819.
**) Blittersdorffs Berichte, Petersburg 26., 30. April 1819.
***) Krusemarks Bericht, 21. Mai; Zastrows Berichte, 14. April, 4. Aug.; Mini-
sterialschreiben an Zastrow, 23. April 1819.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 34

Die Judenverfolgung.
Grafen Buol, nach Verabredung mit den zu Karlsbad verſammelten
Staatsmännern: nöthigenfalls müſſe der Bundestag ſelbſt aus den be-
nachbarten Garniſonen Truppen herbeirufen, da der Frankfurter Senat
ſich gegen die Unruhſtifter allzu ſchwach zeige. *)

Wer die anſteckende Kraft des politiſchen Verbrechens kennt, wird
nicht beſtreiten, daß die Kronen, nach Allem was geſchehen, ſo berechtigt
wie verpflichtet waren, durch eine ſtrenge Unterſuchung die letzten Gründe
der beiden Gewaltthaten zu erforſchen und gegen einige Schriftſteller,
welche den Meuchelmord offen vertheidigten, ſcharf einzuſchreiten. Da
beide Mörder den Unbedingten angehörten, ſo war auch die Schließung
der Burſchenſchaft mindeſtens für einige Zeit unvermeidlich. Aber nur
ein muthiges, feſtes, ruhiges Auftreten der Regierungen konnte die halt-
loſe öffentliche Meinung wieder zur Beſinnung bringen, und von ſolcher
ſtaatsmänniſchen Sicherheit zeigte ſich an den deutſchen Höfen keine Spur.
Es giebt finſtere Zeiten, in denen ſelbſt edle Völker wie von einer epide-
miſchen Geiſteskrankheit ergriffen ſcheinen. So glaubte einſt unter Karl II.
ganz England ſteif und feſt an die eingebildete papiſtiſche Verſchwörung;
ſo unterlagen jetzt faſt ſämmtliche deutſche Regierungen einem finſteren
Verfolgungswahne. Die beiden räthſelhaften Verbrechen, die aufgeregte
Sprache der Zeitungen, unter denen namentlich die Iſis und die Neue
Stuttgarter Zeitung ſich ſehr thöricht äußerten, die ſtürmiſchen Verhand-
lungen der beiden erſten Landtage, dies Alles im Verein ſtimmte die kleinen
Höfe ängſtlich, und dazu das dunkle Gefühl, daß die Nation wahrlich
keinen Grund hatte, ſich der Wiener Verträge zu freuen.

Am Beſorgteſten äußerten ſich grade die ſüddeutſchen Höfe, die in
der Preſſe als Träger des conſtitutionellen Gedankens gefeiert wurden.
König Wilhelm von Württemberg ſendete dem Petersburger Hofe eine
ſo finſtere Schilderung von der revolutionären Geſinnung der deutſchen
Jugend, daß Stourdza laut triumphirte und ſelbſt der hochconſervative
Blittersdorff dieſen Hilferuf eines deutſchen Fürſten an das Ausland ver-
ächtlich fand. **) Der Münchener Hof wendete ſich ſofort an Oeſterreich
und Preußen, bat dringend um gemeinſame Maßregeln gegen die Uni-
verſitäten, ließ einige Lehrer, welche ihre Freude über Kotzebues Tod aus-
geſprochen haben ſollten, ohne Weiteres ſuspendiren, und da Sand ſeinem
Könige aus dem Kerker ſagen ließ, er habe für ſich nichts zu fürchten,
ſo zog der furchtſame Max Joſeph daraus den Schluß, daß offenbar
gegen andere deutſche Fürſten gottloſe Abſichten gehegt würden. ***) Vollends
die badiſche Regierung, in deren Lande das Verbrechen geſchehen war,

*) Metternich an Buol, 14. Aug.; Bernſtorff an Goltz, 15. Aug. 1819.
**) Blittersdorffs Berichte, Petersburg 26., 30. April 1819.
***) Kruſemarks Bericht, 21. Mai; Zaſtrows Berichte, 14. April, 4. Aug.; Mini-
ſterialſchreiben an Zaſtrow, 23. April 1819.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 34
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[529/0543] Die Judenverfolgung. Grafen Buol, nach Verabredung mit den zu Karlsbad verſammelten Staatsmännern: nöthigenfalls müſſe der Bundestag ſelbſt aus den be- nachbarten Garniſonen Truppen herbeirufen, da der Frankfurter Senat ſich gegen die Unruhſtifter allzu ſchwach zeige. *) — Wer die anſteckende Kraft des politiſchen Verbrechens kennt, wird nicht beſtreiten, daß die Kronen, nach Allem was geſchehen, ſo berechtigt wie verpflichtet waren, durch eine ſtrenge Unterſuchung die letzten Gründe der beiden Gewaltthaten zu erforſchen und gegen einige Schriftſteller, welche den Meuchelmord offen vertheidigten, ſcharf einzuſchreiten. Da beide Mörder den Unbedingten angehörten, ſo war auch die Schließung der Burſchenſchaft mindeſtens für einige Zeit unvermeidlich. Aber nur ein muthiges, feſtes, ruhiges Auftreten der Regierungen konnte die halt- loſe öffentliche Meinung wieder zur Beſinnung bringen, und von ſolcher ſtaatsmänniſchen Sicherheit zeigte ſich an den deutſchen Höfen keine Spur. Es giebt finſtere Zeiten, in denen ſelbſt edle Völker wie von einer epide- miſchen Geiſteskrankheit ergriffen ſcheinen. So glaubte einſt unter Karl II. ganz England ſteif und feſt an die eingebildete papiſtiſche Verſchwörung; ſo unterlagen jetzt faſt ſämmtliche deutſche Regierungen einem finſteren Verfolgungswahne. Die beiden räthſelhaften Verbrechen, die aufgeregte Sprache der Zeitungen, unter denen namentlich die Iſis und die Neue Stuttgarter Zeitung ſich ſehr thöricht äußerten, die ſtürmiſchen Verhand- lungen der beiden erſten Landtage, dies Alles im Verein ſtimmte die kleinen Höfe ängſtlich, und dazu das dunkle Gefühl, daß die Nation wahrlich keinen Grund hatte, ſich der Wiener Verträge zu freuen. Am Beſorgteſten äußerten ſich grade die ſüddeutſchen Höfe, die in der Preſſe als Träger des conſtitutionellen Gedankens gefeiert wurden. König Wilhelm von Württemberg ſendete dem Petersburger Hofe eine ſo finſtere Schilderung von der revolutionären Geſinnung der deutſchen Jugend, daß Stourdza laut triumphirte und ſelbſt der hochconſervative Blittersdorff dieſen Hilferuf eines deutſchen Fürſten an das Ausland ver- ächtlich fand. **) Der Münchener Hof wendete ſich ſofort an Oeſterreich und Preußen, bat dringend um gemeinſame Maßregeln gegen die Uni- verſitäten, ließ einige Lehrer, welche ihre Freude über Kotzebues Tod aus- geſprochen haben ſollten, ohne Weiteres ſuspendiren, und da Sand ſeinem Könige aus dem Kerker ſagen ließ, er habe für ſich nichts zu fürchten, ſo zog der furchtſame Max Joſeph daraus den Schluß, daß offenbar gegen andere deutſche Fürſten gottloſe Abſichten gehegt würden. ***) Vollends die badiſche Regierung, in deren Lande das Verbrechen geſchehen war, *) Metternich an Buol, 14. Aug.; Bernſtorff an Goltz, 15. Aug. 1819. **) Blittersdorffs Berichte, Petersburg 26., 30. April 1819. ***) Kruſemarks Bericht, 21. Mai; Zaſtrows Berichte, 14. April, 4. Aug.; Mini- ſterialſchreiben an Zaſtrow, 23. April 1819. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 34

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/543>, abgerufen am 22.11.2024.