II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
Gesinnung verächtlich; ihre verständige Wasserklarheit erinnerte ihn an den alten Nicolai und erfüllte ihn zugleich mit Besorgniß, denn er lebte des Glaubens, die reine Verstandesbildung führe zur Anarchie, da dem Verstande keine Autorität innewohne. Bald bemerkte er auch mit Ekel, wie der junge Liberalismus in denselben unduldsam gehässigen Ton ver- fiel wie einst der Großinquisitor der Berliner Aufklärung und alle An- dersdenkende als Fürsten- oder Pfaffenknechte verfolgte. Diesen Sklaven der Parteimeinung hielt er entgegen: es gebe nur einen wahren Libera- lismus, die Liberalität der Gesinnungen, des lebendigen Gemüths.
Mit unüberwindlichem Abscheu erfüllte ihn das aufblühende Zeitungs- wesen; ihm entging nicht, wie verflachend und versandend dies Haschen nach den Tagesneuigkeiten, diese ungesunde Vermischung von ödem Klatsch und politischer Belehrung auf die allgemeine Bildung wirken, welche Frechheit und Nichtigkeit unter allen diesen unverantwortlichen Namenlosen, die hier über Menschen und Dinge zu Gericht saßen, aufwuchern mußte. "Tiefe Verachtung öffentlicher Meinung" schien ihm der einzige Gewinn aus der belobten Preßfreiheit. Achselzuckend wendete er sich ab von den Götzen des Tages: "wer in der Weltgeschichte lebt, dem Augenblick sollt' er sich richten?" -- Wie war es doch so still geworden um den Alten! Auch Herder und Wieland waren dahingegangen, und das schöne Verhältniß zu seinem fürstlichen Freunde wurde durch eine unwürdige Kränkung ge- trübt. Der Dichter wollte nicht dulden, daß ein abgerichteter Hund dort seine Künste zeigte "wo der bekränzte Liebling der Kamönen der inn'ren Welt geweihte Gluth ergoß". Der Großherzog aber bestand auf seiner Laune; Goethe mußte vor dem Hunde des Aubry weichen und zog sich von der Leitung der Weimarischen Bühne zurück.
Die freie Heiterkeit seines Wesens blieb von Alledem unberührt. Mit jugendlichem Eifer vertheidigte er in seiner neuen Zeitschrift "Kunst und Alterthum", wie vormals in den Propyläen, die classischen Ideale. Der Kunst-Meyer und die anderen unter dem gefürchteten Zeichen W. K. F. versteckten Weimarischen Kunstfreunde unterstützten ihn im Kampfe wider "die neue frömmelnde Unkunst". Freilich stand der Dichter an der Schwelle zweier Zeitalter, und hinter dem stolzen, zuversichtlichen Tone seiner Polemik verbarg sich zuweilen ein Gefühl der Unsicherheit. Wie vormals Winckelmann zugleich für die antiken Bildwerke der Villa Albani und für die frostige Eleganz eines Raphael Mengs sich begeisterte, so kam auch Goethe von seinem alten Genossen Tischbein nicht ganz los und schmückte ein steifes Bild des Freundes, das von natürlicher Wahrheit wenig oder nichts enthielt, mit den Versen: "heute noch im Paradiese wandern Lämmer auf der Wiese, und Natur ist's nach wie vor!" Dabei behielt er doch Fühlung mit allen frei aufstrebenden Talenten der deutschen Kunst und begrüßte mit warmem Lobe die ersten kühnen Schritte Christian Rauchs.
II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
Geſinnung verächtlich; ihre verſtändige Waſſerklarheit erinnerte ihn an den alten Nicolai und erfüllte ihn zugleich mit Beſorgniß, denn er lebte des Glaubens, die reine Verſtandesbildung führe zur Anarchie, da dem Verſtande keine Autorität innewohne. Bald bemerkte er auch mit Ekel, wie der junge Liberalismus in denſelben unduldſam gehäſſigen Ton ver- fiel wie einſt der Großinquiſitor der Berliner Aufklärung und alle An- dersdenkende als Fürſten- oder Pfaffenknechte verfolgte. Dieſen Sklaven der Parteimeinung hielt er entgegen: es gebe nur einen wahren Libera- lismus, die Liberalität der Geſinnungen, des lebendigen Gemüths.
Mit unüberwindlichem Abſcheu erfüllte ihn das aufblühende Zeitungs- weſen; ihm entging nicht, wie verflachend und verſandend dies Haſchen nach den Tagesneuigkeiten, dieſe ungeſunde Vermiſchung von ödem Klatſch und politiſcher Belehrung auf die allgemeine Bildung wirken, welche Frechheit und Nichtigkeit unter allen dieſen unverantwortlichen Namenloſen, die hier über Menſchen und Dinge zu Gericht ſaßen, aufwuchern mußte. „Tiefe Verachtung öffentlicher Meinung“ ſchien ihm der einzige Gewinn aus der belobten Preßfreiheit. Achſelzuckend wendete er ſich ab von den Götzen des Tages: „wer in der Weltgeſchichte lebt, dem Augenblick ſollt’ er ſich richten?“ — Wie war es doch ſo ſtill geworden um den Alten! Auch Herder und Wieland waren dahingegangen, und das ſchöne Verhältniß zu ſeinem fürſtlichen Freunde wurde durch eine unwürdige Kränkung ge- trübt. Der Dichter wollte nicht dulden, daß ein abgerichteter Hund dort ſeine Künſte zeigte „wo der bekränzte Liebling der Kamönen der inn’ren Welt geweihte Gluth ergoß“. Der Großherzog aber beſtand auf ſeiner Laune; Goethe mußte vor dem Hunde des Aubry weichen und zog ſich von der Leitung der Weimariſchen Bühne zurück.
Die freie Heiterkeit ſeines Weſens blieb von Alledem unberührt. Mit jugendlichem Eifer vertheidigte er in ſeiner neuen Zeitſchrift „Kunſt und Alterthum“, wie vormals in den Propyläen, die claſſiſchen Ideale. Der Kunſt-Meyer und die anderen unter dem gefürchteten Zeichen W. K. F. verſteckten Weimariſchen Kunſtfreunde unterſtützten ihn im Kampfe wider „die neue frömmelnde Unkunſt“. Freilich ſtand der Dichter an der Schwelle zweier Zeitalter, und hinter dem ſtolzen, zuverſichtlichen Tone ſeiner Polemik verbarg ſich zuweilen ein Gefühl der Unſicherheit. Wie vormals Winckelmann zugleich für die antiken Bildwerke der Villa Albani und für die froſtige Eleganz eines Raphael Mengs ſich begeiſterte, ſo kam auch Goethe von ſeinem alten Genoſſen Tiſchbein nicht ganz los und ſchmückte ein ſteifes Bild des Freundes, das von natürlicher Wahrheit wenig oder nichts enthielt, mit den Verſen: „heute noch im Paradieſe wandern Lämmer auf der Wieſe, und Natur iſt’s nach wie vor!“ Dabei behielt er doch Fühlung mit allen frei aufſtrebenden Talenten der deutſchen Kunſt und begrüßte mit warmem Lobe die erſten kühnen Schritte Chriſtian Rauchs.
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II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
Geſinnung verächtlich; ihre verſtändige Waſſerklarheit erinnerte ihn an
den alten Nicolai und erfüllte ihn zugleich mit Beſorgniß, denn er lebte
des Glaubens, die reine Verſtandesbildung führe zur Anarchie, da dem
Verſtande keine Autorität innewohne. Bald bemerkte er auch mit Ekel,
wie der junge Liberalismus in denſelben unduldſam gehäſſigen Ton ver-
fiel wie einſt der Großinquiſitor der Berliner Aufklärung und alle An-
dersdenkende als Fürſten- oder Pfaffenknechte verfolgte. Dieſen Sklaven
der Parteimeinung hielt er entgegen: es gebe nur einen wahren Libera-
lismus, die Liberalität der Geſinnungen, des lebendigen Gemüths.
Mit unüberwindlichem Abſcheu erfüllte ihn das aufblühende Zeitungs-
weſen; ihm entging nicht, wie verflachend und verſandend dies Haſchen nach
den Tagesneuigkeiten, dieſe ungeſunde Vermiſchung von ödem Klatſch und
politiſcher Belehrung auf die allgemeine Bildung wirken, welche Frechheit
und Nichtigkeit unter allen dieſen unverantwortlichen Namenloſen, die
hier über Menſchen und Dinge zu Gericht ſaßen, aufwuchern mußte.
„Tiefe Verachtung öffentlicher Meinung“ ſchien ihm der einzige Gewinn
aus der belobten Preßfreiheit. Achſelzuckend wendete er ſich ab von den
Götzen des Tages: „wer in der Weltgeſchichte lebt, dem Augenblick ſollt’ er
ſich richten?“ — Wie war es doch ſo ſtill geworden um den Alten! Auch
Herder und Wieland waren dahingegangen, und das ſchöne Verhältniß
zu ſeinem fürſtlichen Freunde wurde durch eine unwürdige Kränkung ge-
trübt. Der Dichter wollte nicht dulden, daß ein abgerichteter Hund dort
ſeine Künſte zeigte „wo der bekränzte Liebling der Kamönen der inn’ren
Welt geweihte Gluth ergoß“. Der Großherzog aber beſtand auf ſeiner
Laune; Goethe mußte vor dem Hunde des Aubry weichen und zog ſich
von der Leitung der Weimariſchen Bühne zurück.
Die freie Heiterkeit ſeines Weſens blieb von Alledem unberührt. Mit
jugendlichem Eifer vertheidigte er in ſeiner neuen Zeitſchrift „Kunſt und
Alterthum“, wie vormals in den Propyläen, die claſſiſchen Ideale. Der
Kunſt-Meyer und die anderen unter dem gefürchteten Zeichen W. K. F.
verſteckten Weimariſchen Kunſtfreunde unterſtützten ihn im Kampfe wider
„die neue frömmelnde Unkunſt“. Freilich ſtand der Dichter an der Schwelle
zweier Zeitalter, und hinter dem ſtolzen, zuverſichtlichen Tone ſeiner
Polemik verbarg ſich zuweilen ein Gefühl der Unſicherheit. Wie vormals
Winckelmann zugleich für die antiken Bildwerke der Villa Albani und für
die froſtige Eleganz eines Raphael Mengs ſich begeiſterte, ſo kam auch
Goethe von ſeinem alten Genoſſen Tiſchbein nicht ganz los und ſchmückte
ein ſteifes Bild des Freundes, das von natürlicher Wahrheit wenig oder
nichts enthielt, mit den Verſen: „heute noch im Paradieſe wandern
Lämmer auf der Wieſe, und Natur iſt’s nach wie vor!“ Dabei behielt
er doch Fühlung mit allen frei aufſtrebenden Talenten der deutſchen Kunſt
und begrüßte mit warmem Lobe die erſten kühnen Schritte Chriſtian
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/54>, abgerufen am 22.11.2024.
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